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Informationen zum Dokument  BGer 2C_607/2018  Materielle Begründung
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BGer 2C_607/2018 vom 19.09.2018
 
 
2C_607/2018
 
 
Urteil vom 19. September 2018
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Seiler, Präsident,
 
Bundesrichter Zünd, Haag,
 
Gerichtsschreiberin Straub.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
1. A.________,
 
2. B.________,
 
Beschwerdeführende,
 
gegen
 
Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern, Münsterplatz 3a, 3011 Bern,
 
Amt für Landwirtschaft und Natur des Kantons Bern (LANAT), Abteilung Direktzahlungen (ADZ), Molkereistrasse 25, 3052 Zollikofen.
 
Gegenstand
 
Direktzahlungen 2016,
 
unentgeltliche Rechtspflege,
 
Beschwerde gegen die Zwischenverfügung des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung II, vom 12. Juni 2018
 
(B-3259/2018).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Die Abteilung Direktzahlungen (ADZ) des Amts für Landwirtschaft und Natur (LANAT) der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern kürzte mit Verfügung vom 21. November 2016 den Basisbetrag der Direktzahlungen an A.________ um Fr. 930.- und strich bei den Produktionssystembeiträgen den gesamten Tierwohlbeitrag für regelmässigen Auslauf im Freien (RAUS) von Fr. 1'168.50. Grund dafür waren im Rahmen einer Kontrolle vom 4. November 2016 festgestellte Mängel, insbesondere betreffend Einstreu im Liegebereich von vier Pferden und 16 Ponys.
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Die hiergegen von A.________ und B.________ erhobene Einsprache an die ADZ blieb erfolglos (Verfügung vom 8. März 2017). Die Beschwerde an die Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern wurde mit Entscheid vom 2. Mai 2018 insoweit gutgeheissen, als die Kürzung des Basisbetrages auf Fr. 730.- herabgesetzt wurde. Weitergehend wurde die Beschwerde abgewiesen, soweit darauf eingetreten wurde.
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B.
 
Am 4. Juni 2018 erhoben A.________ und B.________ Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In formeller Hinsicht ersuchten sie um unentgeltliche Prozessführung und Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters. Hierzu reichten sie das ausgefüllte Formular "Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege" inklusive Beilagen ein.
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Mit Zwischenverfügung vom 12. Juni 2018 wies das Bundesverwaltungsgericht das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Bestellung eines unentgeltlichen Rechtsvertreters wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ab und forderte A.________ und B.________ auf, innert Frist einen Kostenvorschuss von insgesamt Fr. 800.- zu leisten, andernfalls auf die Beschwerde nicht eingetreten werde.
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C.
 
A.________ und B.________ erheben mit Eingabe an das Bundesgericht vom 12. Juli 2018 (Poststempel: 13. Juli 2018) Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen diese Zwischenverfügung. Sie beantragen, es sei ihnen im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die unentgeltliche Rechtspflege und -verbeiständung zu gewähren. Für das bundesgerichtliche Verfahren beantragen sie ebenfalls die unentgeltliche Rechtspflege.
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Das Bundesverwaltungsgericht verzichtet auf Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Angefochten ist ein in einem hängigen Verfahren ergangener Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts über ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Praxisgemäss können selbständig eröffnete Zwischenentscheide, mit denen zwecks Sicherstellung der mutmasslichen Gerichtskosten ein Kostenvorschuss verlangt wird, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken. Die Beschwerdemöglichkeit an das Bundesgericht steht offen, wenn die Zahlungsaufforderung mit der Androhung verbunden ist, im Säumnisfall auf die Klage oder das Rechtsmittel nicht einzutreten, und die betroffene Person geltend macht, mittellos zu sein (zum Ganzen BGE 142 III 798 E. 2.3.1 S. 802; Urteil 2C_21/2018 vom 25. Januar 2018 E. 2.4). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Auf die frist- und formgerecht eingereichte Beschwerde (Art. 42, Art. 100 Abs. 1 BGG) der hierzu legitimierten Beschwerdeführenden (Art. 89 Abs. 1 BGG) ist einzutreten.
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1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nur die geltend gemachten Vorbringen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 280 f.). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
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Erwägung 2
 
Die Vorinstanz erwog in der angefochtenen Verfügung, die Erfolgsaussichten des Prozessbegehrens der Beschwerdeführenden seien beträchtlich geringer als die Gefahr eines Unterliegens, sodass das Beschwerdeverfahren als aussichtslos erscheine. Eine Prüfung der Bedürftigkeit erübrige sich daher.
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2.1. Gemäss Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand. Entsprechend sieht Art. 65 VwVG vor, dass eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Verfahrenskosten befreit wird, sofern ihr Begehren nicht aussichtslos erscheint (Abs. 1), und dass ihr ein Anwalt bestellt wird, wenn es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist (Abs. 2).
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Praxisgemäss sind Prozessbegehren als aussichtslos anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Von Aussichtslosigkeit darf hingegen nicht gesprochen werden, wenn Gewinnaussichten und Verlustgefahren sich ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Massgebend ist, ob eine Partei, die über die nötigen Mittel verfügt, sich bei vernünftiger Überlegung zu einem Prozess entschliessen würde. Eine Partei soll einen Prozess, den sie auf eigene Rechnung und Gefahr nicht führen würde, nicht deshalb anstrengen können, weil er sie nichts kostet. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind (BGE 142 III 138 E: 5.1 S. 139 f.; 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218).
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2.2. Konkret erwog die Vorinstanz bezüglich der Erfolgsaussichten der Beschwerde, die Beschwerdeführenden hätten den Umstand, dass die Liegeplätze in den Unterkünften ihrer Pferde nicht eingestreut gewesen seien, nicht bestritten; damit würden keine Unklarheiten tatsächlicher Natur bestehen. Sie würden die gemäss Art. 59 Abs. 2 der Tierschutzverordnung vom 23. April 2008 (TSchV; SR 455.1) geltende Einstreupflicht in grundsätzlicher Hinsicht infrage stellen und im Wesentlichen geltend machen, bei ihrer individuellen Form der Pferdehaltung sei es nicht erforderlich, die Unterstände einzustreuen. Mit Bezug auf das Erfordernis der Einstreu bestehe indes keine Ausnahmebestimmung, und die Ansicht der Beschwerdeführenden finde, soweit prima facie ersichtlich, keine Stütze in Lehre oder Rechtsprechung. Angesichts der Erwägungen im angefochtenen Entscheid, der gesetzlichen Grundlagen und des unbestrittenen Sachverhalts würden erhebliche Zweifel an der Fehlerhaftigkeit der strittigen Direktzahlungskürzung bestehen. Die Beschwerde erscheine daher als aussichtslos.
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2.3. Mit diesen Erwägungen wird die Vorinstanz der erforderlichen summarischen Prüfung der Prozesschancen nur teilweise gerecht. So übersieht sie, dass die Beschwerdeführenden nicht die Einstreupflicht an sich infrage stellen, sondern argumentieren, eine solche entspreche in ihrem Fall aufgrund der Art der Pferdehaltung nicht dem Tierwohl und widerspreche somit dem Zweck des Tierschutzgesetzes, die Würde und das Wohlergehen des Tieres zu schützen (Art. 1 i.V.m. Art. 3 lit. a und b des Tierschutzgesetzes vom 16. Dezember 2005 [TschG; SR 455]). Die Beschwerdeführenden verlangen eine akzessorische Normenkontrolle von Art. 59 Abs. 2 TSchV, in der zu überprüfen sei, ob diese Bestimmung mit dem Zweck des Tierschutzgesetzes vereinbar sei oder ob sie diesem widerspreche. Sie machen geltend, wenn diese Bestimmung dem Tierwohl und der tiergerechten Haltung im konkreten Fall entgegenstehe, sollte sie nicht angewendet werden dürfen. Diese Vorbringen blieben bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten der Beschwerde durch die Vorinstanz unbeachtet und es ist nicht ersichtlich, dass diesbezüglich eine Abwägung der Prozesschancen stattgefunden hätte. Vielmehr beschränkte sich die Vorinstanz in der angefochtenen Zwischenverfügung darauf, pauschal auf die Erwägungen im Entscheid der Volkswirtschaftsdirektion, die gesetzlichen Grundlagen und den unbestrittenen Sachverhalt zu verweisen und daraus zu schliessen, die Erfolgsaussichten seien prima facie erheblich geringer als die Gefahr eines Unterliegens. Für die Qualifizierung einer Beschwerde als aussichtslos ist jedoch erforderlich, dass die Vorbringen einer summarischen Prüfung unterzogen werden. Dies erfordert eine minimale Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten der beschwerdeführenden Partei. Eine solche ist vorliegend nicht erfolgt.
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2.4. Die Vorbringen der Beschwerdeführenden hinsichtlich der Gefährdung des Tierwohls und der Gesetzeswidrigkeit von Art. 59 Abs. 2 TSchV scheinen nicht von vornherein aussichtslos und verdienen eine Prüfung. Insbesondere unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um eine Laienbeschwerde handelt, bei welcher die Anforderungen an die rechtliche Begründung nicht übermässig hoch gestellt werden dürfen, gelangt das Bundesgericht zum Schluss, dass die Erfolgsaussichten von der Vorinstanz vorschnell und ohne hinreichende (summarische) Prüfung der Vorbringen als wesentlich geringer als die Gefahr des Unterliegens eingestuft wurden. Die vorgenommene schematische Einschätzung der Beschwerdeschrift als aussichtslos verletzt den grundrechtlichen Anspruch aus Art. 29 Abs. 3 BV sowie Art. 65 Abs. 1 VwVG.
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Erwägung 3
 
Aufgrund dieser Erwägungen ist die Beschwerde gutzuheissen und die Sache zur Prüfung der Bedürftigkeit der Beschwerdeführenden und gegebenenfalls der Notwendigkeit einer anwaltlichen Verbeiständung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
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Bei diesem Verfahrensausgang sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege im bundesgerichtlichen Verfahren wird damit gegenstandslos.
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Sache zur Prüfung der Bedürftigkeit der Beschwerdeführenden und gegebenenfalls der Notwendigkeit einer anwaltlichen Verbeiständung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung II, dem Bundesamt für Landwirtschaft und dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 19. September 2018
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Seiler
 
Die Gerichtsschreiberin: Straub
 
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