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Informationen zum Dokument  BGer 8C_461/2018  Materielle Begründung
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BGer 8C_461/2018 vom 31.10.2018
 
 
8C_461/2018
 
 
Urteil vom 31. Oktober 2018
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
 
Gerichtsschreiber Jancar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
vertreten durch Rechtsanwalt Jörg Zurkirchen,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Arbeitsunfähigkeit, Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom
 
12. Mai 2018 (5V 17 240).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Der 1977 geborene A.________ war seit 13. Mai 2009 als Bauarbeiter bei der B.________ AG angestellt und damit bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch unfallversichert. Gemäss Schadenmeldung vom 20. Mai 2010 rutschte er am 9. Mai 2010 in einem nassen Treppenhaus aus. Er zog sich eine Kniedistorsion links zu. Am 21. Juni 2010 verstauchte er sich das linke Sprunggelenk und erlitt wieder ein Distorsionstrauma des linken Knies. Am 1. Juli 2010 wurde er von Dr. med. C.________, Facharzt FMH für Chirurgie, am linken Knie operiert; dieser stellte eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes links fest. Nach Angaben des Versicherten kam es am 4. August 2010 bei einem Treppensturz zu einer Retraumatisierung des linken Knies. Am 28. September 2010 und 6. Januar 2011 wurde er von Dr. med. C.________ erneut am linken Knie operiert. Gemäss Schadenmeldung vom 28. Juli 2011 verletzte sich der Versicherte im Fitnessstudio wiederum am linken Knie. Die Suva kam für die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Mit Verfügung vom 14. Dezember 2016 sprach sie dem Versicherten für die verbleibende Beeinträchtigung am linken Knie eine Integritätsentschädigung bei einer Integritätseinbusse von 10 % zu. Einen Rentenanspruch verneinte sie, da seine Erwerbsunfähigkeit bloss 5 % betrage. Seine Einsprache wies sie mit Entscheid vom 11. April 2017 ab.
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B. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid vom 12. Mai 2018 ab.
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C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm ab 9. Mai 2010 eine volle Rente zuzusprechen; eventuell sei zwecks Klärung seiner Erwerbsfähigkeit eine umfassende medizinische Begutachtung durch eine neutrale Stelle anzuordnen; ferner sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
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Ein Schriftenwechsel wurde nicht angeordnet.
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Erwägungen:
 
1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389).
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2. Das kantonale Gericht hat die rechtlichen Grundlagen über den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden im Allgemeinen (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f., 138 V 248 E. 5.1 S. 251) sowie bei psychischen Unfallfolgen im Besonderen (BGE 115 V 133), die Voraussetzungen des Rentenanspruchs (Art. 18 Abs. 1 UVG in der bis Ende 2016 gültig gewesenen, hier anwendbaren Fassung; vgl. Übergangsbestimmungen zur Änderung vom 25. September 2015 Abs. 1) und die Invaliditätsbemessung nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG) richtig dargelegt. Gleiches gilt betreffend den Untersuchungsgrundsatz (Art. 43 Abs. 1, Art. 61 lit. c ATSG), den massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 138 V 218 E. 6 S. 221) und den Beweiswert ärztlicher Berichte (BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229, 134 V 231 E. 5.1 S. 232, 125 V 351 E. 3 S. 352 f.). Darauf wird verwiesen.
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3. Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es die Ablehnung des Rentenanspruchs durch die Suva bestätigte.
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Unbestritten ist in diesem Rahmen die vorinstanzliche Verneinung der adäquaten Unfallkausalität der psychischen Beschwerden des Versicherten und damit einer diesbezüglichen Leistungspflicht der Suva. Hierzu erübrigen sich mithin Weiterungen.
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4. Strittig und zu prüfen bleiben somit die Auswirkungen der Knieproblematik auf die Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers.
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Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, der Kreisarzt Dr. med. D.________, Facharzt für Chirurgie FMH, habe im Bericht vom 23. Juni 2016 (unterschrieben am 28. Juni 2016) festgestellt, es bestünden keine strukturellen Veränderungen, die das chronifizierte therapieresistente Schmerzsyndrom am linken Knie erklärten. Eine neurogene Komponente könne ausgeschlossen werden. Von weiteren Behandlungen könne keine namhafte Verbesserung des unfallbedingten Gesundheitszustandes erwartet werden. Dem Versicherten seien ganztägig wechselbelastende, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten möglich; Arbeiten in stehender, kauernder und kniender Stellung seien zu vermeiden, ebenso das Besteigen von Leitern und Gerüsten sowie das Arbeiten auf solchen. Dr. med. D.________ habe aber ein weiteres Arthro-MRI und ein SPECT-CT empfohlen. Aufgrund dieser Untersuchungen, die am 5. September 2016 stattgefunden hätten, sei Dr. med. D.________ am 20. September 2016 zum Schluss gekommen, es bestehe eine mässige Femoropatellararthrose, weshalb eine Integritätsentschädigung geschuldet sei. Ansonsten habe er an seiner Einschätzung vom 23. Juni 2016 festgehalten. Auf Nachfrage hin habe er am 5. April 2017 das Zumutbarkeitsprofil insofern präzisiert, als längeres Arbeiten in stehender, kauernder oder kniender Stellung sowie Gehen auf unebenem Gelände zu vermeiden seien. Die Einschätzung des Dr. med. D.________ erfülle die Anforderungen an eine medizinische Beurteilungsgrundlage, weshalb darauf abgestellt werden könne.
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Erwägung 5
 
5.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, Dr. med. D.________ habe am 23. Juni 2016 den von zahlreichen Ärzten festgestellten Befund eines "chronifizierten therapieresistenten Schmerzsyndroms" bestätigt und festgestellt, dass von weitern Behandlungen keine Besserung zu erwarten sei. Trotzdem habe er eine Leistungseinschränkung und sogar den Anspruch auf eine Integritätsentschädigung verneint. Gleichwohl habe die Suva dem Beschwerdeführer eine Integritätsentschädigung zugesprochen. Dies zeige, dass der Bericht des Dr. med. D.________ vom 23. Juni 2016 nicht nachvollziehbar sei. Die medizinischen Befunde widersprächen diametral dem von ihm behaupteten Zumutbarkeitsprofil.
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5.2. Dem ist entgegenzuhalten, dass Dr. med. D.________ in der Beurteilung vom 20. September 2016 zum Schluss kam, beim Versicherten bestehe eine Integritätseinbusse von 10 %. Gestützt hierauf sprach ihm die Suva eine entsprechende Integritätsentschädigung zu. Im Übrigen kann der Beschwerdeführer aus der gestellten Diagnose und der Gewährung einer Integritätsentschädigung nichts zu seinen Gunsten ableiten. Denn für die Bestimmung des Rentenanspruchs ist - grundsätzlich unabhängig von der Diagnose - massgebend, ob und in welchem Ausmass eine Beeinträchtigung der Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit vorliegt (BGE 143 V 409 E. 4.2.1 S. 413; Urteil 8C_874/2017 vom 23. Mai 2018 E. 5.2.2).
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Erwägung 6
 
6.1. Der Beschwerdeführer wendet weiter im Wesentlichen ein, laut dem Bericht des Dr. med. E.________, Innere Medizin und Kardiologie FMH, vom 9. Januar 2017 seien die Beschwerden am linken Knie unfallkausal. Die Kniebeschwerden rechts seien darauf zurückzuführen, da aufgrund der starken Schmerzen am linken Knie eine reaktive Überbelastung des rechten Knies erfolge. Dies habe zu einer progressiven Schädigung des rechten Knies geführt, die somit auch unfallkausal sei. Dr. med. E.________ erachte den Beschwerdeführer als zu 100 % arbeitsunfähig und als Dauerinvaliden. Dies sei nachvollziehbar, zumal sein Arbeitsversuch in einem 50%igen Pensum bei der Stiftung F.________ aufgrund starker Schmerzen frühzeitig habe abgebrochen werden müssen. Der Bericht des Dr. med. E.________ beruhe auf einer langjährigen Beobachtung und regelmässiger Untersuchung des Beschwerdeführers. Auch Dr. med. G.________ von der Klinik H.________, habe festgestellt, dass aufgrund seiner starken Schmerzen keine verträgliche Therapieoption bestehe und er weiter auf Gehstöcke angewiesen sei. Zudem führt der Versicherte den Bericht des Dr. med. I.________, Arzt Notfallpraxis, Spital J.________, vom 24. April 2014 an.
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Erwägung 6.2
 
6.2.1. Aufgrund des Berichts der Dr. med. G.________ vom 28. Oktober 2014 bestand aufgrund des subjektiven Schmerzerlebens des Versicherten kaum eine verträgliche Therapieoption. Sie machte aber keine Angaben zu seiner allein nach objektiven medizinischen Kriterien festzustellenden Restarbeitsfähigkeit. Aus diesem Bericht kann der Beschwerdeführer somit nichts zu seinen Gunsten ableiten. Gleiches gilt zum Bericht betreffend das Arbeitstraining bei der Stiftung F.________ vom 11. September 2015. Hieraus geht nämlich - wie die Vorinstanz richtig erkannt hat - hervor, dass das Arbeitstraining in erster Linie wegen des subjektiven Leidensdrucks des Beschwerdeführers und nicht aufgrund objektiver Feststellungen der Brändi-Fachpersonen abgebrochen wurde. Insbesondere wurde ausgeführt, eine echte Motivation des Beschwerdeführers sei nicht spürbar gewesen.
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6.2.2. Dr. med. E.________ ging im Bericht vom 9. Januar 2017 davon aus, der Versicherte sei aufgrund von Kniebeschwerden beidseits zu 100 % arbeitsunfähig. Die Kniebeschwerden rechts resultierten aus einer Überbelastung aufgrund des beim Unfall erlittenen Knieschadens links. Dieser bloss eine halbe Seite umfassende Kurzbericht vermag das Abstellen der Vorinstanz auf die Einschätzung des Dr. med. D.________ (vgl. E. 4 hiervor) nicht zu entkräften, wie sich aus Folgendem ergibt.
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Zur Knieproblematik rechts geäussert hatte sich bereits der Kreisarzt Dr. med. K.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, im Bericht vom 11. August 2015. Er führte aus, die magnetresonanztomographisch gefundenen Läsionen seien sämtlich degenerativ. Da sich der Beschwerdeführer gemäss eigener Aussage kaum bewege, könne das rechte Knie nicht überbelastet sein. Auch Dr. med. D.________ untersuchte im Rahmen des Berichts vom 23. Juni 2016 sein rechtes Knie. Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass letztlich offen bleiben kann, ob die Abnützungserscheinungen am Knie rechts als Unfallfolgen zu qualifizieren seien. Denn sie erkannte richtig, dass Dr. med. E.________ in keiner Weise aufgezeigt hat, weshalb dem Beschwerdeführer eine leidensangepasste Tätigkeit mit dem von Dr. med. D.________ dargelegten Zumutbarkeitsprofil nicht zumutbar sein sollte.
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6.2.3. Unbehelflich ist schliesslich die pauschale Berufung des Versicherten auf den bloss wenige Zeilen umfassenden Bericht des Dr. med. I.________ vom 24. April 2014. Denn dieser gab im Rahmen einer bloss notfallmässigen klinischen Untersuchung des Versicherten Knieschmerzen beidseits an und verschrieb ihm Medikamente. Zu seiner Arbeitsfähigkeit äusserte er sich aber nicht.
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7. Insgesamt bestehen keine auch nur geringen Zweifel an der Beurteilung des Dr. med. D.________ (vgl. E. 4 hiervor; BGE 139 V 225 E. 5.2 S. 229). Da von weiteren Abklärungen keine entscheidrelevanten Ergebnisse zu erwarten sind, durfte das kantonale Gericht darauf verzichten (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 136 I 229 E. 5.3 S. 236; Urteil 8C_733/2017 vom 29. März 2018 E. 4.4). Somit erweist sich der angefochtene Entscheid diesbezüglich nicht als bundesrechtswidrig.
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8. Der vorinstanzliche Einkommensvergleich, der einen rentenausschliessenden Invaliditätsgrad von 5.21 % ergab (Art. 18 Abs. 1 UVG), ist unbestritten, weshalb sich hierzu Weiterungen erübrigen.
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9. Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege kann ihm wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde nicht gewährt werden (Art. 64 BGG; BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218).
20
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 3. Abteilung, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 31. Oktober 2018
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar
 
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