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Informationen zum Dokument  BGer 8C_586/2018  Materielle Begründung
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BGer 8C_586/2018 vom 06.12.2018
 
 
8C_586/2018
 
 
Urteil vom 6. Dezember 2018
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione,
 
Gerichtsschreiberin Durizzo.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Locher,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Vorinstanzliches Verfahren; Prozessvoraussetzung),
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Juni 2018 (UV 2018/6).
 
 
Sachverhalt:
 
A. A.________, geboren 1961, stürzte am 4. März 2017 beim Skifahren auf die linke Schulter. Mit Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2017 schloss die ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG (nachfolgend: ÖKK) den Fall ab und stellte ihre Leistungen aus Unfallversicherung per 5. April 2017 ein.
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B. Mit einer Eingabe datierend vom 1. Februar 2018 und am selben Tag von der Post abgestempelt erhob A.________ dagegen Beschwerde. Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen trat darauf mit Entscheid vom 22. Juni 2018 wegen Verspätung nicht ein.
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C. A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, es sei der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung der Beschwerde zurückzuweisen.
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Die ÖKK schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
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Erwägungen:
 
1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist (Art. 97 Abs. 1 BGG) oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht.
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2. Streitig ist, ob der vorinstanzliche Nichteintretensentscheid wegen Fristversäumnis vor Bundesrecht standhält. Im Einzelnen geht es darum, zu welchem Zeitpunkt der Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2017 der damaligen Rechtsvertreterin der Beschwerdeführerin, der Fortuna Rechtsschutz-Versicherungs-Gesellschaft AG (nachfolgend: Fortuna) als zugestellt gelten konnte.
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3. Das kantonale Gericht hat die hier interessierenden Bestimmungen über den Beginn des Fristenlaufs (Art. 38 Abs. 1 ATSG), über den Fristenstillstand (Art. 38 Abs. 4 lit. c ATSG) sowie über die Fristwahrung bei schriftlichen Eingaben durch Übergabe an die Schweizerische Post am letzten Tag der Frist (Art. 39 Abs. 1 ATSG) zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen.
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4. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen habe die ÖKK den Einspracheentscheid vom 15. Dezember 2017 am gleichen Tag mittels "A-Post Plus" an die Fortuna verschickt. Diese gehöre zur Generali (Schweiz) Holding AG (nachfolgend: Generali), die mit der Swiss Post Solutions AG (nachfolgend: SPS) einen umfassenden Postdienst vereinbart habe. Die Postsendungen der gesamten Generali würden auf der Poststelle Adliswil unsortiert in Transportboxen gelegt. Die SPS bringe sie ins interne Verteilzentrum der Generali, wo die Sortierung für die einzelnen Unternehmungen der Generali erfolge. Das kantonale Gericht erkannte, dass fristauslösend das Datum der - mittels Sendungsverfolgung "Track & Trace" belegten - Zustellung durch die Post in die Transportbox der Generali am Samstag, dem 16. Dezember 2017, gewesen sei. Dass die Bearbeitung der physischen Post durch die SPS erst am nächstfolgenden Werktag, das heisst am Montag, dem 18. Dezember 2017, erfolgt sei, könne daran nichts ändern. Ausgehend vom Datum der Zustellung des Einspracheentscheids durch die Schweizerische Post am Samstag, dem 16. Dezember 2017, sei die 30-tägige Beschwerdefrist (Art. 60 Abs. 1 ATSG) unter Berücksichtigung des Fristenstillstandes vom 18. Dezember bis und mit dem 2. Januar am 31. Januar 2016 abgelaufen. Die am 1. Februar 2018 bei der Schweizerischen Post aufgegebene Beschwerde sei damit verspätet.
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Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass nach der Zustellung in die Transportbox - am Samstag - bis zum Zeitpunkt der Verteilung innerhalb der Generali durch die SPS als Tochterunternehmen der Schweizerischen Post - am Montag - kein Zugriff auf die an die Fortuna adressierte Sendung bestanden habe. Der Fristenlauf habe daher erst am Montag, dem 18. Dezember 2017, beginnen können.
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5. Im Sozialversicherungsverfahren bestehen keine Vorschriften darüber, wie die Versicherungsträger ihre Verfügungen zustellen sollen. Aus dem Schweigen des Gesetzes in diesen und anderen verwaltungsrechtlichen Materien über die Art der Zustellung leitet das Bundesgericht grundsätzlich ab, dass es den Behörden freigestellt ist, auf welche Art sie ihre Verfügungen versenden. Insbesondere dürfen sie sich deshalb auch der Versandart "A-Post Plus" bedienen. Die Eröffnung muss bloss so erfolgen, dass sie dem Adressaten ermöglicht, von der Verfügung oder der Entscheidung Kenntnis zu erlangen, um diese gegebenenfalls sachgerecht anfechten zu können. Bei uneingeschriebenem Brief erfolgt die Zustellung bereits dadurch, dass er in den Briefkasten oder ins Postfach des Adressaten gelegt wird und damit in den Macht- beziehungsweise Verfügungsbereich des Empfängers gelangt. Dass der Empfänger von der Verfügung tatsächlich Kenntnis nimmt, ist nicht erforderlich (BGE 142 III 599 E. 2.4.1 S. 603; Urteil 8C_198/2015 vom 30. April 2015 E. 3.2 mit Hinweisen). Bei der Versandmethode "A-Post Plus" wird der Brief mit einer Nummer versehen und ähnlich wie ein eingeschriebener Brief mit A-Post spediert. Im Unterschied zu den eingeschriebenen Briefpostsendungen wird aber der Empfang nicht quittiert. Der Adressat wird im Falle seiner Abwesenheit auch nicht durch Hinterlegung einer Abholungseinladung avisiert. Die Zustellung wird vielmehr elektronisch erfasst, wenn die Sendung in das Postfach oder in den Briefkasten des Empfängers gelegt wird (BGE 144 IV 57 E. 2.3.1 S. 61; 142 III 599 E. 2.2 S. 601).
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6. Nach der dargelegten Rechtsprechung erfolgt die Zustellung des uneingeschriebenen Briefes, sobald er in den Machtbereich des Empfängers gelangt. Diese Voraussetzung ist hier durch die Ablage des Briefes in die Transportbox erfüllt (vgl. dazu Ziff. 2.5.1 der allgemeinen Geschäftsbedingungen "Postdienstleistungen" der Schweizerischen Post für Geschäftskunden, wonach Sendungen unter anderem als zugestellt gelten, wenn die Post die Sendungen [...] an einen anderen dafür bestimmten Ort zugestellt hat [z. B.... einem Ablagekasten]). Daran ändert nichts, dass die Möglichkeit des faktischen Zugriffs in dieser Phase allein bei der SPS lag, was sich namentlich an Wochenenden und Feiertagen auswirken kann. Denn das gründete auf einer Vereinbarung über weitergehende Dienstleistungen, die die Fortuna beziehungsweise ihre Muttergesellschaft Generali mit der SPS getroffen hat. Gesonderte Abmachungen über die Zustellung, wie nach ständiger Praxis insbesondere der Postrückbehaltungsauftrag, vermögen den Zeitpunkt der rechtlich relevanten Zustellung nicht zugunsten des Empfängers auf später zu verlegen und die Sendung erst bei der effektiven Empfangnahme als erfolgt zu betrachten (BGE 107 V 187; zuletzt etwa Urteile 8C_53/2017 vom 2. März 2017 E. 4.2; 5A_704/2015 vom 22. März 2016 E. 9.2; 6B_169/2014 vom 18. März 2014 E. 2). Dies gilt hier umso mehr, als eine Spezialvereinbarung über zusätzliche Dienstleistungen nicht mit der Post, sondern mit der SPS vorlag. Sie macht die SPS zur Hilfsperson der Generali beziehungsweise der Fortuna. Die Absenderin hatte diesbezüglich keinen Einfluss und braucht sich daher nicht entgegenhalten zu lassen, dass ihre Sendung entgegen der "Track & Trace"-Sendungsverfolgung erst später bei der Fortuna eingetroffen sei. Auch Gründe der Rechtssicherheit sprechen dafür, dass für die Zustellung auf den allein belegbaren Zeitpunkt der Ablage der Sendung in die Transportbox mittels elektronischer Erfassung durch die Schweizerische Post abgestellt wird. Daran vermag - wie schon vermerkt - weder der Umstand etwas zu ändern, dass die Fortuna durch die Vereinbarung mit der SPS faktisch an Samstagen keinen Zugriff auf ihre Post hatte, noch die Gefahr, dass sie sich als Empfängerin durch das von der SPS auf der Sendung allenfalls selbst angebrachte Datum täuschen liess. Immerhin blieb das Zustelldatum beim "A-Post Plus"-Versand mittels "Track & Trace" auch für sie zweifelsfrei feststellbar. Dass das kantonale Gericht den Beginn des Fristenlaufs auf Samstag, den 16. Dezember 2017, festgelegt und die eingereichte Beschwerde als verspätet qualifiziert hat, ist daher nicht bundesrechtswidrig.
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7. Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
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 Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 6. Dezember 2018
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo
 
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