VerfassungsgeschichteVerfassungsvergleichVerfassungsrechtRechtsphilosophie
UebersichtWho-is-WhoBundesgerichtBundesverfassungsgerichtVolltextsuche...

Informationen zum Dokument  BGer 8C_633/2018  Materielle Begründung
Druckversion | Cache | Rtf-Version

Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: DFR-Server (automatisch)  
 
BGer 8C_633/2018 vom 13.12.2018
 
 
8C_633/2018
 
 
Urteil vom 13. Dezember 2018
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Maillard, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
 
Gerichtsschreiberin Elmiger-Necipoglu.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Einwohnergemeinde Ruswil, 6017 Ruswil, vertreten durch Rechtsanwalt Tobias Bättig, Rudolf & Bieri AG, Pilatusstrasse 39, 6003 Luzern,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen (DAF), Gibraltarstrasse 3, 6003 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Sozialhilfe,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Luzern vom 6. August 2018 (7H 18 174).
 
 
Sachverhalt:
 
A. Mit Entscheid vom 6. November 2014 wies das Bundesamt für Migration (BAM) das Asylgesuch von A.________ und dessen Ehefrau B.________ ab. Es gewährte ihnen jedoch infolge Unzumutbarkeit des Vollzugs die vorläufige Aufnahme. Am 2. April 2015 anerkannte das Staatssekretariat für Migration (SEM) A.________ und dessen drei Kindern die Rechtsstellung als Staatenlose. Auf Anfrage der Einwohnergemeinde Ruswil (Gemeinde) lehnte die Dienststelle Asyl-und Flüchtlingswesen (DAF) mit Verfügung vom 24. Januar 2017 ihre Zuständigkeit für die Ausrichtung von persönlicher und wirtschaftlicher Sozialhilfe für A.________ und seine Kinder über den 2. April 2015 hinaus ab. Hiergegen erhob die Gemeinde bei der DAF Einsprache. Gegen den Einspracheentscheid vom 31. Mai 2017 legte sie beim Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Luzern (GSD) Verwaltungsbeschwerde ein, die dieses mit Entscheid vom 2. Juli 2018 abwies.
1
B. Auf die von der Gemeinde geführte Beschwerde vom 27. Juli 2018 trat das Kantonsgericht Luzern mit Entscheid vom 6. August 2018 mangels Beschwerdebefugnis nicht ein.
2
C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt die Gemeinde beantragen, unter Aufhebung des angefochtenen Entscheids sei die Angelegenheit zur materiellen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
3
Während die Vorinstanz die Abweisung der Beschwerde beantragt, verzichtet die DAF auf eine Vernehmlassung. Mit Eingabe vom 15. Oktober 2018 reicht das GSD unaufgefordert eine Stellungnahme ein.
4
 
Erwägungen:
 
1. Die Sachurteilsvoraussetzungen sind erfüllt, da die Beschwerde unter Einhaltung der gesetzlichen Frist (Art. 100 Abs. 1 BGG) und Form (Art. 42 BGG) von einer durch die Entscheidung besonders berührten Partei mit einem schutzwürdigen Interesse an deren Aufhebung oder Änderung (Art. 89 Abs. 1 BGG; zu grundsätzlichen Ausführungen der Beschwerdelegitimation einer Gemeinde im kantonalen Verfahren der Sozialhilfe vgl. BGE 140 V 328 E. 3-6) eingereicht wurde und sich das Rechtsmittel gegen einen von einer letzten kantonalen Instanz (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG) gefällten Endentscheid (Art. 90 BGG) in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG) richtet und keine der in Art. 83 BGG erwähnten Ausnahmen greift.
5
 
Erwägung 2
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann namentlich die Verletzung von Bundesrecht mit Einschluss der Bundesverfassung gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) grundsätzlich nur die geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Soweit die Vorinstanz kantonales Recht anzuwenden hatte, kann, abgesehen von den hier nicht massgebenden Art. 95 lit. c-e BGG, nur geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid verstosse gegen Normen des Bundesrechts oder des Völkerrechts (Art. 95 lit. a und b BGG). Im Übrigen kann die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts lediglich im Lichte der verfassungsmässigen Rechte und Grundsätze, namentlich des Willkürverbots (Art. 9 BV), geprüft werden (BGE 137 V 143 E. 1.2 S. 145; 134 I 153 E. 4.2.2 S. 158; 134 II 349 E. 3 S. 351). Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten wie auch von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist; es gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 141 I 36 E. 1.3 S. 41 mit Hinweisen).
6
2.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG).
7
3. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, als sie auf die Beschwerde vom 27. Juli 2018 nicht eintrat.
8
4. 
9
4.1. Das kantonale Gericht erwog, vorliegend sei ein Entscheid des Gesundheits- und Sozialdepartements angefochten. Aufgrund der Regelung in § 59 Abs. 2 SHG (Sozialhilfegesetz; SRL Nr. 892) sei die Gemeinde jedoch nicht befugt, Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzureichen, da sie im Verfahren nicht als Vorinstanz involviert gewesen sei. Auf ihre Beschwerde sei deshalb nicht einzutreten. Das kantonale Gericht liess zudem die Frage offen, ob Zuständigkeitskonflikte zwischen Gemeinden und Dienststellen überhaupt im Einsprache- und Rechtsmittelverfahren nach VRG zu klären seien.
10
4.2. Die Beschwerdeführerin macht eine Verletzung der Rechtsweggarantie gemäss Art. 29a BV geltend. Sie rügt, dass die Anwendung des § 59 Abs. 2 SHG überhaupt keinen Sinn mache. Es könne nicht angehen, dass ihr der Zugang zu einem Gericht nur deshalb verwehrt bleibe, weil sie nicht als Vorinstanz aufgetreten sei. Ferner wendet die Beschwerdeführerin ein, ihre Gemeindeautonomie sei durch den Nichteintretensentscheid verletzt worden.
11
4.3. Das Sozialhilfegesetz des Kantons Luzern (SHG, SRL Nr. 892), in Kraft seit 1. Januar 2016, regelt die Sozialhilfe des Kantons und der Einwohnergemeinde sowie deren Verhältnis zu den anderen Trägern der Sozialhilfe (§ 1 SHG). In den §§ 53 ff. SHG wird speziell die Sozialhilfe für Personen aus dem Asylbereich geregelt, insbesondere wird der Kostenträger (Kanton oder Einwohnergemeinde) definiert. Der Kanton trägt die Kosten der Sozialhilfe für Asylsuchende, vorläufig aufgenommene Personen und Schutzbedürftige, soweit sie nicht vom Bund erstattet werden (§ 53 Abs. 5 SHG). Halten sich vorläufig aufgenommene Personen mehr als zehn Jahre in der Schweiz auf, ist für die persönliche und wirtschaftliche Sozialhilfe die Einwohnergemeinde zuständig (§ 53 Abs. 6 SHG). In den §§ 56 ff. befinden sich sodann Bestimmungen zum administrativ-rechtlichen Verfahren für Personen, die um persönliche und wirtschaftliche Sozialhilfe ersuchen. § 59 SHG regelt die jeweiligen Zuständigkeiten für das Einspracheverfahren (der Gemeinderat beziehungsweise die zuständige Dienststelle). In den Fällen, in denen der Gemeinderat Vorinstanz war, ist er befugt gegen Rechtsmittelentscheide des GSD Verwaltungsgerichtsbeschwerde einzureichen (§ 59 Abs. 2 SHG).
12
Hier geht es allerdings nicht um ein Verfahren zwischen einer oder mehreren bestimmten Personen und dem zuständigen Gemeinwesen. Wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid sinngemäss und in der Vernehmlassung richtig ausführte, kommt deshalb auch nicht das verwaltungsrechtliche Einsprache- und Beschwerdeverfahren nach § 59 SHG zum Tragen.
13
4.4. Vielmehr handelt es sich vorliegend um eine Streitigkeit zwischen zwei Gemeinwesen, bei der es ausschliesslich um die Frage geht, welches von beiden - Kanton oder Gemeinde - für die Erbringung der Sozialhilfe über den 2. April 2015 hinaus für A.________ und dessen drei Kinder zuständig ist. Während die Beschwerdeführerin die Meinung vertritt, die Ausrichtung von persönlicher und wirtschaftlicher Sozialhilfe obliege dem Beschwerdegegner, ist dieser der Ansicht, diese sei von der Einwohnergemeinde zu erbringen, in der die betroffenen Personen ihren Wohnsitz haben. Die jeweiligen Zuständigkeiten zur Ausrichtung der Sozialhilfe werden in der kantonalen Asylverordnung (AsylV; SRL Nr. 892b), in Kraft seit 1. Januar 2016, statuiert. Diese Verordnung regelt die Einzelheiten der Sozialhilfe für Personen aus dem Asylbereich. Soweit die Gemeinde für den Vollzug der Sozialhilfe für vorläufig aufgenommene Personen zuständig ist, ersetzt der Kanton ihr die Kosten der wirtschaftlichen Sozialhilfe für diejenigen Personen einer Unterstützungseinheit, die sich noch nicht zehn Jahre in der Schweiz aufhalten, anteilsmässig nach betroffenen Personen (§ 14 Abs. 1 AsylV). Die persönliche und die wirtschaftliche Sozialhilfe für Flüchtlinge, vorläufig aufgenommene Flüchtlinge und für Schutzbedürftige mit Aufenthaltsbewilligung richten sich nach den Bestimmungen des Sozialhilfegesetzes (§ 16 AsylV). Für streitige Ansprüche auf Kostenersatz durch den Kanton sieht die Verordnung die verwaltungsrechtliche Klage nach den §§ 162 - 172 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vor (§ 14 Abs. 4 und § 17 Abs. 2 AslyV; VRG; SRL Nr. 40). Im Übrigen gilt gemäss dem kantonalen Verwaltungsrechtspflegegesetz das subsidiäre Klageverfahren in all jenen öffentlich-rechtlichen Streitsachen zwischen Gemeinwesen, in denen nach der Rechtsordnung keine Verwaltungsbehörde oder kein anderes Gericht zuständig ist, über die Streitsache zu entscheiden (§ 162 f. VRG).
14
4.5. Da der Klageweg der Beschwerdeführerin und somit der Zugang zu einem Gericht - unter Vorbehalt der kantonalrechtlichen Verwirkungsfristen (§ 58 SHG) - offen steht, kann nicht die Rede von einer Verletzung der Rechtsweggarantie oder der Gemeindeautonomie sein. Mithin verletzte die Vorinstanz im Ergebnis weder Verfassungs- oder Bundesrecht, noch wendete sie das kantonale Recht willkürlich an, als sie auf die Beschwerde nicht eintrat. Die Beschwerde ist demnach abzuweisen.
15
5. Das Verfahren ist kostenpflichtig. Der unterliegenden Beschwerdeführerin, die in ihrem Vermögensinteresse (Sozialhilfeleistungen) handelt, sind die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Beschwerdegegnerin wird keine Parteientschädigung zugesprochen, da sie im Rahmen ihres amtlichen Wirkungskreises tätig war (Art. 68 Abs. 3 BGG).
16
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 2000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern, 4. Abteilung, und dem Gesundheits- und Sozialdepartement des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 13. Dezember 2018
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Maillard
 
Die Gerichtsschreiberin: Elmiger-Necipoglu
 
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR).