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Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 1B_567/2021 vom 14.01.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
1B_567/2021
 
 
Urteil vom 14. Januar 2022
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
 
Bundesrichter Chaix, Müller,
 
Gerichtsschreiberin Sauthier.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Appellationsgericht Basel-Stadt, Präsidentin,
 
St. Alban-Vorstadt 25, 4052 Basel.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Nichtweiterleitung eines Briefs,
 
Beschwerde gegen die Verfügung des
 
Appellationsgerichts Basel-Stadt, Präsidentin,
 
vom 16. September 2021 (SB.2021.73).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
A.________ wurde mit Urteil vom 6. November 2020 durch das Strafgericht des Kantons Basel-Stadt wegen mehrfachen gewerbsmässigen Betrugs, gewerbsmässiger Hehlerei, mehrfacher Urkundenfälschung, Veruntreuung sowie weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Zugleich wurde gegen ihn eine Landesverweisung von acht Jahren verhängt. Eine gegen dieses Urteil von A.________ erhobene Berufung ist beim Appellationsgerichts Basel-Stadt hängig.
A.________ befindet sich seit dem 30. Oktober 2018 in Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft. Die Sicherheitshaft wurde mit Verfügung vom 5. Oktober 2021 durch die Präsidentin der Strafkammer des Appellationsgerichts Basel bis zum Entscheid im Berufungsverfahren verlängert.
Am 16. September 2021 verfügte das Appellationsgericht die Nichtweiterleitung eines von B.________ an A.________ verfassten Briefs wegen möglicherweise konspirativem Inhalt.
B.
Dagegen führt A.________ mit Eingabe vom 18. Oktober 2021 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids und die Zustellung des an ihn adressierten Briefs.
Das Appellationsgericht stellt keinen konkreten Antrag. Es hält jedoch fest, im Brief werde eine Drohung bzw. ein mögliches Verletzungsdelikt zum Nachteil eines Dritten, nota bene einer im Gefängnis arbeitenden Person, thematisiert ("Der Kalfaktor [....] ist noch viel schlimmer [...] sag ihm einen Gruss und das gibt Karma [2. Mal gewarnt und einen Freund gefickt."]). Aus diesem Grund sei der Brief wegen möglichem konspirativem Inhalt nicht weitergeleitet worden.
A.________ reicht mit Eingabe vom 29. Oktober 2021 neue Beweismittel und mit Eingabe vom 8. November 2021 eine Stellungnahme ein.
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend die Nichtweiterleitung eines Briefs. Dieser stützt sich auf Art. 235 Abs. 3 StPO und damit auf Strafprozessrecht des Bundes. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen offen (Art. 78 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführer verfügt als Adressat des Briefs über ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung bzw. Änderung des angefochtenen Entscheids. Folglich ist er zur Beschwerde berechtigt (Art. 81 Abs. 1 BGG). Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.
1.2. Nicht einzutreten ist hingegen, soweit der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 29. Oktober 2021 beantragt, es seien "neue Beweise" zu berücksichtigen und dabei auf einen anderen Brief verweist, welcher ihm zugestellt worden sei. Es handelt sich hierbei um ein unzulässiges Novum (Art. 99 Abs. 1 BGG).
2.
Der Beschwerdeführer rügt zunächst sinngemäss eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs. Das Appellationsgericht habe die Nichtweiterleitung des Briefs ungenügend begründet, da es lediglich festgehalten habe, das erwähnte Schreiben sei "möglicherweise konspirativ".
2.1. Das Nichtweiterleiten eines an einen Haftinsassen adressierten Briefs gestützt auf Art. 235 Abs. 3 StPO stellt eine Zwangsmassnahme und somit einen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen dar (vgl. BGE 145 I 318 E. 2.1; SCHMID/JOSITSCH, in: Praxiskommentar StPO, 3. Aufl. 2018, N. 1 zu Art. 196 StPO; JONAS WEBER, in: Basler Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014, N. 2 zu Art. 196 StPO). Entsprechend ist ein solcher Entscheid zu begründen (vgl. Art. 80 Abs. 1 und 2 StPO).
Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verpflichtet die Behörde ihren Entscheid ausreichend und nachvollziehbar zu begründen (BGE 145 IV 99 E. 3.1). Dabei muss die Begründung zumindest kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sie ihren Entscheid stützt. Diese Begründungspflicht soll dem Betroffenen den Nachvollzug der gerichtlichen Schlussfolgerungen und gegebenenfalls eine sachgerechte Anfechtung des Entscheids ermöglichen (BGE 143 III 65 E. 5.2). Die inhaltlichen Anforderungen an eine Begründung hängen hierbei vom Einzelfall und insbesondere von der Funktion ab, die der Begründung im konkreten Fall zukommt.
2.2. Dem Beschwerdeführer ist insofern zuzustimmen, als die Begründung der Vorinstanz knapp ausgefallen ist und diese erst in ihrer Stellungnahme vor Bundesgericht ausführt, welche Passage des Briefs sie konkret als problematisch erachtet. Die zuständige Behörde hat indes die Nichtweiterleitung eines Briefs so zu begründen, dass sie die zu unterdrückende Information nicht preisgibt, ansonsten Sinn und Zweck der Massnahme vereitelt würden. Entsprechend liegt eine knappe und allgemein gehaltene Begründung in der Natur der Sache. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann darin nicht erblickt werden. Daran ändert auch der Einwand des Beschwerdeführers nichts, die Vorinstanz habe das Schreiben lediglich als "möglicherweise" konspirativ beschrieben. Da die Massnahme in erster Linie die Sicherheit innerhalb und ausserhalb der Haftanstalt gewährleisten soll (siehe dazu nachfolgend E. 3.2), ist es hinreichend, wenn die verfahrensleitende Behörde zum Schluss kommt, dass mit dem Inhalt des Schreibens eine mögliche Gefährdung des öffentlichen Interesses einhergeht. Die Rüge ist unbegründet.
 
Erwägung 3
 
3.1. Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, das Nichtweiterleiten des Briefs stelle einen unrechtmässigen Eingriff in sein Recht auf Privatsphäre dar, da insbesondere kein öffentliches Interesse am Eingriff bestehe. Der Brief enthalte weder Informationen zu seinem Strafverfahren noch zu allfälligen Fluchtvorbereitungen. Auch bestünde keine Kollusionsgefahr, da sich der Absender des Briefs ebenfalls in Haft befinde.
3.2. Gemäss Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Brief- und Postverkehrs. Dieser Grundsatz gilt auch für Untersuchungs- und Strafgefangene. Der angefochtene Entscheid bildet insofern eine Einschränkung dieses Grundrechts (vgl. BGE 145 I 318 E. 2.6). Diese Einschränkung bedarf gemäss Art. 36 BV einer gesetzlichen Grundlage - im Bereich des Briefverkehrs ist ein Gesetz im materiellen Sinn hinreichend (vgl. dazu BGE 145 I 318 E. 2.1; 119 Ia 71 E. 3b) - eines öffentlichen Interesses und muss verhältnismässig sein (vgl. dazu BGE 145 I 318 E. 2.1).
Die gesetzliche Grundlage zur Einschränkung des Briefverkehrs im Rahmen der Untersuchungs- und der Sicherheitshaft bildet Art. 235 StPO. Gemäss Abs. 1 dieser Bestimmung darf die persönliche Freiheit der inhaftierten Person nicht stärker eingeschränkt werden, als es der Haftzweck sowie die Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt erfordern. Mit Ausnahme der Korrespondenz mit Aufsichts- und Strafbehörden obliegt die ein- und ausgehende Post der inhaftierten Personen der Zensur (Art. 235 Abs. 3 StPO). Im Weiteren obliegt es den Kantonen, die Rechte und Pflichten der Inhaftierten näher zu regeln (Art. 235 Abs. 5 StPO).
Die Einschränkung der Briefverkehrs bezweckt in erster Linie die Wahrung eines öffentlichen Interesses, nämlich das gute Funktionieren der Strafanstalt in sicherheitsmässiger Hinsicht. Damit soll unter anderem verhindert werden, dass neue Straftaten aus dem Gefängnis heraus begangen werden, unabhängig davon, ob innerhalb oder ausserhalb der Haftanstalt (vgl. dazu BGE 145 I 318 E. 2.6). Der für die Briefkontrolle zuständigen Behörde ist hierbei ein gewisser Spielraum in der Interessenabwägung zuzugestehen (Urteil 1B_77/2008 vom 14. Juli 2008 E. 2.3.2).
3.3. Das Appellationsgericht hielt im Rahmen der Vernehmlassung fest, im erwähnten Brief werde eine Drohung bzw. ein mögliches Verletzungsdelikt zum Nachteil einer im Gefängnis arbeitenden Person thematisiert. Es verwies hierbei auf folgende Passage: "Der Kalfaktor (...) ist noch viel schlimmer (...) sag ihm einen Gruss und das gibt Karma! (2. Mal gewarnt und einen Freund gefickt.) " Der Beschwerdeführer bringt demgegenüber vor, der "Kalfaktor" sei kein Gefängnismitarbeiter, sondern ein Insasse, welcher in eine andere Haftanstalt verlegt worden sei. Der Begriff "Karma" bedeute sodann "Schicksal" und stelle keine Drohung dar. Schliesslich handle es sich bei der Passage "2. Mal gewarnt und einen Freund gefickt" um die Erlebnisse des Absenders, die er mit der erwähnten Person ("Kalfaktor") gemacht habe. Der erwähnte Ausschnitt stelle insofern keine Drohung, sondern lediglich einen zulässigen Kraftausdruck dar.
3.4. Die Ausführungen der Vorinstanz sind nicht zu beanstanden. Die Passage "sag ihm einen Gruss und das gibt Karma! (2. Mal gewarnt und einen Freund gefickt.) " deutet unzweifelhaft auf eine drohende Äusserung bzw. eine mögliche Anstiftung zu einer Drohung hin. Die in diesem Zusammenhang gemachten Erklärungen des Beschwerdeführers erscheinen hierbei wenig glaubhaft. Nicht entscheidend ist sodann, ob sich die Drohung tatsächlich an einen Gefängnismitarbeiter oder aber an einen Insassen aus einer anderen Haftanstalt richtet; dies lässt sich im vorliegenden Verfahren auch nicht abschliessend klären. Die Vorinstanz hat jedenfalls kein Bundesrecht verletzt, wenn sie den Brief aufgrund einer möglichen Drohung, die geeignet ist, das gewichtige öffentliche Interesse des ordentlichen Betriebs und der Sicherheit in der Strafanstalt zu beeinträchtigen, nicht weitergeleitet hat. Die Massnahme erweist sich sodann auch als verhältnismässig: Angesichts der Gesamterscheinung des Briefs wäre ein teilweises Schwärzen kaum praktikabel; ausserdem wäre dieses Vorgehen mit zusätzlichem Aufwand für die Strafbehörden verbunden. Der Eingriff erweist sich somit als rechtmässig.
Im Übrigen handelt es sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht um einen ähnlich gelagerten Fall wie das ihn betreffende Urteil 1B_103/2014 vom 16. April 2014. Die Umstände sind nicht vergleichbar. Im erwähnten Urteil standen beleidigende bzw. ehrverletzende und unanständige Aussagen zur Diskussion, während es sich vorliegend um konspirative Aussagen bzw. um eine mögliche Anstiftung zu einer Drohung handelt, die, wie erwähnt, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen können.
4.
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet und ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens würde der im vorliegenden Verfahren nicht anwaltlich vertretene Beschwerdeführer an sich kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Er hat jedoch ein Gesuch um Erlass der Gerichtskosten gestellt. Da die gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind, ist dem Gesuch zu entsprechen (Art. 64 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird gutgeheissen.
 
3.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Appellationsgericht Basel-Stadt, Präsidentin, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 14. Januar 2022
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kneubühler
 
Die Gerichtsschreiberin: Sauthier