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BGer 6B_178/2021 vom 24.02.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
6B_178/2021
 
 
Urteil vom 24. Februar 2022
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichter Denys,
 
Bundesrichter Hurni,
 
Gerichtsschreiber Clément.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
angeblich vertreten durch Advokat Dr. B.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
1. Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, 4051 Basel,
 
2. D.________ AG,
 
Beschwerdegegnerinnen.
 
Gegenstand
 
Prozessvollmacht,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Dreiergericht, vom 21. September 2020 (SB.2018.68).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Im Jahr 2014 eröffnete die Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt gegen A.________ eine Strafuntersuchung u.a. wegen gewerbsmässigen Betrugs und mehrfacher Urkundenfälschung zum Nachteil der D.________ AG. Als amtlicher Verteidiger wurde Dr. C.________ eingesetzt. Mit Schreiben vom 27. Mai 2015 kündigte die Staatsanwaltschaft den Parteien den Abschluss der Untersuchung und die voraussichtliche Anklageerhebung an. Mit Aktennotiz vom 10. Juni 2015 wurde der sog. Tatkomplex "E.________ " vom übrigen Verfahren abgetrennt. Am 16. Juni 2015 erhob die Staatsanwaltschaft Anklage.
Mit Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 22. September 2015 wurde A.________ wegen gewerbsmässigen Betrugs und mehrfacher Urkundenfälschung zum Nachteil der D.________ AG zu einer Freiheitsstrafe von 2 ½ Jahren sowie einer Geldstrafe von 1 Tagessatz zu Fr. 10.-- verurteilt.
Am 13. Oktober 2015 unterzeichnete A.________ eine Vollmachtsurkunde, mit der er Dr. B.________ ermächtigte, betreffend "Strafverfahren" u.a. vor allen hiesigen und auswärtigen Gerichten aufzutreten. In der Folge ersuchte A.________ das Strafgericht Basel-Stadt um einen Wechsel der amtlichen Verteidigung. Mit Verfügung vom 27. Oktober 2015 entsprach das Strafgericht dem Gesuch und setzte neu Dr. B.________ als amtlichen Verteidiger ein.
Die gegen das erstinstanzliche Urteil erhobene Berufung wies das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Urteil vom 19. August 2016 ab.
 
B.
 
B.a. Das am 10. Juni 2015 abgetrennte Verfahren betreffend den Tatkomplex "E.________" wurde am 21. Juli 2017 mit einem Strafbefehl abgeschlossen. Auf Einsprache des amtlichen Verteidigers Dr. B.________ verurteilte das Strafgericht Basel-Stadt A.________ am 2. Februar 2018 wegen gewerbsmässigen Betrugs und mehrfacher Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von 90 Tagen als Zusatzstrafe zum Urteil des Appellationsgerichts vom 19. August 2016.
B.b. Die vom amtlichen Verteidiger Dr. B.________ erhobene Berufung wies das Appellationsgericht mit Urteil vom 21. September 2020 vollumfänglich ab.
C.
Am 11. Februar 2021 reichte Dr. B.________ dem Bundesgericht im Namen von A.________ Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Appellationsgerichts vom 21. September 2020 sowie ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren ein. Er verwies darauf, dass der Beschwerdeführer im Juni 2017 aus dem Strafvollzug entlassen worden und seither unbekannten Aufenthaltes sei. Entsprechend habe sich der Verteidiger vom Beschwerdeführer "nicht explizit" mit der Wahrung von dessen Interessen betrauen lassen können.
Was seine Bevollmächtigung anbelangt, weist sich Dr. B.________ vor Bundesgericht einzig mit der Vollmachtsurkunde aus, die A.________ am 13. Oktober 2015 und damit noch vor der Einsetzung von Dr. B.________ als amtlicher Verteidiger unterzeichnet hat.
Mit Schreiben vom 12. Februar 2021 wies die Präsidentin der Strafrechtlichen Abteilung Dr. B.________ darauf hin, dass eine Ernennung als amtlicher Verteidiger im kantonalen Verfahren keine Vollmacht zur Beschwerdeführung an das Bundesgericht beinhalte, und forderte ihn gestützt auf Art. 42 Abs. 5 BGG auf, für das bundesgerichtliche Verfahren bis spätestens am 26. Februar 2021 eine aktuelle Vollmacht einzureichen.
Dr. B.________ antwortete darauf mit Schreiben vom 15. Februar 2021, er habe keinerlei Kontakt mehr zum Beschwerdeführer seit dessen Entlassung aus dem Strafvollzug im Juni 2017. Daher sei es ihm nicht möglich, eine aktualisierte und auf das bundesgerichtliche Verfahren spezifizierte Vollmacht nachzureichen.
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Gemäss Art. 40 BGG können in Zivil- und Strafsachen Parteien vor Bundesgericht nur von Anwälten und Anwältinnen vertreten werden, die nach dem Anwaltsgesetz vom 23. Juni 2000 oder nach einem Staatsvertrag berechtigt sind, Parteien vor schweizerischen Gerichtsbehörden zu vertreten (Abs. 1). Die Parteivertreter und -vertreterinnen haben sich durch eine Vollmacht auszuweisen (Abs. 2). Fehlt bei Beizug eines Vertreters die Vollmacht oder ist die Vertretung nicht zugelassen, so wird eine angemessene Frist zur Behebung des Mangels mit der Androhung angesetzt, dass die Rechtsschrift sonst unbeachtet bleibt (Art. 42 Abs. 5 BGG).
1.2. Vor dem Bundesgericht besteht kein Vertretungsobligatorium oder gar ein sog. Anwaltszwang (LAURENT MERZ, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Auflage 2018, N. 1 zu Art. 40 BGG; YVES DONZALLAZ, Loi sur le Tribunal fédéral, Commentaire, 2018, N. 768 ff. zu Art. 40 BGG). Das Institut der notwendigen Verteidigung, wie es die Strafprozessordnung vorsieht, ist dem bundesgerichtlichen Beschwerdeverfahren unbekannt. Insbesondere ist eine im kantonalen Strafverfahren eingesetzte amtliche Verteidigung im Verfahren vor Bundesgericht nicht beachtlich (vgl. BGE 146 IV 364 E. 1.2 mit Hinweisen; vgl. ferner Urteile 6B_957/2018 vom 21. November 2018 E. 1; 6B_28/2018 vom 7. August 2018 E. 3.3.2; je mit Hinweisen).
 
Erwägung 1.3
 
1.3.1. Die beschuldigte Person kann im Strafverfahren zur Wahrung ihrer Interessen grundsätzlich einen Rechtsbeistand ihrer Wahl bestellen (sog. Wahlverteidiger; Art. 127 Abs. 1 und 129 Abs. 1 StPO, Art. 32 Abs. 2 BV, Art. 6 Ziff. 3 lit. c EMRK sowie Art. 14 Abs. 3 UNO-Pakt II). Dies erfolgt durch Abschluss eines einfachen Auftrags nach Art. 394 ff. OR (vgl. statt aller Stephan Schlegel, Die Verwirklichung des Rechts auf Wahlverteidigung, Diss. Zürich, 2010, S. 87 ff.; allgemein zum Anwaltsvertrag Walter Fellmann, Anwaltsrecht, 2. Aufl., 2017, Rz. 1139). Die Ausübung der Wahlverteidigung gemäss Art. 129 Abs. 2 StPO setzt weiter eine
1.3.2. Eine Wahlverteidigung kann in eine amtliche Verteidigung umgewandelt werden, wenn die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Anders als der Wahlverteidiger, der lediglich auftragsrechtlich tätig wird, erfüllt der amtliche Verteidiger eine staatliche Aufgabe. Mit seiner Einsetzung durch die Verfahrensleitung entsteht zwischen ihm und dem Staat ein besonderes, öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis (BGE 141 I 124 E. 3.1; 131 I 217 E. 2.4; Urteil 1B_385/2021 vom 25. Oktober 2021 E. 4.2; je mit weiteren Hinweisen). Bei der amtlichen Verteidigung handelt es sich um eine zwar zugunsten der beschuldigten Person wirkende, letztlich aber im öffentlichen Interesse liegende Verpflichtung des Staates (Niklaus Oberholzer, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Aufl. 2020, Rz. 442). Während die Vertretungsbefugnis des Wahlverteidigers auf einer schriftlichen Ermächtigung (Art. 129 Abs. 2 StPO), d.h. auf einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung der beschuldigten Person beruht, ist der amtliche Verteidiger aufgrund der behördlichen Bestellung
1.3.3. Bei einer Umwandlung einer Wahlverteidigung in eine amtliche Verteidigung endet in aller Regel das privatrechtliche Auftragsverhältnis zwischen dem Verteidiger und der beschuldigten Person; entsprechend bildet auch nicht Art. 394 Abs. 3 OR, sondern das öffentlich-rechtliche Verhältnis zwischen dem Kanton und dem amtlichen Verteidiger die Rechtsgrundlage für dessen Entschädigung (BGE 139 IV 261 E. 2.2.1; Urteil 1B_385/2021 vom 25. Oktober 2021 E. 4.2 mit Hinweisen). Zwar ist nach der Rechtsprechung die gleichzeitige Verteidigung durch einen amtlichen und einen Wahlverteidiger nicht ausgeschlossen. So kann es beispielsweise zulässig und geboten sein, einen amtlichen Verteidiger zusätzlich zu einer bereits bestehenden Wahlverteidigung zu bestellen, wenn ein Beschuldigter durch die ständige Bestellung und Abberufung von Verteidigern versucht, das Strafverfahren zu verschleppen; ähnliche Überlegungen gelten, wenn fraglich ist, ob die Finanzierung und damit das Fortbestehen der Wahlverteidigung mindestens bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens gewährleistet ist (vgl. Urteile 6B_744/2017 vom 27. Februar 2018 E. 1.4; 1B_291/2012 vom 28. Juni 2012 E. 2.3.2). Wenn hingegen die Umwandlung der Wahlverteidigung in eine amtliche Verteidigung auf Ersuchen der beschuldigten Person bzw. ihres Rechtsbeistands selbst erfolgt, endet das privatrechtliche Wahlverteidigungsverhältnis und an dessen Stelle treten die Rechte und Pflichten, die im öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zwischen dem amtlichen Verteidiger und dem Kanton gründen.
1.4. Im vorliegenden Fall liess sich Dr. B.________ am 13. Oktober 2015, also im Nachgang zum Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 22. September 2015, von A.________ zunächst privatrechtlich als Wahlverteidiger mandatieren. Die entsprechende Vollmachtsurkunde gemäss Art. 129 Abs. 2 StPO datiert vom gleichen Tag. In der Folge ersuchte der Beschuldigte, vertreten durch seinen Wahlverteidiger, beim Strafgericht jedoch sogleich um Einsetzung einer neuen amtlichen Verteidigung, also um Umwandlung des Wahlverteidigungsmandats von Dr. B.________ in eine amtliche Verteidigung. Mit Verfügung vom 27. Oktober 2015 entsprach das Strafgericht dem Gesuch. Art. 130 lit. a StPO wurde von der Vorinstanz zutreffend für die ganze Dauer des kantonalen Strafverfahrens als erfüllt qualifiziert.
Mit der Umwandlung in eine amtliche Verteidigung endete das privatrechtliche Wahlverteidigungsverhältnis zwischen A.________ und Dr. B.________ und damit einhergehend wurde auch die vom 13. Oktober 2015 datierte Vollmacht nach Art. 129 Abs. 2 StPO (zumindest stillschweigend) widerrufen. Letzteres drängt sich umso mehr auf, als zwischen A.________ und Dr. B.________ seit Juni 2017 kein Kontakt mehr besteht. A.________ hat mit seinem nachrichtenlosen Untertauchen gegenüber seinem früheren amtlichen Verteidiger ein Desinteresse demonstriert, das sich nur als Widerruf der Prozessermächtigung deuten lässt. Damit kann die Urkunde vom 13. Oktober 2015 nicht als gültige Vollmacht für das bundesgerichtliche Beschwerdeverfahren nach Art. 40 Abs. 2 BGG qualifiziert werden.
Es obliegt nicht einem nicht ordentlich bevollmächtigen Rechtsvertreter, im Namen einer Partei Beschwerde beim Bundesgericht zu erheben, ohne von dieser entsprechend instruiert worden zu sein oder nur schon über eine gültige Vollmacht zu verfügen (vgl. BGE 146 IV 364 E. 1.2).
Nachdem Dr. B.________ innert der ihm angesetzten Frist keine aktualisierte Vollmacht nachreichen konnte, ist auf die Beschwerde wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung nicht einzutreten.
2.
Unter den gegebenen Umständen ist ausnahmsweise auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG). Auf das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung kann mangels gehöriger Bevollmächtigung des angeblichen Vertreters durch den Beschwerdeführer nicht eingetreten werden.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2. Auf das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird nicht eingetreten.
 
3.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Dreiergericht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 24. Februar 2022
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Der Gerichtsschreiber: Clément