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BGer 2C_128/2022 vom 18.03.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
2C_128/2022
 
 
Urteil vom 18. März 2022
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
 
Bundesrichter Donzallaz,
 
Bundesrichterin Hänni,
 
Gerichtsschreiberin Ivanov.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Migrationsamt des Kantons Zürich,
 
Berninastrasse 45, 8090 Zürich,
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, Neumühlequai 10, 8090 Zürich.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 9. Dezember 2021 (VB.2021.00398).
 
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Der 1971 geborene A.A.________ ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 23. September 1996 in die Schweiz ein und ersuchte um Asyl. Am 13. März 1997 wurde er als Flüchtling anerkannt. In der Folge wurde ihm im Kanton Aargau eine Aufenthaltsbewilligung erteilt. Am 31. Oktober 1997 heiratete A.A.________ in T._______ die aus Bosnien-Herzegowina stammende B.________. Diese kehrte im März 1998 in ihr Heimatland zurück, wo sie im Mai 1998 den gemeinsamen Sohn B.A.________ zur Welt brachte. A.A.________ ist zudem Vater einer 2001 geborenen Tochter, deren Mutter Schweizer Bürgerin ist. Am 24. September 2001 wurde A.A.________ im Kanton Aargau die Niederlassungsbewilligung erteilt.
Per 1. Mai 2002 zog A.A.________ nach Zürich. Mit Urteil des Bezirksgerichts Aarau vom 8. September 2004 wurde seine Ehe mit B.________ geschieden und der Sohn B.A.________ unter die elterliche Sorge der Mutter gestellt. Am 22. Januar 2007 heiratete A.A.________ in U.________ seine Landsfrau C.________. Aus der Beziehung gingen zwei Söhne (geb. 2008 und 2010) hervor. Am 2. Januar 2008 verzichtete er auf seine Flüchtlingseigenschaft. Seit dem 13. Juni 2015 leben die Ehefrau und die beiden Kinder in der Türkei.
1.2. Mit Verfügung vom 17. März 2017 wurde A.A.________ wegen Schuldenwirtschaft verwarnt und es wurde ihm der Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung angedroht.
Zwischen Juni und August 2018 hielt sich A.A.________ in der Türkei auf. Am 11. September 2018 meldete er sich rückwirkend per 1. August 2018 in V.________, Kanton Aargau, an. Am 31. Januar 2019 zog er nach W.________, Kanton Zürich.
1.3. Im Zeitpunkt der Verwarnung vom 17. März 2017 war A.A.________ mit insgesamt 139 Verlustscheinen im Gesamtbetrag von Fr. 291'692.20 in den Betreibungsregistern der Betreibungsämter X.________ und U.________ verzeichnet. Zwischen der Verwarnung und Ende August 2018 stieg seine Verschuldung um rund Fr. 45'000.-- an. Im Februar 2021 belief sich diese auf über Fr. 376'000.--. Zudem bezog er zwischen dem 1. August 2005 und dem 31. Mai 2010 Sozialhilfe in der Höhe von insgesamt Fr. 147'000.--.
Zwischen dem 21. Januar 2009 und dem 8. April 2021 erwirkte A.A.________ mindestens zehn Straferkenntnisse. Damit wurde er mit Freiheitsstrafen von insgesamt rund 12 Monaten, Geldstrafen und Bussen belegt. So wurde er namentlich mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Y.________/Z.________ vom 8. April 2021 wegen mehrfachen Betrugs, mehrfacher Urkundenfälschung und vorsätzlichen ordnungswidrigen Führens der Geschäftsbücher im Zusammenhang mit Covid-Krediten unter anderem zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt.
1.4. Mit Verfügung vom 9. Dezember 2019 widerrief das Migrationsamt des Kantons Zürich die Niederlassungsbewilligung von A.A.________ und wies ihn aus der Schweiz weg. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel wiesen die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich am 16. April 2021 und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, am 9. Dezember 2021 ab.
1.5. Mit Beschwerde vom 1. Februar 2022 beantragt A.A.________ dem Bundesgericht, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und es sei ihm die Niederlassungsbewilligung nicht zu entziehen. Sinngemäss eventualiter beantragt er, es sei ihm eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen bzw. es sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersucht er sinngemäss um Erteilung der aufschiebenden Wirkung und um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.
Mit Verfügung vom 3. Februar 2022 hat die Präsidentin der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichts der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten beigezogen.
 
Erwägung 2
 
Die gegen den Widerruf der Niederlassungsbewilligung gerichtete Beschwerde ist als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ohne Weiteres zulässig (Art. 83 lit. c Ziff. 2 e contrario, Art. 86 Abs. 1 lit. d, Art. 89 Abs. 1, Art. 90, Art. 100 Abs. 1 und Art. 42 BGG; BGE 135 II 1 E. 1.2.1), aber offensichtlich unbegründet, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a und Abs. 3 BGG unter Verweisung auf den angefochtenen Entscheid abzuweisen ist.
 
Erwägung 3
 
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 und Art. 96 BGG gerügt werden. Bei der Prüfung wendet das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 142 I 135 E. 1.5) und verfügt es über volle Kognition (Art. 95 BGG; BGE 141 V 234 E. 2). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem Recht gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 I 99 E. 1.7.2; 139 I 229 E. 2.2). Der von der Vorinstanz festgestellte Sachverhalt ist für das Bundesgericht verbindlich, es sei denn, die Partei zeige auf, dass und inwiefern die tatsächlichen Feststellungen qualifiziert falsch oder in Verletzung von Verfahrensvorschriften getroffen worden seien, was spezifisch geltend zu machen und zu begründen ist, sofern entsprechende Mängel nicht ins Auge springen (vgl. Art. 105 Abs. 1 und 2; Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch BGE 140 III 115 E. 2; 137 I 58 E. 4.1.2 mit Hinweisen).
 
Erwägung 4
 
4.1. Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Grundlagen, unter denen ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung wegen mutwilliger Verschuldung zulässig ist (Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG [heute: AIG; SR 142.20], in der bis zum 31. Dezember 2018 gültig gewesenen, vorliegend noch massgebenden Fassung [zum Intertemporalrecht vgl. Art. 126 Abs. 1 AIG analog und Urteil 2C_512/2019 vom 21. November 2019 E. 4.1] i.V.m. Art. 80 Abs. 1 lit. b der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit vom 24. Oktober 2007 [VZAE; SR 142.201], in der bis 31. Dezember 2018 geltenden Fassung [AS 2007 5497]) sowie die massgebende Rechtsprechung (vgl. u.a. Urteile 2C_628/2021 vom 21. Oktober 2021 E. 4.3; 2C_673/2020 vom 20. November 2020 E. 3.2; 2C_58/2019 vom 31. Januar 2020 E. 3.1; 2C_658/2017 vom 25. Juni 2018 E. 3.1 und 3.2) korrekt dargelegt, sodass darauf verwiesen werden kann (Art. 109 Abs. 3 BGG).
4.2. In sachverhaltlicher Hinsicht hat das Verwaltungsgericht festgehalten, dass die Verschuldung des Beschwerdeführers seit seiner Verwarnung vom 17. März 2017 um rund Fr. 84'000.-- bzw. um Fr. 60'000.-- angestiegen sei, wenn lediglich die Verlustscheine berücksichtigt würden. Sodann hat es ausgeführt, der Beschwerdeführer sei in den letzten zehn Jahren als Einzelunternehmer tätig gewesen und bei vier juristischen Personen eine beherrschende Stellung inne gehabt. Alle seien überschuldet in Konkurs gefallen. Ferner sei er im Jahr 2016 während vier Monaten über ein Temporärbüro angestellt gewesen und habe am 1. Februar 2017 eine Vollzeitstelle angetreten, die er jedoch Ende Juni 2017 wieder aufgegeben habe. Aufgrund seiner Straffälligkeit habe er sodann unter anderem Geldstrafen und Bussen erwirkt, was zu einer Erhöhung seiner Verschuldung geführt habe. Besonders ins Gewicht falle der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Y.________/Z.________ vom 8. April 2021 (vgl. E. 1.3 hiervor). Seit seiner Verwarnung habe er Abzahlungen im Umfang von insgesamt Fr. 3'864.70 geleistet. Weitere Zahlungen seien von ihm zwar behauptet, nicht aber belegt worden.
Der Beschwerdeführer bestreitet die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht substanziiert. Seine pauschale Behauptung, das Verwaltungsgericht habe kaum in Betracht gezogen, dass er geschäftsführender Inhaber einer im Kanton Zürich domizilierten Firma sei, genügt nicht, um die für das Bundesgericht verbindliche vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 105 Abs. 1 BGG) infrage zu stellen.
4.3. Das Verwaltungsgericht hat gestützt auf diese Sachverhaltsfeststellungen erwogen, die Verschuldung des Beschwerdeführers, die nach der Verwarnung erheblich angestiegen sei, einen schwerwiegenden Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG darstelle. Sodann sei diese Verschuldung als mutwillig zu qualifizieren, dies insbesondere weil der Beschwerdeführer jahrelang an einer offensichtlich nicht einträglichen selbständigen Erwerbstätigkeit festgehalten habe, zusätzliche Schulden aufgrund seiner Straffälligkeit angehäuft habe und seit Juni 2017 keiner unselbständigen Erwerbstätigkeit mehr nachgegangen sei. Bemühungen um Abbau der Schulden habe er erst unter dem Eindruck des vorliegenden migrationsrechtlichen Verfahrens unternommen; zudem seien diese im Verhältnis zu seiner Schuldenlast ohnehin als geringfügig zu qualifizieren. Vor diesem Hintergrund erachtete die Vorinstanz den Widerrufsgrund von Art. 63 Abs. 1 lit. b AuG als erfüllt.
Mit diesen Erwägungen setzt sich der Beschwerdeführer nicht sachbezogen auseinander und zeigt nicht auf, inwiefern das angefochtene Urteil Recht verletzt. Soweit er sinngemäss geltend macht, die Vorinstanz habe nicht berücksichtigt, dass er, obwohl er Tag und Nacht arbeite, aufgrund der Corona-Massnahmen Zahlungsausfälle und Auftragsrückgänge gehabt habe, gehen seine Vorbringen über blosse Behauptungen nicht hinaus. Damit vermag er insbesondere nicht darzutun, dass die Erwägungen des Verwaltungsgerichts betreffend die Mutwilligkeit seiner Verschuldung Recht verletzen.
 
Erwägung 5
 
Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung muss schliesslich verhältnismässig sein (Art. 5 Abs. 2 BV; Art. 96 AIG; Art. 8 Ziff. 2 EMRK; vgl. dazu BGE 139 I 16 E. 2.2.2; 135 II 377 E. 4.3). Abzuwägen ist das öffentliche Interesse an der Wegweisung gegen das private Interesse des Betroffenen am Verbleib in der Schweiz (BGE 139 I 16 E. 2.2; 139 I 31 E. 2.3; 135 I 143 E. 2.1).
5.1. Was das private Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz betrifft, hat die Vorinstanz gewürdigt, dass dieser sich seit 25 Jahren hier aufhält und sprachlich integriert ist. Sie hat ihm jedoch eine Integration in die hiesigen Verhältnisse aufgrund seiner Verschuldung, des Bezugs von Sozialhilfe, seiner Straffälligkeit sowie fehlender sozialer Kontakte zu Einheimischen abgesprochen.
Hinsichtlich der Zumutbarkeit der Rückkehr des Beschwerdeführers in die Türkei führte das Verwaltungsgericht aus, der Beschwerdeführer sei im Alter von 25 Jahren in die Schweiz gekommen. Er sei mit der Sprache und der Kultur seines Heimatlandes, wo seine Ehefrau, seine beiden Söhne, seine fünf Geschwister sowie weitere Verwandten lebten, bestens vertraut. Auch habe er seine Ehefrau und Kinder in den letzten Jahren gemäss eigenen Angaben "einmal pro Monat" in der Türkei besucht. Damit verfüge er in seiner Heimat über ein soziales Netzwerk, welches ihn bei der Wiedereingliederung unterstützen könne.
Angesichts der gesamten Umstände kam die Vorinstanz zum Schluss, dass das öffentliche Interesse an der Fernhaltung des Beschwerdeführers dessen Interesse am Verbleib in der Schweiz überwiege.
5.2. Mit diesen zutreffenden Erwägungen setzt sich die Beschwerde kaum auseinander. Soweit er geltend macht, er sei anerkannter Flüchtling gewesen und die (politische) Situation in der Türkei verschlechtere sich von Tag zu Tag, sind seine Vorbringen gänzlich unsubstanziiert und somit nicht geeignet, eine konkrete Gefährdung bei der Rückkehr in seine Heimat darzutun. Insbesondere ist vorliegend unbestritten, dass er auf seine Flüchtlingseigenschaft bereits im Januar 2008 verzichtet hat und regelmässig in die Türkei gereist ist. Schliesslich fällt die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner erwachsenen in der Schweiz lebenden Tochter - mangels Geltendmachung eines besonderen Abhängigkeitsverhältnisses - nicht in den Anwendungsbereich von Art. 8 EMRK (vgl. BGE 139 II 393 E. 5.1; 137 I 154 E. 3.4.2; Urteil 2C_283/2021 vom 30. September 2021 E. 4.1).
5.3. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung erweist sich somit als verhältnismässig.
 
Erwägung 6
 
Ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung unter Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung (Rückstufung), wie vom Beschwerdeführer beantragt, fällt vorliegend ausser Betracht. Wie die Vorinstanz unter Hinweis auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu Recht erwogen hat, kann eine solche nicht angeordnet werden, wenn - wie vorliegend - die Voraussetzungen für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung erfüllt sind (vgl. Urteil 2C_667/2020 vom 19. Oktober 2021 E. 2.5, zur Publikation vorgesehen).
 
Erwägung 7
 
7.1. Nach dem Gesagten ist die Beschwerde im vereinfachten Verfahren gemäss Art. 109 BGG abzuweisen. Zur Begründung wird ergänzend auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil hingewiesen (Art. 109 Abs. 3 BGG).
7.2. Der unterliegende Beschwerdeführer wird für das bundesgerichtliche Verfahren kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem sinngemäss gestellten Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege kann nicht entsprochen werden, weil die Beschwerde aussichtslos erschien (Art. 64 Abs. 1 BGG; vgl. auch Urteil 2C_945/2020 vom 5. August 2021 E. 3.2). Damit sind die (reduzierten) Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. Art. 66 Abs. 1 BGG). Es ist keine Parteientschädigung geschuldet (Art. 68 Abs. 3).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt.
 
Lausanne, 18. März 2022
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
 
Die Gerichtsschreiberin: D. Ivanov