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BGer 1C_682/2021 vom 25.03.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
1C_682/2021
 
 
Urteil vom 25. März 2022
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
 
Bundesrichterin Jametti,
 
Bundesrichter Haag,
 
Gerichtsschreiber Dold.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Katja Ammann
 
und MLaw Jeanne-Françoise Weber,
 
gegen
 
1. B.________, c/o Stadtpolizei Wetzikon,
 
2. C.________, c/o Stadtpolizei Wetzikon,
 
Beschwerdegegner,
 
beide vertreten durch Rechtsanwältin Manuela B. Vock,
 
Staatsanwaltschaft See/Oberland,
 
Weiherallee 15, Postfach, 8610 Uster,
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
 
Florhofgasse 2, Postfach, 8090 Zürich.
 
Gegenstand
 
Ermächtigung,
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des
 
Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 5. Oktober 2021
 
(TB210155-O/U/BUT).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Am 26. Mai 2021 erstattete A.________ bei der Kantonspolizei Schwyz unter anderem gegen B.________ und C.________ Strafanzeige. Er warf den beiden Polizisten der Stadtpolizei Wetzikon Nötigung vor. Er sei am 17. Mai 2021 im Zug nach Wetzikon gefahren und von zwei Zugbegleitern angesprochen worden, weil er keine Maske getragen habe. Seinen Hinweis, dass er wegen besonderer Gründe keine Maske tragen könne, hätten sie nicht akzeptiert. Nach der Ankunft in Wetzikon sei er zum Busbahnhof gelaufen. Als ihn einer der beiden Zugbegleiter gehindert habe, in einen Bus einzusteigen, habe er ihn sanft zur Seite schieben wollen, worauf sie ihn zu Boden gebracht hätten. Er habe sich nicht gewehrt und gesagt, dass er nun halt auf das Eintreffen der Polizei warte. Als die beiden genannten Polizisten eingetroffen seien, habe er ihnen den Sachverhalt geschildert. B.________ habe ihm nach Aufnahme des Sachverhalts und der Erstellung einer Kopie seines "Maskenbefreiungsattests aus besonderen Gründen" für die Weiterfahrt eine Maske "verordnet", sprich ihn gezwungen, eine Maske aufzusetzen. Weiter hätten ihn die beiden Polizisten darauf hingewiesen, dass er sich strafbar mache, sollte er gegen ihre Weisung verstossen.
Am 13. Juli 2021 übernahm die Staatsanwaltschaft See/Oberland des Kantons Zürich die Angelegenheit. Sie überwies daraufhin die Akten an das Obergericht des Kantons Zürich zum Entscheid über die Erteilung der Ermächtigung zur Durchführung einer Strafuntersuchung gegen B.________ und C.________. Mit Beschluss vom 5. Oktober 2021 verweigerte das Obergericht die Ermächtigung.
B.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 12. November 2021 beantragt A.________, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen.
Die Staatsanwaltschaft, die Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht haben auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Beschwerdegegner beantragen die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat eine Replik eingereicht.
 
1.
Die Ermächtigung zur Strafverfolgung stellt eine Prozessvoraussetzung für das Strafverfahren dar, wird jedoch in einem davon getrennten Verwaltungsverfahren erteilt. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist deshalb das zutreffende Rechtsmittel (BGE 137 IV 269 E. 1.3.1 mit Hinweisen).
Angefochten ist ein Entscheid einer letzten kantonalen Instanz, der das Verfahren abschliesst (Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Eine Ausnahme von der Zulässigkeit der Beschwerde nach Art. 83 BGG besteht nicht. Lit. e dieser Bestimmung, wonach Entscheide über die Verweigerung der Ermächtigung zur Strafverfolgung von Behördenmitgliedern oder von Bundespersonal von der Beschwerdemöglichkeit ausgenommen sind, ist nur auf die obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden anwendbar, denn nur bei diesen dürfen politische Gesichtspunkte in den Entscheid einfliessen (BGE 137 IV 269 E. 1.3.2 mit Hinweis). Die Beschwerdegegner fallen nicht in diese Kategorie.
Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen. Er ist von den behaupteten Straftatbeständen potenziell direkt betroffen. Dies gilt nicht nur für die Nötigung (Art. 181 StGB), sondern auch für den im bundesgerichtlichen Verfahren neu geltend gemachten Vorwurf des Amtsmissbrauchs (Art. 312 StGB). Dieser schützt sowohl den Staat als auch die betroffene Person (Urteil 1C_395/2018 vom 21. Mai 2019 E. 1.2 mit Hinweis). Der Beschwerdeführer ist somit nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt.
 
Erwägung 2
 
2.1. Nach Art. 7 Abs. 1 StPO sind die Strafbehörden verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeit ein Verfahren einzuleiten und durchzuführen, wenn ihnen Straftaten oder auf Straftaten hinweisende Verdachtsgründe bekannt werden. Gemäss Art. 7 Abs. 2 lit. b StPO können die Kantone allerdings vorsehen, dass die Strafverfolgung der Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden wegen im Amt begangener Verbrechen oder Vergehen von der Ermächtigung einer nicht richterlichen oder richterlichen Behörde abhängt. Diese Möglichkeit steht den Kantonen für sämtliche Mitglieder ihrer Vollziehungs- und Gerichtsbehörden offen. Dazu gehören auch Gemeindeangestellte und somit auch die Beschwerdegegner als Polizisten der Stadtpolizei Wetzikon (BGE 137 IV 269 E. 2.7 mit Hinweisen). Die kantonalgesetzliche Grundlage für das Ermächtigungsverfahren ist § 148 des Gesetzes des Kantons Zürich vom 10. Mai 2010 über die Gerichts- und Behördenorganisation im Zivil- und Strafprozess (GOG; LS 211.1).
2.2. Das Ermächtigungserfordernis soll namentlich dem Zweck dienen, Behördenmitglieder und Beamte vor mutwilliger Strafverfolgung zu schützen und damit das reibungslose Funktionieren staatlicher Organe sicherzustellen. Ein Strafverfahren soll erst durchgeführt werden können, wenn die zuständige Behörde vorher ihre Zustimmung erteilt hat. Der förmliche Entscheid über die Eröffnung oder die Nichtanhandnahme obliegt kraft ausdrücklicher bundesrechtlicher Regelung der Staatsanwaltschaft (Art. 309 und 310 StPO; BGE 137 IV 269 E. 2.3).
2.3. Im Ermächtigungsverfahren dürfen - ausser bei obersten Vollziehungs- und Gerichtsbehörden - nur strafrechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt werden (BGE 137 IV 269 E. 2.4 mit Hinweis). Allerdings begründet nicht jeder behördliche Fehler die Pflicht zur Ermächtigungserteilung. Erforderlich ist vielmehr ein Mindestmass an Hinweisen auf ein strafrechtlich relevantes Verhalten; ein solches muss in minimaler Weise glaubhaft erscheinen. In Zweifelsfällen ist die Ermächtigung zu erteilen; es gilt der Grundsatz "in dubio pro duriore". Ist zum Zeitpunkt des Ermächtigungsentscheids die Sach- oder Rechtslage nicht von vornherein klar, darf die zuständige Behörde die Ermächtigung zur Strafverfolgung nicht mit der Begründung verweigern, es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht (zum Ganzen: Urteil 1C_395/2018 vom 21. Mai 2019 E. 2 mit Hinweisen).
 
Erwägung 3
 
3.1. Das Obergericht legt unter Zitierung der gesetzlichen Grundlagen dar, dass sich rechtmässig verhalte, wer handle, wie es das Gesetz gebiete oder erlaube. Es gehöre zu den Aufgaben der Polizei, mit geeigneten Massnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung beizutragen, Straftaten festzustellen und bei deren Aufklärung mitzuwirken. Die Polizei dürfe zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen der Verhältnismässigkeit unmittelbaren Zwang gegen Personen einsetzen. Die Beschwerdegegner seien im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit verpflichtet gewesen, gegen das ungerechtfertigte Nichteinhalten der Maskentragpflicht im öffentlichen Verkehr durch den Beschwerdeführer vorzugehen. Ein unverhältnismässiges polizeiliches Handeln sei nicht ansatzweise auszumachen. Sie hätten den Beschwerdeführer bloss dazu aufgefordert, sich wie vorgeschrieben zu verhalten, mithin im Bus eine Maske zu tragen. Der Beschwerdeführer habe nicht behauptet, dass er die Busfahrt nicht habe antreten können.
3.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, laut Art. 3a Abs. 1 lit. b der Verordnung vom 19. Juni 2020 über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Verordnung besondere Lage; SR 818.101.26) gemäss Stand am 31. Mai 2021 seien Personen von der Maskenpflicht befreit, die aus besonderen Gründen, insbesondere medizinischen, keine Gesichtsmasken tragen könnten. Ein Dispens sei somit nicht nur aus medizinischen Gründen möglich. Diese höchstpersönlichen Daten dürfe die Polizei im Kanton Zürich nicht bearbeiten, weil es an einer gesetzlichen Grundlage fehle. Die Beschwerdegegner hätten somit den Maskendispens nicht einsehen und nicht beurteilen dürfen, ob er der Covid-19-Verordnung besondere Lage genüge. Indem sie dies trotzdem getan, ihn zudem zum Tragen einer Maske aufgefordert und ihm Straffolgen angedroht hätten, hätten sie ihre Kompetenzen überschritten. Sie hätten sich darauf beschränken müssen, seine Personalien aufzunehmen (§ 21 des Polizeigesetzes des Kantons Zürich vom 23. April 2007 [PolG; LS 550.1]). Das Obergericht habe den Untersuchungsgrundsatz, Art. 6 und 7 StPO, das Gebot zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit gemäss Art. 2 und 12 StPO, den Grundsatz von Treu und Glauben, das Willkürverbot (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV) und den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt. Weil hinreichende Gründe für Amtsmissbrauch vorlägen, hätte die Ermächtigung erteilt werden müssen.
3.3. Eine Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB begeht, wer jemanden durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden. Eine Nötigung ist nur unrechtmässig, wenn das Mittel oder der Zweck unerlaubt ist, wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht oder wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich oder sittenwidrig ist (BGE 141 IV 437 E. 3.2.1 S. 441 mit Hinweisen). Der Straftatbestand des Amtsmissbrauchs gemäss Art. 312 StGB setzt voraus, dass Mitglieder einer Behörde oder Beamte ihre Amtsgewalt missbrauchen, um sich oder einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder einem andern einen Nachteil zuzufügen.
Gemäss Art. 14 StGB verhält sich rechtmässig, wer handelt, wie es das Gesetz gebietet oder erlaubt, auch wenn die Tat nach diesem oder einem anderen Gesetz mit Strafe bedroht ist. Nach Art. 215 Abs. 1 StPO kann die Polizei im Interesse der Aufklärung einer Straftat eine Person anhalten und wenn nötig auf den Polizeiposten bringen, um ihre Identität festzustellen (lit. a), sie kurz zu befragen (lit. b) und um abzuklären, ob sie eine Straftat begangen hat (lit. c). Die Polizei kann die angehaltene Person gemäss Art. 215 Abs. 2 StPO verpflichten, ihre Personalien anzugeben (lit. a), Ausweispapiere vorzulegen (lit. b), mitgeführte Sachen vorzuzeigen (lit. c) und Behältnisse oder Fahrzeuge zu öffnen (lit. d). Ähnlich sieht § 21 Abs. 2 PolG vor, dass die angehaltene Person verpflichtet ist, Angaben zur Person zu machen, mitgeführte Ausweis- und Bewilligungspapiere vorzuzeigen und zu diesem Zweck Behältnisse und Fahrzeuge zu öffnen. Schliesslich ist die Polizei im strafprozessualen Ermittlungsverfahren nach Art. 306 Abs. 2 lit. a StPO befugt und verpflichtet, Beweise sicherzustellen.
Die polizeiliche Kontrolle des Beschwerdeführers diente sowohl der Erkennung als auch der Verhinderung von Straftaten (Art. 13 lit. f Covid-19-Verordnung besondere Lage; zum fliessenden Übergang zwischen sicherheits- und kriminalpolizeilichen Massnahmen s. Urteil 6B_1070/2018 vom 14. August 2019 E. 1.3.2 mit Hinweis). Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, tatsächlich einen besonderen Grund im Sinne der Verordnung gehabt zu haben. Das in den Akten befindliche "Maskenbefreiungsattest" ist weder auf seine Person bezogen noch gehen daraus irgendwelche spezifischen Gründe hervor, aus denen er keine Maske tragen könnte. Der Hinweis der Beschwerdegegner auf die gesetzliche Lage und die Strafandrohung war unter diesen Voraussetzungen ohne Weiteres ebenso zulässig wie die Erstellung einer Kopie des "Maskenbefreiungsattests". Das Vorgehen der Beschwerdegegner hatte seine Grundlage in den oben genannten Rechtsnormen. Daran ändern auch die Hinweise des Beschwerdeführers auf das Datenschutzrecht nichts.
Gestützt auf die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen übten die Beschwerdegegner ihre Machtbefugnisse somit nicht pflichtwidrig aus. Insbesondere handelten sie auch in keiner Weise unverhältnismässig. Damit fehlt es an der Unrechtmässigkeit der Nötigung (Art. 181 StGB) und es liegt auch kein Missbrauch der Amtsgewalt vor (Art. 312 StGB). Darüber hinaus ist auch nicht erkennbar, dass die Beschwerdegegner die Absicht gehabt hätten, dem Beschwerdeführer einen Nachteil zuzufügen, wie dies der Tatbestand des Amtsmissbrauchs voraussetzen würde. Das Obergericht durfte deshalb die Ermächtigung verweigern, ohne Bundesrecht zu verletzen.
4.
Die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen abzuweisen.
Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung. Da sich die Beschwerde als aussichtslos erweist, ist das Gesuch abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegnern eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen.
 
5.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft See/Oberland, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 25. März 2022
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kneubühler
 
Der Gerichtsschreiber: Dold