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Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 9C_647/2021 vom 29.03.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
9C_647/2021
 
 
Urteil vom 29. März 2022
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Parrino, Präsident,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
nebenamtliche Bundesrichterin Truttmann,
 
Gerichtsschreiberin Nünlist.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________ AG,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Gerrit Neuber,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Ausgleichskasse Schreiner, Ifangstrasse 8, 8952 Schlieren,
 
Beschwerdegegnerin,
 
B.________,
 
Gegenstand
 
Alters- und Hinterlassenenversicherung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 8. September 2021 (VV.2021.126/E).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Im Nachgang an eine bei der A.________ AG für die Periode 2016 bis 2019 durchgeführte Betriebsrevision nahm die Ausgleichskasse Schreiner eine Aufrechnung der Lohnsummen unter anderem um die an B.________ zwischen September 2016 und September 2017 für seine Tätigkeit als Schreinermonteur im Unterakkord ausgerichteten Entschädigungen vor und verpflichtete die A.________ AG mit Verfügung vom 24. November 2020 für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis 31. Dezember 2019 Beiträge von gesamthaft Fr. 22'851.- (inkl. Zinsen und Verwaltungskosten) nachzuzahlen. Dies bestätigte sie mit Einspracheentscheid vom 22. März 2021.
B.
Die gegen den Einspracheentscheid seitens der A.________ AG erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 8. September 2021 ab.
 
C.
 
C.a. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt die A.________ AG beantragen, es sei unter Aufhebung des kantonalen Entscheids festzustellen, dass B.________ im Zeitraum zwischen September 2016 und September 2017 eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zwecks Neubeurteilung zurückzuweisen.
C.b. Am 14. Januar 2022 traf beim Bundesgericht ein Schreiben der Vorinstanz ein, in welchem sie darauf hinwies, dass B.________ ihren Entscheid vom 8. September 2021 allenfalls noch nicht erhalten habe. Beigelegt war eine dem entsprechende Erklärung von B.________ vom 11. Januar 2022 an die Vorinstanz sowie ein Schreiben des kantonalen Gerichts vom 12. Januar 2022, woraus hervorgeht, dass es den Entscheid erneut an B.________ schickte.
Mit Eingabe vom 19. Januar 2022 (Poststempel) beantragt B.________, die A.________ AG habe zusätzlich Kinderzulagen sowie Pensionskassenbeiträge zu bezahlen. Dazu das Verfahren 9C_92/2022.
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die (weiteren) Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 145 V 57 E. 1; 141 V 206 E. 1.1; je mit Hinweisen).
Trotz der Formulierung eines Feststellungsbegehrens (Antrag 1., S. 2 der Beschwerdeschrift) bestreitet die Beschwerdeführerin im Eigentlichen (vgl. zur Auslegung der Rechtsbegehren im Lichte der Beschwerdebegründung Urteil 8C_62/2018 vom 19. September 2018 E. 1.2.2, nicht publ. in: BGE 144 V 418) die Nachforderung von Beiträgen im Zusammenhang mit den durch B.________ zwischen September 2016 und September 2017 für sie ausgeführten Küchenmontagen. Im Rahmen dieses Leistungsstreits kommt dem Feststellungsantrag keine selbständige Bedeutung zu.
1.2. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
Erwägung 2
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob Bundesrecht verletzt wurde, indem das kantonale Gericht die vom Beteiligten im Zeitraum von September 2016 bis September 2017 für die Beschwerdeführerin ausgeübte Tätigkeit als Küchenmonteur AHV-beitragsrechtlich als unselbständigerwerbend qualifiziert hat.
 
Erwägung 2.2
 
2.2.1. Das kantonale Gericht hat die gesetzlichen Bestimmungen zur unselbständigen (vgl. Art. 5 Abs. 1 und 2 AHVG; ferner Art. 13 AHVG) und zur selbständigen Erwerbstätigkeit (Art. 8 und 9 Abs. 1 AHVG; ferner Art. 6 ff. AHVV) sowie die Rechtsprechung betreffend deren Abgrenzung (BGE 146 V 139 E. 3.1 mit Hinweis auf 144 V 111 E. 4.2; 122 V 169 E. 3b und 3c; vgl. Rz. 4045 ff. der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherungen [BSV] über den massgebenden Lohn in der AHV, IV und EO [WML], Versionen 11 und 12) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.2.2. Hervorzuheben ist, dass bei einem Versicherten, der gleichzeitig mehrere Tätigkeiten ausübt, jedes Erwerbseinkommen dahingehend zu prüfen ist, ob es aus selbständiger oder unselbständiger Erwerbstätigkeit stammt, selbst wenn die Arbeiten für eine und dieselbe Firma vorgenommen werden (BGE 122 V 169 E. 3b mit Hinweisen).
Zu ergänzen ist sodann Folgendes: Unterakkordanten können nur ausnahmsweise als selbständigerwerbend angesehen werden; dies ist der Fall, wenn erstellt ist, dass die Kennzeichen einer selbständigen Unternehmung offensichtlich im Vordergrund stehen, und wenn der Unterakkordant als gleichgeordneter Geschäftspartner erscheint (UELI KIESER, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Alters- und Hinterlassenenversicherung, 4. Aufl. 2020, N. 30 zu Art. 5 AHVG).
2.2.3. Die beitragsrechtliche Einstufung ist eine vom Bundesgericht frei überprüfbare Rechtsfrage. Die Sachverhaltselemente, die der Schlussfolgerung zugrunde liegen, beschlagen dagegen Tatfragen, welche das Bundesgericht lediglich unter eingeschränktem Blickwinkel beurteilt. Die konkrete wie auch die antizipierte Beweiswürdigung betreffen ebenfalls Tatfragen.
Ob die Vorinstanz im konkreten Fall den für die Beurteilung des Beitragsstatuts massgebenden Kriterien das ihnen gebührende Gewicht beigemessen und insofern deren Bedeutung richtig erkannt hat, stellt ebenfalls eine frei überprüfbare Rechtsfrage dar. Davon miterfasst sind die Frage, ob ein im Zusammenhang mit der streitigen Tätigkeit stehender Umstand für die Beurteilung der Statusfrage von Relevanz ist, sowie dessen Wertung als Indiz für oder gegen unselbständige respektive selbständige Erwerbstätigkeit (BGE 144 V 111 E. 3 mit Hinweisen).
 
Erwägung 3
 
3.1. Das kantonale Gericht hat in Würdigung der Aktenlage eine selbständige Erwerbstätigkeit des Beteiligten hinsichtlich der im Zeitraum zwischen September 2016 und September 2017 für die Beschwerdeführerin ausgeführten Küchenmontagen verneint und damit die Pflicht der Beschwerdeführerin zur Nachzahlung von Lohnbeiträgen für den genannten Zeitraum bestätigt.
3.2. Die Beschwerdeführerin rügt die Qualifikation des Beteiligten als Unselbständigerwerbenden. Ihre Einwendungen halten jedoch - soweit sie nicht ohnehin unzulässiger rein appellatorischer Natur sind (vgl. BGE 144 V 50 E. 4.2 mit Hinweisen) - nicht stand. Dies ist nachfolgend aufzuzeigen.
3.2.1. Nicht bestritten wird, dass der Beteiligte keinen Materialaufwand hatte (dazu betreffend Akkordanten WML, a.a.O., Rz. 4047). Daran ändert nichts, dass für die Arbeit grundsätzlich nicht viel Material gebraucht wird. Denn selbst das wenige (Verbrauchs-) Material, das er benutzte, wurde ihm unbestritten von der Beschwerdeführerin zur Verfügung gestellt.
3.2.2. Gemäss unbestrittener vorinstanzlicher Feststellung füllte der Beteiligte bei seiner Arbeit sodann einen Rapport aus. Damit musste er entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin Rechenschaft ablegen über seine Arbeit.
3.2.3. Dass über längere Zeit praktisch eine vollständige wirtschaftliche Abhängigkeit von der Beschwerdeführerin bestand, wird ebenfalls nicht bestritten. Die Beschwerdeführerin bestätigt vielmehr (zumindest implizit), dass der Beteiligte neben ihr keine weiteren Auftraggeber hatte. Damit fand keine regelmässige Direktübernahme von Drittaufträgen statt (dazu betreffend Akkordanten WML, a.a.O., Rz. 4048).
3.2.4. Wesentlich ist vorliegend schliesslich, dass der Beteiligte sich gegenüber den Endkunden unbestritten mit einer von der Beschwerdeführerin angefertigten Visitenkarte als deren Monteur auswies. Damit trat er bei seinen Arbeiten für die Beschwerdeführerin eindeutig nicht als deren gleichgeordneter Geschäftspartner, sondern als ihr Angestellter in Erscheinung (vgl. E. 2.2.2 hiervor).
Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass er Geschäftsräumlichkeiten gemietet, Versicherungen abgeschlossen, ein Montagefahrzeug sowie eigenes Werkzeug gekauft und Mitarbeiter angestellt haben soll:
Vorweg ist in diesem Zusammenhang relevant, dass jedes Erwerbseinkommen einzeln dahingehend zu prüfen ist, ob es aus selbständiger oder unselbständiger Erwerbstätigkeit stammt (E. 2.2.2 hiervor). Der Beteiligte führte neben der Tätigkeit für die Beschwerdeführerin unbestritten ein Einzelunternehmen. Dies erklärt die genannten Investitionen.
Soweit er sein eigenes Werkzeug auch für die Tätigkeit bei der Beschwerdeführerin verwendet haben soll, lässt dies bereits grundsätzlich (dazu betreffend Akkordanten Urteil H 179/87 vom 26. August 1988 E. 4), insbesondere aber unter Berücksichtigung des Umstandes, dass er dieses Werkzeug unbestritten bei der Beschwerdeführerin wartete, nicht den Schluss auf eine selbständige Erwerbstätigkeit zu.
Dass der Beteiligte weiter eigene Angestellte für die Arbeit bei der Beschwerdeführerin beigezogen haben soll, stellt eine Behauptung dar, die nicht mit den von ihm in Rechnung gestellten (und damit eigenmächtig festgesetzten) Arbeitsstunden alleine bewiesen werden kann. Selbst wenn dies jedoch der Fall gewesen wäre, wäre auch gestützt darauf noch nicht auf die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit zu schliessen (dazu betreffend Akkordanten Urteile H 179/87 vom 26. August 1988 E. 4 f., H 36/72 vom 14. Juli 1972 E. 1). Es waren unbestritten nicht gleichzeitig verschiedene eigene Akkordgruppen des Beteiligten auf verschiedenen Arbeitsplätzen im Einsatz (dazu betreffend Akkordanten WML, a.a.O., Rz. 4047). Inwiefern diesbezüglich eine Abkehr von der geltenden Rechtsprechung angezeigt sein soll, wird nicht substanziiert.
Damit bleibt einzig, dass der Beteiligte mit seinem eigenen Montagefahrzeug zu den Standorten fuhr und frei entscheiden konnte, ob er die Aufträge der Beschwerdeführerin annahm oder nicht. Diese Aspekte führen jedoch noch nicht dazu, dass die Kennzeichen einer selbständigen Erwerbstätigkeit offensichtlich als im Vordergrund stehend zu bezeichnen wären (E. 2.2.2 hiervor; vgl. zum Ganzen auch Urteil 9C_650/2010 vom 5. Oktober 2010 betreffend Akkordanten). Mit Blick auf das Gesagte hat es beim angefochtenen Entscheid sein Bewenden.
4.
Dem Ausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Die obsiegende Ausgleichskasse hat keinen Anspruch auf eine Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 3 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 1700.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, B.________, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 29. März 2022
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Parrino
 
Die Gerichtsschreiberin: Nünlist