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Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 1B_628/2021 vom 20.04.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
1B_628/2021, 1B_644/2021
 
 
Urteil vom 20. April 2022
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jametti, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichter Chaix, Bundesrichter Haag,
 
Gerichtsschreiber Schurtenberger.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat,
 
Büro C-5, Postfach, 8036 Zürich,
 
B.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Bernard Rambert,
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Entsiegelung,
 
Beschwerden gegen die Verfügungen vom 10. November 2021 und 22. November 2021 des Bezirksgerichts Zürich, Zwangsmassnahmengericht
 
(GT200031-L / Z12 und GT200031-L / Z13).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat führt ein Strafverfahren gegen den Arzt B.________ wegen des Verdachts der Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte (Art. 179quater StGB) und der Schändung (Art. 191 StGB). Am 28. April 2020 nahm die Polizei in der Arztpraxis von B.________ eine Hausdurchsuchung vor. Im Rahmen dieses Strafverfahrens stellte die Staatsanwaltschaft unter anderem das Mobiltelefon von B.________ sicher, welches auf dessen Begehren gesiegelt wurde.
 
B.
 
Im Entsiegelungsverfahren betreffend das sichergestellte Mobiltelefon von B.________ reichte A.________ eine Stellungnahme ein, wonach sich auf dem gesiegelten Mobiltelefon Aufzeichnungen befänden, die ihren persönlichen und intimen Bereich beträfen. Mit Verfügung vom 2. Juni 2020 liess das Zwangsmassnahmengericht A.________ im Entsiegelungsverfahren als weitere Verfahrensbeteiligte zu.
Im weiteren Verlauf des Entsiegelungsverfahrens zog das Zwangsmassnahmengericht einen Sachverständigen bei. Dieser wurde beauftragt, Bild- und Videoaufnahmen auf dem sichergestellten Mobiltelefon, die zwischen dem 21. und dem 23. April 2020 erstellt wurden, zu spiegeln bzw. zu kopieren und alsdann die Dateien so aufzubereiten, damit B.________ diese im Hinblick auf seine Substanziierungspflicht einsehen kann. Der Sachverständige unterteilte die von ihm aufbereiteten Dateien in der Folge anhand von unterschiedlichen Zeitstempeln in die Kategorien A, B und C.
Mit Teilurteil vom 10. Dezember 2020 hiess das Zwangsmassnahmengericht das Entsiegelungsgesuch hinsichtlich des Mobiltelefons in Bezug auf die Bild- und Videoaufnahmen der Kategorie A gut. Das Bundesgericht wies die von B.________ dagegen erhobene Beschwerde mit Urteil 1B_662/2021 vom 20. Oktober 2021 ab.
 
C.
 
Mit Verfügung vom 10. November 2021 wies das Zwangsmassnahmengericht den Sachverständigen an, einen USB-Stick mit den Daten der Kategorie A vorzubereiten (Dispositiv-Ziffer 1), stellte der Staatsanwaltschaft, B.________ und A.________ den Bericht des Sachverständigen vom 23. Dezember 2020 zu (Dispositiv-Ziffer 2) und setzte ihnen eine höchstens einmal erstreckbare Frist von 10 Tagen an, um zu diesem Bericht Stellung zu nehmen (Dispositiv-Ziffer 3). Weiter setzte es B.________ und A.________ eine höchstens einmal erstreckbare Frist von 10 Tagen an, um substanziiert darzulegen, ob sich in den Bild- und Videoaufnahmen der Kategorien B und C geheimnisgeschützte Aufnahmen befinden und diese genau zu bezeichnen (Dispositiv-Ziffer 4).
Mit Eingabe vom 18. November 2021 (Verfahren 1B_628/2021) erhebt A.________ Beschwerde gegen diese Verfügung mit den Anträgen, die Dispositiv-Ziffern 3 und 4 aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zu neuer Beurteilung zurückzuweisen. Ihr Ersuchen, ihrer Beschwerde sei aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wurde vom Bundesgericht mit Verfügung vom 9. Dezember 2021 abgewiesen. Das Zwangsmassnahmengericht liess sich zur Beschwerde nicht vernehmen. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Vernehmlassung. Mit Eingabe vom 5. Januar 2022 reichte B.________ eine Stellungnahme ein.
 
D.
 
In der Zwischenzeit beantragte A.________ beim Zwangsmassnahmengericht, unter Verweis auf die Beschwerde im Verfahren 1B_628/2021, dass ihr die mit Verfügung vom 10. November 2021 angesetzten Fristen abzunehmen, eventualiter zu erstrecken seien. Mit Verfügung vom 22. November 2021 gab das Zwangsmassnahmengericht dem Eventualbegehren von A.________ statt und erstreckte die genannten Fristen letztmalig bis zum 2. Dezember 2021. Im Übrigen wurde ihr Gesuch abgewiesen.
Mit Eingabe vom 25. November 2021 erhebt A.________ auch gegen diese Verfügung Beschwerde (Verfahren 1B_644/2021). Das erneute Ersuchen um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde vom Bundesgericht mit Verfügung vom 21. Dezember 2021 abgewiesen. Das Zwangsmassnahmengericht liess sich auch zu dieser Beschwerde nicht vernehmen. Die Staatsanwaltschaft verzichtete erneut auf eine Vernehmlassung. Am 9. Dezember 2021 und 4. Januar 2022 reichte A.________ weitere Stellungahmen zu den Verfahren 1B_628/2021 und 1B_644/2021 ein.
 
 
Erwägung 1
 
Die Verfahren 1B_628/2021 und 1B_644/2021 betreffen dasselbe Entsiegelungsverfahren und haben die gleichen Rechtsfragen zum Gegenstand. Die Verfahren 1B_628/2021 und 1B_644/2021 sind daher zu vereinigen und die Sache ist in einem einzigen Urteil zu behandeln.
 
Erwägung 2
 
Gegen die angefochtenen Entscheide steht die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG grundsätzlich offen. Das Zwangsmassnahmengericht entscheidet im Entsiegelungsverfahren gemäss Art. 248 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 380 StPO als einzige kantonale Instanz. Die Beschwerden sind somit auch nach Art. 80 Abs. 2 BGG zulässig. Die im vorinstanzlichen Verfahren als weitere Verfahrensbeteiligte zugelassene Beschwerdeführerin ist grundsätzlich zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 BGG).
 
Erwägung 3
 
Die angefochtenen Entscheide schliessen das Strafverfahren nicht ab (Art. 90 f. BGG). Es handelt sich um selbstständig eröffnete Zwischenentscheide, die nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 oder Art. 93 BGG angefochten werden können. Die angefochtenen Entscheide betreffen weder die Zuständigkeit noch den Ausstand (Art. 92 BGG). Es handelt sich somit um "andere Zwischenentscheide" im Sinne von Art. 93 BGG. Gemäss Art. 93 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde gegen einen derartigen Zwischenentscheid zulässig, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (lit. a), oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und damit einen bedeutenden Aufwand an Zeit oder Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). Die Variante nach Art. 93 Abs. 1 lit. b BGG fällt hier ausser Betracht, weshalb einzig zu prüfen ist, ob die angefochtenen Entscheide einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken können.
3.1. Nach der Rechtsprechung muss es sich beim nicht wieder gutzumachenden Nachteil gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG im Strafrecht um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Ein derartiger Nachteil liegt vor, wenn er auch durch einen für die Beschwerdeführerin günstigen späteren Entscheid nicht mehr behoben werden kann (BGE 144 IV 127 E. 1.3.1). Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 142 III 798 E. 2.2). Denn die Beschwerdevoraussetzungen nach Art. 93 Abs. 1 BGG sollen das Bundesgericht entlasten, dieses soll sich wenn möglich nur einmal mit einer Sache befassen (BGE 135 II 30 E. 1.3.2). Die Beschwerdeführerin muss, wenn das nicht offensichtlich ist, im Einzelnen darlegen, inwiefern ihr ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur drohen soll. Andernfalls kann auf die Beschwerde mangels hinreichender Begründung (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nicht eingetreten werden (BGE 142 III 798 E. 2.2; 137 III 324 E. 1.1; je mit Hinweisen).
3.2. Die Beschwerdeführerin bringt diesbezüglich vor, mangels Akteneinsicht betreffend die Daten der Kategorien B und C sei es ihr nicht möglich, ihrer Substantiierungspflicht innert der von der Vorinstanz angesetzten Frist (bzw. überhaupt) nachzukommen. Dies führe dazu, dass die Vorinstanz, welche bei den Daten der Kategorien B und C implizit von untersuchungsrelevanten Daten ausgehe, allfällige Daten entsiegeln werde, welche ihren Intim- und Privatbereich beträfen. Zudem sei es ihr nicht möglich, gegen einen solchen Entsiegelungsentscheid ein Rechtsmittel zu ergreifen, da sie mangels Akteneinsicht gar nicht in der Lage sei festzustellen, ob sich unter den entsiegelten Daten solche befänden, die ihren Intim- und Privatbereich betreffen würden. Damit drohe ihr ein nicht wieder gutzumachender Nachteil.
3.3. Wird im Entsiegelungsverfahren ausreichend substanziiert geltend gemacht, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG, weil die Offenbarung eines Geheimnisses nicht rückgängig gemacht werden kann (BGE 143 IV 462 E. 1; Urteil 1B_435/2021 vom 8. Dezember 2021 E. 1.2). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist dies vorliegend jedoch gerade nicht der Fall. Die Vorinstanz hat noch nicht über die Entsiegelung der Daten der Kategorien B und C entschieden, sondern einzig prozessleitende Verfügungen (Fristansetzungen zur Stellungnahme) im Hinblick auf diesen Entscheid erlassen. Eine Offenbarung der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Geheimnisse droht (zumindest noch) nicht; die Aussage, wonach die Vorinstanz das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft gutheissen werde, ist Spekulation.
Sofern die Vorinstanz zu einem späteren Zeitpunkt die Entsiegelung der Daten der Kategorien B und C anordnen sollte und die Beschwerdeführerin der Ansicht wäre, dem stünden allenfalls geschützte Geheimhaltungsinteressen entgegen, so wäre sie ohne weiteres legitimiert, gegen den Entsiegelungsentscheid Beschwerde zu führen. Inwiefern die im vorliegenden Verfahren von der Beschwerdeführerin gerügten Verletzungen ihrer Verfahrensrechte mit einem allfälligen günstigen späteren (den eigentlichen Entsiegelungsentscheid betreffenden) Entscheid zu ihren Gunsten nicht mehr behoben werden könnten, wird von ihr nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich (vgl. Urteil 5A_85/2014 vom 24. Februar 2014 E. 2.2.2).
3.4. Nichts anderes ergibt sich, wenn man die Begehren der Beschwerdeführerin dergestalt auslegt, dass sie sich nicht in erster Linie gegen die Fristansetzungen an sich, sondern gegen eine (allenfalls implizit verfügte) Verweigerung der Akteneinsicht richten. Denn nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bewirkt die Beschränkung der Akteneinsicht grundsätzlich keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil, da sie - wie die Ablehnung eines Beweisantrags oder jede andere Verweigerung des rechtlichen Gehörs - bei der Anfechtung des Endentscheids voll wirksam gerügt werden kann (statt vieler Urteil 1C_331/2019 vom 23. September 2019 E. 2.2 mit Hinweisen). Eine Ausnahme besteht nur im Strafprozessrecht, wo aufgrund der speziellen Verfahrensgarantie in Art. 101 Abs. 1 StPO ein nicht wieder gutzumachender Nachteil bejaht wird, wenn das Akteneinsichtsrecht nach erfolgter erster Einvernahme der beschuldigten Person verweigert wird (Urteil 1B_585/2021 vom 16. Februar 2022 E. 1.2 mit Hinweisen; zur Situation vor der ersten Einvernahme siehe BGE 137 IV 172 E. 2). Vorliegend ist indessen nicht das Akteneinsichtsrecht gemäss Art. 101 Abs. 1 StPO im Strafverfahren streitig, sondern ob (und durch wen) im Entsiegelungsverfahren ein Einsichtsrecht in gesiegelte Dokumente besteht. Diese Frage kann vom Bundesgericht ohne Rechtsverlust für die Beschwerdeführerin im Rahmen einer allfälligen späteren Überprüfung des eigentlichen Entsiegelungsentscheids beantwortet werden (vgl. Urteil 1B_28/2021 vom 4. November 2021 E. 1.6).
3.5. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die angefochtenen Entscheide nicht geeignet sind, einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zu bewirken. Inwiefern die weiteren Eintretensvoraussetzungen - namentlich Art. 42 BGG - erfüllt sind, kann deshalb offenbleiben.
 
Erwägung 4
 
Nach dem Gesagten ist auf die Beschwerden nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen und es sind keine Parteientschädigungen zuzusprechen (Art. 66 und 68 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Verfahren 1B_628/2021 und 1B_644/2021 werden vereinigt.
 
2. Auf die Beschwerden wird nicht eingetreten.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
4. Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, B.________ und dem Bezirksgericht Zürich, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. April 2022
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Jametti
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger