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BGer 8C_85/2022 vom 10.05.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
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8C_85/2022
 
 
Urteil vom 10. Mai 2022
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione,
 
Gerichtsschreiberin N. Möckli.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Marco Unternährer,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
AXA Versicherungen AG,
 
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Kathrin Hässig,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 17. Dezember 2021 (5V 21 193).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Der 1957 geborene A.________ war bei der B.________ AG tätig und dadurch bei der AXA Versicherungen AG (nachfolgend: AXA) obligatorisch unfallversichert. Gemäss Unfallmeldung vom 28. Juli 2017 traten am 13. Juli 2017 starke Schmerzen in der linken Schulter auf, nachdem der Versicherte eine Schutzhaube einer Maschine einhändig statt zweihändig hochgehoben hatte. Die AXA verneinte in der Folge ihre Leistungspflicht mit Verfügung vom 14. November 2017 und Einspracheentscheid vom 30. April 2018. Das Kantonsgericht Luzern hiess die dagegen erhobene Beschwerde in dem Sinne gut, als es die Sache zu weiteren Abklärungen an die Unfallversicherung zurückwies (Urteil vom 23. Januar 2019).
Die AXA beauftragte anschliessend Prof. Dr. med. C.________, Facharzt für Radiologie, eine radiologische Expertise zur Arthro-MRI-Untersuchung der linken Schulter vom 24. Juli 2017 zu erstellen, die er am 16. Dezember 2019 erstattete. Im Weiteren veranlasste die Unfallversicherung eine orthopädische Begutachtung durch Dr. med. D.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, (Gutachten vom 23. März 2020). Gestützt darauf verneinte die AXA mit Verfügung vom 22. Dezember 2020 das Vorliegen eines Unfalls und einer unfallähnlichen Körperschädigung. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 4. Mai 2021 fest.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern ab (Urteil vom 17. Dezember 2021).
C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und ihm seien die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen. Es sei zwecks Nachreichung eines Berichts von Prof. Dr. med. C.________ ein zweiter Schriftenwechsel anzuordnen. Der Bericht des Dr. med. E.________ vom 3. Februar 2022 und jener von Prof. Dr. med. C.________, welcher nachgereicht werde, seien als zulässige Noven zu den Akten zu nehmen. Ihm (dem Beschwerdeführer) seien sämtliche medizinischen Zusatzabklärungskosten durch Dr. med. E.________, Prof. Dr. med. F.________ und Prof. Dr. med. C.________ zurückzuvergüten. Im Rahmen des rechtlichen Gehörs sei ihm eine kurze Nachfrist zur Nachreichung der entsprechenden Rechnungen zu gewähren.
Mit unaufgeforderter Eingabe vom 9. Februar 2022 lässt A.________ einen Bericht des Prof. med. C.________ vom 3. Februar 2022 einreichen und ergänzende Ausführungen anbringen.
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Der Beschwerdeführer reicht mit seiner Beschwerde sowie der Eingabe vom 9. Februar 2022 verschiedene nach dem angefochtenen vorinstanzlichen Urteil datierende Arztberichte ein (Berichte des Dr. med. E.________ vom 2. Februar 2022 und des Prof. Dr. med. C.________ vom 3. Februar 2022). Zudem beantragt er einen zweiten Schriftenwechsel, um sich zu diesen Berichten zu äussern.
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen vor Bundesgericht nur so weit vorgebracht werden, als erst das Urteil der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Inwiefern dies der Fall ist, ist in der Beschwerde darzulegen (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 344 E. 3). Hiervon erfasst sind unechte Noven, also Tatsachen, die im bisherigen Verfahren bereits hätten vorgebracht werden können, aber nicht vorgebracht wurden. Echte Noven, d.h. Tatsachen, die erst entstanden sind, nachdem vor der Vorinstanz keine neuen Tatsachen und Beweismittel mehr vorgetragen werden konnten, sind im Verfahren vor Bundesgericht demgegenüber unbeachtlich (BGE 143 V 19 E. 1.2 mit Hinweisen).
Die vom Beschwerdeführer eingereichten und nach dem angefochtenen Urteil datierenden Arztberichte sind echte Noven und können im bundesgerichtlichen Verfahren nicht berücksichtigt werden. Auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Beschwerde ist nicht weiter einzugehen. Entsprechend besteht auch kein Anlass, einen Schriftenwechsel durchzuführen, damit sich der Beschwerdeführer zu den unzulässigen Noven äussern kann.
1.2. Ferner hat die vom Beschwerdeführer am 9. Februar 2022 und damit nach Ablauf der Beschwerdefrist erstattete Eingabe unberücksichtigt zu bleiben (Urteil 8C_660/2018 vom 7. Mai 2019 E. 1). Mit Blick auf E. 7.4 besteht zudem kein Grund, dem Beschwerdeführer eine Nachfrist zur Einreichung von Rechnungen zu gewähren.
 
Erwägung 2
 
2.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 145 V 304 E. 1.1; 145 II 153 E. 2.1; je mit Hinweisen).
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Allerdings ist es im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 i.V.m. Art. 105 Abs. 3 BGG; vgl. BGE 140 V 136 E. 1.2.1).
3.
Im angefochtenen Urteil sind die massgebenden Bestimmungen und Grundsätze über die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers bei Unfällen (Art. 6 Abs. 1 UVG in Verbindung mit Art. 4 ATSG) und unfallähnlichen Körperschädigungen (Art. 6 Abs. 2 UVG; BGE 146 V 51) richtig dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich der Regeln, die bei der Beurteilung des Beweiswerts eines ärztlichen Berichts oder Gutachtens zu beachten sind (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a). Darauf wird verwiesen.
4.
4.1. Das kantonale Gericht verneinte zunächst den Unfallbegriff, da mit dem einhändigen Hochheben einer 30 kg schweren Schutzhaube kein ungewöhnlicher äusserer Faktor vorliege. Alsdann kam es aufgrund des als beweiskräftig qualifizierten Gutachtens des Dr. med. D.________ vom 23. März 2020 zum Schluss, das Ereignis vom 13. Juli 2017 habe nicht zu einer somatischen Verletzung im Sinne einer Strukturunterbrechung, sondern allenfalls zu einer Verschlimmerung im Sinne einer synovialen Reizung bei degenerativem Vorzustand geführt. Damit sei eine bei diesem Ereignis eingetretene unfallähnliche Körperschädigung zu verneinen.
4.2. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, der Unfallbegriff sei erfüllt. Weiter stellt er die Unabhängigkeit des Gutachters und eines kantonalen Richters in Frage. Abschliessend macht er geltend, dass aufgrund der Berichte des Dr. med. E.________ und Prof. Dr. med. F.________ vom 29. Juli 2020 bzw. des Dr. med. E.________ vom 11. August 2021 Indizien vorlägen, die gegen die Verlässlichkeit der Beurteilung des Dr. med. D.________ sprächen. Entgegen der Vorinstanz lägen klar keine degenerativen Veränderungen vor und die vor dem Ereignis (13. Juli 2017) postulierte Pulley-Läsion oder Pulley-Insuffizienz sei eine reine Vermutung.
5.
Die Vorinstanz legte zutreffend dar, dass allein mit Blick auf das hochgehobene Gewicht von 30 kg kein ungewöhnlicher äusserer Faktor gegeben sei (Urteil 8C_245/2015 vom 19. August 2015 E. 5 mit Hinweisen). Andere Umstände erachtete das kantonale Gericht in bundesrechtskonformer Würdigung der Aussage der ersten Stunde als nicht ausgewiesen. Die nicht substanziierte Rüge des Beschwerdeführers, der Unfallbegriff sei erfüllt, vermag nicht aufzuzeigen, inwiefern das angefochtene Urteil Bundesrecht verletzen soll.
 
Erwägung 6
 
6.1. Das kantonale Gericht legte dar, die Beschwerdegegnerin habe Dr. med. D.________ als externen Sachverständigen beauftragt, und dessen gutachterliche Tätigkeit für andere Versicherungsgesellschaften gebe keinen Anlass, ihn als versicherungsinternen Arzt einzustufen. Der Beschwerdeführer stellt die Unabhängigkeit des Gutachters Dr. med. D.________ im bundesgerichtlichen Verfahren erneut in Frage. Inwiefern die kantonalgerichtlichen Ausführungen jedoch bundesrechtswidrig sein sollen, wird in der Beschwerde nicht dargetan und ist auch nicht ersichtlich. Denn ein Ausstandsgrund liegt weder durch eine regelmässige gutachterliche Tätigkeit vor, noch deshalb, weil jemand Aufgaben für die Verwaltung erfüllt bzw. früher erfüllt hat (vgl. BGE 137 V 210 E. 1.3.3; Urteil 8C_828/2019 vom 17. April 2020 E. 3.3).
6.2. Schliesslich lässt der Beschwerdeführer eine Befangenheit eines kantonalen Richters anklingen. Auf der anderen Seite verzichtet er aber angesichts der bundesgerichtlichen Rechtsprechung "formell" auf die Einreichung eines Ausstandsgesuchs. Damit räumt er implizit ein, dass kein Ausstandsgrund vorliegt. Es besteht daher kein Anlass, darauf weiter einzugehen.
7.
7.1. Die Vorinstanz legte zutreffend dar, dass einer externen Beurteilung, die nach Art. 44 ATSG im Verwaltungsverfahren eingeholt wurde, bei überzeugendem Beweisergebnis volle Beweiskraft zuzuerkennen ist, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit der Expertise sprechen (vgl. BGE 137 V 210 E. 1.3.4; 125 V 351 E. 3b/bb; SVR 2021 IV Nr. 16 S. 45, 9C_174/2020 E. 8.1, nicht publ. in: BGE 147 V 79, je mit Hinweisen).
7.2. In Nachachtung dieser Rechtsprechung führte das kantonale Gericht aus, das Gutachten des Dr. med. D.________ vom 23. März 2020 erfülle die beweismässigen Anforderungen und die andere Interpretation der bildgebenden und operativen Befunde durch Dr. med. E.________ und Prof. Dr. med. F.________ zeige keine konkreten Indizien auf, welche gegen die Verlässlichkeit des Gutachtens sprächen, da keine wichtigen Aspekte genannt würden, die bei der Begutachtung unerkannt oder ungewürdigt geblieben wären.
7.3. Diese vorinstanzliche Beweiswürdigung verletzt kein Bundesrecht: Dr. med. D.________ würdigte die Bildaufnahmen, insbesondere das Arthro-MRI vom 24. Juli 2017, welches keine Hinweise auf eine Folge des Ereignisses vom 13. Juli 2017 zeige, und die Arthroskopieaufnahmen vom 7. August 2017. Ferner berücksichtigte der Gutachter auch den Unfallmechanismus, der eine Verletzungswahrscheinlichkeit am Pulley und seinen Begrenzungen praktisch ausschliesse. Sodann trug er dem Umstand Rechnung, dass alterskorrelierende degenerative Prozesse und chronisch repetitive (Über-) Belastungen bekannte Entwicklungen seien, die regelmässig zu einer Pulley-Läsion und konsekutiv zur Instabilität der Bizepssehne führten. Mit der Vorinstanz ist festzuhalten, dass der Gutachter angesichts dieser Gegebenheiten zum nachvollziehbaren Schluss kam, das Ereignis vom 13. Juli 2017 habe nicht zu einer Strukturunterbrechung, sondern zu einer vorübergehenden Verschlimmerung im Sinn einer synovialen Reizung bei degenerativem Vorzustand geführt.
Der Beschwerdeführer bringt - unter Ausserachtlassung der unzulässigen Noven - im bundesgerichtlichen Verfahren zwar erneut vor, aus den Berichten des Dr. med. E.________ und Prof. Dr. med. F.________ vom 29. Juli 2020 bzw. des Dr. med. E.________ vom 11. August 2021 ergäben sich Indizien, die gegen die Verlässlichkeit der Beurteilung des Dr. med. D.________ sprächen. Er zeigt damit jedoch nicht auf, welche Aspekte in der Expertise unbeachtet geblieben sind. Diese Voraussetzung ist nicht bereits erfüllt, wenn - wie hier - der Gutachter der Einschätzung der behandelnden Ärzte nicht folgt, sondern in deren Kenntnis zu anderen Schlüssen gelangt. Hinzu kommt, dass Dr. med. E.________ und Prof. Dr. med. F.________ dem gesamten in Frage kommenden Ursachenspektrum keine hinreichende Beachtung schenkten: Sie würdigten nämlich den Mechanismus des Ereignisses vom 13. Juli 2017 im Hinblick auf die erhobenen Befunde nicht, obwohl dies geboten wäre (vgl. BGE 146 V 51 E. 8.6). Auch mit Blick darauf vermag ihre andere Einschätzung keine konkreten Anhaltspunkte gegen die Zuverlässigkeit der gutachterlichen Einschätzung zu begründen. Zudem bedarf es auch keiner erneuten Stellungnahme des Radiologen Prof. Dr. med. C.________, ist doch nicht ersichtlich, dass weitere, einzig auf dem Arthro-MRI vom 24. Juli 2017 basierendene Ausführungen das sämtliche Aspekte umfassende Gutachten des Dr. med. D.________ in Frage zu stellen vermöchten.
7.4. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Vorinstanz in bundesrechtskonformer Würdigung der Beweise eine Leistungspflicht der Beschwerdegegnerin für das Ereignis vom 13. Juli 2017 gestützt auf Art. 6 Abs. 2 UVG ablehnte und eine Vergütung der dem Beschwerdeführer entstandenen Zusatzkosten zu Recht verneinte. Die Beschwerde ist unbegründet.
8.
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 10. Mai 2022
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Wirthlin
 
Die Gerichtsschreiberin: Möckli