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BGer 6B_34/2020 vom 11.05.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
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6B_34/2020
 
 
Urteil vom 11. Mai 2022
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichter Denys,
 
Bundesrichter Muschietti,
 
Bundesrichterin Koch,
 
Bundesrichter Hurni,
 
Gerichtsschreiber Traub.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Erste Staatsanwältin, Grenzacherstrasse 8, 4132 Muttenz,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________,
 
vertreten durch Reto Gantner, Advokat,
 
Beschwerdegegner,
 
B.________.
 
Gegenstand
 
Schändung,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, vom 6. Juni 2019 (460 19 68).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Das Strafgericht Basel-Landschaft sprach A.________ vom Vorwurf der Schändung, eventuell der Vergewaltigung, frei (Urteil vom 15. Januar 2019).
B.
Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft erhob Berufung. Das Kantonsgericht Basel-Landschaft bestätigte den erstinstanzlichen Freispruch (Urteil vom 6. Juni 2019).
Das vorinstanzliche Urteil beruht auf folgendem Sachverhalt: Der Beschwerdeführer bestellte die Privatklägerin, welche über ein Erotik-Internetportal ihre Dienste als Escort-Dame anbietet, in seine Wohnung. Dort erklärte sie ihm die "Spielregeln". Dazu gehörte namentlich, dass nur geschützter Geschlechtsverkehr in Frage kam. Dennoch streifte A.________ zwischen zwei Penetrationen das Kondom ab, was die im fraglichen Moment von ihm abgewandte Privatklägerin zunächst nicht bemerkte (sog. Stealthing). Nachdem sie den ungeschützten Geschlechtsverkehr festgestellt hatte, brach sie ihre Dienstleistung ab und verliess die Wohnung.
C.
Die Staatsanwaltschaft führt Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, A.________ sei der Schändung schuldig zu sprechen und zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten und einer Landesverweisung von sieben Jahren zu verurteilen. Eventuell sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Mit Verfügung vom 1. Oktober 2020 bewilligt der Präsident der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts A.________ die unentgeltliche Rechtspflege. Advokat Reto Gantner wird als unentgeltlicher Rechtsbeistand im bundesgerichtlichen Verfahren eingesetzt.
A.________ beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. Eventuell sei die Sache an die erste Instanz zurückzuweisen. Die Privatklägerin schliesst auf Gutheissung der Beschwerde. Das Kantonsgericht verzichtet auf eine Stellungnahme.
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft vertritt den Standpunkt, als Recht auf sexuelle Selbstbestimmung gelte die Freiheit einer Person zu entscheiden, ob, wann, wo, mit wem und auf welche Weise sie sich an welchen sexuellen Handlungen beteiligen möchte.
Abzulehnen sei der vorinstanzliche Ansatz, in Stealthing -Fällen ungeachtet der Täuschung über die Verwendung eines Kondoms eine tatbestandsausschliessende Einwilligung in den Geschlechtsverkehr anzunehmen. Es gebe keine grundsätzliche Einwilligung für alle infrage kommenden sexuellen Handlungen. Wer nur einer Penetration mit Kondom zustimme, habe nie in eine solche ohne eingewilligt. Es liege also nicht eine bedingte Einwilligung vor, sondern eben gar keine, weil es um eine andere Art von Handlung gehe. Die sexuelle Selbstbestimmung beinhalte auch das Recht, über Modalitäten des sexuellen Kontakts zu entscheiden.
Der Beschwerdegegner wendet unter anderem ein, seine Verurteilung würde im Ergebnis zu einer vorgezogenen Anwendung von allfälligem künftigem Recht führen. Ein einschlägiger Tatbestand existiere noch nicht.
1.2. Die Vorinstanz geht davon aus, als Schändung stellten sich sexuelle Handlungen an einer Person dar, die völlig ausserstande sei, einzuwilligen oder sich zu wehren, und die so zum blossen Objekt sexueller Wünsche degradiert werde. Davon könne hier - trotz der missachteten Bedingung, nur geschützten Beischlaf zu praktizieren - keine Rede sein, nachdem die Privatklägerin ausdrücklich und freiwillig in den Geschlechtsverkehr eingewilligt habe. Das durch Art. 191 StGB geschützte Rechtsgut der sexuellen Integrität sei in dieser Situation nicht verletzt. Entscheidend sei, dass sich die strafrechtliche Einwilligung immer nur auf das "Ob" einer sexuellen Handlung beziehe, nicht aber auf das "Wie". Es liege eine wirksame, rechtsgutbezogene und tatbestandsausschliessende Einwilligung vor.
 
Erwägung 2
 
2.1. Das als
2.2. Die Vorinstanz beurteilte die strafrechtliche Relevanz von
Nach der Rechtsprechung gilt als im Sinn von Art. 191 StGB widerstandsunfähig, wer nicht imstande ist, sich gegen ungewollte sexuelle Kontakte zu wehren, weil er seinen Abwehrwillen nicht (wirksam) fassen oder äussern oder in einen Abwehrakt umsetzen kann. Die Gründe einer Widerstandsunfähigkeit können dauernd, vorübergehend oder situationsbedingt sein. Die Kasuistik umfasst etwa Fälle von schwerer geistiger Einschränkung infolge einer starken Intoxikation mit Alkohol oder Drogen, solche von fehlendem körperlichem Reaktionsvermögen (beispielsweise wegen eines Gebrechens oder einer Fesselung) und schliesslich auch besondere Konstellationen wie ein Zusammenwirken von Schläfrigkeit, Alkoholisierung und einem Irrtum über die Identität des (für den Ehemann gehaltenen) Sexualpartners. Vorausgesetzt wird, dass die Fähigkeit zu Abwehrhandlungen ganz aufgehoben und nicht nur eingeschränkt ist. Wird ein Rest von Widerstand überwunden, liegt eine Tat nach Art. 189 f. StGB vor (zum Ganzen BGE 133 IV 49 E. 7.2; 119 IV 230 E. 3a; Urteile 6B_1178/2019 vom 10. März 2021 E. 2.2 und 6B_232/2016 vom 21. Dezember 2016 E. 2.2; JOSÉ HURTADO POZO, Droit pénal, Partie spéciale, 2009, N 2998). Die Tathandlung des Missbrauchs nach Art. 191 StGB besteht darin, dass sich der Täter die Widerstandsunfähigkeit des Opfers bewusst zunutze macht, um eine sexuelle Handlung zu vollziehen (vgl. erwähntes Urteil 6B_1178/2019 E. 2.2.2; Urteile 6S.217/2002 vom 3. April 2003 E. 3 und 6S.359/2002 vom 7. August 2003 E. 4.2).
2.3. Dem Beschwerdegegner wird vorgeworfen, während des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs mit einer Frau bei einem Stellungswechsel ohne deren Wissen das Kondom abgestreift und den Geschlechtsverkehr ungeschützt fortgesetzt zu haben, obwohl vereinbart war, ausschliesslich geschützt zu verkehren. Heimlich vorgegangen sei er, um den zu erwartenden Widerstand der Partnerin gegen den absprachewidrig fortgesetzten Geschlechtsverkehr abzuwenden.
Die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft wendet sich gegen den vorinstanzlichen Ansatz, der prozessgegenständliche Geschlechtsverkehr erscheine wegen seiner grundsätzlichen Einvernehmlichkeit von vornherein nicht als Handlung im Sinn von Art. 191 StGB. In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob der ohne Wissen der Privatklägerin und gegen ihren erklärten Willen ungeschützt vollzogene Geschlechtsverkehr eine eigenständige sexuelle Handlung darstellt, die rechtserheblich vom an sich einvernehmlichen Geschlechtsverkehr abweicht. Die Rechtserheblichkeit beurteilt sich mit Blick darauf, inwiefern die Abweichung den Schutzbereich von Art. 191 StGB - die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung - tangiert (nachstehend E. 3). Gegebenenfalls stellt sich die Anschlussfrage, ob die Privatklägerin angesichts des heimlich entfernten Kondoms widerstandsunfähig ist, weil sie so lange keine Möglichkeit hat, die ungeschützte Penetration abzuwehren, wie ihr der Beschwerdegegner einen (weiterhin) geschützten Geschlechtsverkehr vortäuscht. Der tatbestandsmässige Missbrauch bestünde im bewussten Ausnutzen einer solchen Widerstandsunfähigkeit (E. 4).
 
Erwägung 3
 
3.1. An Sexualkontakten beteiligte Personen verstehen den Einsatz eines Kondoms oft als wesentliche Bedingung, um sich überhaupt auf den Kontakt einzulassen (Hinweise auf die Empirie in E. 3.2). Das Kondom dient ihnen vorab - aber, wie zu zeigen sein wird, nicht nur - als Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten und zur Verhütung einer Schwangerschaft. Im vorliegenden Fall beklagte sich die Privatklägerin denn auch über psychische Beschwerden als Folge des Vorfalls. Unter dem Aspekt der sexuell übertragbaren Krankheiten kann das streitgegenständliche Verhalten strafrechtlich unter Umständen als (versuchte) eventualvorsätzliche Körperverletzung (Art. 122 f. StGB) zu behandeln sein (vgl. Urteil 6B_1225/2019 vom 8. April 2020 E. 1.2 und 1.3 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung); diesbezüglich kommt allenfalls auch der Tatbestand des Verbreitens menschlicher Krankheiten infrage (Art. 231 StGB; GÖHLICH, a.a.O., S. 524 und 526 f.; vgl. BGE 134 IV 193; 131 IV 1 E. 4).
Art. 191 StGB dient indessen nicht Aspekten des Gesundheitsschutzes (MEIER/HASHEMI, a.a.O., S. 120 f.; vgl. SCHUMANN/SCHEFER, a.a.O., S. 815). Angesprochen ist einzig die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung als besondere Ausprägung des Persönlichkeitsrechts (INEKE PRUIN, "Nein heisst nein" und "Ja heisst ja": Zur Einführung eines konsensorientierten Ansatzes im Sexualstrafrecht in der Schweiz und in Deutschland, in: ZStrR 2021, S. 132; PHILIPP MAIER, in: Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl. 2019, N 1 zu Art. 191 StGB; PETER HANGARTNER, Selbstbestimmung im Sexualbereich: Art. 188 bis 193 StGB, 1998, passim; vgl. auch LAURA JETZER, Stealthing: Strafrechtlich nicht fassbare Verletzung der von Art. 28 ZGB geschützten sexuellen Integrität?, in: Aspekte rechtlicher Nähebeziehungen, Eitel/Graham-Siegenthaler [Hrsg.], 2021, S. 185 f.; zu Umfang und Natur der sexuellen Freiheit: TATJANA HÖRNLE, Sexuelle Selbstbestimmung: Bedeutung, Voraussetzungen und kriminalpolitische Forderungen, in: Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft [ZStW] 2015, S. 851 ff.). Die sexuelle Selbstbestimmung hat zwei Seiten: die (positive) Freiheit, sein Sexualleben nach eigenen Vorstellungen zu gestalten, sowie die (negative) Freiheit von sexueller Fremdbestimmung (PRUIN, a.a.O., S. 145; EL-GHAZI, a.a.O., S. 677; NORA SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz: Grundlagen und Reformbedarf, 2018, Rz. 26 ff.; SCHEIDEGGER/LAVOYER/STALDER, Reformbedarf im schweizerischen Sexualstrafrecht, in: sui generis 2020, S. 59 Rz. 3; HÖRNLE, a.a.O., S. 859 ff.). Das Sexualstrafrecht sichert in erster Linie letztere Dimension, nämlich die Abwehr ungewollter sexueller Handlungen (vgl. aber auch E. 3.2 a.E.). Grundmerkmal der sexuellen Selbstbestimmung ist die Einvernehmlichkeit der betreffenden Handlungen (unten E. 4.2).
3.2. Die von einer Seite gestellte (positive oder negative) Bedingung, unter der nur sich die betreffende Person auf den Geschlechtsverkehr einlassen will, kann strafrechtlich erst relevant sein, wenn sich die Bedingung und ihre Motive mit dem Schutzzweck des fraglichen Tatbestands decken, sie also der sexuellen Selbstbestimmung direkt zuzurechnen sind (vgl. SCHUMANN/SCHEFER, a.a.O., S. 814). Wer beim anderen eine falsche Vorstellung über Eigenschaften seiner Person oder über bestimmte Rahmenbedingungen des Geschlechtsverkehrs hervorruft oder in täuschender Absicht stehen lässt, beeinträchtigt dadurch die strafrechtlich geschützte sexuelle Freiheit seines Gegenübers auch dann nicht, wenn klar ist, dass die getäuschte Person im Wissen um die wahren Verhältnisse dem Geschlechtsverkehr nicht zugestimmt hätte. Es ist offenkundig nicht Aufgabe des Staats, sämtliche persönlichen, individuell gesetzten Bedingungen für einen sexuellen Kontakt unter strafrechtlichen Schutz zu stellen (HOVEN /WEIGEND, Zur Strafbarkeit von Täuschungen im Sexualstrafrecht, in: KriPoZ 2018, S. 160). Unerheblich sind beispielsweise ein gebrochenes Eheversprechen (GÖHLICH, a.a.O., S. 524), die entgegen erfolgter Zusicherungen unterbliebene Einnahme von Verhütungsmitteln ("Pillenlüge"; HOFFMANN, a.a.O., S. 17) sowie falsche Erklärungen zu Vorbedingungen eines Partners, was etwa den Beziehungsstatus oder die Religionszugehörigkeit des anderen angeht (DENZEL/KRAMER DA FONSECA CALIXTO, a.a.O., S. 350 f.; WISSNER, Das Phänomen Stealthing, in: KriPoZ 2021, S. 282; anderer Meinung: FRANZKE, a.a.O., S. 120; VAVRA, a.a.O., 618). In solchen Fällen von Motiv- resp. "Hintergrundirrtümern" (HÖRNLE, a.a.O., S. 880) scheidet eine Schändung bereits deswegen aus, weil die sexuelle Selbstbestimmung nicht tangiert ist.
Die Bedingung muss sich vielmehr auf wesentliche Merkmale des Sexualverkehrs beziehen, die dem Recht auf sexuelle Integrität zuzurechnen sind. Dessen Träger hat die Möglichkeit, einem sexuellen Kontakt selbstbestimmte Grenzen zu setzen. Die missachtete Vorgabe, unter der die Privatklägerin in den Geschlechtsverkehr eingewilligt hat - nämlich die Verwendung eines Kondoms -, ist gemessen an diesem Normzweck erheblich (zur Figur der rechtsgutbezogenen Bedingung vgl. GUNTHER ARZT, Willensmängel bei der Einwilligung, 1970, S. 15 ff.; GERHARD FIOLKA, Das Rechtsgut, 2006, passim; vgl. HÖRNLE, a.a.O., S. 880 f.). Dies gilt unabhängig davon, dass sich die Privatklägerin hier vorab aus Gründen des Gesundheitsschutzes geschützten Verkehr ausbedungen hat. Die empirische Forschung und sozialwissenschaftliche Lehre gehen überwiegend davon aus, dass die Verwendung oder Nichtverwendung eines Kondoms einen erheblichen Unterschied in der Intensität des Sexualkontakts begründet, etwa weil es für die betroffene Person regelmässig nicht gleichgültig ist, ob sie physisch mit dem Ejakulat in Berührung kommt oder nicht. Das Kondom scheint demzufolge als Eingrenzung einer ansonsten als zu gross empfundenen Intimität wichtig (in diesem Sinn EL-GHAZI, a.a.O., S. 681 mit Hinweis auf BRODSKY, a.a.O., S. 195; WISSNER, Das Phänomen "Stealthing", S. 282 f.; MAKEPEACE, a.a.O., S. 12 ff.; LINOH/WETTMANN, a.a.O., S. 387 f.; HERZOG, a.a.O., S. 354; SCHUMANN/SCHEFER, a.a.O., S. 816; HÖRNLE, a.a.O., S. 881; vgl. auch Amtsgericht Berlin-Tiergarten, Urteil vom 11. Dezember 2018, zitiert nach WISSNER, "Stealthing": ein besorgniserregender Trend?, S. 316 f.; im Ergebnis anderer Meinung: DENZEL/KRAMER DA FONSECA CALIXTO, a.a.O., S. 353 f.; MEIER /HASHEMI, a.a.O., S. 124; GÖHLICH, a.a.O., S. 525 f.; JETZER, a.a.O., S. 185). Zudem sind selbst die (hier an sich nicht einschlägigen) Anliegen der Schwangerschaftsverhütung und gesundheitlichen Prävention ("Safer Sex") mittelbar als Frage der (positiven) sexuellen Selbstbestimmung zu begreifen: Sexualität auszuleben, ohne das Risiko einzugehen, sich mit einer übertragbaren Krankheit zu infizieren oder ungewollt schwanger zu werden resp. potentiell belastende hormonelle Verhütungsmittel einnehmen zu müssen, hängt massgeblich von der Gewissheit ab, dass der Verkehr geschützt abläuft (vgl. SCHUMANN/SCHEFER, a.a.O., S. 815 f.; FRANZKE, a.a.O., S. 120). In ihrer mittelbaren Rechtsgutbezogenheit unterscheiden sich diese Motive massgeblich von anderen, beliebig gesetzten Bedingungen.
3.3. Wird das Tatbestandselement der sexuellen Handlung anhand eines aktuellen Normverständnisses objektiv-zeitgemäss ausgelegt (BGE 141 II 262 E. 4.2; 137 II 164 E. 4.4; vgl. auch E. 4.1 a.E.), so ist bis hierhin festzuhalten, dass
Unter diesen Voraussetzungen bringt die Beschwerdeführerin zutreffend vor, dass die ungeschützte Penetration nicht auf einen blossen Begleitumstand, eine Modalität des an sich einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs reduziert werden kann. Anders als der Beschwerdegegner meint, bildet das Entfernen des Kondoms gegen den Willen und ohne das Wissen der Partnerin eine Zäsur zum bisher einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. Es begründet eine gesonderte, neue Handlung (" aliud "; vgl. EL-GHAZI, a.a.O., S. 680 f.; SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 168; HERZOG, a.a.O., S. 356 f.; MAKEPEACE, a.a.O., S. 12 und 14; SAGMEISTER, a.a.O., S. 296 ff.; WISSNER, Das Phänomen "Stealthing", S. 282 f.), die das für Art. 191 StGB relevante Rechtsgut verletzt. Demnach entspricht Stealthing dem Tatbestandselement einer sexuellen Handlung gemäss Art. 191 StGB.
4.
Der in Art. 191 StGB unter Strafe gestellte Missbrauch hängt indessen nicht allein davon ab, ob eine Handlung gegeben ist, die die sexuelle Selbstbestimmung verletzt. Zusätzlich bleibt zu prüfen, ob die Arglosigkeit der getäuschten Privatklägerin einer tatbestandsmässigen Widerstandsunfähigkeit entspricht.
4.1. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind die Mitgliedstaaten der EMRK gestützt auf die Art. 3 und 8 EMRK verpflichtet, alle nicht-einvernehmlichen sexuellen Handlungen zu verfolgen und zu bestrafen (Urteil 39272/98 vom 4. Dezember 2003,
Diese völkerrechtlichen Verpflichtungen adressieren den Gesetzgeber (Erläuternder Bericht, a.a.O., Ziff. 193; zur Publikation vorgesehenes Urteil 6B_894/2021 vom 28. März 2022 E. 3.7.1 a.E.). Sie können zwar die Auslegung von geltendem Recht beeinflussen (vgl. etwa betreffend den ausländerrechtlichen Aufenthaltsanspruch die Urteile 2C_45/2021 vom 12. März 2021 E. 3.2 und 2C_1024/2019 vom 27. August 2020 E. 4.2). Eine völkerrechtliche Auslegung darf aber nicht so weit gehen, dass allfällige "Strafbarkeitslücken" mittels ausdehnender Interpretation von bestehenden Tatbeständen geschlossen werden (vgl. SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 198 und 617; DIESELBE, in: Annotierter Kommentar StGB, Graf [Hrsg.], 2020, N 4 zu Art. 191 StGB; JETZER, a.a.O., S. 182 f.). Nach dem strafrechtlichen Legalitätsprinzip ( nullum crimen, nulla poena sine lege) darf eine Strafe nur wegen einer Tat verhängt werden, die das Gesetz ausdrücklich unter Strafe stellt (Art. 1 StGB; BGE 147 IV 274 E. 2.1.1; 138 IV 13 E. 4.1). Der Grundsatz verbietet, über den Sinn, wie er dem Gesetz bei richtiger Auslegung zukommt, hinauszugehen, also neue Straftatbestände zu schaffen oder bestehende derart zu erweitern, dass die Auslegung durch den Sinn des Gesetzes nicht mehr gedeckt wird (BGE 128 IV 272 E. 2). Die rechtsanwendenden Behörden sind an die Entscheidung des Gesetzgebers darüber, in welchem Umfang das betroffene Rechtsgut strafrechtlich geschützt werden soll - d.h. an seine Auswahl der strafbaren Verhaltensweisen aus allen gegebenenfalls strafwürdigen -, gebunden. Der Beschwerdegegner betont zu Recht, dass Tatbestandselemente grundsätzlich eng auszulegen sind (vgl. TRECHSEL/FATEH-MOGHADAM, in: Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N 24 zu Art. 1 StGB).
Unter diesen Vorgaben gehört es zwar zu den Aufgaben der Rechtsprechung, Entwicklungen im tatsächlichen Umfeld eines Straftatbestands zu verfolgen und veränderten lebensweltlichen (gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technischen etc.) Rahmenbedingungen (sog. Rechtstatsachen; Urteil 6B_582/2017 vom 19. Juni 2018 E. 2.1.2) bei der Auslegung des Gesetzes Rechnung zu tragen. Dem Gesetzgeber bleibt es dagegen vorbehalten, das materielle Strafrecht anhand der gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen nachzuführen.
4.2. Gegenwärtig ist eine Revision des Sexualstrafrechts im Gang (Vorentwurf der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates [RK-S] "Bundesgesetz über eine Revision des Sexualstrafrechts" mit Bericht vom 28. Januar 2021 [www.admin.ch>Bundesrecht>Vernehmlassungen>Abgeschlossene Vernehmlassungen>2021>Parl.] sowie Erlassentwurf mit Bericht der RK-S vom 17. Februar 2022 [www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-rk-s-2022-02-18-2.aspx]). Die Revision soll das Sexualstrafrecht modernisieren (Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 13 Ziff. 2.1). Mehr als in früheren Jahren gilt heute die Einvernehmlichkeit jeder sexuellen Handlung als strafrechtlich zu schützendes Rechtsgut (Konsensprinzip; PRUIN, a.a.O., S. 130 ff., 144 ff.; NORA SCHEIDEGGER, Revision des Sexualstrafrechts: Die Verankerung des Konsensprinzips im StGB, in: Juristinnen Schweiz [Hrsg.], Recht und Geschlecht, 2022, S. 208 f.; vgl. auch Urteil 6B_894/2021 vom 28. März 2022 E. 3.7.1, zur Publikation vorgesehen). Die bisherigen Artikel 189 ff. StGB (Randtitel: "Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Ehre") umschreiben Nötigungs- oder Missbrauchstatbestände, die die
Die Neuordnung der Kerntatbestände des Sexualstrafrechts macht deutlich, dass die bisherigen, dem Nötigungsprinzip folgenden Tatbestände der Art. 189 ff. StGB das nach heutigem Verständnis schützenswerte Rechtsgut nicht vollständig abdecken (PRUIN, a.a.O., S. 147; vgl. unten E. 4.4). Die in E. 3.3 bejahte Frage, ob Stealthingeine eigenständige sexuelle Handlung im Sinn von Art. 191 StGB ist, war nach einer objektiv-zeitgemässen Auslegung auf der Grundlage eines aktuellen Verständnisses der massgebenden Rechtstatsachen (E. 3.2) zu beantworten; dies erscheint unter dem Aspekt des strafrechtlichen Legalitätsprinzips unproblematisch. Hingegen geht es bei der Prüfung, ob auch eine tatbestandsmässige Widerstandsunfähigkeit gegeben ist, nicht mehr bloss darum, das vom historischen Gesetzgeber formulierte Gesetz so auszulegen, dass es etablierten neueren Anschauungen gerecht wird. Um Stealthing als Schändung - inskünftig "Missbrauch einer urteilsunfähigen oder zum Widerstand unfähigen Person" (Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 43 Ziff. 3.7.1) - zu qualifizieren, wäre vielmehr der strafrechtliche Schutzumfang zu erweitern.
Nach dem geltenden, dem Nötigungsprinzip folgenden Recht begründet nicht jede nichtkonsensuale sexuelle Handlung, nicht einmal jeder beliebige Zwang, einen Schuldspruch (so etwa BGE 131 IV 167 E. 3.1). Im Kernbereich des Sexualstrafrechts setzt die Strafbarkeit jeweils einen qualifizierten Übergriff voraus (PRUIN, a.a.O., S. 146 ff.). Bei den sexuellen Nötigungsdelikten (Art. 189 f. StGB) besteht diese Qualifizierung im Einsatz von Gewalt oder anderen Zwangsmitteln, mittels derer ein Widerstand gebrochen wird (Urteil 6B_894/2021 E. 3.3, zur Publikation vorgesehen; BGE 133 IV 49 E. 4; PHILIPP MAIER, Die Nötigungsdelikte im neuen Sexualstrafrecht, 1994, passim); der entgegenstehende Wille allein ist nicht geschützt (PRUIN, a.a.O., S. 132). Bei anderen Delikten wird eine Notlage oder eine Abhängigkeit ausgenutzt (vgl. Art. 192 f. StGB). Bei der Schändung liegt der besondere Handlungsunwert im Missbrauch einer persönlich oder situativ bedingten Wehrlosigkeit des (dadurch schutzbedürftigen) Opfers (EL-GHAZI, a.a.O., S. 679). Dieses wird vom Täter als willenloses Mittel zum Zweck der eigenen sexuellen Befriedigung instrumentalisiert (HERZOG, a.a.O., S. 356; SCHUMANN/SCHEFER, a.a.O., S. 815; VAVRA, a.a.O., S. 616; HÖRNLE, a.a.O., S. 861 ff.). Kennzeichnend - und für den Schutz durch Art. 191 StGB vorausgesetzt - ist eine in der Person des Opfers liegende dauerhafte Eigenschaft (kindliches Alter, geistige Behinderung etc.) oder eine vorübergehende körperliche oder kognitive Beeinträchtigung (durch Schlaf, Rausch etc.), d.h. ein Schwächezustand, der das dergestalt verwundbare Opfer dem Täter ausliefert (vgl. Urteil 6S.850/1996 vom 20. Mai 1997 E. 2).
Somit stellt Art. 191 StGB den Missbrauch einer vorbestehenden Urteils- oder Widerstandsunfähigkeit unter Strafe (BGE 133 IV 49 E. 4; QUELOZ/ILLÀNEZ, in: Commentaire romand, Code pénal II, 2017, N 3 und 13 zu Art. 191 StGB). Das Unvermögen, frei über seine Beteiligung an einer konkreten sexuellen Handlung zu entscheiden und Zustimmung oder Ablehnung zu artikulieren, begründet dann eine Wehrlosigkeit im Sinn von Art. 191 StGB, wenn dieses Defizit auf eine unabhängig von den Umständen des Sexualkontakts bestehende Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Abwehr zurückzuführen ist. Hingegen ist dieser Tatbestand nicht erfüllt, wenn die fehlende Abwehr auf andere Hindernisse beim Finden oder Betätigen des Willens betreffend den Sexualkontakt zurückzuführen ist, d.h. wenn etwa ein Irrtum über die Natur der (sexuellen) Handlung vorliegt oder eine unvermittelt mit einem Übergriff konfrontierte Person allein aufgrund des Überraschungseffekts nicht rechtzeitig reagieren kann. Dabei handelt es sich um Fälle einer "einfachen", nicht im Sinn von Art. 191 StGB qualifizierten Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung.
4.3. Die dargelegten Kriterien waren in allen vom Bundesgericht beurteilten Zweifelsfällen betreffend die Anwendbarkeit von Art. 191 StGB wegleitend (zur Kasuistik: SCHEIDEGGER, in: Annotierter Kommentar StGB, N 3 zu Art. 191 StGB) :
4.3.1. Nimmt etwa ein Arzt oder Physiotherapeut - gegebenenfalls unter Vortäuschung fachlich begründeter Notwendigkeit (dazu Urteil 6B_33/2020 vom 24. Juni 2020 E. 2) - unerwartet eine sexuell motivierte Handlung an seiner Patientin vor, so wird deren Widerstandsunfähigkeit bejaht, weil die Betroffene den überraschenden Angriff auf ihre geschlechtliche Integrität im therapeutischen Kontext zunächst kaum einordnen resp. als solchen erkennen kann, gerade auch wenn sie das Geschehen lagebedingt (z.B. bäuchlings auf einer Massageliege) nicht überblickt (vgl. BGE 133 IV 49 E. 7; 103 IV 165; Urteile 6B_206/2009 vom 21. Juli 2009 E. 3.4; 6S.580/2001 vom 31. Oktober 2001 E. 2). Entscheidend ist das therapeutische Vertrauensverhältnis und das damit notwendig verbundene Ausgeliefertsein (vgl. MAIER, in: Basler Kommentar, N 7 f. zu Art. 191 StGB; GÖHLICH, a.a.O., S. 526; HÖRNLE, a.a.O., S. 881). Duldet das Opfer die Handlung nur, weil es über die medizinische Indikation irrt, besteht hingegen keine Widerstandsunfähigkeit im Sinn von Art. 191 StGB (Urteil 6B_453/2007 vom 19. Februar 2008 E. 3.4.3). Ausserhalb eines therapeutischen Kontextes begründen überraschende sexuell motivierte körperliche Übergriffe allein keine Schändung (Urteil 6B_118/2012 vom 8. November 2012 E. 1.5). So wurde ein Täter, der zwei Frauen im Schwimmbecken eines Freizeitbades unvermittelt im Intimbereich angefasst hatte, nicht nach Art. 191 StGB, sondern nach Art. 198 Abs. 2 StGB (tätliche sexuelle Belästigung) bestraft, obwohl die geschlechtliche Integrität der Opfer massiv verletzt war (Urteil 6B_630/2014 vom 20. Januar 2015 E. 4; vgl. Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 32 f.). Eine Schändung bejaht hat das Bundesgericht hingegen in einem Fall, in dem die Frau nach sexuellen Handlungen, die im Rahmen ihrer Beziehung mit dem Täter üblich waren, überraschend eine unerwünschte anale Penetration über sich ergehen lassen musste (Urteil 6B_445/2015 vom 29. Januar 2016 E. 1.5 und E. 3). Der Täter wusste, dass seine Partnerin diese Praktik ablehnte, und, hätte sie Gelegenheit gehabt, sich dagegen gewehrt hätte. Er hat den Widerstand, wie er den Umständen nach zu erwarten war, durch unvermitteltes, gewaltsames Vorgehen ausgeschaltet, namentlich indem er seine Partnerin durch sein Gewicht körperlich fixierte. Dieser Faktor unterscheidet den betreffenden Fall entscheidend von anderen überraschenden Übergriffen, die regelmässig keine Widerstandsunfähigkeit im Sinn des Schändungstatbestands begründen (kritisch: SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 473 f.).
4.3.2.
4.4. Der mit der laufenden Reform des Sexualstrafrechts geplante Ausbau der Strafbarkeit beruht auf einem Konzept, das ebenfalls dagegen spricht,
4.4.1. Der
4.4.2. Nach Abschluss des Vernehmlassungsverfahrens legte die RK-S am 17. Februar 2022 einen überarbeiteten Entwurf (E-StGB) vor. Dieser sieht keinen separaten Grundtatbestand für gegen den Willen erfolgende Handlungen mehr vor (Bericht S. 27 ff.). Stattdessen erfassen nun die ersten Absätze von Art. 189 (sexueller Übergriff) und Art. 190 (Vergewaltigung) E-StGB - als Grundtatbestände - jeweils sexuelle Handlungen, die gegen den Willen einer Person erfolgen, aber nicht mit nötigenden Mitteln durchgesetzt werden. Die zweiten Absätze enthalten qualifizierte Formen der Tatbegehung (Art. 189 Abs. 2 E-StGB: sexuelle Nötigung). Sie sind einschlägig, wenn eine Nötigung hinzutritt. Überraschende sexuelle Übergriffe, die bisher nicht (resp. nur als Übertretung) strafbar sind, sollen fortan unter den Grundtatbestand des sexuellen Übergriffs oder der Vergewaltigung fallen; auf eine besondere Erwähnung (wie noch in Art. 187a Abs. 1 VE-StGB) wird verzichtet (Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 32 f.).
Während die Vorlage der RK-S in den Grundtatbeständen jeweils eine Handlung "gegen den Willen einer Person" voraussetzt (Ablehnungslösung, "Nein heisst Nein"), soll nach der Kommissionsminderheit schon das Fehlen einer Einwilligung genügen (Zustimmungslösung, "Nur Ja heisst Ja"; Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 27 ff.; dazu PRUIN, a.a.O., S. 131 f., 146 und 153 ff.; SCHEIDEGGER, Revision des Sexualstrafrechts, S. 198 ff.). Eine Missachtung des Willens kann nach Auffassung der RK-S auch dann vorliegen, wenn das Opfer umständebedingt keine Gelegenheit hat, seinen entgegenstehenden Willen rechtzeitig zu äussern, so bei überraschenden Handlungen und beim Stealthing (Bericht vom 17. Februar 2022 S. 13 und 32 ff.). Unter dem Konzept der Ablehnungslösung muss also nicht unmittelbar auf den Übergriff reagiert werden; die Ablehnung kann aus einer vorgängigen Willensbekundung oder aus den Umständen abzuleiten und auch dann gegeben sein, wenn das (überraschte) Opfer keine Zeit hat, sich entsprechend zu äussern (vgl. HÖRNLE, a.a.O., S. 871) oder wenn es - wie beim Stealthing - zum Zeitpunkt des Übergriffs die tatbestandsmässige Situation nicht erkennt.
Die vorbereitende Kommission geht zunächst davon aus, Stealthing falle unter den Grundtatbestand der Vergewaltigung (gegen den Willen einer Person vollzogener "Beischlaf oder [...] beischlafsähnliche Handlung, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist"; Bericht RK-S vom 17. Februar 2022 S. 13 oben). Infrage kommt indessen auch ein sexueller Übergriff (vgl. a.a.O., S. 13 Ziff. 2.1). Die Normkonkurrenz zwischen den Artikeln 189 Abs. 1 und 190 Abs. 1 E-StGB ist anhand der Frage aufzulösen, ob der entgegenstehende Wille auch auf die Penetration als solche zu beziehen ist, obwohl diese nach Entfernung des Kondoms einvernehmlich bleibt. In E. 3.3 wurde festgehalten, dass Stealthingeine eigenständige Handlung im Sinn von Art. 191 StGB darstellt. Damit ist indessen noch nichts darüber gesagt, ob die Handlung gegen den Willen - wegen der grundsätzlichen Einvernehmlichkeit des Geschlechtsverkehrs - auf die abredewidrige Art des ohne Kondom fortgesetzten Verkehrs beschränkt ist (dann wäre der Tatbestand des sexuellen Übergriffs einschlägig) oder ob die tatbestandsmässige Handlung die Penetration einschliesst (womit auf eine Vergewaltigung im Grundtatbestand zu erkennen wäre).
4.4.3. Das Bestreben, die sexuelle Selbstbestimmung und Unversehrtheit strafrechtlich umfassender zu schützen, ist rechtspolitischer Natur. Mit Blick auf die Schranken, wie sie für eine gerichtliche Rechtsfortbildung zumal im Strafrecht gelten (oben E. 4.1), kann dieses Anliegen nicht zum Anlass genommen werden, in einem Fall von
4.5. Damit bleibt festzuhalten, dass Wehrlosigkeit im Sinn von Art. 191 StGB nach wie vor eine Situation meint, in der das Opfer infolge einer persönlichen Eigenschaft oder wegen eines vorübergehenden kognitiven oder physischen Schwächezustands dem Täter ausgeliefert ist. Ein solcher Zustand war bei der Privatklägerin nicht gegeben (vgl. TRECHSEL/BERTOSSA, in: Praxiskommentar, 4. Aufl. 2021, N 4 zu Art. 191 StGB; EL-GHAZI, a.a.O., S. 679; MEIER/HASHEMI, a.a.O., S. 122; SCHEIDEGGER, Das Sexualstrafrecht der Schweiz, Rz. 632). Die Täuschung des Beschwerdegegners liess sie irrtümlich glauben, der Geschlechtsverkehr erfolge durchgehend geschützt. Allein deshalb war ihr die Gelegenheit genommen, abwehrend zu reagieren. Entscheidend ist jedoch, dass die Fähigkeit zur Abwehr als solche intakt blieb.
Der Umstand, dass der Beschwerdegegner das Kondom während des Geschlechtsverkehrs abredewidrig entfernt und den Verkehr ohne das Wissen der Privatklägerin ungeschützt fortgesetzt haben soll, begründet mithin keine Widerstandsunfähigkeit im Sinn von Art. 191 StGB. Der vorinstanzliche Freispruch erweist sich im Ergebnis als rechtens.
5.
Nach Art. 198 StGB wird, wer jemanden tätlich sexuell belästigt, auf Antrag mit Busse bestraft. Diese Übertretungsstrafnorm der sexuellen Belästigung dient im geltenden Recht als Grund- resp. Auffangtatbestand, wenn es, wie hier, im Einzelfall an einer tatbestandsspezifischen Nötigungs- oder Missbrauchskomponente der nichtkonsensualen sexuellen Handlung fehlt (vgl. PRUIN, a.a.O., S. 143). Es ist angezeigt, das streitgegenständliche Verhalten des Beschwerdegegners unter diesem Titel formell und materiell zu prüfen (vgl. HANS WIPRÄCHTIGER, Neuer Tatbestand für sexuelle Handlungen ohne Konsens?, in: AJP 2020 S. 928; EL-GHAZI, a.a.O., S. 681 f.). Zu diesem Zweck ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 106 Abs. 1 und Art. 107 Abs. 2 BGG).
6.
Das angefochtene Urteil ist insoweit aufzuheben, als die Vorinstanz noch zu prüfen haben wird, ob sich der Beschwerdegegner der sexuellen Belästigung (Art. 198 StGB) schuldig gemacht hat. Hingegen ist der vorinstanzliche Freispruch vom Vorwurf der Schändung zu bestätigen.
7.
Da dem Beschwerdegegner die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt worden ist, sind ihm keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Auch dem Kanton Basel-Landschaft sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG), ebenso wenig der Beigeladenen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Kanton entschädigt den Beschwerdegegner angemessen für das bundesgerichtliche Verfahren (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Die Parteientschädigung ist praxisgemäss an den unentgeltlichen Rechtsvertreter auszubezahlen. Sie deckt den geltend gemachten Aufwand. Die zusätzliche Ausrichtung einer Entschädigung unter dem Titel der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung erübrigt sich daher.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Kantonsgerichts des Kantons Basel-Landschaft vom 6. Juni 2019 wird aufgehoben und die Sache zur ergänzenden Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
 
2.
 
Es werden keine Kosten erhoben.
 
3.
 
Der Kanton Basel-Landschaft hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdegegners, Advokat Reto Gantner, für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, B.________ und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 11. Mai 2022
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Der Gerichtsschreiber: Traub