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Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 6B_1318/2020 vom 19.05.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
6B_1318/2020
 
 
Urteil vom 19. Mai 2022
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichter Denys,
 
Bundesrichter Muschietti,
 
Bundesrichterin Koch,
 
Bundesrichter Hurni,
 
Gerichtsschreiberin Rohrer.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Jürg Waldmeier,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Landesverweisung (Art. 66a Abs. 2 StGB),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 21. Oktober 2020 (SST.2020.24).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Das Bezirksgericht Zofingen sprach A.________ mit Urteil vom 24. Oktober 2019 der sexuellen Handlungen mit einem Kind (Art. 187 Ziff. 1 StGB) schuldig. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungs- und Sicherheitshaft. Im Weiteren ordnete es eine ambulante Behandlung im Sinne von Art. 63 StGB an. Von einer Landesverweisung sah das Bezirksgericht Zofingen ab.
B.
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft und Anschlussberufung von A.________ bestätigte das Obergericht des Kantons Aargau am 21. Oktober 2020 das bezirksgerichtliche Urteil im Schuld- und im Strafpunkt. Sodann hielt es fest, dass die Anordnung der ambulanten Massnahme in Rechtskraft erwachsen sei. Die Untersuchungs- und Sicherheitshaft von 763 Tagen rechnete es auf die Freiheitsstrafe und die ambulante Massnahme an. Im Gegensatz zum Erstgericht verwies es A.________ zudem für acht Jahre des Landes.
C.
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, die Landesverweisung sei aufzuheben. Für die entstandene Überhaft sei er angemessen zu entschädigen. Ausserdem sei ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren.
Die Oberstaatsanwaltschaft und das Obergericht des Kantons Aargau verzichten unter Verweis auf das angefochtene Urteil auf eine Vernehmlassung.
Das Bundesgericht hat die Angelegenheit am 19. Mai 2022 in einer öffentlichen Sitzung beraten.
 
1.
Strittig ist zunächst die Landesverweisung.
1.1. Der Beschwerdeführer gibt zu seinen Lebensverhältnissen an, er lebe seit nunmehr 53 Jahren in der Schweiz. In dieser Zeit habe er immer gearbeitet und mit seinem Einkommen den Lebensunterhalt für sich und seine Familie bestritten. Zuvor sei er nie straffällig geworden. Sein Bruder und seine Schwester, zu denen er Kontakt pflege, würden in der Schweiz leben. Auch sein Sohn lebe hier, wobei er wegen familiären Differenzen den Kontakt zu diesem nicht mehr suche. Von seiner Ehefrau lebe er gerichtlich getrennt. Dennoch stünden sie in engem Kontakt zueinander. So habe die Ehefrau ihn beispielsweise an die vorinstanzliche Hauptverhandlung chauffiert und ihn während der zweijährigen Untersuchungs- und Sicherheitshaft wöchentlich besucht. Heute lebe die Ehefrau alleine in der Wohnung in U.________, die ihnen beiden gehöre. Er selbst habe in V.________ auf Vermittlung des Sozialamtes ein Zimmer zugewiesen erhalten. Die Ehefrau lebe zurückgezogen, während er sich regelmässig mit Kollegen treffe. Zur Heimat Italien bestünden nur noch schwache Verbindungen. Er habe keine Verwandten mehr dort; zu den Geschwistern der Ehefrau bestehe kein Kontakt.
Hinsichtlich des Vorliegens eines schweren persönlichen Härtefalls macht der Beschwerdeführer geltend, dass der vorinstanzliche Schluss, wonach ihn eine Rückkehr nach Italien nicht vor besondere Probleme stellen würde und in sozialer und kultureller Hinsicht eine Reintegration ohne Weiteres gelingen dürfte, schon wegen seines Alters (Jahrgang 1946), seiner Gebrechlichkeit und seiner psychischen Verfassung nicht zutreffe. In der Schweiz habe er sich beruflich und sozial integriert. Nach Italien dagegen käme er als Fremder. Die getrennt von ihm lebende Ehefrau würde ihm die ihr gehörende Liegenschaft in Italien nicht zur Verfügung stellen.
Was im Weiteren die öffentlichen Interessen an einer Landesverweisung betreffe, sei davon auszugehen, dass diese seine privaten Interessen an einem Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen würden. Der vom Gutachter in Erwägung gezogene Rückfallgefahr sei entgegenzuhalten, dass er aus seiner zwei Jahre dauernden Haft seine Schlüsse gezogen habe. Er werde sich künftig wohlverhalten. Dabei werde ihm auch die nach Eintritt der Rechtskraft des vorinstanzlichen Urteils durchzuführende ambulante Massnahme helfen.
Im Übrigen würde das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen, FZA; SR 0.142.112.681) einer Landesverweisung entgegenstehen.
 
Erwägung 1.2
 
1.2.1. Das Gericht verweist einen Ausländer, der wegen sexuellen Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 1 StGB) verurteilt wird, unabhängig von der Höhe der Strafe für 5-15 Jahre aus der Schweiz (Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB). Es kann ausnahmsweise von der Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer (1.) einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und (2.) die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren oder aufgewachsen sind (Art. 66a Abs. 2 StGB; sog. Härtefallklausel).
1.2.2. Die Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB dient der Umsetzung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV; BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 145 IV 364 E. 3.2; 144 IV 332 E. 3.1.2; je mit Hinweisen). Sie ist restriktiv anzuwenden (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.1 mit Hinweis). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist zur kriteriengeleiteten Prüfung des Härtefalls im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB der Kriterienkatalog der Bestimmung über den "schwerwiegenden persönlichen Härtefall" in Art. 31 Abs. 1 der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit vom 24. Oktober 2007 (VZAE; SR 142.201) heranzuziehen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.2; 144 IV 332 E. 3.3.2; je mit Hinweisen; Urteile 6B_305/2021 vom 28. April 2022 E. 4.3.2; 6B_149/2021 vom 3. Februar 2022 E. 2.3.2). Da die Landesverweisung strafrechtlicher Natur ist, sind auch strafrechtliche Elemente wie die Aussichten auf soziale Wiedereingliederung des Täters in die Interessenabwägung miteinzubeziehen (BGE 144 IV 332 E. 3.3.2 mit Hinweisen). Zu berücksichtigen sind namentlich der Grad der (persönlichen und wirtschaftlichen) Integration, einschliesslich familiäre Bindungen des Ausländers in der Schweiz bzw. in der Heimat, Aufenthaltsdauer und Resozialisierungschancen. Ebenso ist der Rückfallgefahr und wiederholten Delinquenz Rechnung zu tragen (BGE 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteile 6B_305/2021 vom 28. April 2022 E. 4.3.2; 6B_149/2021 vom 3. Februar 2022 E. 2.3.2).
Die Sachfrage entscheidet sich mithin in einer Interessenabwägung zwischen den persönlichen Interessen des Verurteilten an einem Verbleib in der Schweiz und den diesen entgegenstehenden "öffentlichen Interessen an der Landesverweisung". Nach der gesetzlichen Systematik ist die obligatorische Landesverweisung anzuordnen, wenn die Katalogtaten einen Schweregrad erreichen, sodass die Landesverweisung zur Wahrung der inneren Sicherheit notwendig erscheint. Diese Beurteilung lässt sich strafrechtlich nur in der Weise vornehmen, dass massgebend auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und die Legalprognose abgestellt wird (Urteile 6B_748/2021 vom 8. September 2021 E. 1.1.1; 6B_45/2020 vom 14. März 2022 E. 3.3.2; je mit Hinweisen).
1.2.3. Von einem schweren persönlichen Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB ist bei einem Eingriff von einer gewissen Tragweite in den Anspruch des Ausländers auf das in Art. 13 BV und Art. 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auszugehen (Urteile 6B_305/2021 vom 28. April 2022 E. 4.3.3; 6B_149/2021 vom 3. Februar 2022 E. 2.3.3; 6B_105/2021 vom 29. November 2021 E. 3.1; je mit Hinweisen). Art. 66a StGB ist EMRK-konform auszulegen. Die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel von Art. 66a Abs. 2 StGB hat sich daher an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren (BGE 145 IV 161 E. 3.4; Urteile 6B_305/2021 vom 28. April 2022 E. 4.3.3; 6B_149/2021 vom 3. Februar 2022 E. 2.3.4; 6B_1178/2019 vom 10. März 2021 E. 3.2.5, nicht publ. in: BGE 147 IV 340).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sind bei der Interessenabwägung im Rahmen von Art. 8 EMRK insbesondere Art sowie Schwere der Straftat, die Dauer des Aufenthalts im Aufnahmestaat, die seit der Tat verstrichene Zeit sowie das Verhalten des Betroffenen in dieser Zeit und der Umfang der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen im Aufnahme- sowie im Heimatstaat zu berücksichtigen (Urteil des EGMR in Sachen M.M. gegen die Sch weiz vom 8. Dezember 2020, Nr. 59006/18, §§ 49 ff.; Urteil des EGMR in Sachen I.M. gegen die Schweiz vom 9. April 2019, Nr. 23887/16, §§ 69 ff.; je mit Hinweisen; BGE 146 IV 105 E. 4.2; Urteil 6B_1178/2019 vom 10. März 2021 E. 3.2.5, nicht publ. in: BGE 147 IV 340). Die Konvention verlangt, dass die individuellen Interessen an der Erteilung beziehungsweise am Erhalt des Anwesenheitsrechts und die öffentlichen Interessen an dessen Verweigerung gegeneinander abgewogen werden (BGE 142 II 35 E. 6.1; Urteil 6B_780/2020 vom 2. Juni 2021 E. 1.3.3; je mit Hinweisen).
1.3. Der Beschwerdeführer, der italienischer Staatsangehöriger ist und über eine Niederlassungsbewilligung in der Schweiz verfügt (vgl. angefochtenes Urteil S. 52), bestreitet den vorinstanzlichen Schuldspruch der sexuellen Handlungen mit einem Kind im Sinne von Art. 187 Ziff. 1 StGB nicht. Damit liegt unbestrittenermassen eine Katalogtat für die Landesverweisung gemäss Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB vor. Insofern bleibt zu prüfen, ob vorliegend von einem schweren persönlichen Härtefall auszugehen ist und die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in der Schweiz das öffentliche Interesse an der Landesverweisung überwiegen, sodass im Sinne der Härtefallklausel (Art. 66a Abs. 2 StGB) ausnahmsweise von einer Landesverweisung abzusehen ist.
 
Erwägung 1.4
 
1.4.1. Zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils lebte der Beschwerdeführer seit rund 52 Jahren in der Schweiz (vgl. angefochtenes Urteil S. 51). Ob ein Härtefall vorliegt, entscheidet sich weder anhand von starren Altersvorgaben, noch führt eine bestimmte Anwesenheitsdauer automatisch zur Annahme eines Härtefalls. Die Härtefallprüfung ist vielmehr in jedem Fall anhand der gängigen Integrationskriterien vorzunehmen (BGE 146 IV 105 E. 3.4.4; 144 IV 332 E. 3.3.2; Urteile 6B_1428/2020 vom 19. April 2021 E. 2.6.1; 6B_1424/2019 vom 15. September 2020 E. 3.4.1; je mit Hinweisen). Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist eine längere Aufenthaltsdauer, zusammen mit einer guten Integration, jedoch in aller Regel als starkes Indiz für das Vorliegen von genügend starken privaten Interessen und damit für die Bejahung eines Härtefalls zu werten, wobei dem Betroffenen bei der allenfalls anschliessend vorzunehmenden Interessenabwägung mit zunehmender Anwesenheitsdauer ein gewichtigeres privates Interesse an einem Verbleib in der Schweiz zuzubilligen ist (BGE 146 IV 105 E. 3.4.4; Urteil 6B_249/2020 vom 27. Mai 2021 E. 5.2.3).
1.4.2. Die Vorinstanz hat die lange Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in der Schweiz anerkannt. Sie ist jedoch zum Schluss gelangt, dass dessen langjähriger Aufenthalt nicht zu einer tiefen Verwurzelung hierzulande geführt habe und hat mangels guter Integration des Beschwerdeführers einen Härtefall verneint. Die Vorinstanz hat das Vorliegen eines Härtefalls dabei zwar ausführlich geprüft. Indessen hat sie die für eine gelungene Integration des Beschwerdeführers sprechenden Umstände nicht hinreichend gewichtet bzw. diese teilweise unberücksichtigt gelassen.
1.4.3. Nach den für das Bundesgericht verbindlichen Sachverhaltsfeststellungen (Art. 105 Abs. 1 BGG) hat der Beschwerdeführer bis zu seiner Pensionierung immer gearbeitet und war stets finanziell unabhängig. Er war zu keinem Zeitpunkt arbeitslos, kann seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten und hat keine Schulden (vgl. angefochtenes Urteil S. 51 und S. 53). Seine berufliche und wirtschaftliche Integration ist damit als einwandfrei zu bewerten.
Was sein Familienleben betrifft, ist festzuhalten, dass er sich mit seiner Ehefrau in der Schweiz ein Leben aufgebaut und mit ihr zwei Kinder bekommen hat, von denen eines frühzeitig verstorben ist. Zwar hat sich der Beschwerdeführer im August 2020 nach über 50 Jahren des Zusammenlebens von seiner Ehefrau getrennt (vgl. angefochtenes Urteil S. 51 f.). Nichtsdestotrotz pflegen die beiden weiterhin Kontakt zueinander (vgl. angefochtenes Urteil S. 53). Die Beziehung zu seinem volljährigen, in der Schweiz lebenden Sohn hat der Beschwerdeführer aufgrund familiärer Differenzen zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils abgebrochen (vgl. angefochtenes Urteil S. 51 und 53). Mit seinem in W.________ lebenden Bruder steht er hingegen in Kontakt (vgl. angefochtenes Urteil S. 52). Der Beschwerdeführer verfügt in der Schweiz damit insgesamt nur über einen kleinen Familienkreis. Desgleichen gilt indessen auch für das Zielland Italien (vgl. angefochtenes Urteil S. 53), wobei aus dem angefochtenen Urteil nicht klar hervorgeht, welche verwandtschaftlichen Beziehungen von welcher Qualität dort vorhanden sein sollen.
Der Beschwerdeführer hat zusammen mit seiner Frau eine Eigentumswohnung in U.________ erworben, welche sie bis zur gerichtlichen Trennung im Jahr 2020 gemeinsam bewohnten (vgl. angefochtenes Urteil S. 51). Obschon er mit der sexuellen Handlung mit einem Kind eine schwere Straftat beging, ist ihm anzurechnen, dass er sich bis zu diesem Zeitpunkt strafrechtlich nichts zuschulden kommen liess (vgl. angefochtenes Urteil S. 52).
Mit der Vorinstanz negativ zu werten ist indessen die Tatsache, dass der seit Jahren in der Deutschschweiz lebende Beschwerdeführer die deutsche Sprache nicht gut beherrscht (vgl. angefochtenes Urteil S. 52 f.). Trotz dieses Defizits war der Beschwerdeführer in der Schweiz jedoch nicht sozial isoliert. So war er nach den vorinstanzlichen Feststellungen über 50 Jahre in das hiesige Berufsleben integriert, war Hausmeister in dem Gebäude in welchem er und seine Frau vor der Trennung gemeinsam wohnten und fungierte nach eigenen Angaben als Fussballschiedsrichter mit regelmässigen Einsätzen von ein- bis zweimal pro Woche (vgl. angefochtenes Urteil S. 51 f.). In seiner Freizeit widmet er sich seinem Garten und trifft sich mit aus Italien stammenden Kollegen gelegentlich zum Jassen (vgl. angefochtenes Urteil S. 52). Dass er auf der Beziehungsebene vor allem Verbindungen zu italienischen, in der Schweiz lebenden Landesleuten pflegt, vermag das Ausmass der sozialen Integration des Beschwerdeführers nicht entscheidend zu relativieren. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Beschwerdeführer versuchte, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erlangen (vgl. angefochtenes Urteil S. 52). Wenngleich er dabei an den schriftlichen Prüfungen gescheitert ist, lässt sich daraus ein deutlicher Zugehörigkeitswille zur Schweiz erkennen, was dem Beschwerdeführer zugutezuhalten ist. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann unter den dargelegten Umständen die soziale Integration des Beschwerdeführers nicht als ungenügend bezeichnet werden.
Unter Berücksichtigung der beispielhaften beruflichen und wirtschaftlichen Eingliederung und der als gelungen zu wertenden sozialen Integration, ist vorliegend insgesamt von einer guten Integration des Beschwerdeführers auszugehen.
1.4.4. Darüber hinaus liegen die Schwierigkeiten sozialer Art, denen sich der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Italien ausgesetzt sehen wird, auf der Hand. Es ist nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass er, wie die Vorinstanz festhält (vgl. angefochtenes Urteil S. 53) in Italien noch Fuss fassen könnte. Seine wirtschaftliche Existenz wäre angesichts der Rente und der tieferen Lebenskosten zwar nicht gefährdet. Desgleichen kann davon ausgegangen werden, dass die in der Beschwerde beiläufig vorgebrachten gesundheitlichen Probleme ("Gebrechlichkeit" und "psychische Verfassung") auch in Italien behandelt werden können. Hingegen fällt stark ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils bereits 74 Jahre alt war (vgl. angefochtenes Urteil S. 52) und den Grossteil seines Lebens in der Schweiz verbracht hat. Unter diesen Aspekten unterscheidet sich seine Lage erheblich von derjenigen anderer Betroffener mit ansonsten vergleichbaren Voraussetzungen.
1.4.5. Zusammenfassend handelt es sich beim Beschwerdeführer um einen im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils 74-jährigen, seit rund 52 Jahren in der Schweiz lebenden Ausländer, der sich hier berufliche wie auch wirtschaftlich perfekt integriert hat, soziale und familiäre Bindungen zu in der Schweiz ansässigen Personen aufweist und bis zur Begehung der im vorinstanzlichen Urteil beurteilten Straftat ein unbescholtenes Leben geführt hat. Unter diesen Umständen und angesichts der eher als gering zu wertenden Resozialisierungschancen in Italien kann dem vorinstanzlichen Schluss, es liege kein schwerer persönlicher Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB (1. Voraussetzung der Härtefallprüfung) vor, nicht gefolgt werden.
1.5. Folglich bedarf es einer Interessenabwägung gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB (2. Voraussetzung der Härtefallprüfung).
1.5.1. Die Vorinstanz erwägt im Zusammenhang mit dem öffentlichen Fernhalteinteresse, dass es sich bei den sexuellen Handlungen des Beschwerdeführers mit einem Kind um eine schwere Straftat handle. Es treffe ihn ein mittelschweres Tatverschulden. Sein Verhalten begründe eine schwere und gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Ordnung, auch wenn er nicht an einer Kernpädophilie, sondern an einer Störung der Sexualpräferenz leide. Nach Auffassung des Gutachters bestehe ein mittelgrosses Rückfallrisiko für gleichartige Delikte. Der Beschwerdeführer neige zu einer Bagatellisierung der Tat. Wenn er offenbar annehme, sein Verhalten sei zulässig, sofern es im Einverständnis der minderjährigen Person erfolge, sei dies mit der hiesigen Rechtsordnung unvereinbar. Das Rückfallrisiko könne im Rahmen der ambulanten Therapie zwar noch abnehmen. Angesichts der "verkrusteten" Vorstellungen des Beschwerdeführers sei aber kein schneller Therapiefortschritt zu erwarten. Vielmehr sei von einer mehrjährigen Behandlungsdauer auszugehen. Eine medikamentöse Behandlung, die das Rückfallrisiko möglicherweise beschleunigt senke, lehne der Beschwerdeführer ab. Insgesamt liege ein gewichtiges öffentliches Interesse an der Landesverweisung vor. Gleichzeitig sei dem Beschwerdeführer eine Reintegration in Italien in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht ohne Weiteres zumutbar. Die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung würden damit die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in der Schweiz überwiegen (vgl. angefochtenes Urteil S. 55 f.).
1.5.2. Das private Interesse des zum Zeitpunkt des angefochtenen Urteils 74-jährigen Beschwerdeführers, der sich seit Anfang zwanzig in der Schweiz aufhält und keinen engen Bezug mehr zu seinem Herkunftsland hat, ist beträchtlich. Dies gilt freilich auch für das öffentliche Interesse an der Landesverweisung, zumal sich der Beschwerdeführer einer schweren Straftat schuldig gemacht hat, die sich gegen ein unbedingt zu schützendes Rechtsgut richtete. Aus gutachterlicher Sicht besteht zudem ein mittelgrosses Rückfallrisiko, das mit einer Tendenz zur Bagatellisierung einhergeht. Indessen ist auch in diesem Zusammenhang neben dem fortgeschrittenen Alter und der (wenn auch nicht schwer) angeschlagenen Gesundheit zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer seit dem sexuellen Übergriff, der sich im April 2018 ereignet hat (vgl. angefochtenes Urteil S. 38), offenbar nichts mehr zuschulden kommen liess. Ausserdem stellt auch die Vorinstanz grundsätzlich auf die gutachterliche Einschätzung ab, wonach die Durchführung der im Strafurteil angeordneten ambulanten Massnahme das Rückfallrisiko günstig beeinflussen sollte. Ziel der Massnahme muss es gerade sein, die Einsicht des nicht an einer Kernpädophilie leidenden Beschwerdeführers in das Unrecht der Tat zu fördern und dessen "verkrustete" Vorstellungen aufzulösen. Sind erste Behandlungsziele erreicht, so besteht auch die Perspektive, dass der Beschwerdeführer sich medikamentös behandeln lässt. Diese Elemente relativieren die vorinstanzlich prognostizierte Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit so weit, dass das öffentliche Interesse das im vorliegenden Fall ausserordentlich grosse, private Interesse nicht mehr überwiegt.
1.6. Fällt die Interessenabwägung unter den konkreten Umständen zugunsten des Beschwerdeführers aus, so stellte sich die angeordnete Landesverweisung als unverhältnismässig dar. Die Voraussetzungen für ein ausnahmsweises Absehen von der Landesverweisung (Art. 66a Abs. 2 StGB) sind vorliegend erfüllt. Die vorinstanzliche Entscheidung bewegt sich in diesem Fall nicht mehr im Rahmen des sachgerichtlichen Ermessens. Sie ist insoweit aufzuheben.
Auf die Rüge, wonach das FZA einer Landesverweisung entgegenstehen würde, braucht damit nicht eingegangen zu werden.
 
Erwägung 2
 
2.1. Der Beschwerdeführer beansprucht im Weiteren eine Entschädigung für die erstandene Überhaft. Er bringt vor, er sei seit seiner Verhaftung am 1. Juni 2018 bis zur Entlassung am 2. Juli 2020 763 Tage in Untersuchungs- und Sicherheitshaft gewesen und vorinstanzlich zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden, womit eine 32-tägige, zu entschädigende Überhaft resultiere. Die Vorinstanz sei auf seinen Entschädigungsantrag jedoch nicht eingegangen und habe bloss festgehalten, die Frage sei in einem nachträglichen Verfahren nach Beendigung der ambulanten Massnahme zu entscheiden. Mit der rechtskräftigen ambulanten Massnahme sei bis anhin nicht begonnen und der kantonalen Vollzugsbehörde sei der Eintritt der diesbezüglichen Rechtskraft nicht mitgeteilt worden. Die Vorinstanz scheine der Ansicht zu sein, dass erst nach Abschluss der ambulanten Massnahme feststehen werde, ob diese ein freiheitsentziehendes Ausmass annehme. Davon sei aber nicht auszugehen.
2.2. Im Fall von Untersuchungs- und Sicherheitshaft besteht ein Anspruch auf angemessene Entschädigung und Genugtuung, wenn die zulässige Haftdauer überschritten ist und der übermässige Freiheitsentzug nicht an die wegen anderer Straftaten ausgesprochenen Sanktionen angerechnet werden kann (Art. 431 Abs. 2 StPO).
Die Untersuchungs- und Sicherheitshaft wird an die Freiheitsstrafe, unter Umständen aber auch an die ambulante Massnahme angerechnet. Die ambulante Massnahme ist soweit zu veranschlagen (vgl. Art. 63b Abs. 4 StGB), wie sie mit einer tatsächlichen Beschränkung der persönlichen Freiheit einhergeht. Von Bedeutung ist hierfür im Wesentlichen, mit welchem Zeit- und Kostenaufwand die Massnahme für den Betroffenen verbunden war. Wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit von ambulanter Massnahme und Strafvollzug kommt in der Regel nur eine beschränkte Anrechnung der ambulanten Behandlung infrage. Dem Gericht steht dabei ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Ein fester Umrechnungsmassstab besteht nicht (BGE 145 IV 359 E. 2.8 mit Hinweisen). Auf einen infolge Überhaft zustehenden Entschädigungsanspruch bezogen bedeutet dies, dass eine Genugtuung demnach nur in Frage kommen kann, wenn sich ex post zeigen sollte, dass die ausgesprochene Freiheitsstrafe plus das Gesamtmass des mit der ambulanten Behandlung einhergehenden Freiheitsentzugs von der Dauer her kürzer ist, als die erstandene Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft. Ist im Urteilszeitpunkt weder die Ausgestaltung noch die Dauer der angeordneten ambulanten Massnahme bekannt, ist die Frage, ob eine nach Art. 431 Abs. 2 StPO zu entschädigende Überhaft vorliegt, im Rahmen eines selbstständigen nachträglichen Verfahrens im Sinne von Art. 363 StPO zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich nach Ablauf der ambulanten Massnahme, zu beurteilen (Urteil 6B_375/2018 vom 12. August 2019 E. 2.9, nicht publ. in: BGE 145 IV 359).
2.3. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, weshalb davon auszugehen sei, dass die von der Erstinstanz rechtskräftig angeordnete ambulante Massnahme kein freiheitsentziehendes Ausmass annehmen werde. Die mit der ambulanten Massnahme einhergehende Freiheitsbeschränkung lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht bestimmen. Die Beurteilung des Entschädigungsanspruchs ist damit - wie die Vorinstanz zutreffend festhält - einem nachträglichen Verfahren (Art. 363 ff. StPO) vorbehalten. Die Rüge ist insofern unbegründet.
 
Erwägung 3
 
3.1. Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen.
3.2. Die Parteien werden im Umfang ihres Unterliegens grundsätzlich kosten- und entschädigungspflichtig (Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 sowie 2 BGG). Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. Soweit er obsiegt, wird das Gesuch gegenstandslos, soweit er unterliegt, ist es gutzuheissen, da von seiner Bedürftigkeit auszugehen ist und seine Beschwerde nicht von vornherein aussichtslos war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Dem Beschwerdeführer und dem Kanton Aargau sind keine Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 64 Abs. 1 und Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Aargau hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren im Umfang dessen Obsiegens eine angemessene Entschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Diese ist praxisgemäss seinem Rechtsvertreter auszurichten. Im Umfang des Unterliegens ist der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers aus der Bundesgerichtskasse zu entschädigen (Art. 64 Abs. 2 BGG). Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers reichte eine Honorarnote ein. Bei vollständigem Obsiegen beläuft sich die Entschädigung praxisgemäss auf Fr. 3'000.--. Es besteht keine Veranlassung, vom üblichen Ansatz abzuweichen.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 21. Oktober 2020 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist.
 
3.
 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
4.
 
Der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Jürg Waldmeier, wird aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 500.-- entschädigt.
 
5. Der Kanton Aargau hat Rechtsanwalt Jürg Waldmeier für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'500.-- zu bezahlen.
 
6.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 19. Mai 2022
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Die Gerichtsschreiberin: Rohrer