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BGer 6B_407/2022 vom 23.05.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
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6B_407/2022
 
 
Urteil vom 23. Mai 2022
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichter Rüedi,
 
Bundesrichter Hurni,
 
Gerichtsschreiber Matt.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Dioggstrasse 8, 8640 Rapperswil SG,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Sine Selman,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Revision eines Strafbefehls,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 14. Januar 2022 (ST.2021.88-SK3).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Mit in Rechtskraft erwachsenem Strafbefehl verurteilte das Untersuchungsamt Uznach A.________ am 28. Januar 2020 wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung zu einer bedingten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu Fr. 120.--.
 
B.
 
Am 14. Januar 2022 wies das Kantonsgericht St. Gallen ein Revisionsgesuch von A.________ ab. Sie hatte darin die Aufhebung des Strafbefehls und einen Freispruch verlangt.
 
C.
 
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, das Revisionsgesuch sei gutzuheissen und sie sei freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Untersuchungsamt zurückzuweisen.
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Wer durch ein rechtskräftiges Strafurteil beschwert ist, kann die Revision verlangen, wenn neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen oder neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch oder eine wesentlich mildere Bestrafung der verurteilten Person herbeizuführen (Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO). Revisionsrechtlich neu sind Tatsachen oder Beweismittel, wenn sie dem Gericht im Urteilszeitpunkt nicht bekannt waren (BGE 137 IV 59 E. 5.1.2). Sie müssen zudem erheblich sein. Dies ist der Fall, wenn sie geeignet sind, die tatsächlichen Feststellungen, auf die sich die Verurteilung stützt, zu erschüttern, und wenn die so veränderten Tatsachen einen deutlich günstigeren Entscheid zugunsten des Verurteilten ermöglichen (BGE 137 IV 59 E. 5.1.4; 130 IV 72 E. 1). Die Revision ist zuzulassen, wenn die Abänderung des früheren Urteils wahrscheinlich ist. Der Nachweis einer solchen Wahrscheinlichkeit darf nicht dadurch verunmöglicht werden, dass für die neue Tatsache ein Beweis verlangt wird, der jeden begründeten Zweifel ausschliesst (BGE 116 IV 353 E. 4e). Das Revisionsverfahren dient indes nicht dazu, rechtskräftige Entscheide erneut infrage zu stellen oder gesetzliche Vorschriften über die Rechtsmittelfristen bzw. die Zulässigkeit von neuen Tatsachen im Rechtsmittelverfahren zu umgehen oder frühere prozessuale Versäumnisse zu beheben (BGE 145 IV 197 E. 1.1; 130 IV 72 E. 2.2; 127 I 133 E. 6; je mit Hinweisen).
Ein Gesuch um Revision eines Strafbefehls muss als missbräuchlich qualifiziert werden, wenn es sich auf Tatsachen stützt, die der verurteilten Person von Anfang an bekannt waren, die sie ohne schützenswerten Grund verschwieg und die sie in einem ordentlichen Verfahren hätte geltend machen können, welches auf Einsprache hin eingeleitet worden wäre. Demgegenüber kann die Revision eines Strafbefehls in Betracht kommen wegen wichtiger Tatsachen oder Beweismittel, welche die verurteilte Person im Zeitpunkt des Erlasses des Strafbefehls nicht kannte, deren Geltendmachung für sie damals unmöglich war oder für deren Geltendmachung damals keine Veranlassung bestand (BGE 145 IV 197 E. 1.1 mit Hinweis; 130 IV 72 E. 2.3).
Ein neues Gutachten kann Anlass zur Wiederaufnahme geben, wenn es neue Tatsachen nachweist oder darzutun vermag, dass die tatsächlichen Annahmen im früheren Urteil ungenau oder falsch waren. Dabei kann es sich auch um ein Privatgutachten handeln. Ein neues Gutachten bildet noch keinen Revisionsgrund, soweit es lediglich eine vom früheren Gutachten abweichende Meinung vertritt. Es muss vielmehr mit überlegenen Gründen abweichen und klare Fehler des früheren Gutachtens aufzeigen, die geeignet sind, die Beweisgrundlage des Urteils zu erschüttern (Urteile 6B_1451/2019 vom 11. Juni 2020 E. 2.3; 6B_413/2016 vom 2. August 2016 E. 1.3.1 mit zahlreichen Hinweisen).
Rechtsfrage ist, ob die Vorinstanz von den richtigen Begriffen der "neuen Tatsache", des "neuen Beweismittels" und deren "Erheblichkeit" ausgegangen ist. Ob eine Tatsache oder ein Beweismittel neu ist, stellt eine Tatfrage dar. Ebenso, ob eine neue Tatsache oder ein neues Beweismittel geeignet ist, die tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils zu erschüttern. Rechtsfrage ist wiederum, ob die allfällige Veränderung der tatsächlichen Grundlagen zu einem für die verurteilte Person günstigeren Urteil führen kann (BGE 130 IV 72 E. 1 mit Hinweisen).
1.2. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 134 I 65 E. 1.3 mit Hinweisen). In der Beschwerdebegründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG), wobei für die Rüge der Verletzung von Grundrechten qualifizierte Begründungsanforderungen gelten (vgl. Art. 97 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Es ist auf die Motivation des Urteils einzugehen und daran die geltend gemachte Bundesrechtsverletzung im Einzelnen darzulegen. Auf ungenügend begründete Rügen oder bloss allgemein gehaltene appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 mit Hinweisen).
 
Erwägung 2
 
Im Strafbefehl wird der Beschwerdeführerin vorgeworfen, sie habe am 29. Januar 2019 einen Personenwagen in einen Kreisel gelenkt. Sie habe sich dem dortigen Fussgängerstreifen genähert, auf welchem sie keine Personen habe feststellen können. Kurzzeitig sei sie von der Sonne geblendet worden, weshalb sie eine Fussgängerin, die den Fussgängerstreifen von rechts betrat, nicht wahrgenommen habe. Es sei zu einem Zusammenstoss zwischen dem Personenwagen und der Fussgängerin gekommen. Dabei sei die Fussgängerin seitlich-frontal vom Personenwagen erfasst und etwa zwei Meter weiter vorne auf die Strasse geschleudert worden. Die Fussgängerin habe schwere Verletzungen erlitten. Die Beschwerdeführerin habe pflichtwidrig die Pflichten gegenüber Fussgängern gemäss Art. 33 Abs. 2 SVG verletzt, wonach vor Fussgängerstreifen besondere Vorsicht geboten ist. Es sei daher voraussehbar gewesen, dass es zu einer Kollision kommen könnte, was bei entsprechender Vorsicht vermeidbar gewesen wäre. Die objektiven und subjektiven Tatbestandselemente der Fahrlässigkeit seien erfüllt.
 
Erwägung 3
 
Die Beschwerdeführerin stellte bei der Vorinstanz ein Revisionsgesuch und legte ein unfallanalytisches Gutachten vom 15. April 2020 vor. Es war von ihrer Haftpflichtversicherung erstellt worden und basiert auf der Auswertung von Videoaufzeichnungen, welche die Polizei von Überwachungskameras an der Unfallstelle sichergestellt hatte. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass die Beschwerdeführerin mit einer Geschwindigkeit von 39 bis 43 km/h auf den Fussgängerstreifen zugefahren sei. Bei der Kollision habe die Geschwindigkeit 38 bis 42 km/h betragen. Der Kollisionspunkt habe ungefähr 1,3 Meter vom Strassenrand entfernt gelegen. Für diese Distanz habe die Fussgängerin 1,1 bis 1,3 Sekunden benötigt. Deutlich als Gefahr erkennbar sei sie für die Beschwerdeführerin aber erst rund 0,5 Sekunden später gewesen, nachdem sie zumindest mit einem Bein über dem Fussgängerstreifen gewesen sei. Das Fahrzeug der Beschwerdeführerin sei 0,8 Sekunden vor der Kollision noch 8,7 bis 9,6 Meter vom späteren Kollisionspunkt entfernt gewesen. Der Anhalteweg bei einer Geschwindigkeit von 40 km/h betrage bei einer Vollbremsung rund 17 Meter und bei einer üblichen Bremsung rund 30 Meter. Die Beschwerdeführerin habe deshalb keine Chance gehabt, die Kollision zu vermeiden. Das Gutachten hält weiter fest, dass die Kollision für die Fussgängerin vermeidbar gewesen wäre, wenn sie nach links geblickt und kurz abgewartet hätte.
 
Erwägung 4
 
4.1. Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird auf Antrag mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft (Art. 125 Abs. 1 StGB). Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt (Art. 125 Abs. 2 StGB).
Fahrlässig handelt, wer die Folge seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedenkt oder darauf nicht Rücksicht nimmt (Art. 12 Abs. 3 Satz 1 StGB). Pflichtwidrig ist die Unvorsichtigkeit, wenn der Täter die Vorsicht nicht beachtet, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet ist (Art. 12 Abs. 3 Satz 2 StGB) und wenn er zugleich die Grenzen des erlaubten Risikos überschritten hat. Wo besondere, der Unfallverhütung und der Sicherheit dienende Normen ein bestimmtes Verhalten gebieten, bestimmt sich das Mass der zu beachtenden Sorgfalt in erster Linie nach diesen Vorschriften (BGE 145 IV 154 E. 2.1; 143 IV 138 E. 2.1). Wo eine derartige Regelung fehlt, kann der Vorwurf der Fahrlässigkeit auch auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie den allgemeinen Gefahrensatz gestützt werden (BGE 106 IV 80 E. 4b; Urteile 6B_614/2020 vom 13. Oktober 2020 E. 2.2; 6B_1364/2019 vom 14. April 2020 E. 3.2.1).
Grundvoraussetzung für das Bestehen einer Sorgfaltspflichtverletzung und mithin für die Fahrlässigkeitshaftung bildet die Vorhersehbarkeit des Erfolgs. Die zum Erfolg führenden Geschehensabläufe müssen für den Täter mindestens in ihren wesentlichen Zügen voraussehbar sein. Zunächst ist zu fragen, ob der Täter eine Gefährdung der Rechtsgüter des Opfers hätte voraussehen oder erkennen können und müssen. Für die Beantwortung dieser Frage gilt der Massstab der Adäquanz. Sodann muss das Verhalten geeignet sein, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung einen Erfolg wie den eingetretenen herbeizuführen oder mindestens wesentlich zu begünstigen (BGE 142 IV 237 E. 1.5.2; 135 IV 56 E. 2.1). Die Adäquanz ist zu verneinen, wenn ganz aussergewöhnliche Umstände, wie das Mitverschulden des Opfers oder eines Dritten, oder Material- oder Konstruktionsfehler als Mitursache hinzutreten, und wenn damit schlechthin nicht gerechnet werden musste. Die Mitursache muss derart schwer wiegen, dass sie als wahrscheinlichste und unmittelbare Ursache des Erfolgs erscheint und so alle anderen ursächlichen Faktoren, namentlich das Verhalten der beschuldigten Person, in den Hintergrund drängt (BGE 135 IV 56 E. 2.1 mit Hinweisen).
4.2. Im Strassenverkehr richtet sich der Umfang der zu beachtenden Sorgfalt nach den Bestimmungen des Strassenverkehrsgesetzes und der dazu gehörenden Verordnungen. Gemäss Art. 31 Abs. 1 SVG hat der Lenker sein Fahrzeug ständig so zu beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Er muss jederzeit in der Lage sein, auf die jeweils erforderliche Weise auf das Fahrzeug einzuwirken und auf jede Gefahr ohne Zeitverlust zweckmässig zu reagieren. Er muss seine Aufmerksamkeit der Strasse und dem Verkehr zuwenden (Art. 3 Abs. 1 VRV). Das Mass der Aufmerksamkeit, das vom Fahrzeuglenker verlangt wird, beurteilt sich nach den gesamten Umständen, namentlich der Verkehrsdichte, den örtlichen Verhältnissen, der Zeit, der Sicht und den voraussehbaren Gefahrenquellen. Wenn er sein Augenmerk im Wesentlichen auf bestimmte Stellen zu richten hat, kann ihm für andere eine geringere Aufmerksamkeit zugebilligt werden (BGE 129 IV 282 E. 2.2.1; 127 II 302 E. 3c; je mit Hinweisen).
Art. 33 SVG regelt die Pflichten des Fahrzeuglenkers gegenüber Fussgängern. Danach ist den Fussgängern das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen (Abs. 1). Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriff sind, ihn zu betreten (Abs. 2). Diese Regelung wird in Art. 6 Abs. 1 VRV konkretisiert, wonach der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung jedem Fussgänger den Vortritt gewähren muss, der sich bereits auf dem Streifen befindet oder davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn überqueren will. Er muss die Geschwindigkeit rechtzeitig mässigen und nötigenfalls anhalten, damit er dieser Pflicht nachkommen kann (vgl. auch Art. 49 Abs. 2 SVG und Art. 47 VRV). Der Fahrzeuglenker hat, wenn er sich einem Fussgängerstreifen nähert, beide Fahrbahnen und Trottoirseiten zu beobachten (vgl. BGE 129 IV 39 E. 2.2). Er muss Sicht auf die gesamte Strasse und den Gehsteig in der Nähe des Fussgängerstreifens haben und hat, sofern dies nicht der Fall ist, die Geschwindigkeit so zu reduzieren, dass er jederzeit bei auftauchenden Fussgängern anhalten kann (Urteile 6B_262/2016 vom 6. Januar 2017 E. 3.2.2; 6B_493/2011 vom 12. Dezember 2011 E. 4.2.1 mit Hinweisen). Seine Sorgfaltspflicht wird nicht dadurch aufgehoben, dass ein Fussgänger die Strasse regelwidrig knapp neben dem Fussgängerstreifen betritt (Urteil 6B_922/2008 vom 2. April 2009 E. 3.3.3 und 3.4 mit Hinweisen).
 
Erwägung 5
 
Die Vorinstanz erwägt, das mit dem Revisionsgesuch vorgelegte unfallanalytische Gutachten könne höchstens belegen, dass der Unfall bei einer Geschwindigkeit von 39 bis 43 km/h unvermeidbar gewesen sei. Die Sorgfaltspflicht der Beschwerdeführerin habe sich aber nicht darauf beschränkt, dem Fussgängerstreifen die gebotene Aufmerksamkeit zu widmen. Angesichts der Umstände hätte sie die Geschwindigkeit reduzieren und nötigenfalls sogar anhalten müssen. Die Aussage des Gutachtens, dass der Unfall unvermeidbar gewesen sei, stehe unter der Prämisse, dass die Beschwerdeführerin mit angemessener Geschwindigkeit gefahren sei. Die Vorinstanz hebt hervor, dass die Beschwerdeführerin ihre Geschwindigkeit in der polizeilichen Befragung auf 10 bis 30 km/h geschätzt habe. Angesichts der örtlichen Verhältnisse sei eine Geschwindigkeit von 39 km/h offenkundig zu hoch gewesen. Aus Sicht der Beschwerdeführerin grenze der Fussgängerstreifen nämlich rechts an das Trottoir unmittelbar beim Ausgang eines Einkaufszentrums. Der Fussgängerstreifen sei daher stark frequentiert. Zudem steuerten ihn die Fussgänger direkt vom Ausgang des Einkaufszentrums an. Der Weg vom Ausgang zum Fussgängerstreifen betrage nur wenige Meter. Die Sicht auf diesen Bereich werde in Fahrtrichtung der Beschwerdeführerin ausserdem durch rechtsseitige Parkfelder behindert. Bei diesen örtlichen Verhältnissen könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Fussgänger nur sehr kurze Zeit sichtbar sei, wenn er das Einkaufszentrum eiligen Schrittes verlasse und unvermittelt den Fussgängerstreifen betrete. Das Gutachten gehe sogar davon aus, dass die Beschwerdeführerin die Fussgängerin erst als Gefahr erkennen konnte, als diese bereits ein Bein über dem Fussgängerstreifen hatte. Ob dies zutrifft, lässt die Vorinstanz offen. Auf jeden Fall hätte von der ortskundigen Beschwerdeführerin erwartet werden dürfen, dass sie die Geschwindigkeit vor dem Fussgängerstreifen deutlich reduziert, unter Umständen sogar anhält, um sich zu vergewissern, dass kein Fussgänger die Fahrbahn betritt. Dies gelte umso mehr, da die Lichtverhältnisse zur Zeit des Unfalls schwierig waren. Das Gutachten halte fest, dass die Beschwerdeführerin wahrscheinlich Probleme mit der Adaption hatte, weil die Fahrbahn im Sonnenlicht und die Fussgängerin im Schatten gewesen sei. Gemäss Vorinstanz hätte die Beschwerdeführerin daher umso vorsichtiger sein müssen. Das Gutachten könne die Beschwerdeführerin deshalb strafrechtlich nicht entlasten. Mit der ermittelten Geschwindigkeit von 39 km/h oder mehr belege es im Gegenteil, dass die Beschwerdeführerin ihren Vorsichtspflichten nicht nachgekommen sei.
 
Erwägung 6
 
Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, verfängt nicht.
6.1. Die Beschwerdeführerin bezeichnet den Vorwurf, sie sei zu schnell gefahren, als willkürlich, weil die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der fraglichen Strecke 50 km/h betrage. Zudem kritisiert sie, dass die Vorinstanz von schlechter Sicht ausgeht.
Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Offensichtlich unrichtig ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 143 IV 241 E. 2.3.1). Willkür liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 143 IV 241 E. 2.3.2; 141 IV 305 E. 1.2). Eine entsprechende Rüge muss explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf eine rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 142 III 364 E. 2.4).
Diesen Begründungsanforderungen genügt die Beschwerdeführerin nicht, weshalb auf ihre Rüge nicht einzutreten ist. Die Vorinstanz begründet überzeugend, weshalb sie die von der Beschwerdeführerin gefahrene Geschwindigkeit unter den gegebenen Umständen, namentlich den örtlichen Verhältnissen und den Sichtverhältnissen, als zu schnell beurteilt. Dass die Beschwerdeführerin die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der fraglichen Strecke nicht überschritt, ändert nichts. Sie bringt auch nichts vor, was die vorinstanzliche Annahme von schlechter Sicht als willkürlich erscheinen liesse.
6.2. Die Beschwerdeführerin macht geltend, das Untersuchungsamt habe ihr im Strafbefehl vorgeworfen, sie habe dem Fussgängerstreifen nicht die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Dass sie zu schnell gefahren sei, habe ihr niemand zum Vorwurf gemacht. Das Untersuchungsamt sei davon ausgegangen, dass der Unfall bei der gefahrenen Geschwindigkeit vermeidbar gewesen wäre, während das Gutachten das Gegenteil belege. Geht es nach der Beschwerdeführerin, dann darf die Vorinstanz nicht annehmen, sie sei zu schnell gefahren. Denn damit werde ein neuer Vorwurf erhoben.
Dem kann nicht gefolgt werden. Im Gutachten wurde neu ermittelt, dass die Geschwindigkeit beim Unfall rund 40 km/h betrug. Die Beschwerdeführerin will, dass diese Geschwindigkeit gilt, wenn beurteilt wird, ob sie die Kollision vermeiden hätte können. Hingegen wehrt sie sich gegen die Unterstellung dieser Geschwindigkeit, wenn es um die Frage geht, ob sie zu schnell unterwegs war. Dies ist nicht möglich. Man kann nicht wahlweise auf die neue Tatsache abstellen und dann wieder nicht.
6.3. Die Rügen der Beschwerdeführerin gehen auch fehl, soweit sie das Anklageprinzip anruft. Dass die Vorinstanz in die Rolle der Anklägerin schlüpft, kann nicht gesagt werden. Auch kann keine Rede davon sein, dass sie den Anklagesachverhalt in unzulässiger Weise erweitert hätte. Die Vorinstanz beantwortet nur, ob das Gutachten erheblich im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO ist. Dass sie dabei konsequent auf die neu ermittelte Geschwindigkeit abstellt, ist folgerichtig (vgl. E. 6.2 hiervor).
Ohnehin kommt dem Anklageprinzip im Revisionsverfahren nicht die von der Beschwerdeführerin unterstellte Bedeutung zu. Die Beschwerdeführerin übersieht den Ablauf des Revisionsverfahrens: Erachtet das Berufungsgericht die geltend gemachten Revisionsgründe als gegeben, so hebt es den angefochtenen Entscheid gemäss Art. 413 Abs. 2 StPO ganz oder teilweise auf und weist die Sache an die von ihm bezeichnete Behörde zur neuen Behandlung und Beurteilung zurück (lit. a); oder fällt selber einen neuen Entscheid, sofern es die Aktenlage erlaubt (lit. b). Vorliegend wäre angesichts der Aktenlage nur eine Rückweisung an das Untersuchungsamt denkbar. Dieses hätte dann zu entscheiden, ob eine neue Anklage zu erheben, ein Strafbefehl zu erlassen oder das Verfahren einzustellen ist (Art. 414 Abs. 1 StPO). Dabei wäre es freilich an keine Anklage gebunden. Denn der Strafbefehl gilt frühestens im erstinstanzlichen Hauptverfahren als Anklageschrift, wenn nach einer Einsprache daran festgehalten wird (Art. 356 Abs. 1 Satz 2 StPO).
6.4. Schliesslich beanstandet die Beschwerdeführerin, dass die Vorinstanz kein kausalitätsunterbrechendes Selbstverschulden des Unfallopfers annimmt.
Die Rüge ist unbegründet. Die Vorinstanz setzt sich damit auseinander, dass das Gutachten der Fussgängerin die Schuld am Unfall zuweist, weil sie nach links blicken und kurz abwarten hätte müssen. Allerdings weist die Vorinstanz zutreffend darauf hin, dass das Strafrecht keine Schuldkompensation kennt (BGE 106 IV 58 E. 1; vgl. etwa Urteile 6B_735/2020 vom 18. August 2021 E. 3.6; 6B_820/2015 vom 16. Oktober 2015 E. 3.4; 6B_286/2013 vom 14. Oktober 2013 E. 1.5; je mit Hinweis). Die Vorinstanz durfte bei der Prüfung der Erheblichkeit des Gutachtens ohne Weiteres davon ausgehen, dass das Verhalten der Fussgängerin nicht so ungewöhnlich war, dass die Beschwerdeführerin überhaupt nicht hätte damit rechnen müssen (zur Adäquanz BGE 135 IV 56 E. 2.1 mit Hinweisen).
 
Erwägung 7
 
Nach dem Gesagten ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz dem Gutachten die Erheblichkeit im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO abspricht.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 23. Mai 2022
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Der Gerichtsschreiber: Matt