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Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 9C_51/2022 vom 02.06.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
9C_51/2022
 
 
Urteil vom 2. Juni 2022
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Parrino, Präsident,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
nebenamtliche Bundesrichterin Bechaalany,
 
Gerichtsschreiberin Nünlist.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Advokatin Monica Armesto,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Pensionskasse Kaminfeger,
 
vertreten durch Advokatin Yolanda Müller,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Berufliche Vorsorge,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 2. September 2021
 
(735 20 283 / 238).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Der 1986 geborene A.________, gelernter Kaminfeger, arbeitete nach seiner 2006 abgeschlossenen Lehre bis 2011 bei verschiedenen Arbeitgebern, zuletzt von März 2010 bis Februar 2011 bei der B.________ AG, und von März 2011 bis Juni 2011 bei C.________. Im Rahmen dieser beiden Arbeitsverhältnisse war er bei der Pensionskasse Kaminfeger vorsorgeversichert. Ab Juli 2011 bezog der Versicherte eine Arbeitslosenentschädigung.
Im März 2012 meldete sich A.________ unter Hinweis auf ein ADHS, bestehend seit Geburt, bei der Eidgenössischen Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Es folgten Abklärungen seitens der IV-Stelle des Kantons Aargau. Am 27. September 2012 erstattete Dr. med. D.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, ein Gutachten. Darin diagnostizierte er eine Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen bei Verdacht auf perinatale Hirnschädigung mit psychomotorischer und sprachlicher Entwicklungsverzögerung und Teilleistungsschwächen. Differenzialdiagnostisch schloss er auf eine mindestens akzentuierte Persönlichkeit (Differenzialdiagnose Persönlichkeitsstörung) mit emotional instabilen und sensitiven Anteilen. Der Experte ging von einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit in der freien Wirtschaft aus. Zum Beginn und Verlauf der verminderten Arbeitsfähigkeit führte er aus, die Störung bestehe seit Kindheit und Jugend, sie sei "spätestens seit Juni 2011 (letzter Arbeitsplatzverlust) " ausgewiesen. Auf dieser Grundlage sprach die IV-Stelle A.________ mit Verfügung vom 9. Januar 2013 rückwirkend ab 1. September 2012 eine ganze Invalidenrente zu.
B.
Am 4. August 2020 erhob der Versicherte gegen die Pensionskasse Kaminfeger Klage und beantragte, die Beklagte sei zu verpflichten, ihm mit Wirkung ab dem 1. Juli 2012 jährliche BVG-Invalidenrentenleistungen von Fr. 16'256.-, entsprechend einer Rente bei einem Invaliditätsgrad von 100 %, zuzüglich Zins zu 5 % seit dem 17. Juli 2016 auszurichten. Die Klage wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Urteil vom 2. September 2021 ab.
C.
A.________ lässt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sein vorinstanzliches Rechtsbegehren erneuern. Eventualiter ersucht er um Feststellung, dass die Beschwerdegegnerin grundsätzlich leistungspflichtig sei, und Rückweisung der Angelegenheit an das kantonale Gericht zur Festlegung der Höhe der Invalidenrenten.
 
1.
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
Erwägung 2
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob Bundesrecht verletzt wurde, indem das kantonale Gericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf Invalidenleistungen gegenüber der Beschwerdegegnerin verneint hat.
2.2.
2.2.1. Die für die Beurteilung der Streitsache massgeblichen rechtlichen Grundlagen wurden im angefochtenen Urteil zutreffend wiedergegeben. Es betrifft dies insbesondere die Voraussetzungen, nach welchen gemäss Art. 23 lit. a und lit. b BVG Anspruch auf Invalidenleistungen der beruflichen Vorsorge besteht (Urteile 9C_333/2018 vom 25. Januar 2019 E. 6.2.1, 9C_536/2012 vom 28. Dezember 2012 E. 2.1.3), und die Erwägungen zur Beweiskraft von medizinischen Unterlagen (BGE 125 V 351 E. 3a, vgl. auch E. 3b/bb).
2.2.2. Zu beachten gilt es zudem, dass entscheidungserhebliche Feststellungen der Vorinstanz zur Art des Gesundheitsschadens und zur Arbeitsfähigkeit, die Ergebnis einer Beweiswürdigung sind, das Bundesgericht binden, soweit sie nicht offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 BGG sowie Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2). Dies gilt auch für den Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (SVR 2008 BVG Nr. 31 S. 126, 9C_182/2007 E. 4.1.1). Frei überprüfbare Rechtsfragen sind dagegen die Missachtung der Anforderungen an die Beweiskraft ärztlicher Berichte und Gutachten (Urteil 9C_899/2017 vom 9. Mai 2018 E. 2.1 mit Hinweisen) sowie die Frage, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über den Zeitpunkt des Eintritts einer rechtserheblichen Arbeitsunfähigkeit erfolgt (Urteil 9C_772/2014 vom 28. April 2015 E. 4.3).
 
Erwägung 3
 
3.1. Das kantonale Gericht hat eine Bindungswirkung an die Feststellung der IV-Stelle betreffend Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zu Recht verneint. Es ist in diagnostischer Hinsicht dem Gutachten von Dr. med. D.________ vom 27. September 2012 gefolgt. Den Anspruch des Beschwerdeführers auf Invalidenleistungen gegenüber der Beschwerdegegnerin hat es dann jedoch mit der Begründung verneint, dass weder aussagekräftige (echtzeitliche) medizinische Stellungnahmen zu einer relevanten Veränderung der Arbeitsfähigkeit im Sinne der Art. 23 lit. a oder lit. b BVG während der Versicherungsdauer bei der Beschwerdegegnerin vorlägen, noch konkrete Anhaltspunkte bestünden, dass der Verlust oder eine Veränderung des allenfalls schon früher teilweise eingeschränkten Leistungsvermögens während der Anstellungen des Beschwerdeführers bei der B.________ AG und bei C.________ arbeitsrechtlich in Erscheinung getreten seien. Es hat in antizipierter Beweiswürdigung auf weitere medizinische Abklärungen verzichtet und darauf geschlossen, dass die Folgen der Beweislosigkeit vom Beschwerdeführer zu tragen seien.
 
Erwägung 3.2
 
3.2.1. Vorweg ist festzuhalten, dass auf unsubstanziierte Vorbringen respektive Anträge (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) sowie unzulässige, rein appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil (vgl. BGE 144 V 50 E. 4.2 mit Hinweisen) nicht weiter einzugehen ist.
3.2.2. Sodann verkennt der Beschwerdeführer, dass die Vorinstanz den Widerspruch im Gutachten von Dr. med. D.________ nicht grundsätzlich darin gesehen hat, dass einerseits die Gesundheitsstörung seit der Kindheit und Jugend bestehen soll, eine (100%ige) Arbeitsunfähigkeit jedoch erst ab Verlust des letzten Arbeitsplatzes im Jahre 2011 eingetreten sein soll. Vielmehr hat das kantonale Gericht als diskrepant beurteilt, dass der Experte auf der einen Seite von einer seit Kindheit und Jugend bestehenden Störung ohne wesentliche Veränderungen des Gesundheitszustandes im Sinne einer einschneidenden Verbesserung oder richtungsgebenden Verschlechterung im Verlauf sprach und dann jedoch im Zusammenhang mit dem Beginn und Verlauf der verminderten Arbeitsfähigkeit von "spätestens seit Juni 2011" ausging (vgl. vorinstanzliche Erwägung 4.3.3 S. 8). Dass bei im Wesentlichen unveränderter Gesundheitsstörung im Jahre 2011 unvermittelt eine vollständige Arbeitsunfähigkeit eingetreten sein soll, erscheint tatsächlich nicht nachvollziehbar. Weiterungen erübrigen sich.
3.2.3. Die Vorinstanz hat sodann erwogen, dass keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass der Verlust oder eine Veränderung des allenfalls schon früher teilweise eingeschränkten Leistungsvermögens während der Anstellung bei C.________ arbeitsrechtlich in Erscheinung getreten seien (vorinstanzliche Erwägung 4.6.2 S. 10). Inwiefern diese, auf einer konkreten Beweiswürdigung beruhende Schlussfolgerung offensichtlich unrichtig sein oder das Ergebnis einer Rechtsverletzung darstellen soll (E. 1 und 2.2.2 hiervor), ist nicht ersichtlich:
Der Beschwerdeführer scheint zu verkennen, dass es nicht genügt, wenn sich die zwischenmenschlichen Probleme im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zeigten. Sie müssen sich vielmehr im Sinne einer nachgewiesenen und damit dem Arbeitgeber aufgefallenen Einbusse an funktionalem Leistungsvermögen konkret nachteilig bemerkbar gemacht haben. Dies wird auch bei Persönlichkeitsstörungen (vorliegend zumindest Differenzialdiagnose) vorausgesetzt (vgl. Urteil 9C_49/2010 vom 23. Februar 2010 E. 2.2; siehe auch Urteil 9C_51/2020 vom 17. November 2020) und ist daher auch hier zu verlangen. In diesem Zusammenhang hat die Vorinstanz insbesondere auf die Bestätigung von C.________ vom 19. Mai 2012 hingewiesen, wonach der Beschwerdeführer bei ihm zu 100 % gearbeitet hatte und der Vorgesetzte keinen Grund hatte feststellen können, weshalb er nicht arbeitsfähig gewesen sein soll (vorinstanzliche Erwägung 4.6.2 S. 10). Dass die Chemie zwischen ihm und dem Beschwerdeführer Probleme bereitete, ist dabei nicht entscheidend. Denn offensichtlich war der Beschwerdeführer in der Lage, seine (zweifellos bereits damals vorhandenen) Defizite zu kompensieren, so dass es zu keinen nachgewiesenen Leistungseinbussen kam. Er arbeitete ab März 2011 bei C.________ und kündigte das Arbeitsverhältnis am 30. Mai 2011 per 30. Juni 2011 selbst. Somit war er während drei Monaten angestellt, ohne dass er entlassen worden wäre. Dieser Umstand wiederum bildet ein gewichtiges Indiz dafür, dass der Beschwerdeführer trotz der bestehenden Probleme für seinen Vorgesetzten tragbar war.
Objektive Hinweise auf eine Akzentuierung der psychischen Störung im Verlauf (vor allem während der Dauer der Versicherungsdeckung durch die Beschwerdegegnerin) werden schliesslich weder substanziiert noch sind solche - insbesondere in den Beschreibungen von Dr. med. D.________ - zu erkennen. So ging der Experte von einem seit Kindheit und Jugend im Wesentlichen unveränderten Gesundheitszustand aus (vgl. E. 3.2.2 hiervor). Damit erübrigen sich Weiterungen.
3.2.4. Zusammenfassend lassen die Einwendungen des Beschwerdeführers weder die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen als offensichtlich unrichtig, als Ergebnis willkürlicher Beweiswürdigung oder als rechtsfehlerhaft nach Art. 95 BGG erscheinen, noch zeigen sie sonst wie eine Bundesrechtsverletzung auf.
4.
Dem Prozessausgang entsprechend gehen die Gerichtskosten zu Lasten des Beschwerdeführers (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Der obsiegenden Pensionskasse steht keine Parteientschädigung zu (Art. 68 Abs. 3 BGG).
Demnach erkennt das Bundesgericht:
1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
Luzern, 2. Juni 2022
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Der Präsident: Parrino
Die Gerichtsschreiberin: Nünlist