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Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 9C_150/2022 vom 15.06.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
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9C_150/2022
 
 
Urteil vom 15. Juni 2022
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Parrino, Präsident,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiber Traub.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Barbara Wyler,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle des Kantons Zürich,
 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 18. Januar 2022 (IV.2020.00778).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Der als selbständiger Fassadenisolateur tätig gewesene A.________ (geb. 1962) meldete sich am 9. September 2013 unter Hinweis auf psychische Beeinträchtigungen sowie auf Einschränkungen im Bereich des Knies, des Rückens, der Schulter und des Handgelenks bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle holte bei Dr. B.________ und Dr. C.________ ein bidisziplinäres (psychiatrisch-rheumatologisches) Gutachten vom 11./13. Oktober 2014 ein. Da die Verwaltung die Schlussfolgerungen im psychiatrischen Teilgutachten nicht nachvollziehen konnte, liess sie den Versicherten durch den Psychiater Dr. D.________ erneut begutachten (Expertise vom 10. September 2015, ergänzende Stellungnahmen vom 29. Februar und 10. August 2016). Mit Verfügung vom 20. September 2018 verneinte die IV-Stelle den Leistungsanspruch.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich bestätigte diese Verfügung (Urteil vom 18. Mai 2020). Das Bundesgericht hiess die dagegen erhobene Beschwerde teilweise gut und wies die Sache zur weiteren Abklärung und neuen Entscheidung an das kantonale Gericht zurück (Urteil 9C_455/2020 vom 15. Oktober 2020).
B.
Das kantonale Gericht holte ein Gutachten des Psychiaters Dr. E.________ vom 31. Oktober 2021 ein und führte einen Schriftenwechsel durch. Es wies die Beschwerde erneut ab (Urteil vom 18. Januar 2022).
C.
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten. Er beantragt, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und es sei ihm mit Wirkung ab September 2014 eine Invalidenrente auszurichten. Die Sache sei (eventuell) zu weiteren Abklärungen an die IV-Stelle zurückzuweisen; es sei eine Expertise zu Fragen der Arbeitsunfähigkeit einzuholen.
 
1.
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung auf entsprechende Rüge hin oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig (d.h. willkürlich) ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinn von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 145 V 57 E. 4).
2.
2.1. Die Vorinstanz hat u.a. gestützt auf das psychiatrische Gerichtsgutachten des Dr. E.________ vom 31. Oktober 2021 mit einlässlicher Begründung festgestellt, der Beschwerdeführer sei seit April 2013 überwiegend wahrscheinlich uneingeschränkt arbeitsfähig, weshalb ihm die Invalidenversicherung keine Leistungen schulde (angefochtenes Urteil, E. 3-5 S. 7 ff.).
2.2. Der Beschwerdeführer erinnert daran, das Bundesgericht habe die Sache an das kantonale Gericht zurückgewiesen, weil dieses in seinem vorigen Entscheid vom 18. Mai 2020 auf ein psychiatrisches Administrativgutachten des Dr. D.________ abgestellt habe, das keine schlüssige Beurteilung der Arbeitsfähigkeit erlaube. Das aufgrund dieses Rückweisungsentscheids eingeholte Gerichtsgutachten des Dr. E.________ weise seinerseits unheilbare Mängel auf; es werde den Qualitätsanforderungen nicht gerecht. Nicht nachvollziehbar sei, dass der Gerichtsgutachter das (zweifach ergänzte) psychiatrische Gutachten von Dr. D.________ als Quelle seiner medizinischen Überlegungen und Diagnosen aufführe und er sich zudem für seine Schlussfolgerungen sehr stark auf dieses Vorgutachten berufe. Dies vertrage sich nicht mit dem bundesgerichtlichen Rückweisungsentscheid.
Ein Auszug der einschlägigen Vorakten, darunter namentlich des medizinischen Dossiers, gehört zu den notwendigen Bestandteilen einer Expertise. Zum Vorwurf, das Gerichtsgutachten stütze sich auf nicht beweiswertige Schlussfolgerungen eines Vorgutachtens, äussert sich bereits die Vorinstanz. Sie erwägt, die Rüge, der Gerichtsgutachter mache sich die Auffassung von Dr. D.________ zu eigen, sei vor dem Hintergrund der umfassenden Anamnese und Befunderhebung haltlos. Die Notwendigkeit, sich mit der Einschätzung von Dr. D.________ auseinanderzusetzen, habe sich bereits aus dem Gutachtensauftrag ergeben; dies sei auch erforderlich gewesen, um die Fragen zur Entwicklung des Gesundheitszustands und der Arbeitsfähigkeit beantworten zu können (angefochtenes Urteil, S. 11 f. E. 4.2.2).
Mit diesen Argumenten der Vorinstanz setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander. Insoweit kann auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werden (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 140 III 86 E. 2). Im Übrigen bleibt festzuhalten, dass das Gerichtsgutachten auf einer vollständigen Eigenbeurteilung des Sachverständigen beruht (vgl. dazu S. 21-39 des Gutachtens, im Einzelnen: Anamnese, geklagte Beschwerden und weitere Angaben des Exploranden, objektive Befunde, Diagnosen, bisherige Behandlung und Eingliederung, Ressourcen, gesundheitlich resp. anderweitig bedingte Funktionseinschränkungen). Im Rahmen dieser Beurteilung durfte und musste der Gerichtsgutachter auch frühere Einschätzungen berücksichtigen, wie schon die Vorinstanz festgehalten hat. Das Bundesgericht erkennt im Rückweisungsentscheid vom 15. Oktober 2020, das psychiatrische Administrativgutachten von Dr. D.________ erlaube keine schlüssige Beurteilung der Arbeitsfähigkeit (E. 3.2.3). Die Kritik des Bundesgerichts beruht darauf, dass das Gutachten D.________ keine hinreichenden Angaben zu den rechtsprechungsgemäss massgeblichen Indikatoren für die Einschätzung der Arbeitsunfähigkeit (vgl. BGE 141 V 281) enthält und sich aus der Expertise auch nicht ergibt, dass dies überwiegend wahrscheinlich auf einer mangelnden Kooperationsbereitschaft des Versicherten zurückzuführen gewesen wäre (a.a.O. E. 3.2.2). Diese Feststellungen bedeuten nicht, dass der Gerichtsgutachter zur Beantwortung medizinischer Belange nicht auf Elemente jener Expertise Bezug nehmen durfte. In bestimmten Punkten folgt der Gerichtsgutachter der Einschätzung von Dr. D.________ denn auch. Die vom Beschwerdeführer beanstandete Folgerung von Dr. E.________, spätestens im Zeitpunkt der Begutachtung durch Dr. D.________ im September 2015 bestehe eine vollständige Arbeitsfähigkeit, ist aufgrund seiner eigenen Einschätzung "anhand des nun weiteren blanden Verlaufs über viele Jahre plausibel und nachvollziehbar" (Gerichtsgutachten S. 40). Damit hat der Gerichtsgutachter E.________ keineswegs, wie der Beschwerdeführer geltend macht, beim Vorgutachter "abgeschrieben".
2.3. Der Beschwerdeführer macht schliesslich geltend, selbst nach Ansicht des Gerichtsgutachters müsse bis mindestens September 2015 von einer rentenbegründenden invalidisierenden Arbeitsunfähigkeit ausgegangen werden. Tatsächlich hält der Gerichtsgutachter eine Arbeitsunfähigkeit von 50 % im Zeitraum zwischen Frühjahr 2013 und Herbst 2015 für "allenfalls" gegeben; es könne allerdings nicht mehr zweifelsfrei bestätigt werden, dass eine mittelgradige depressive Störung von 2013 bis 2015 tatsächlich vorgelegen habe (Expertise vom 31. Oktober 2021 S. 40 f.). Damit schliesst er eine Teilarbeitsunfähigkeit retrospektiv bloss nicht aus. Ausgehend davon ist weder dargetan noch ersichtlich, weshalb die Vorinstanz den rechtserheblichen Sachverhalt willkürlich (BGE 144 V 50 E. 4.2) feststellt haben sollte (oben E. 1), wenn sie bezogen auf die Zeit vor Herbst 2015 davon ausgeht, eine Teilarbeitsunfähigkeit sei damals nicht überwiegend wahrscheinlich gegeben gewesen.
2.4. Indem die Vorinstanz gestützt auf das Gerichtsgutachten festhält, die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführer sei seit April 2013 aus psychiatrischer Sicht nicht eingeschränkt (angefochtenes Urteil E. 4.2.4 und E. 5), verletzt sie weder den Untersuchungsgrundsatz noch den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 61 lit. c ATSG).
3.
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 15. Juni 2022
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Parrino
 
Der Gerichtsschreiber: Traub