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Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 1B_258/2022 vom 20.06.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
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1B_258/2022
 
 
Urteil vom 20. Juni 2022
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
 
Bundesrichter Chaix, Merz,
 
Gerichtsschreiber Dold.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Koloniestrasse 2, 8340 Hinwil,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8036 Zürich.
 
Gegenstand
 
Haft; Hafturlaub,
 
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer,
 
vom 12. Mai 2022 (SB210378-O/Z14/as).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Mit Urteil vom 18. Dezember 2018 verurteilte das Bezirksgericht Zürich A.________ wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren. Mit Urteil vom 6. Oktober 2020 bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich im Wesentlichen die erstinstanzlich ausgefällte Strafe. Auf eine Beschwerde in Strafsachen hin hob das Bundesgericht das obergerichtliche Urteil wegen Verletzung des Anklageprinzips teilweise auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurück (Urteil 6B_1416/2020 vom 30. Juni 2021). Mit Urteil vom 7. April 2022 reduzierte das Obergericht die Freiheitsstrafe von 11 auf 10 Jahre.
A.________ befindet sich seit April 2016 in Untersuchungshaft und im vorzeitigen Strafvollzug. Mit Präsidialverfügung vom 11. Januar 2022 gewährte ihm das Obergericht den offenen vorzeitigen Strafvollzug.
Mit Schreiben vom 9. Mai 2022 übermittelte das kantonale Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung (JuWe) der Verfahrensleitung am Obergericht mehrere Urlaubsgesuche von A.________. Dabei hielt es fest, ob diese aus seiner Sicht gutzuheissen seien oder nicht. Mit Präsidialverfügung vom 12. Mai 2022 hiess das Obergericht folgende Gesuche gut: Beziehungsurlaub vom 14. bis zum 15. Mai 2022, Ausgang vom 16. Mai 2022 (Podiumsdiskussion), Sonderurlaub vom 20. bis zum 21. Mai 2022. Dagegen wies es folgende Gesuche ab: Sachurlaub vom 16. Mai 2022 (Podiumsdiskussion), Sachurlaub vom 18. Mai 2022 (Treffen mit B.________), Sachurlaub vom 24. Mai 2022 (Anwaltsbesuch). Gleichentags wies es ein Haftentlassungsgesuch ab.
 
B.
 
Mit Beschwerde vom 27. Mai 2022 beantragt A.________ dem Bundesgericht im Wesentlichen, die Sache sei zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Der Ausgang vom 16. Mai 2022 sei als Sachurlaub anzuerkennen, ebenso Anwaltsbesuche und sämtliche Wiedereingliederungsbemühungen.
Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet. Die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat hat sich nicht vernehmen lassen.
 
C.
 
Mit Urteil vom 7. Juni 2022 hiess das Bundesgericht eine Beschwerde gegen den obergerichtlichen Haftentscheid vom 12. Mai 2022 gut und wies das Obergericht an, A.________ unter Anordnung von Ersatzmassnahmen umgehend aus der Haft zu entlassen (Urteil 1B_249/2022 vom 7. Juni 2022).
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Gegenstand des angefochtenen Entscheids bilden Urlaubsgesuche während des hängigen Strafverfahrens, die das Obergericht teilweise nicht bewilligte oder die es nur als Ausgang, nicht aber als Sachurlaub bewilligte (Podiumsdiskussion). Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen das zulässige Rechtsmittel (Art. 78 BGG).
1.2. Nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b BGG ist zur Beschwerde berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat. Es obliegt dem Beschwerdeführer, die Tatsachen darzulegen, aus denen sich dieses Rechtsschutzinteresse und damit seine Beschwerdeberechtigung ergibt, sofern diese nicht offensichtlich gegeben ist (Art. 42 Abs. 1 BGG; BGE 141 IV 289 E. 1.3; Urteil 1C_183/2020 vom 15. März 2021 E. 3.3; je mit Hinweisen).
Das erforderliche Interesse muss nicht nur bei der Beschwerdeeinreichung, sondern auch noch im Zeitpunkt der Urteilsfällung aktuell und praktisch sein. Fällt es im Laufe des Verfahrens dahin, wird die Sache als erledigt erklärt; fehlte es schon bei der Beschwerdeeinreichung, ist auf die Eingabe nicht einzutreten (BGE 142 I 135 E. 1.3.1 mit Hinweisen).
Das Bundesgericht verzichtet indessen unter gewissen Umständen auf dieses Erfordernis. Dies tut es zum einen dann, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (BGE 142 I 135 E. 1.3.1; 140 IV 74 E. 1.3; s. auch das den Beschwerdeführer betreffende Urteil 1B_122/2022 vom 20. April 2022 E. 1.2; je mit Hinweisen).
Zum andern tritt das Bundesgericht bei Haftbeschwerden trotz weggefallenem Rechtsschutzinteresse auf die Beschwerde ein bzw. leitet ein solches Interesse aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 29 Abs. 1 BV) und der Prozessökonomie ab, wenn Verletzungen der EMRK geltend gemacht werden (vgl. insbesondere Art. 5 EMRK) und eine inhaltliche Prüfung dieser Rügen sonst nicht innert angemessener Frist stattfinden würde. Der Grund für diese Rechtsprechung liegt im Wesentlichen darin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Aktualität des Rechtsschutzinteresses nicht als Sachurteilsvoraussetzung ansieht und das Bundesgericht eine allfällige Konventionsverletzung zudem durch eine entsprechende Feststellung wieder gutmachen könnte (BGE 136 I 274 E. 1.3; Urteil 1B_280/2021 vom 28. Juni 2021 E. 1; je mit Hinweisen).
1.3. Im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung waren alle Termine, für die der Beschwerdeführer Urlaubsgesuche gestellt hatte, bereits verstrichen. Damit entfiel das aktuelle Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids und es stellt sich die Frage, ob von dieser Sachurteilsvoraussetzung ausnahmsweise abgesehen werden kann. Ob das der Fall ist, beurteilt sich im Licht der mit der Beschwerde aufgeworfenen Fragen, d.h. der darin hinreichend substanziiert vorgetragenen Rügen (vgl. Urteil 1C_4/2021 vom 27. April 2021 E. 1 mit Hinweisen). Nach Art. 42 Abs. 2 BGG ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt. Hinsichtlich der Verletzung von Grundrechten gilt gestützt auf Art. 106 Abs. 2 BGG eine qualifizierte Rügepflicht (BGE 136 I 65 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Dabei prüft das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Diese qualifizierte Rügepflicht kommt auch zum Tragen, wenn der Beschwerdeführer eine offensichtlich unrichtige (willkürliche) Sachverhaltsfeststellung durch die Vorinstanz geltend macht (Art. 97 Abs. 1 BGG).
1.4. Eine Verletzung der EMRK macht der Beschwerdeführer nicht in hinreichend substanziierter Weise geltend. Weiter legt er nicht dar, weshalb ihm ein Rechtsanspruch auf die Gewährung von Sachurlaub für eine Podiumsdiskussion, ein Treffen mit B.________ (der gemäss den Angaben des Beschwerdeführers Strafentlassene berät und begleitet) und einen Anwaltsbesuch zustehen sollte. Die Behauptung, dass die Ablehnung von Sachurlaub für die Podiumsdiskussion sein Recht auf freie Meinungsäusserung einschränkt, ist nicht nachvollziehbar, da er dafür - unter dem Titel "Ausgang" - Urlaub erhielt und somit daran teilnehmen konnte. Soweit tatsächlich zutreffen sollte, dass die Verweigerung eines Sachurlaubs zur Besprechung "diverser offener Verfahren" mit seinem Anwalt die Wahrnehmung seiner Rechte beeinträchtigt, was im Übrigen nicht auf der Hand liegt, kann er dies in den betreffenden Verfahren vorbringen. Hinsichtlich der geltend gemachten Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) wirft die Beschwerde keine Fragen auf, die in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht geklärt worden wären (vgl. Urteil 2C_1032/2021 vom 14. März 2022 E. 1.2.3 mit Hinweisen). Soweit mit der Beschwerde überhaupt hinreichend substanziierte Rügen vorgetragen werden, haben diese insgesamt keine grundsätzliche Bedeutung, weshalb auch kein öffentliches Interesse an ihrer Behandlung besteht.
 
Erwägung 2
 
Auf die Beschwerde ist somit nicht einzutreten.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig. Er stellt allerdings ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung, das bewilligt werden kann (Art. 64 Abs. 1 BGG). Es sind deshalb keine Gerichtskosten zu erheben.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
 
2.
 
Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird gutgeheissen. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, und Diego Reto Gfeller, Zürich, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. Juni 2022
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kneubühler
 
Der Gerichtsschreiber: Dold