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Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 6B_329/2022 vom 20.06.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
6B_329/2022
 
 
Urteil vom 20. Juni 2022
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichter Rüedi,
 
Bundesrichterin Koch,
 
Gerichtsschreiber Matt.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Max Auer,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Spisergasse 15, 9001 St. Gallen,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer, vom 24. November 2021 (ST.2020.45-SK3).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Am 12. Februar 2020 sprach das Kreisgericht Rorschach A.________ infolge Schuldunfähigkeit von verschiedenen Vorwürfen frei und verurteilte ihn wegen Verübung mehrerer Taten in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit, Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, mengenmässig qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes und mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten und zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu Fr. 60.-- sowie einer Busse von Fr. 1'200.--. Zudem verwies es ihn für fünf Jahre des Landes.
 
B.
 
Das Kantonsgericht St. Gallen hiess die dagegen gerichtete Berufung von A.________ am 24. November 2021 teilweise gut und hob das Urteil des Kreisgerichts auf.
Es stellte das Strafverfahren wegen mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes ein, soweit Handlungen vor dem 12. Februar 2017 betroffen waren, und sprach A.________ infolge Schuldunfähigkeit von verschiedenen Vorwürfen frei. Hingegen verurteilte es ihn wegen Verübung mehrerer Taten in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit, Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, mengenmässig qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes und mehrfacher Widerhandlung gegen das Waffengesetz zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 14 Monaten, einer bedingten Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu Fr. 60.-- und einer Busse von Fr. 1'200.-- und verwies ihn für fünf Jahre des Landes.
 
C.
 
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuem Entscheid an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Er ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung.
 
 
Erwägung 1
 
Die Beschwerde an das Bundesgericht ist ein reformatorisches Rechtsmittel (Art. 107 Abs. 2 BGG). Ein blosser Antrag auf Rückweisung ist unzulässig, es sei denn, das Bundesgericht könnte ohnehin nicht reformatorisch entscheiden (BGE 136 V 131 E. 1.2; 134 III 379 E. 1.3 mit Hinweis). Da die Beschwerdebegründung zur Interpretation des Rechtsbegehrens beigezogen werden kann, genügt nach der Rechtsprechung ein Begehren ohne einen Antrag in der Sache dann, wenn sich aus der Begründung zweifelsfrei ergibt, was mit der Beschwerde angestrebt wird (BGE 136 V 131 E. 1.2; Urteil 6B_140/2016 vom 14. Februar 2017 E. 1.2).
Der Beschwerdeführer stellt nur den Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben. Dass das Bundesgericht im Falle einer Gutheissung der Beschwerde nicht in der Lage wäre, ein materielles Urteil zu fällen und die Sache zurückweisen müsste, wird in der Beschwerde nicht geltend gemacht. Der Begründung der Beschwerde lässt sich jedoch entnehmen, dass der Beschwerdeführer im Wesentlichen auf einen Freispruch vom Vorwurf der mengenmässig qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz abzielt. Als Folge strebt er eine mildere Strafe, den Verzicht auf die Landesverweisung und eine andere Verteilung der Verfahrenskosten an. Daher ist grundsätzlich auf die Beschwerde einzutreten.
 
Erwägung 2
 
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe das Urteil der Erstinstanz vollumfänglich aufgehoben, obwohl er ausschliesslich die Aufhebung der erstinstanzlichen Dispositiv-Ziffern 2, 3, 6, 9 und 12 beantragt habe. Er macht geltend, die nicht angefochtenen Dispositiv-Ziffern 1, 4, 5, 7, 8, 10 und 11 seien in Teilrechtskraft erwachsen, weshalb nicht das gesamte Urteil hätte aufgehoben werden dürfen.
Dem angefochtenen Urteil ist zu entnehmen, dass der Freispruch infolge Schuldunfähigkeit sowie die Schuldsprüche wegen Verübung diverser Taten in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit, mehrfachen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz, mehrfacher Übertretung des Betäubungsmittelgesetzes und mehrfachen Vergehens gegen das Waffengesetz nicht angefochten wurden und deshalb unverändert blieben. Gleiches gilt für die Geldstrafe und Busse, die Weisungen und Bewährungshilfe, den Verzicht auf eine stationäre oder ambulante Massnahme, die Beschlagnahme, die Zivilforderungen sowie die Entschädigungen. Dagegen focht der Beschwerdeführer die Schuldsprüche wegen Verübung einer schweren Körperverletzung in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit, Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht und schwerer Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz an. Zudem wandte er sich gegen die Freiheitsstrafe, die Landesverweisung und die Regelung der Verfahrenskosten und Entschädigung eines Privatklägers. Daraus schliesst die Vorinstanz zutreffend, dass diese Punkte Gegenstand des Berufungsverfahrens bilden.
Es ist nicht ersichtlich, was der Beschwerdeführer mit seiner Rüge bezweckt. Er hält selbst fest, dass das angefochtene Urteil das erstinstanzliche Urteil ersetzt und teilweise mit diesem identisch ist. Auf die Rüge ist mangels rechtlich geschützten Interesses des Beschwerdeführers nicht einzutreten (Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG).
 
Erwägung 3
 
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung.
3.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig bzw. willkürlich ist und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Willkür im Sinne von Art. 9 BV liegt vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, das heisst, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 mit Hinweisen). Willkürlich ist auch eine Beweiswürdigung, welche mit den Akten in klarem Widerspruch steht oder einseitig einzelne Beweise berücksichtigt (BGE 118 Ia 28 E. 1b; Urteile 6B_257/2020, 6B_298/2020 vom 24. Juni 2021 E. 4.2.4; 6B_17/2016 vom 18. Juli 2017 E. 1.3.2; 6B_676/2016 vom 16. Februar 2017 E. 1.3; 6B_288/2015 vom 12. Oktober 2015 E. 1.2; je mit Hinweisen). Die Rüge der Willkür muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 mit Hinweisen).
3.2. Gemäss Vorinstanz geht die Anklage davon aus, dass der Beschwerdeführer von September 2016 bis 21. Juli 2018 regelmässig Kokain konsumierte, insbesondere vom 15. bis 21. Juli 2018 täglich 5 bis 6 Gramm. Von September 2016 bis 21. Juli 2018 habe er mindestens zehnmal Kokain zum Preis von Fr. 80.-- bis Fr. 90.-- pro Gramm an ungefähr fünf verschiedene Abnehmer verkauft. Einer Person habe er 10 Gramm für Fr. 900.-- verkauft. Total habe er 19 Gramm Kokaingemisch mit einem Reinheitsgehalt von ungefähr 55 % verkauft und dabei einen Gewinn von ungefähr Fr. 100.-- erzielt. Ausserdem habe er seiner Ehefrau in der gemeinsamen Wohnung von September 2016 bis 14. Juli 2018 ungefähr viermal 4 bis 5 Gramm Kokaingemisch für deren Eigenkonsum unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Diese rund 18 Gramm Kokaingemisch mit einem Reinheitsgehalt von 55 % habe seine Ehefrau im genannten Zeitraum konsumiert. Vom 15. bis 21. Juli 2018 habe er ihr rund 14 Gramm Kokaingemisch mit einem Reinheitsgehalt von 85 % unentgeltlich für den Eigenkonsum zur Verfügung gestellt. Weiter habe er am 21. Juli 2018 in seiner Wohnung 0,6 Gramm Kokaingemisch offen auf einer CD-Hülle zwecks Eigenkonsum durch ihn und seine Ehefrau aufbewahrt. Er habe 63,6 Gramm Kokaingemisch mit einem Reinheitsgehalt von 85 % aufbewahrt. Hiervon habe er die Hälfte selbst konsumieren wollen. Die andere Hälfte sei primär für den Eigenkonsum der Ehefrau bestimmt gewesen. Maximal 10 Gramm habe er an seine Abnehmer verkaufen wollen. Bei der Tochter seiner Ehefrau, die mit dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau zusammengelebt habe, sei am 22. Juli 2018 im Urin ein Abbauprodukt von Kokain festgestellt worden.
Diesen Sachverhalt anerkennt der Beschwerdeführer ausdrücklich. Er ergänzt nur, er habe stets bestritten, dass er weitere 10 Gramm an seine Abnehmer habe verkaufen wollen.
3.3. Hingegen beanstandet der Beschwerdeführer die vorinstanzliche Feststellung, wonach das Kokain ihm allein gehört habe.
3.3.1. Die Vorinstanz erwägt diesbezüglich, der Beschwerdeführer habe ausgesagt, die sichergestellten 63,6 Gramm Kokaingemisch seien als Vorrat für seinen Eigenkonsum bestimmt gewesen und hätten ihm gehört. Er selbst habe es besorgt. Seine Ehefrau habe auch von seinem Kokain konsumiert. Er habe es ihr gratis gegeben. In der Woche vor dem 21. Juli 2018 hätten sie täglich 2 bis 3 Gramm Kokain konsumiert. Seine Ehefrau gab gemäss Vorinstanz zu Protokoll, dass sie in der genannten Woche 2 Gramm Kokain pro Tag konsumiert habe.
Die Vorinstanz hält daher für erstellt, dass der Beschwerdeführer seiner Ehefrau vom 15. bis 21. Juli 2018 ungefähr 2 Gramm Kokaingemisch pro Tag unentgeltlich zum Eigenkonsum zur Verfügung stellte, also insgesamt rund 14 Gramm mit einem Reinheitsgehalt von 85 %, was 11,9 Gramm reinen Kokains entspricht.
Ebenso hält die Vorinstanz aufgrund der Aussagen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau als erwiesen, dass er ihr zwischen September 2016 und 14. Juli 2018 vier Mal 4 bis 5 Gramm Kokain unentgeltlich zum Eigenkonsum abgab, also insgesamt rund 18 Gramm Kokain mit einem Reinheitsgrad von ca. 55 %, was 9,9 Gramm reinen Kokains entspricht. Gemäss Vorinstanz hat der Beschwerdeführer zugegeben, alle sechs Monate 50 Gramm Kokain für den Eigenkonsum zu Hause gekauft zu haben. Seine Ehefrau habe jeweils von seinem Kokain konsumiert. Er habe es ihr gratis gegeben. Auch seine Ehefrau habe ausgesagt, sie konsumiere seit mehreren Jahren zu Hause Kokain.
3.3.2. Was der Beschwerdeführer dagegen vorträgt, begründet keine Willkür. Er zitiert bloss einzelne Passagen aus seiner vorinstanzlichen Befragung und legt dar, wie die Aussagen seiner Meinung nach zu würdigen gewesen wären.
Der Beschwerdeführer verkennt, dass Willkür nach ständiger Rechtsprechung nur vorliegt, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung geradezu unhaltbar ist (BGE 145 IV 154 E. 1.1 mit Hinweisen). Dass eine andere Lösung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 144 I 113 E. 7.1 mit Hinweis). Vorliegend kommt hinzu, dass die Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz überzeugt und die Version des Beschwerdeführers nicht zutreffender erscheint. Auf seine unzulässige appellatorische Kritik am angefochtenen Urteil ist nicht einzutreten.
 
Erwägung 4
 
Der Beschwerdeführer kritisiert die rechtliche Würdigung der Vorinstanz.
Er beruft sich auf BGE 120 IV 334. Dort entschied das Bundesgericht, dass der qualifizierte Tatbestand nicht erfüllt ist, wenn der Täter eine qualifizierte Drogenmenge an eine bereits süchtige nahe Bezugsperson zum eigenen oder gemeinsamen Konsum abgibt, um dieser aus ihrer verfahrenen Situation herauszuhelfen, und dabei die Gewissheit hat, dass das Heroin nicht an Drittpersonen weitergegeben wird.
Vorliegend verhält es sich entgegen den Vorbringen des Beschwerdeführers nicht identisch. Zwar konsumierte er mit seiner Ehefrau Kokain. Doch legt die Vorinstanz überzeugend dar, dass der Beschwerdeführer auch Kokain an fünf Abnehmer verkaufte, wobei die Mengen zwischen 2 und 10 Gramm lagen. Es bestand keine Gewissheit, dass die Ehefrau und die weiteren Abnehmer das Kokain nicht an Drittpersonen weitergeben würden. Dies veranschaulicht die Vorinstanz überzeugend mit dem Hinweis, dass bei der im selben Haushalt lebenden Stieftochter des Beschwerdeführers die Aufnahme von Kokain nachgewiesen wurde. Dass eine hohe Menge an Kokain sichergestellt wurde, anerkennt der Beschwerdeführer ausdrücklich. Zwar haben er und seine Ehefrau davon konsumiert. Doch ist unbestritten, dass Kokain an verschiedene Drittpersonen verkauft wurde. Wenn der Beschwerdeführer ausführt, er habe nur 10,45 Gramm und nicht etwa 32,25 Gramm reines Kokain abgegeben, dann entfernt er sich vom vorinstanzlichen Sachverhalt, ohne Willkür darzulegen.
Die Vorinstanz verurteilte den Beschwerdeführer zu Recht wegen mengenmässig qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Von einer Verletzung der Begründungspflicht kann keine Rede sein.
 
Erwägung 5
 
Seinen weiteren Rügen legt der Beschwerdeführer einen Freispruch vom Vorwurf der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zugrunde. Nachdem es bei diesem Schuldspruch bleibt, hat es auch mit der vorinstanzlichen Strafzumessung, der Landesverweisung und der Verteilung der Verfahrenskosten sein Bewenden.
 
Erwägung 6
 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist durch reduzierte Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2, Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.
 
3. Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 20. Juni 2022
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
 
Der Gerichtsschreiber: Matt