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BGer 9C_91/2022 vom 22.06.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
9C_91/2022
 
 
Urteil vom 22. Juni 2022
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Parrino, Präsident,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiberin Dormann.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________ AG,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
WAS Wirtschaft Arbeit Soziales, Ausgleichskasse Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Erwerbsersatz für Dienstleistende und bei Mutterschaft (Covid-19),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern vom 22. Dezember 2021 (5V 21 265).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Die A.________ AG bezweckt insbesondere Eventorganisation. B.________ (nachfolgend: Direktor) ist seit Oktober 2016 als deren einziges Mitglied des Verwaltungsrates und Direktor im Handelsregister eingetragen. Seine Ehefrau C.________ ist als Mitarbeiterin bei der A.________ AG angestellt. Die Ausgleichskasse Luzern (nachfolgend: Ausgleichskasse) richtete für C.________ eine Erwerbsausfallentschädigung im Zusammenhang mit den Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (nachfolgend: Corona-Erwerbsersatz) für die Zeit vom 1. Juni bis zum 16. September 2020 aus.
Im Dezember 2020 resp. im März und Mai 2021 wurde um Corona-Erwerbsersatz für C.________ für die Zeit vom 17. September 2020 bis zum 30. April 2021 ersucht. Die Ausgleichskasse anerkannte (zunächst) einen Anspruch auf Corona-Erwerbsersatz vom 17. September bis zum 30. November 2020 (Schreiben vom 1. März 2021), hingegen verneinte sie einen solchen für die Zeit vom 1. Dezember 2020 bis zum 30. April 2021 (Verfügung vom 27. Mai 2021; Einspracheentscheid vom 7. Juli 2021).
B.
Die von der A.________ AG dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Luzern mit Urteil vom 22. Dezember 2021 ab.
C.
Die A.________ AG beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, unter Aufhebung des Urteils vom 22. Dezember 2021 sei für die im Betrieb mitarbeitende Ehefrau des Direktors ab dem 1. Dezember 2020 Corona-Erwerbsersatz auszurichten. Dieser sei in maximalem Ausmass und Dauer baldmöglichst an sie selbst auszuzahlen. Eventualiter sei ihr eine Kurzarbeitsentschädigung für die Ehefrau des Direktors auszurichten.
 
1.
1.1. Das Bundesgericht prüft die Zulässigkeit von Beschwerden von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 144 V 280 E. 1; 136 V 7 E. 2; Urteil 9C_752/2020 vom 9. März 2021 E. 1). Zur Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist berechtigt, wer (a.) vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat, (b.) durch den angefochtenen Entscheid oder Erlass besonders berührt ist und (c.) ein schutzwürdiges Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung hat (Art. 89 Abs. 1 BGG).
1.2. Gegenstand dieses (wie auch des vorinstanzlichen) Verfahrens ist der Anspruch der Ehefrau des Direktors auf Corona-Erwerbsersatz vom 1. Dezember 2020 bis zum 30. April 2021. Der Eventualantrag betreffend Kurzarbeitsentschädigung ist mangels eines entsprechenden Anfechtungsgegenstands (vgl. Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG; BGE 125 V 413 E. 1) von vornherein unzulässig. Gleiches gilt, soweit Corona-Erwerbsersatz für die Zeit ab dem 1. Mai 2021 verlangt wird.
 
Erwägung 1.3
 
1.3.1. Anwendbar sind die einschlägigen Normen, soweit deren zeitlicher Anwendungsbereich (zum Teil rückwirkend) in den Zeitraum vom 1. Dezember 2020 bis zum 30. April 2021 fällt (vgl. Urteil 9C_390/2021 vom 8. Februar 2022 E. 3.2; zur Publikation vorgesehen).
1.3.2. Art. 15 des Bundesgesetzes vom 25. September 2020 über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; SR 818.102) wurde gemäss Art. 21 Abs. 3 Covid-19-Gesetz rückwirkend auf den 17. September 2020 in Kraft gesetzt und mehrmals angepasst. Der Bundesrat kann die Ausrichtung von Entschädigungen des Erwerbsausfalls bei Personen vorsehen, die ihre Erwerbstätigkeit aufgrund von Massnahmen im Zusammenhang mit der Bewältigung der Covid-19-Epidemie unterbrechen oder massgeblich einschränken müssen. Nur Personen mit einem Erwerbs- oder Lohnausfall, die in ihrer Unternehmung eine Umsatzeinbusse von mindestens 55 resp. 40 resp. 30 % im Vergleich zum durchschnittlichen Umsatz in den Jahren 2015-2019 haben, gelten in ihrer Erwerbstätigkeit als massgeblich eingeschränkt (Art. 15 Abs. 1 Covid-19-Gesetz in den vom 17. September bis zum 18. Dezember 2020 resp. vom 19. Dezember 2020 bis zum 31. März 2021 resp. ab dem 1. April 2021 geltenden und hier anwendbaren Fassungen [AS 2020 3835; 2020 5821; 2021 153]).
Art. 2 Abs. 3bis der Verordnung vom 20. März 2020 über Massnahmen bei Erwerbsausfall im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19; Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall; SR 830.31) kommt hier in der ebenfalls rückwirkend auf den 17. September 2020 in Kraft gesetzten und bis zum 16. Februar 2022 geltenden Fassung (AS 2020 4571; 2022 97; nachfolgend: aAbs. 3bis) zur Anwendung. Danach haben Selbstständigerwerbende im Sinne von Art. 12 ATSG (SR 830.1) und Personen nach Art. 31 Abs. 3 lit. b und c AVIG (SR 837.0), die nach AHVG obligatorisch versichert sind, Anspruch auf Corona-Erwerbsersatz. Dabei ist vorausgesetzt, dass (a.) die Erwerbstätigkeit der Betroffenen aufgrund behördlich angeordneter Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie massgeblich eingeschränkt ist, (b.) sie einen Erwerbs- oder Lohnausfall erleiden, und (c.) sie im Jahr 2019 für diese Tätigkeit ein AHV-pflichtiges Erwerbseinkommen von mindestens Fr. 10'000.- erzielt haben; diese Voraussetzung gilt sinngemäss, wenn die Tätigkeit nach dem Jahr 2019 aufgenommen wurde; wurde die Tätigkeit nicht während eines vollen Jahres ausgeübt, so gilt diese Voraussetzung proportional zu deren Dauer.
 
Erwägung 1.4
 
1.4.1. Der Arbeitgeber wird weder in der aktuellen noch in früheren Fassungen des Art. 15 Covid-19-Gesetz und der Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall als anspruchsberechtigte Person genannt. Der Corona-Erwerbsersatz ist laut Art. 7 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall durch die Leistungsberechtigten (Abs. 1) oder, bei Lohnfortzahlung des Arbeitgebers, durch diesen geltend zu machen (Abs. 2). Die Entschädigung wird an die anspruchsberechtigte Person ausbezahlt (Art. 8 Abs. 1 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall). Indessen kommen Taggelder und ähnliche Entschädigungen in dem Ausmass dem Arbeitgeber zu, als er der versicherten Person trotz der Taggeldberechtigung Lohn zahlt (Art. 19 Abs. 2 ATSG i.V.m. Art. 1 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall). Dass der Corona-Erwerbsersatz von Art. 19 Abs. 2 ATSG erfasst wird, steht ausser Frage (vgl. Rz. 6028 ff. der Wegleitung des BSV zur Erwerbsersatzordnung für Dienstleistende, Mutter- und Vaterschaft [WEO] i.V.m. Rz. 1070 des Kreisschreibens des BSV über die Entschädigung bei Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus - Corona-Erwerbsersatz [KS CE; sowohl in der Version 7, Stand: 17. September 2020, als auch in der aktuellen Version 25, Stand: 17. Februar 2022]; zur Bedeutung von Verwaltungsweisungen vgl. BGE 145 V 84 E. 6.1.1; 142 V 442 E. 5.2).
1.4.2. Hinsichtlich des Anspruchs auf Corona-Erwerbsersatz ergibt sich die Anmelde- und Beschwerdebefugnis der Arbeitgeberin somit in erster Linie aus Art. 7 Abs. 2 Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall i.V.m. Art. 19 Abs. 2 ATSG (Urteile 9C_356/2021 vom 10. Mai 2022 E. 1.4.3 Abs. 1, zur Publikation vorgesehen; 9C_448/2021 10. Mai 2022 E. 1.3.2; je mit Hinweisen).
In concreto steht fest (vgl. nachfolgende E. 3.1), dass die Beschwerdeführerin, die am vorinstanzlichen Verfahren teilnahm, der Ehefrau des Direktors im hier interessierenden Zeitraum den monatlichen Lohn in der vertraglich vereinbarten Höhe ausgerichtet hatte. Ob sie deswegen (oder aus einem anderen Grund) hinsichtlich des umstrittenen Anspruchs ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Anmeldung und Beschwerde hatte resp. hat (vgl. Urteil 9C_356/2021 vom 10. Mai 2022E. 1.4.3 Abs. 2, zur Publikation vorgesehen), braucht in Anbetracht des Ausgangs des Verfahrens nicht entschieden zu werden.
2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Die Begründung muss in der Beschwerde selber enthalten sein und es genügt nicht, auf andere Rechtsschriften oder die Akten zu verweisen (BGE 144 V 173 E. 3.2.2; 141 V 416 E. 4; Urteil 8C_538/2021 vom 25. April 2022 E. 4.2).
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).
 
Erwägung 3
 
3.1. Das kantonale Gericht hat die im Betrieb mitarbeitende Ehefrau des Direktors als grundsätzlich anspruchsberechtigte Person nach Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG resp. Art. 2 aAbs. 3bis Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall qualifiziert. Weiter hat es - unbestritten und verbindlich (vgl. vorangehende E. 2) - festgestellt, die Beschwerdeführerin habe der Ehefrau des Direktors während der ganzen fraglichen Zeitspanne den vertraglich vereinbarten Lohn ausbezahlt. Folglich hat es mangels eines Lohnausfalls (im Sinne von Art. 2 aAbs. 3bis lit. b Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall) den Anspruch auf Corona-Erwerbsersatz verneint.
3.2. Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass die Ehefrau des Direktors Arbeitnehmerin sei und keinen Einfluss auf die Entscheidungen der Unternehmensleitung nehmen könne.
Damit wird - zu Recht - nicht in Abrede gestellt, dass die Betroffene als Ehefrau eines Arbeitnehmers in arbeitgeberähnlicher Stellung (vgl. BGE 142 V 263 E. 4.2 zum damit einhergehenden Missbrauchsrisiko in der Arbeitslosenversicherung), ebenso wie ihr Ehemann, eine Person nach Art. 31 Abs. 3 lit. c AVIG ist. Unbestritten ist auch, dass der hier umstrittene Anspruch im Lichte von Art. 2 aAbs. 3bis Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall zu beurteilen ist.
3.3. Weiter bestreitet die Beschwerdeführerin im Wesentlichen die Relevanz des Lohnausfalls, wobei sie insbesondere auf den bei ihr selbst eingetretenen "Schaden" resp. "Nullumsatz" verweist. Ausserdem betont sie den Willen des Gesetzgebers, den von den Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus betroffenen Betrieben und Arbeitgebern Unterstützung zukommen zu lassen.
Das Bundesgericht hatte im Urteil 9C_356/2021 vom 10. Mai 2022, das ebenfalls die hier am Recht stehenden Parteien betrifft, den Anspruch auf Corona-Erwerbsersatz (für den Direktor) unter der vom 17. März bis zum 16. September 2020 geltenden Rechtslage zu beurteilen. Nach Auslegung von Art. 2 Abs. 3bis Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall (in der damals geltenden Fassung) kam es zum Schluss, dass der Anspruch auf Corona-Erwerbsersatz von versicherten Personen in arbeitgeberähnlicher Stellung subsidiär zur Lohnfortzahlung durch die Arbeitgeberin ist (Urteil 9C_356/2021 vom 10. Mai 2022 E. 5.3.4 und 5.3.5, zur Publikation vorgesehen). Im Urteil 9C_448/2021 vom 10. Mai 2022 legte das Bundesgericht die seit dem 17. September 2020 geltenden - und auch hier anwendbaren (vgl. vorangehende E. 1.3) - Bestimmungen aus; es erkannte, dass die Subsidiarität des Corona-Erwerbsersatzes zur Lohnfortzahlung auch unter der Rechtslage gilt, die auf den 17. September 2020 in Kraft trat (Urteil 9C_448/2021 vom 10. Mai 2022 E. 4.2). Die Beschwerdeführerin bringt nichts vor, das rechtfertigen würde, hier anders zu entscheiden. Der umstrittene Anspruch auf Corona-Erwerbsersatz setzt insbesondere einen Lohnausfall der betroffenen Person voraus.
3.4. Nach dem Gesagten hat das kantonale Gericht kein Recht verletzt, indem es den Anspruch verneint hat. Die Beschwerde ist unbegründet.
4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Luzern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 22. Juni 2022
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Parrino
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann