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Bearbeitung, zuletzt am 07.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 8C_142/2022 vom 29.06.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
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8C_142/2022
 
 
Urteil vom 29. Juni 2022
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
 
Bundesrichter Maillard, Bundesrichterin Viscione,
 
Gerichtsschreiberin Polla.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich, Zürcherstrasse 8, 8400 Winterthur,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
A.________,
 
Beschwerdegegner.
 
Gegenstand
 
Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenentschädigung),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. Januar 2022 (AL.2021.00114).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Der 1990 geborene A.________ war vom 8. August 2016 bis 30. April 2020 bei der B.________ AG als Investmentmanager tätig. Im Februar 2020 unterzeichnete er einen Arbeitsvertrag bei der C.________ AG als Business Development Manager mit Anstellungsbeginn am 11. Mai 2020. Mit Schreiben vom 12. Mai 2020 teilte ihm die C.________ AG mit, wegen der wirtschaftlichen Situation werde das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit auf den 25. Mai 2020 beendet, wobei sich A.________ tags zuvor bereits beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) Zürich Lagerstrasse zur Arbeitsvermittlung angemeldet und um Arbeitslosenentschädigung ab 25. Mai 2020 ersucht hatte. Mit Verfügung vom 7. September 2020, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 12. März 2021, legte das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) des Kantons Zürich, Arbeitslosenkasse, den versicherten Verdienst auf Fr. 11'194.- fest.
B.
In teilweiser Gutheissung der dagegen erhobenen Beschwerde änderte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich den Einspracheentscheid vom 12. März 2021 dahingehend ab, als es den versicherten Verdienst ab Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug am 26. Mai 2020 auf Fr. 11'373.- festsetzte (Urteil vom 10. Januar 2022).
C.
Die Arbeitslosenkasse führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils.
A.________ und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
 
 
Erwägung 1
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).
1.2. Das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Überdies muss die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein (Art. 97 Abs. 1 BGG). Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).
 
Erwägung 2
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie den versicherten Verdienst auf Fr. 11'373.- festsetzte. Zwischen den Parteien ist unbestritten, dass die Beitragsrahmenfrist vom 16. November 2019 bis zum 25. Mai 2020 dauerte, wobei der Beschwerdegegner vom 1. bis 10. Mai 2020 in keinem Arbeitsverhältnis stand.
2.2. Als versicherter Verdienst gilt laut Art. 23 Abs. 1 AVIG der im Sinne der AHV-Gesetzgebung massgebende Lohn, der während eines Bemessungszeitraumes aus einem oder mehreren Arbeitsverhältnissen normalerweise erzielt wurde; eingeschlossen sind die vertraglich vereinbarten regelmässigen Zulagen (wie 13. Monatslohn, Treueprämien, Orts- und Teuerungszulagen und Gratifikationen; Art. 23 Abs. 1 Satz 1 AVIG), soweit sie nicht Entschädigung für arbeitsbedingte Inkonvenienzen darstellen. Diese Zulagen sind anteilsmässig auf jene Monate anzurechnen, auf die sie sich beziehen, weshalb unerheblich ist, wann sie (innerhalb des Bemessungszeitraums) zur Auszahlung gelangten (Urteile 8C_148/2019 vom 4. Juli 2019 E. 5.2; 8C_757/2011 vom 21. Dezember 2011 E. 3; THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht, Band XIV: Soziale Sicherheit, 3. Aufl., 2016, S. 2376 Rz. 365 mit Hinweis in Fn. 850 auf BGE 122 V 362, ARV 2001 Nr. 4 S. 75, C 254/99 und BGE 115 V 326 E. 4).
Gemäss Art. 37 Abs. 1 AVIV bemisst sich der versicherte Verdienst nach dem Durchschnittslohn der letzten sechs Beitragsmonate (Art. 13 Abs. 1 AVIG i.V.m. Art. 11 AVIV) vor Beginn der Rahmenfrist für den Leistungsbezug.
 
Erwägung 3
 
3.1. Die Vorinstanz korrigierte den von der Beschwerdeführerin im Einspracheentscheid vom 12. März 2021 auf Fr. 11'194.- festgesetzten versicherten Verdienst erstens hinsichtlich der im Januar 2020 durch die B.________ AG erfolgte Bonuszahlung für das Jahr 2019. Dabei ging sie von einer Summe von Fr. 18'649.- aus, die sie mit einem Betrag von Fr. 9324.50 anteilsmässig (16. November bis 31. Dezember 2019 [45 Tage] dem vierten Quartal 2019 (90 Tage) zurechnete. Zweitens nahm die Vorinstanz für das bei der C.________ AG vom 11. bis 25. Mai 2020 dauernde Arbeitsverhältnis einen monatlichen Bruttolohn von Fr. 6163.80 an, anstelle des von der Beschwerdeführerin angerechneten Einkommens von Fr. 5416.65.-. Schliesslich wich die Vorinstanz von der Berechnungsweise der Beschwerdeführerin insofern ab, als sie die mit den jeweiligen monatlichen Einkommen (und Boni) korrespondierenden tatsächlich zurückgelegten Beitragszeiten ausser Acht liess.
3.2. Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, die Vorinstanz sei aktenwidrig davon ausgegangen, dass in Bezug auf das Arbeitsverhältnis bei der B.________ AG für das vierte Quartal 2019 ein Bonus von Fr. 18'649.50 ausgerichtet worden sei. Den Akten und den Angaben des Beschwerdegegners sei vielmehr zu entnehmen, dass die im Januar 2020 erfolgte Bonuszahlung über Fr. 18'649.50 einen Bonus für das vierte Quartal 2019 von Fr. 18'374.50 und einen solchen von Fr. 275.- für das dritte Quartal 2019 enthalte. Das dritte Quartal liege unbestrittenermassen ausserhalb des sechsmonatigen Bemessungszeitraumes, weshalb die dazugehörende Zahlung von Fr. 275.- nicht zu berücksichtigen sei. Aktenwidrig sei überdies die vorinstanzliche Festsetzung des bei der C.________ AG erzielten Bruttogehalts auf Fr. 6163.80.-. Aus den Dokumenten ergebe sich, dass darin eine gemäss BGE 123 V 70 bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes nicht hinzuzurechnende Ferienentschädigung von Fr. 747.15 enthalten sei. Deshalb könne nur der tatsächlich erzielte Bruttolohn von monatlich Fr. 5416.65 dem versicherten Verdienst zugrunde gelegt werden. Durch den Umstand, dass die Vorinstanz bei der Berechnung des versicherten Verdienstes bei den jeweiligen Einkommen und Boni die damit zusammenhängende zurückgelegte Beitragszeit nach Art. 37 Abs. 1 AVIV nicht beachtet habe, sei sowohl der Sachverhalt willkürlich festgestellt als auch Bundesrecht (Art. 23 AVIG und 37 AVIV) verletzt worden. Eine Begründung für die vorinstanzliche Berechnungsweise lasse sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen.
 
Erwägung 4
 
4.1. Fest steht, dass die B.________ AG eine Bonuszahlung ausrichtete, die anteilsmässig der Arbeitsperiode vom 16. November bis 31. Dezember 2020 zuzurechnen und somit für das vierte Quartal des Jahres 2019 bei der Ermittlung des versicherten Verdienstes zu berücksichtigen ist (vgl. BGE 122 V 362 E. 4; ARV 1995 Nr. 15 S. 79 E. 2c S. 81, C 254/99; Urteil 8C_757/2011 vom 21. Dezember 2011 E. 3.4).
Was die Höhe des Bonus anbelangt, gab der Beschwerdegegner gegenüber der Vorinstanz an, dass er für das dritte Quartal 2019 nur eine kleine Bonuszahlung von Fr. 275.- erhalten habe, die ebenfalls im Januar 2021 [richtig: 2020] zur Auszahlung gelangt sei. Dem Entstehungsprinzip entsprechend relevant seien nur die Beträge von Fr. 16'500.- für den November 2019 und Fr. 1874.50 für den Dezember 2019 (insgesamt Fr. 18'374.50). Gleiches machte er in seiner Einsprache vom 14. September 2020 sowie in seinem Schreiben an die Beschwerdeführerin vom 3. August 2020 geltend. Einen damit übereinstimmenden Vermerk brachte die Beschwerdeführerin auf ihrer Berechnungstabelle für den versicherten Verdienst an und wies auf die gemäss Abklärung mit der Arbeitgeberin quartalsweise Ausrichtung der Boni hin. Daraus erhellt ohne Weiteres, dass die Vorinstanz - entgegen den übereinstimmenden Angaben der Parteien - offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich, den sich auf das dritte Quartal beziehenden (und daher nicht zu berücksichtigenden) Bonus über Fr. 275.- zu demjenigen des vierten Quartals hinzugerechnet hat. Der Einwand ist stichhaltig.
4.2. Hinsichtlich des vom 11. bis 25. Mai 2020 bestehenden Arbeitsverhältnisses mit der C.________ AG zog die Vorinstanz ein Bruttogehalt von Fr. 6163.80 heran. Aus der Lohnabrechnung der Arbeitgeberin vom 20. Mai 2020 geht klar hervor, dass in dieser Lohnsumme eine Ferienentschädigung von Fr. 747.15 enthalten ist, wie die Beschwerdeführerin zu Recht geltend macht. Zutreffend ist auch ihre Auffassung, dass praxisgemäss eine Entschädigung für nicht bezogene Ferien nicht zum versicherten Verdienst hinzugerechnet wird. In BGE 123 V 70 E. 5 erwog das Eidg. Versicherungsgericht (heute: sozialrechtliche Abteilungen des Bundesgerichts), dass im Falle der Abgeltung des Ferienanspruchs in Form eines Lohnzuschlages resp. bei "Verzicht auf den Realbezug" die Ferienentschädigung nicht zum versicherten Verdienst nach Art. 23 Abs. 1 AVIG gehört. In BGE 125 V 42 E. 6c wurde diese Rechtsprechung in dem Sinne präzisiert, dass im Falle der Abgeltung des Ferienanspruchs in Form eines Lohnzuschlages die Ferienentschädigung als versicherter Verdienst derjenigen Monate angerechnet wird, in denen Ferien, zusammenhängend oder an einzelnen Tagen, tatsächlich bezogen wurden. Im Falle der Abgeltung des Ferienanspruchs mittels Lohnzuschlages kann die Ferienentschädigung deshalb gemäss geltender Rechtsprechung nur als versicherter Verdienst derjenigen Monate angerechnet werden, in denen Ferien, zusammenhängend oder an einzelnen Tagen, tatsächlich bezogen werden (BGE 148 V 144 E. 5.4.1; 144 V 195 E. 4.6.2; 125 V 42 E. 5b).
Diese Rechtslage wurde dem Beschwerdegegner mit E-Mail der Beschwerdeführerin vom 14. Mai 2021 zur Kenntnis gebracht. Ein tatsächlicher Ferienbezug ergibt sich nicht aus den Akten und wurde auch zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht. Die Vorinstanz hat damit die Ferienentschädigung von Fr. 747.15 in bundesrechtswidriger Weise bei der Berechnung des versicherten Verdienstes berücksichtigt.
4.3. Stichhaltig ist schliesslich auch die Rüge, im angefochtenen Urteil sei bei der Berechnung des versicherten Verdienstes die mit den monatlich erzielten Einkommen effektiv gebildete Beitragszeit (Art. 37 Abs. 1 AVIV) nicht beachtet worden. Gleich wie die anteilsmässige Anrechnungsweise der Boni nach dem Entstehungsprinzip werden auch die erzielten Einkommen denjenigen Beitragsmonaten angerechnet, auf die sie sich beziehen (vgl. Weisung des SECO gemäss AVIG-Praxis ALE, Rz. C2 vom Januar 2013). Wird, wie hier, im Monat November 2019 mit einer beitragspflichtigen Beschäftigung vom 16. bis 30. November 2019 kein ganzer Beitragsmonat generiert, sondern eine Beitragszeit von 0,487 Beitragsmonaten, ist der vereinbarte Monatslohn (Fr. 8500.-) mit diesem Faktor zu multiplizieren, was Fr. 4139.50 ergibt (Fr. 8500.- x 0,487). Die vorinstanzliche Berechnungsweise mit einer hälftigen Berücksichtigung des Monatslohnes nach Kalendertagen (Fr. 4250.-) ist bundesrechtswidrig. Gleiches gilt für die Berechnung der Boni in dem Sinne, als die Summe von Fr. 18'375.50 für das vierte Quartal (vorstehende E. 4.1) auf die betreffenden Monate November und Dezember 2019 anteilsmässig aufgeteilt wird (November 2019: Fr. 18'374.50 / 3 Beitragsmonate x 0,487; Dezember 2019: Fr. 18'374.50 / 3 Beitragsmonate). Hieraus resultieren die von der Beschwerdeführerin errechneten Bonuszahlungen von Fr. 2982.80 bzw. Fr. 6124.85. Damit erweist sich der von der Beschwerdeführerin im Einspracheentscheid vom 12. März 2021 ermittelte versicherte Verdienst von Fr. 11'194.- als korrekt. Die Beschwerde ist insgesamt begründet.
5.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten dem Beschwerdegegner aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. Januar 2022 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Arbeitslosenkasse des Kantons Zürich vom 12. März 2021 bestätigt.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdegegner auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, III. Kammer, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 29. Juni 2022
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Wirthlin
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla