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Bearbeitung, zuletzt am 06.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 6F_11/2022 vom 04.07.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
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6F_11/2022
 
 
Urteil vom 4. Juli 2022
 
 
Strafrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin,
 
Bundesrichterin van de Graaf,
 
Bundesrichter Hurni,
 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Gesuchsteller,
 
gegen
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz, Postfach 1201, 6431 Schwyz,
 
Gesuchsgegnerin,
 
Kantonsgericht Schwyz, Strafkammer, Kollegiumstrasse 28, 6430 Schwyz.
 
Gegenstand
 
Gesuch um Fristwiederherstellung gegen das Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 9. März 2022 (6B_54/2022),
 
 
1.
Das Bundesgericht trat am 9. März 2022 auf die am 17. Januar 2022 (Poststempel) vom damaligen Beschwerdeführer eingereichte Beschwerde in Strafsachen gegen das Urteil des Kantonsgerichts Schwyz vom 13. Dezember 2021 gestützt auf Art. 62 Abs. 3 und Art. 108 BGG androhungsgemäss nicht ein, weil der eingeforderte Kostenvorschuss auch innert angesetzter Nachfrist bis zum 24. Februar 2022 nicht geleistet worden war (Urteil 6B_54/2022).
Mit Eingabe vom 18. März 2022 ersucht der damalige Beschwerdeführer und heutige Gesuchsteller um Wiederherstellung der versäumten Frist zur Leistung des ihm im vorangegangenen bundesgerichtlichen Verfahren auferlegten Kostenvorschusses und um Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens. Den Kostenvorschuss für das Verfahren 6B_54/2022 hat der damalige Beschwerdeführer und heutige Gesuchsteller am 14. März 2022 bezahlt.
2.
Gemäss Art. 50 Abs. 1 BGG wird die Frist wiederhergestellt, wenn eine Partei oder ihr Vertreter durch einen anderen Grund als die mangelhafte Eröffnung unverschuldeterweise abgehalten worden ist, fristgerecht zu handeln, sofern die Partei unter Angabe des Grundes innert 30 Tagen nach Wegfall des Hindernisses darum ersucht und die versäumte Rechtshandlung nachholt. Ein unverschuldetes Hindernis im Sinne dieser Bestimmung kann nur angenommen werden, wenn die betroffene Partei an der Säumnis keinerlei Verschulden trifft bzw. ihr kein Vorwurf gemacht werden kann (vgl. BGE 143 I 284 E. 1.3; 112 V 255 E. 2a; Urteil 6B_774/2021 vom 3. November 2021 E. 1.2 mit Hinweis). Nach der Rechtsprechung kann die Wiederherstellung nur bei klarer Schuldlosigkeit gewährt werden. Jedes Verschulden einer Partei, ihres Vertreters oder beigezogener Hilfspersonen, so geringfügig es sein mag, schliesst die Wiederherstellung aus. Es gilt ein strenger Massstab (vgl. Urteile 6B_774/2021 vom 3. November 2021 E. 1.3, 6B_1367/2020 vom 9. Februar 2021 E. 3 und 6B_318/2012 vom 21. Januar 2013 E. 1.2; je mit Hinweisen).
Bedient sich die Partei zur Erfüllung der Kostenvorschusspflicht einer Erfüllungsgehilfin, so ist ihr das Verhalten der Hilfsperson wie ein eigenes zuzurechnen (Art. 101 OR); denn wer den Vorteil hat, Pflichten durch eine Hilfsperson erfüllen zu lassen, der soll auch die Nachteile daraus tragen (BGE 114 Ib 67 E. 2 und 3; 107 Ia 168 E. 2a; vgl. auch Urteil 1C_520/2015 vom 13. Januar 2016 E. 2.2). Erfüllungsgehilfe ist dabei nicht nur, wer der Autorität der Partei oder ihres Vertreters untersteht, sondern jede Hilfsperson, ohne dass ein ständiges Rechtsverhältnis zu ihr nötig ist (BGE 114 Ib 67 E. 2 und 3; 107 Ia 168 E. 2a; Urteil 6F_26/2021 vom 28. März 2022 E. 2.1).
3.
Der Gesuchsteller bringt in der Sache kurz zusammengefasst im Wesentlichen vor, mit der Schweizerischen Post und der mit dieser als Partnerin handelnden B.________ AG einen E-Post-Vertrag mit Scanning Service abgeschlossen zu haben. Beim Abschluss des Auftrags habe er dem Produktebeschrieb entnehmen können, dass ihm sämtliche Post, also A-Post und eingeschriebene Post, nachgeschickt würde. Dass Gerichtsurkunden gemäss den AGB der B.________ AG davon ausgenommen seien, habe er nicht wissen können, weil ihm dies, als er das Produkt abonniert habe, nicht mitgeteilt worden sei. Die fraglichen AGB habe er nie erhalten oder gesehen; sie würden daher nicht greifen. Auch habe er mit einer solchen Sonderregelung gerade für Gerichtsurkunden nicht rechnen müssen. Die Zustellungen seien davon abgesehen nicht rechtmässig erfolgt; die Kostenvorschussverfügungen seien ihm vom Scanning Service physisch als nicht gescannte A-Post zugestellt worden. Er habe deshalb auch nicht erkennen können, dass er eine Gerichtsurkunde des Bundesgerichts erhalten habe. In seinem Vertrauen auf eine ordnungsgemässe Zustellung sei er aber zu schützen und dürfe nicht Opfer einer willkürlich gewählten, für ihn nicht voraussehbaren Versandart werden. Dass die Kostenvorschussverfügungen als Gerichtsurkunde und nicht per A-Post oder reguläres Einschreiben zugestellt würden, habe er auch nicht erwarten müssen. Der Empfang von einer Gerichtsurkunde sei zu gewährleisten. Vorliegend gebe es nur für die erste Gerichtsurkunde eine Empfangsbestätigung, nicht jedoch für die zweite; die Nachfrist habe damit gar nicht zu laufen begonnen. Eine Wiederherstellung nicht zu gewähren, wäre vorliegend überspitzt formalistisch, weil er alle Vorkehrungen getroffen habe, um sich seine Post ins Ausland zustellen zu lassen. Es könne ihm kein Verschulden angelastet werden.
4.
Im Verfahren 6B_54/2022 wurden die Kostenvorschussverfügung vom 18. Januar 2022 und die Nachfristverfügung vom 9. Februar 2022 an die vom damaligen Beschwerdeführer im Rechtsmittel bezeichnete Adresse in der Schweiz verschickt. Das Bundesgericht versandte beide Verfügungen - wie im Inland üblich - mit Gerichtsurkunde. Dass und weshalb diese Versandart "willkürlich gewählt" oder "nicht voraussehbar" sein sollte, erschliesst sich nicht. Die beiden Verfügungen konnten zugestellt werden; den diesbezüglich Empfangsbestätigungen der Post vom 19. Januar 2022 und 10. Feburar 2022 (Ausgabedaten) können nicht nur die Zustelldaten, sondern auch Namen und Unterschrift der Empfangsperson sowie deren Beziehung zum damaligen Beschwerdeführer mit dem Vermerk "Bevollmächtigter" entnommen werden. Der heutige Gesuchsteller räumt vor Bundesgericht in seinem Gesuch selbst ein, ein Unternehmen - die B.________ AG - beauftragt zu haben, seine Post während seiner Landesabwesenheit in Empfang zu nehmen und ihm ins Ausland nachzusenden. Aus einem von ihm als Beilage eingereichten Schreiben der B.________ AG vom 17. März 2022 geht zudem hervor, dass der Gesuchsteller die Dienstleistung "ePost Scanning Service für Privatkunden" abonniert hat. Dem Schreiben lässt sich weiter entnehmen, dass bei Bestellung des fraglichen Produkts auf der vom Kunden angegebenen Domiziladresse ein Nachsendeauftrag der Schweizerischen Post an den Scanning Partner der B.________ AG eingerichtet werde. Auch Gerichtsurkunden würden vom Nachsendeauftrag erfasst und an das Scancenter gesendet. Dort würden sie vom Scancenter entgegengenommen und gälten ab dann als zugestellt. Die entsprechenden Vollmachten dazu erteilten die Kunden vertraglich (vgl. Ziff. 7 AGB Scanning Service).
Daraus ergibt sich insgesamt, dass das Unternehmen B.________ AG durch den Gesuchsteller beauftragt wurde, seine Post und damit (auch) Gerichtsurkunden für ihn entgegenzunehmen. Die bundesgerichtlichen Verfügungen vom 18. Januar 2022 und 9. Februar 2022 sind folglich rechtsgültig und ordnungsgemäss zugestellt worden. Das beauftragte Unternehmen ist nämlich als Erfüllungsgehilfin bzw. Hilfsperson zu betrachten, deren Verhalten einschliesslich allfälliger Fehlleistungen sich der Gesuchsteller als Auftraggeber bei der Ausführung des Auftrags zurechnen lassen muss (Art. 101 OR; siehe auch Urteile 6F_26/2021 vom 28. März 2022; 5A_194/2022 vom 24. März 2022 E. 4.2 und 2C_272/2020 vom 23. April 2020 E. 3.3 mit Hinweis). Nicht relevant ist daher, wenn der Gesuchsteller geltend macht, er habe die AGB der B.________ AG (vgl. insbesondere Ziff. 1 AGB Sanning Service) nie erhalten und auch nicht gekannt und daher auch nicht damit rechnen müssen, dass für die Nachsendung bzw. Weiterleitung von Gerichtsurkunden eine "Sonderregelung" bestehe (vgl. Ziff. 1 AGB Sanning Service). Da vorliegend nicht gesagt werden kann, den Gesuchsteller treffe keinerlei Verschulden an der Fristversäumnis, ist das Fristwiederherstellungsgesuch abzuweisen. Damit erweist sich auch der Nichteintretensentscheid 6B_54/2022 in der Sache als rechtens.
5.
Die Gerichtskosten (Art. 65 BGG) sind entsprechend dem Verfahrensausgang dem Gesuchsteller aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 erster Satz BGG). Der für das Verfahren 6B_54/2022 nachträglich bezahlte Kostenvorschuss von Fr. 3'000.-- ist ihm zurückzuerstatten.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht :
 
1.
Das Fristwiederherstellungsgesuch wird abgewiesen.
2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1'500.-- werden dem Gesuchsteller auferlegt.
3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Schwyz, Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.
Lausanne, 4. Juli 2022
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung
des Schweizerischen Bundesgerichts
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill