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BGer 9C_172/2022 vom 07.07.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
9C_172/2022
 
 
Urteil vom 7. Juli 2022
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Stadelmann, präsidierendes Mitglied,
 
Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
nebenamtlicher Bundesrichter Kradolfer,
 
Gerichtsschreiberin N. Möckli.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch B.________,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Stadt Zürich, Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV, Amtshaus Werdplatz, Strassburgstrasse 9, 8036 Zürich,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV (Vorinstanzliches Verfahren),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. Februar 2022 (ZL.2020.00062).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Mit Verfügung vom 3. Februar 2020 entschied das Amt für Zusatzleistungen zur AHV/IV der Stadt Zürich (Amt für ZL) über den Leistungsanspruch von A.________ von Januar bis August 2018 und ab Januar 2020 erneut, nachdem das Bundesgericht die Angelegenheit mit Urteil 9C_628/2019 vom 20. Dezember 2019 an die Verwaltung zurückgewiesen hatte. Die gegen diese Verfügung von der Versicherten erhobene Einsprache hiess das Amt für ZL mit Einspracheentscheid vom 4. Juni 2020 teilweise gut und setzte die monatlichen Zusatzleistungen von Januar bis August 2018 neu fest.
B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich teilweise gut. Es hob den angefochtenen Einspracheentscheid auf und wies die Sache an die Verwaltung zurück, damit diese die Zusatzleistungen der Versicherten von Januar bis August 2018 im Sinne der Erwägung 7 berechne. Im Übrigen werde die Beschwerde abgewiesen (Urteil vom 3. Februar 2022).
C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und zusammengefasst beantragen, das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und das kantonale Gericht sei anzuweisen, eine öffentliche konventionskonforme Verhandlung gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK sowie Art. 61 lit. a und e ATSG mit Publikums- und Presseanwesenheit durchzuführen. Dies unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Amts für ZL, eventualiter des Kantons Zürich. Subeventualiter sei auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten. Subsubeventualiter sei die Beschwerdeführerin von der Bezahlung der Gerichtskosten zu befreien und eine Parteientschädigung aus der Gerichtskasse zu entrichten.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Stellungnahme, derweil sich das Amt für ZL und das Bundesamt für Sozialversicherungen nicht vernehmen lassen.
 
1.
Die II. sozialrechtliche Abteilung ist zuständig für Beschwerden betreffend die jährliche Ergänzungsleistung nach Art. 9 ff. ELG (SR 831.30; vgl. Art. 82 lit. a BGG sowie Art. 35 lit. f des Reglements für das Bundesgericht vom 20. November 2006 [BGerR; SR 173.110.131]), wohingegen nach Art. 34 lit. d BGerR die kantonale Sozialversicherung in die Zuständigkeit der I. sozialrechtlichen Abteilung fällt. Es ist indessen aus prozessökonomischen Gründen sinnvoll, dass die II. Abteilung auch über die Beschwerde entscheidet, soweit sie Ergänzungsleistungen nach kantonalem Recht betrifft (vgl. Urteil 9C_680/2016 vom 14. Juni 2017 E. 1.1 mit Hinweis).
 
Erwägung 2
 
2.1. Rückweisungsentscheide, mit denen eine Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, gelten grundsätzlich als Zwischenentscheide, weil sie das Verfahren nicht abschliessen; sie können nur unter den in Art. 93 Abs. 1 BGG genannten Voraussetzungen beim Bundesgericht angefochten werden (BGE 140 V 282 E. 2; 133 V 477 E. 4.2). Wenn aber der Verwaltung, an welche die Sache zurückgewiesen wird, kein Entscheidungsspielraum mehr bleibt und die Rückweisung der (rein rechnerischen) Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten dient, handelt es sich materiell nicht um einen Zwischenentscheid, sondern um einen anfechtbaren Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (BGE 140 V 282 E. 4.2; Urteile 8C_378/2021 vom 17. August 2021 E. 1 und 8C_711/2019 vom 2. April 2020 E. 1.1).
2.2. Im angefochtenen Urteil wurde die Sache zur Berechnung der Zusatzleistungen der Beschwerdeführerin im Sinne der Erwägung 7 von Januar bis August 2018 an die Verwaltung zurückgewiesen. Die dem Leistungsanspruch zugrunde liegenden Berechnungsfaktoren beurteilte das kantonale Gericht in Erwägung 7 abschliessend. Im Übrigen wies die Vorinstanz die Beschwerde ab. Die vorinstanzliche Rückweisung dient somit einzig der rein rechnerischen Umsetzung des oberinstanzlich Angeordneten und ist als Endentscheid zu qualifizieren.
3.
Strittig und zu prüfen ist, ob der Vorinstanz eine Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG vorzuwerfen ist, da sie keine öffentliche Gerichtsverhandlung durchführte.
3.1.
3.1.1. Nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jedermann Anspruch darauf, dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht gehört wird, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen oder über die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Die Öffentlichkeit des Verfahrens soll dazu beitragen, dass die Garantie auf ein "faires Verfahren" tatsächlich umgesetzt wird (BGE 142 I 188 E. 3.3). Das kantonale Gericht, welchem es primär obliegt, die Öffentlichkeit der Verhandlung zu gewährleisten (BGE 136 I 279 E. 1; 122 V 47 E. 3), hat bei Vorliegen eines klaren und unmissverständlichen Parteiantrags grundsätzlich eine öffentliche Verhandlung durchzuführen (BGE 136 I 279 E. 1; SVR 2014 UV Nr. 11 S. 37, 8C_273/2013 E. 1.2 mit Hinweisen). Ein während des ordentlichen Schriftenwechsels gestellter Antrag gilt dabei als rechtzeitig (BGE 134 I 331 E. 2.3.1; vgl. zum Ganzen: SVR 2020 IV Nr. 55 S. 188, 8C_751/2019 E. 3.3 mit Hinweisen).
3.1.2. Von einer ausdrücklich beantragten öffentlichen Verhandlung kann abgesehen werden, wenn der Antrag der Partei als schikanös erscheint oder auf eine Verzögerungstaktik schliessen lässt und damit dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwiderläuft oder sogar rechtsmissbräuchlich ist. Gleiches gilt, wenn sich ohne öffentliche Verhandlung mit hinreichender Zuverlässigkeit erkennen lässt, dass eine Beschwerde offensichtlich unbegründet oder unzulässig ist. Als weiteres Motiv für die Verweigerung einer beantragten öffentlichen Verhandlung fällt die hohe Technizität der zur Diskussion stehenden Materie in Betracht, was etwa auf rein rechnerische, versicherungsmathematische oder buchhalterische Probleme zutrifft, wogegen andere dem Sozialversicherungsrecht inhärente Fragestellungen materiell- oder verfahrensrechtlicher Natur wie die Würdigung medizinischer Gutachten in der Regel nicht darunterfallen. Schliesslich kann das kantonale Gericht von einer öffentlichen Verhandlung absehen, wenn es auch ohne eine solche aufgrund der Akten zum Schluss gelangt, dass dem materiellen Rechtsbegehren der bezüglich der Verhandlung Antrag stellenden Partei zu entsprechen ist (BGE 136 I 279 E. 1 mit Hinweis auf BGE 122 V 47 E. 3b/ee und 3b/ff.; vgl. zum Ganzen: SVR 2017 UV Nr. 30 S. 99, 8C_723/2016 E. 2.3 mit Hinweisen).
 
Erwägung 3.2
 
3.2.1. Vorliegend sind zivilrechtliche Ansprüche im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK streitig (BGE 122 V 47 E. 2a).
3.2.2. Die Beschwerdeführerin stellte im vorinstanzlichen Verfahren mit Eingabe vom 10. August 2020 den Antrag auf Durchführung einer öffentlichen Verhandlung im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Sie begründete, sie wolle im Rahmen einer öffentlichen konventionskonformen Verhandlung mit Publikums- und Presseanwesenheit ihren Standpunkt vor einem unabhängigen Gericht vortragen. Sie werde Journalisten auffordern, an dieser Verhandlung teilzunehmen und darüber zu berichten. Die Beschwerdeführerin stellte dieses Rechtsbegehren, nachdem ihr die Beschwerdeantwort der Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom 20. Juli 2020 zur Kenntnisnahme zugestellt worden war, innert angemessener Frist, mithin rechtzeitig. Es ist somit festzuhalten, dass das kantonale Gericht einen klaren und unmissverständlichen Parteiantrag auf eine öffentliche Verhandlung ohne weitere Begründung ausser Acht gelassen hat.
3.2.3. Von der klar und unmissverständlich beantragten öffentlichen Verhandlung darf das kantonale Gericht nur bei Vorliegen von den in Erwägung 3.1.2 genannten Gründen absehen. Dass der Antrag auf eine öffentliche Verhandlung hier schikanös wäre oder dem Grundsatz der Einfachheit und Raschheit des Verfahrens zuwiderlaufen würde, hat die Vorinstanz nicht erwogen und ist auch nicht ersichtlich. Nachdem das kantonale Gericht die Beschwerde teilweise guthiess, ist diese offensichtlich weder unbegründet noch unzulässig. Ebenso ist nicht erkennbar, dass eine hohe Technizität der Materie vorliegt, welche eine Ablehnung der beantragten Verhandlung ausnahmsweise zu rechtfertigen vermöchte. Ferner wurde im angefochtenen Urteil dem materiellen Rechtsbegehren der Beschwerdeführerin auch nicht vollumfänglich entsprochen.
3.2.4. Indem die Vorinstanz unter diesen Umständen auf die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung verzichtete, trug sie der in Art. 6 Ziff. 1 EMRK gewährleisteten Verfahrensgarantie nicht Rechnung. Die Sache ist daher an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit es den Verfahrensmangel behebt und die verlangte öffentliche Verhandlung durchführt. Anschliessend wird es über die Beschwerde materiell neu zu befinden haben.
4.
Als unterliegende Partei hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Diese hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung zu entrichten (Art. 68 Abs. 1 BGG; Art. 9 des Reglements über die Parteientschädigung und die Entschädigung für die amtliche Vertretung vor dem Bundesgericht [SR 173.110.210.3]; vgl. Urteil 9C_628/2019 vom 20. Dezember 2019 E. 6).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. Februar 2022 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.
 
3.
 
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1000.- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 7. Juli 2022
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Das präsidierende Mitglied: Stadelmann
 
Die Gerichtsschreiberin: Möckli