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BGer 8C_177/2022 vom 13.07.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
8C_177/2022
 
 
Urteil vom 13. Juli 2022
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione,
 
Gerichtsschreiber Jancar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
IV-Stelle Bern, Scheibenstrasse 70, 3014 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Invalidenversicherung (Arbeitsunfähigkeit; Invalidenrente),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 8. Februar 2022 (200 21 504 IV und 200 21 505 IV).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. Der 1962 geborene A.________ war Gymnasiast, als er am 1. August 1983 anlässlich eines "Jugend + Sport"-Kurses bei einem Autounfall eine komplette Paraplegie erlitt. Am 12. September 1983 meldete er sich bei der IV-Stelle Bern zum Leistungsbezug an. Diese gewährte ihm Hilfsmittel und Amortisationsbeiträge an sein Fahrzeug. Im Sommer 1993 erlangte A.________ das Fürsprecherpatent. Am 28. März 1994 schloss die IV-Stelle den Fall ab, da er beruflich rentenausschliessend eingegliedert sei.
A.b. Am 27. Oktober 2014 meldete sich A.________ bei der IV-Stelle erneut zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle sprach ihm ab 1. April 2015 eine Viertelsrente und ab 1. Januar 2016 eine halbe Invalidenrente zu (Verfügungen vom 28. Mai 2021).
B.
Hiergegen erhob A.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern zwei separate Beschwerden. Dieses machte ihn mit Verfügung vom 23. November 2021 auf die Möglichkeit einer Schlechterstellung aufmerksam und gab ihm bis 3. Dezember 2021 Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen und die Beschwerden gegebenenfalls zurückzuziehen. A.________ reichte hierzu keine Stellungnahme ein. Mit Urteil vom 8. Februar 2022 wies die Vorinstanz die Beschwerden ab, soweit sie darauf eintrat, und hob die Verfügungen vom 28. Mai 2021 auf, nachdem sie erwogen hatte, dass kein Rentenanspruch bestehe.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, in Aufhebung des kantonalen Urteils seien ihm die gesetzlichen Leistungen zu gewähren. Die Sache sei zwecks Abklärung des Sachverhalts an die IV-Stelle zurückzuweisen.
Ein Schriftenwechsel wurde nicht durchgeführt.
 
1.
Die Vorinstanz erwog, die IV-Stelle habe lediglich über den Rentenanspruch verfügt. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus die Ausrichtung von "gesetzlichen Leistungen" verlange, fehle es demnach an einen Anfechtungsgegenstand, weshalb insoweit auf die Beschwerden nicht einzutreten sei (BGE 131 V 164 E. 2.1). Mit diesem Nichteintreten des kantonalen Gerichts setzt sich der Beschwerdeführer nicht auseinander. Soweit er mit dem letztinstanzlichen Antrag auf Gewährung der "gesetzlichen Leistungen" zusätzlich zur Invalidenrente weitere Leistungen verlangt, ist auf die Beschwerde somit nicht einzutreten (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 141 V 234 E. 1, 134 II 244 E. 2.1, 123 V 335; Urteil 8C_65/2018 vom 14. Februar 2018 E. 1.2.1).
2.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Als Rechtsfrage gilt, ob die rechtserheblichen Tatsachen vollständig festgestellt und ob der Untersuchungsgrundsatz bzw. die Beweiswürdigungsregeln nach Art. 61 lit. c ATSG beachtet wurden. Gleiches gilt für die Frage, ob den medizinischen Gutachten und Arztberichten im Lichte der praxisgemässen Anforderungen Beweiswert zukommt (BGE 134 V 231 E. 5.1). Bei den aufgrund dieser Berichte getroffenen Feststellungen zum Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit und bei der konkreten Beweiswürdigung geht es um Sachverhaltsfragen (nicht publ. E. 1 des Urteils BGE 141 V 585).
3.
Streitig ist, ob die vorinstanzliche Verneinung des Rentenanspruchs bundesrechtskonform ist.
3.1. Am 1. Januar 2022 trat das revidierte Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20) in Kraft (Weiterentwicklung der IV [WEIV]; Änderung vom 19. Juni 2020, AS 2021 705, BBl 2017 2535). Die dem hier angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Verfügungen ergingen vor dem 1. Januar 2022. Nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Rechts und des zeitlich massgebenden Sachverhalts (BGE 144 V 210 E. 4.3.1, 129 V 354 E. 1 mit Hinweisen) sind daher die Bestimmungen des IVG und diejenigen der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV; SR 831.201) in der bis 31. Dezember 2021 gültig gewesenen Fassung anwendbar.
3.2. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung betreffend die Erwerbsunfähigkeit (Art. 7 Abs. 1 ATSG), die Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG), die Voraussetzungen des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 2 IVG), die Invaliditätsbemessung bei im Gesundheitsfall voll erwerbstätigen Versicherten nach der allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 16 ATSG), den massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 146 V 51 E. 5.1) und den Beweiswert ärztlicher Berichte (vgl. E. 2 hiervor; BGE 143 V 124 E. 2.2.2, 125 V 351 E. 3a) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.
4.
Die Vorinstanz erwog in medizinischer Hinsicht im Wesentlichen, den strittigen Verfügungen habe der zu Handen der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt, Militärversicherung (MV), erstellte Bericht des Zentrums B.________, vom 4. Dezember 2017 betreffend eine funktionsorientierte medizinische Abklärung zu Grunde gelegen. Gestützt hierauf bestehe in der angestammten Tätigkeit als Rechtsanwalt, die einer idealen Arbeit entspreche, eine medizinisch-theoretische Arbeitsfähigkeit von ca. 50 %. Diese Einschätzung gelte - so das Zentrum B.________ - sicher ab dem Untersuchungstermin (17./18. Juli 2017) und sei medizinisch plausibel bereits seit dem Jahr 2012 anzunehmen. Der Bericht vom 4. Dezember 2017 sei beweiswertig. Damit sei erstellt, dass der Beschwerdeführer als Rechtsanwalt (unter Vorbehalt der hiernach eingetretenen vorübergehenden vollständigen Arbeitsunfähigkeiten im Zusammenhang mit Hospitalisationen) zu 50 % arbeits- und leistungsfähig sei. Nicht zu überzeugen vermöge hingegen die wesentlich zurückhaltender formulierte Annahme des Zentrums B.________ einer medizinisch plausiblen (durchgehenden) Einschränkung bereits seit dem Jahr 2012. Zwar seien auch in den Jahren 2012, 2014, 2015, 2016 und in der ersten Jahreshälfte 2017 diverse Hospitalisationen und Operationen erfolgt. Diese hätten jedoch allein eine tage- bzw. wochenweise und keine rentenrelevante dauerhaft anhaltende Arbeitsunfähigkeit zur Folge gehabt. Ausserdem seien die Arbeitsunfähigkeitsatteste teilweise rückwirkend ausgestellt worden (vgl. u.a. die Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit des Spitals C.________ vom 26. Oktober 2016 betreffend die Zeiträume in den Jahren 2012 und 2014 sowie Atteste vom 2. und 30. November 2016 betreffend das Jahr 2015). Zu keiner anderen Beurteilung führten - so die Vorinstanz weiter - die im Vorbescheidverfahren eingereichten Berichte. Die im Zusammenhang mit den im November 2018 bzw. Dezember 2019 geklagten Schulterbeschwerden diskutierte Schulterarthroskopie (Berichte der Klinik D.________, vom 8. November 2018 und 3. Dezember 2019) sei offenbar bisher nicht durchgeführt worden. Die nach einem Sturz Ende März 2020 mit nachfolgendem HWS-Schulter-/Arm-Schmerzsyndrom attestierte vollständige Arbeitsunfähigkeit (Bericht des Dr. med. E.________, Assistenzarzt, Neuropraxis F.________, vom 1. April 2020) habe lediglich vorübergehend angehalten. Im diesbezüglichen Bericht vom 6. Mai 2020 habe Dr. med. E.________ denn auch keine Arbeitsunfähigkeit mehr verzeichnet und als Therapie einzig noch Physiotherapie und Analgetika aufgeführt. Im Bericht vom 30. November 2020 habe er ohne weitere Angaben zu Anamnese, Befund und Arbeitsfähigkeit bloss Diagnosen gestellt. Damit bestünden keine Gründe, von der Einschätzung des Zentrums B.________ vom 4. Dezember 2017 abzuweichen. Weitere Berichte, die eine andere Beurteilung gebieten würden, habe der Beschwerdeführer nicht eingereicht. Insgesamt habe die IV-Stelle den Sachverhalt hinreichend abgeklärt. Damit sei der Invaliditätsgrad auf der Grundlage einer seit 17. bzw. 18. Juli 2017 bestehenden 50%igen Arbeits- und Leistungsfähigkeit zu ermitteln.
5.
Der Beschwerdeführer reicht erstmals vor Bundesgericht Zeugnisse des Dr. med. E.________ vom 1. April 2020 und 21. Januar 2022 sowie dessen Bericht vom 5. Januar 2022 ein. Da diese Akten vor dem angefochtenen Urteil vom 8. Februar 2022 datieren, handelt es sich um unechte Noven, deren Einbringung vor Bundesgericht nur im Rahmen von Art. 99 Abs. 1 BGG zulässig ist. Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet noch keinen hinreichenden Anlass für die Zulässigkeit unechter Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht werden können (BGE 143 V 19 E. 1.2). Der Beschwerdeführer legt nicht dar, die Einreichung dieser Akten bei der Vorinstanz sei ihm trotz hinreichender Sorgfalt prozessual unmöglich und objektiv unzumutbar gewesen. Sie und die darauf basierenden Vorbringen des Beschwerdeführers sind somit unbeachtlich (Urteil 8C_643/2021 vom 26. April 2022 E. 4.1).
 
Erwägung 6
 
6.1. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz sei willkürlich vom Bericht vom 4. Dezember 2017 abgewichen, wonach der Beginn seiner gesundheitlichen Einschränkungen auf das Jahr 2012 festgelegt worden sei. Tatsache sei, dass alle seine Hospitalisationen und Operationen durch eine Beeinträchtigung der Barrierefunktion der Haut verursacht worden seien und die MV sie zuerst nicht habe anerkennen wollen. Deshalb seien diese Behandlungen zuerst durch seinen Krankenversicherer bezahlt worden. Zudem habe er damals keine Taggeldversicherung gehabt, weshalb er als damals Selbstständigerwerbender keine Arbeitsunfähigkeitsatteste eingeholt habe. Allerdings habe er wiederholt bei der MV interveniert, weil er nach der Spaltung des linken Unterschenkels am 4. Februar 2012 an extremen Spasmen gelitten habe, die ihn bei der Arbeit und beim Tagesablauf wesentlich behindert hätten (vgl. Bericht der MV vom 11. September 2014). Der Kreisarzt der MV habe im Bericht vom 7. November 2014 das Erysipel und die Entzündungen des linken Unterschenkels als Unfallfolge anerkannt. Damit sei aufgezeigt, weshalb er die Arbeitsunfähigkeitsatteste im Nachhinein habe einholen müssen und sie unvollständig seien. Vor der kreisärztlichen Anerkennung des Erysipels als Unfallfolge habe er keine Veranlassung gehabt, Arbeitsunfähigkeitsatteste zu beschaffen. Damit erwiesen sich die Einwände der Vorinstanz gegen die Annahme des Zentrums B.________ vom 4. Dezember 2017, die Einschränkungen seien bereits seit dem Jahr 2012 medizinisch plausibel, als haltlos. Zudem habe die IV-Stelle festgestellt, dass ab 2. (recte 4.) Februar 2012 (Spaltung des Unterschenkels) eine Invalidität von mindestens 44 % bestanden habe und sich die Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit auch klar in seinen Jahresrechnungen widerspiegle.
6.2. Die Vorinstanz hielt zwar fest, dass beim Beschwerdeführer seit dem Jahr 2012 bis zur ersten Jahreshälfte 2017 diverse Hospitalisationen und Operationen erfolgt seien. Mit seinen Vorbringen vermag der Beschwerdeführer indessen ihre weitere Feststellung, diese medizinischen Massnahmen hätten allein eine tage- bzw. wochenweise und keine rentenrelevante dauerhaft anhaltende Arbeitsunfähigkeit zur Folge gehabt (vgl. E. 4 hievor), weder in tatsächlicher Hinsicht als offensichtlich unrichtig noch anderweitig als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen. Insgesamt ist somit nicht erstellt, dass der Beschwerdeführer bereits seit dem Jahr 2012 bis zu den Untersuchungen durch das Zentrum B.________ am 17./18. Juli 2017 während eines Jahres ohne wesentlichen Unterbruch durchschnittlich mindestens 40 Prozent arbeitsunfähig (Art. 6 ATSG) war (Art. 28 Abs. 1 lit. b IVG), was eine Voraussetzung des Rentenanspruchs ist.
 
Erwägung 7
 
7.1. Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, nach einer Verschlechterung seiner gesundheitlichen Situation habe er der IV-Stelle am 30. März 2020 Atteste der Klinik D.________, vom 8. November 2018 und 3. Dezember 2019 eingereicht, worin eine Tendinitis calcarea Supraspinatussehne links, eventuell Bizepstendinopathie oder Supraspinatussehnenläsion diagnostiziert worden seien. Am 13. April und 10. November 2020 habe er der IV-Stelle Berichte des Dr. med. E.________ vom 1. April 2020 und 6. Mai 2020 zugestellt, worin ein C8 Reiz- und Ausfallsyndrom rechts diagnostiziert worden sei mit zusätzlicher sehr ausgeprägter atrophiler Medula spinalis sowie hochgradigen, teilweise posttraumatischen, teilweise degenerativen Veränderungen im ganzen HWS-Bereich. Am 10. November 2020 habe er der IV-Stelle auch den entsprechenden Befund des Spitals C.________ vom 24. April 2020 eingereicht. Infolge des C8 Reiz- und Ausfallsyndroms sei sein rechter Arm nicht mehr belastbar. Erwartungsgemäss nähmen diese Beschwerden mit der Zeit zu. Im Anschluss an sein Schreiben vom 10. November 2020 habe ihm der zuständige Sachbearbeiter der IV-Stelle telefonisch versichert, seine gesundheitliche Situation werde mittels Gutachtens neu geprüft. Er leide an einer wesentlichen Einschränkung des Gebrauchs des rechten Arms und an Einschränkungen des linken Arms, was bei ihm als Paraplegiker zu einer Verminderung der Arbeitsfähigkeit führe. Die IV-Stelle habe am 28. Mai 2021 verfügt, ohne seine gesundheitliche Verschlechterung in Betracht zu ziehen und ohne zu den ärztlichen Berichten Stellung zu nehmen. Damit habe sie seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Gemäss Rz. 6021 Kreisschreiben über das Verfahren in der Invalidenversicherung (KSVI [Stand: 1. Januar 2022]) seien nämlich vor dem Erlass der Verfügung, aber erst nach Ablauf der 30-tägigen Einwandfrist gegen den Vorbescheid vorgebrachte neue Tatsachen zu berücksichtigen, soweit sie entscheidwesentlich sein könnten. Die Vorinstanz sei in Willkür verfallen und habe gegen das Gebot des fairen Verfahrens nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK verstossen, indem sie Gründe für eine Abweichung von der Einschätzung des Zentrums B.________ vom 4. Dezember 2017 verneint habe, ohne eine medizinische Begutachtung seiner neuen gesundheitlichen Beschwerden zu veranlassen.
7.2. Nach der Rechtsprechung kann eine nicht besonders schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs ausnahmsweise als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Unter dieser Voraussetzung ist darüber hinaus - im Sinne einer Heilung des Mangels - selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des Gehörs von einer Rückweisung der Sache an die Verwaltung abzusehen, wenn und soweit die Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem (der Anhörung gleichgestellten) Interesse der betroffenen Partei an einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (BGE 137 I 195 E. 2.3.2, 136 V 117 E. 4.2.2.2, 132 V 387 E. 5.1; Urteil 8C_736/2021 vom 22. März 2022 E. 4.2).
Der Vorinstanz stand in sachverhaltlicher und rechtlicher Hinsicht die volle Kognition zu (Art. 61 lit. c ATSG). Wie sich aus E. 7.3 hernach ergibt, sind keine Gründe ersichtlich, die gegen die Heilung einer allfälligen Gehörsverletzung durch die IV-Stelle sprechen könnten.
 
Erwägung 7.3
 
7.3.1. Die Vorinstanz hat sich mit den vom Beschwerdeführer in E. 7.1 angeführten medizinischen Akten - mit Ausnahme des Berichts des Spitals C.________ vom 24. April 2020 - einlässlich auseinandergesetzt. Sie hat aufgezeigt, weshalb sie an der Einschätzung des Zentrums B.________ vom 4. Dezember 2017, wonach er in angepasster Tätigkeit zu 50 % arbeitsfähig sei, nichts zu ändern vermöchten (vgl. E. 4 hiervor). Der Beschwerdeführer zeigt nicht substanziiert auf, inwiefern diese vorinstanzliche Feststellung in tatsächlicher Hinsicht offensichtlich unrichtig oder anderweitig bundesrechtswidrig sein soll.
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem Bericht des Spitals C.________ vom 24. April 2020, den das Bundesgericht selber würdigen kann (Art. 105 Abs. 2 BGG; Urteil 8C_134/2022 vom 3. Juni 2022 E. 4.2 mit Hinweis). Denn dieser Bericht enthält keine Angaben zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers, die entscheidwesentlich ist (vgl. BGE 143 V 409 E. 4.2.1; Urteil 8C_689/2021 vom 3. Februar 2022 E. 6.1).
Es kann nicht gesagt werden, in dieser Hinsicht liege eine unzulässige gerichtliche Beantwortung einer spezifisch medizinischen Frage vor (vgl. Urteil 8C_84/2022 vom 19. Mai 2022 E. 6.2.1).
7.3.2. Da von weiteren medizinischen Abklärungen nach willkürfreier Würdigung keine entscheidrelevanten Resultate zu erwarten waren, durfte die Vorinstanz davon absehen. Dies verstösst weder gegen den Untersuchungsgrundsatz noch gegen die Ansprüche auf freie Beweiswürdigung sowie Beweisabnahme (Art. 61 lit. c ATSG) und auch nicht gegen den Grundsatz der Waffengleichheit (Art. 6 Ziff. 1 EMRK), den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) oder das Gebot eines fairen Verfahrens nach Art. 9 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK (antizipierte Beweiswürdigung; BGE 144 V 361 E. 6.5; Urteil 8C_11/2022 vom 18. März 2022 E. 9).
7.3.3. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, der zuständige Sachbearbeiter der IV-Stelle habe ihm telefonisch versichert, seine gesundheitliche Situation werde mittels Gutachtens neu geprüft, kann er daraus nichts zu seinen Gunsten ableiten. Denn er legt nicht substanziiert dar und es ist auch nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen des Vertrauensschutzes (Art. 9 BV; BGE 143 V 341 E. 5.2.1) erfüllt wären.
8.
Strittig ist weiter die beruflich-erwerbliche Seite der Invaliditätsbemessung (Art. 16 ATSG; zur diesbezüglichen bundesgerichtlichen Kognition siehe BGE 132 V 393 E. 3.3).
8.1. In diesem Rahmen ist einzig das vom Beschwerdeführer im Gesundheitsfall hypothetisch erzielbare Valideneinkommen strittig. Bei dessen Ermittlung ist in der Regel am zuletzt erzielten, der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Verdienst anzuknüpfen, da es empirischer Erfahrung entspricht, dass die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre; Ausnahmen müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein. Lässt sich das Valideneinkommen aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse nicht hinreichend genau beziffern, darf auf statistische Werte wie die vom Bundesamt für Statistik herausgegebenen Lohnstrukturerhebungen (LSE) zurückgegriffen werden, sofern dabei die für die Entlöhnung im Einzelfall relevanten persönlichen und beruflichen Faktoren mitberücksichtigt werden (BGE 141 I 103 E. 5.3, 139 V 28 E. 3.3.2; Urteil 8C_643/2021 vom 26. April 2022 E. 8.1).
Das Einkommen von Selbstständigerwerbenden kann angesichts der in Art. 25 Abs. 1 IVV vorgeschriebenen Parallelisierung der IV-rechtlich massgebenden hypothetischen Vergleichseinkommen mit den AHV-rechtlich beitragspflichtigen Einkommen grundsätzlich aufgrund der Einträge im individuellen Konto (IK) der versicherten Person bestimmt werden. So oder anders steht sowohl dieser als auch der Verwaltung und im Beschwerdefall dem Gericht der Gegenbeweis offen, dass das tatsächlich erzielte (beitragspflichtige) Einkommen (erheblich) höher oder tiefer ist als die verabgabten IK-Einkünfte. Weist das bis zum Eintritt der Invalidität erzielte Einkommen starke und verhältnismässig kurzfristig in Erscheinung getretene Schwankungen auf, ist dabei auf den während einer längeren Zeitspanne erzielten Durchschnittsverdienst abzustellen (SVR 2021 UV Nr. 26 S. 123, 8C_581/2020 E. 6.1, 2017 IV Nr. 6 S. 15, 9C_644/2015 E. 4.6.2; Urteil 8C_328/2020 vom 3. September 2020 E. 2.2).
8.2. Die Vorinstanz erwog im Wesentlichen, der langjährig als selbstständiger Rechtsanwalt tätig gewesene Beschwerdeführer sei vom Obergericht des Kantons Bern am 14. April 2015 wegen qualifizierter Veruntreuung zu einer Freiheitsstrafe von 28 Monaten verurteilt worden, was das Bundesgericht mit Urteil 6B_629/2015 vom 7. Januar 2016 bestätigt habe. Der Strafvollzugsantritt sei im März 2018 noch offen gewesen. Hinzu gekommen sei ein vierjähriges Berufsverbot als Fürsprecher bzw. Rechtsanwalt, das per Januar 2016 rechtskräftig geworden sei. Der Beschwerdeführer habe die selbstständige Erwerbstätigkeit gemäss eigenen Angaben Ende 2015 bzw. Anfang 2016 aufgegeben. Somit wäre er im Juli 2017 auch ohne Gesundheitsschaden nicht mehr als selbstständiger Rechtsanwalt tätig gewesen. Deshalb könnten zur Invaliditätsbemessung nicht die Jahresrechnungen der Jahre 2010 bis 2014 aus der Selbstständigkeit herangezogen werden. Diese Zahlen liessen sich ohnehin nicht mit den Abrechnungen bei der Ausgleichskasse des Kantons Bern in Einklang bringen. Die statistischen Einkommen aus einer hypothetischen Anstellung als Jurist gemäss der LSE könnten - entgegen der IV-Stelle - ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Denn ausgehend von der LSE 2016 habe der entsprechende, auf das Jahr 2017 aufgerechnete Lohn Fr. 110'186.40 betragen. Ein solches Einkommen sei mit Blick auf den IK-Auszug des Beschwerdeführers kaum je ausgewiesen. Einzig in den Jahren 1994 bis 1998, 2007, 2016 und 2017 habe er Beträge von mehr als Fr. 100'000.- abgerechnet. In den übrigen Jahren seien die Einkommen deutlich tiefer und stark schwankend von Fr. 0.- (2000 bis 2004, 2010, 2011, 2013) über weniger als Fr. 10'000.- (1980 bis 1992) bis Fr. 71'529.- (2008) gewesen. Praxisgemäss sei zu ermitteln, was der Beschwerdeführer im Gesundheitsfall tatsächlich verdienen würde und nicht, was er bestenfalls verdienen könnte. Bei diesen Gegebenheiten sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass er im Gesundheitsfall ab Juli 2017 ein Einkommen von Fr. 110'186.40 erzielt hätte, womit die statistischen Werte nicht herangezogen werden könnten. Somit sei das Valideneinkommen gestützt auf den Durchschnittswert der in den letzten zehn Jahren vor Rentenbeginn - mithin von 2008 bis 2017 - im IK-Auszug verbuchten Einträge zu bestimmen, wobei zu Gunsten des Beschwerdeführers das im Jahr 2017 (hoch) abgerechnete Einkommen von Fr. 131'879.- mitzuberücksichtigen sei. Da die IK-Einträge in den Jahren 2008, 2012 sowie 2014 bis 2017 auch von der MV erbrachte Taggeldleistungen enthielten, an deren Stelle der Beschwerdeführer im Gesundheitsfall den vollen Lohn bezogen hätte (und nicht lediglich 80 % des versicherten Verdienstes), seien die Taggeldleistungen zunächst auszuscheiden und in einem nächsten Schritt unter Aufrechnung auf 100 % wiederum hinzuzufügen. Folglich resultiere von 2008 bis 2017 ein massgebender Durchschnittswert von Fr. 47'055.40. Dieser sei aufgrund der seit 2008 im Umfang von 10 % vorbestehenden bzw. von der MV ermittelten Invalidität um diesen Anteil zu erhöhen, woraus ein hypothetisches Valideneinkommen von Fr. 52'283.75 folge. Da hier intertemporalrechtlich die bis 31. Dezember 2021 gültigen Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen massgebend seien, sei Art. 26 Abs. 2 IVV (in der revidierten Fassung) nicht anwendbar, und es sei anzunehmen, der Beschwerdeführer hätte sich dauernd mit einer bescheidenen Erwerbstätigkeit begnügt (BGE 135 V 58 E. 3.4.6).
8.3. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Vorinstanz habe es entgegen der IV-Stelle ausgeschlossen, dass er im Umfang des Zumutbarkeitsprofils einer Tätigkeit als angestellter Jurist nachgehen könnte. Diese hypothetische Annahme sei mit der Realität nicht zu vereinbaren. Denn er habe als angestellter Anwalt gearbeitet, soweit es seine eingeschränkte Leitungsfähigkeit erlaubt habe (vgl. Arbeitsverträge G.________ AG, H.________ GmbH und I.________ AG). Die Vorinstanz sei somit in Willkür verfallen und habe Bundesrecht verletzt, indem sie das Valideneinkommen nicht aufgrund der statistischen Werte eines angestellten Juristen ermittelt habe. Ihre diesbezügliche Haltung sei realitätsfremd und aktenwidrig.
Hierbei handelt es sich um einen sehr pauschal gehaltenen Einwand, der sich mit der eingehenden und differenzierten vorinstanzlichen Beurteilung nicht näher befasst. Er ist daher nicht geeignet, diese in tatsächlicher Hinsicht als offensichtlich unrichtig oder anderweitig als bundesrechtswidrig erscheinen zu lassen, zumal die Vorinstanz unwidersprochen die fehlende Stabilität der Neuanstellung festhielt.
9.
Im Übrigen bringt der Beschwerdeführer gegen den vorinstanzlichen Einkommensvergleich, der keinen rentenbegründenden Invaliditätsgrad ergab, keine Einwände vor. Hiermit hat es somit sein Bewenden.
10.
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 13. Juli 2022
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Wirthlin
 
Der Gerichtsschreiber: Jancar