2. Die Indizierung eines Buches als jugendgefährdend mit der Begründung, es enthalte zur Schuldfrage des Zweiten Weltkrieges eine falsche geschichtliche Darstellung, verstößt gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
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Beschluß | |
des Ersten Senats vom 11. Januar 1994
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-- 1 BvR 434/87 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden des Herrn W... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Albert Schlögl und Manfred Blessinger, Stadtplatz 2, Miesbach - gegen a) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 1987 - BVerwG 1 C 39.84 -, b) die Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vom 7. Juni 1979 - Nr. 2772 (Pr. 106/78) -.
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Entscheidungsformel:
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Die Entscheidung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften vom 7. Juni 1979 - Nr. 2772 (Pr. 106/78) - und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. März 1987 - BVerwG 1 C 39.84 - verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Damit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Kölm vom 27. Januar 1981 - 10 K 2900/79 - gegenstandslos. Das Verfahren wird an das Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits zurückverwiesen.
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Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Gründe: | |
A. | |
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Aufnahme seines Buches "Wahrheit für Deutschland - Die Schuldfrage des Zweiten Weltkrieges" in die Liste jugendgefährdender Schriften.
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Durch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni 1953 (BGBl. I S. 377) - GjS - werden, seinem Eingangssatz zufolge, die in Art. 5 Abs. 1 GG genannten Grundrechte zum Schutz der heranwachsenden Jugend Beschränkungen unterworfen. Nach dem Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 21. März 1961 (BGBl. I S. 296) lauten die für die Entscheidung einschlägigen Bestimmungen:
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"§ 1
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(1) Schriften die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden, sind in eine Liste aufzunehmen. Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhaß anreizende sowie den Krieg verherrlichende Schriften. Die Aufnahme ist bekanntzumachen.
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(2) Eine Schrift darf nicht in die Liste aufgenommen werden
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1. allein wegen ihres politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts;
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2. wenn sie der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre dient;
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3. wenn sie im öffentlichen Interesse liegt, es sei denn, daß die Art der Darstellung zu beanstanden ist.
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(3) Den Schriften stehen Schallaufnahmen, Abbildungen und Darstellungen gleich.
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(4) Kind im Sinne des Gesetzes ist, wer noch nicht vierzehn, Jugendlicher, wer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alt ist.
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§ 2
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In Fällen von geringer Bedeutung kann davon abgesehen werden, die Schrift in die Liste aufzunehmen."
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Mit der Bekanntmachung der Aufnahme in die Liste unterliegt die Schrift einem Verbot der Verbreitung an Kinder und Jugendliche (§ 3 GjS), einem Verbreitungsverbot außerhalb von Geschäftsräumen (§ 4 GjS) und einem Werbeverbot (§ 5 GjS).
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II.
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1. Der Beschwerdeführer ist Autor und Verleger des erstmals 1964 und in dritter Auflage 1976 erschienenen Buches "Wahrheit für Deutschland - Die Schuldfrage des Zweiten Weltkrieges". Der Klappentext des Buches beginnt mit dem Satz: "Die These von der Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg ist widerlegt". In dem Buch vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, daß der Zweite Weltkrieg dem Deutschen Reich von dessen Kriegsgegnern aufgezwungen worden sei, und versucht, dies mit zahlreichen Belegen zu stützen.
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2. 1978 warb der Landesverband Nordrhein-Westfalen der "Jungen Nationaldemokraten" neben anderen Werken für das Buch des Beschwerdeführers. Das Jugendamt Hamm beantragte daraufhin die Indizierung. Die Bundesprüfstelle entsprach dem Antrag nach Einholung eines Gutachtens. Das Buch sei in die Liste der jugendgefährdenden Schriften aufzunehmen, weil es geeignet sei, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu verwirren und damit sittlich zu gefährden.
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Das Buch stelle die Ursachen des Zweiten Weltkrieges unrichtig dar und erwecke den Eindruck, der Krieg sei eine dem deutschen Volk aufgezwungene Notwehrhandlung gewesen. Es betreibe Werbung für das NS-Regime und verharmlose dieses. Der Beschwerdeführer behaupte, daß Hitler den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nicht zu verantworten habe, sondern Opfer einer antideutschen Einkreisung geworden und lediglich den Aktionen der anderen Staaten zuvorgekommen sei. Nur diese hätten aggressive Kriegsziele gehabt und Kriegsverbrechen begangen. Der Beschwerdeführer rechne die industriemäßig betriebene Vergasung mehrerer Millionen Juden mit den Kriegsverbrechen anderer auf und verknüpfe die Verantwortung hierfür mit der Kriegsschuldfrage.
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Das alles sei falsch. Das Buch verharmlose den Nationalsozialismus und sei geeignet, diesen bei jugendlichen Lesern als eine akzeptable Ideologie erscheinen zu lassen. Es verhindere bewußt, daß junge Menschen die im Nationalsozialismus herrschende und von ihm ausgehende Unfreiheit, die Negierung der Menschenrechte unter ihm und die in seinem Zeichen begangenen Verbrechen erkennen könnten. Daraus ergebe sich eine konkrete Gefährdung für die sozialethische Entwicklung Jugendlicher, was sich an der Werbeaktion der Jungen Nationaldemokraten zeige.
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Die Tendenzklausel des § 1 Abs. 2 Nr. 1 GjS stehe der Indizierung nicht entgegen, weil sie nicht Schriften zugute komme, die den Nationalsozialismus verherrlichten und verharmlosten. Auch der Vorbehalt des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS hindere die Indizierung nicht, denn das Buch diene nicht der Wissenschaft, sondern der Exkulpierung Hitlers.
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3. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Anfechtungsklage des Beschwerdeführers wies das Verwaltungsgericht ab; seine Berufung war hingegen erfolgreich.
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a) Das Oberverwaltungsgericht führte aus: Die Bundesprüfstelle sei nicht von einem zutreffenden und sorgfältig ermittelten Sachverhalt ausgegangen. Nach Gegenstand und Darstellungsmethode - insbesondere wegen des Einsatzes zahlloser Zitate - habe über den sachlichen, insbesondere den Wahrheitsgehalt des Buches nur ein solcher Leser ein qualifiziertes Urteil abgeben können, der über ein umfassendes Wissen zur europäischen Zeitgeschichte der letzten 50 bis 60 Jahre verfüge. Es sei schon zweifelhaft, ob die Mitglieder des Prüfungsgremiums das Buch sorgfältig durchgelesen hätten. Jedenfalls sei versäumt worden, ein Gutachten über dessen Wahrheitsgehalt anfertigen zu lassen. Denn das Gremium habe seiner Entscheidung nicht das von ihm in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten zugrunde gelegt, sondern sich auf andere Belegstellen gestützt, die sich mit dem Buch des Beschwerdeführers jedoch nicht auseinandersetzten. Das Gremium habe weder selbst über die erforderliche Sachkunde verfügt noch sich speziell sachkundig gemacht.
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b) Das Bundesverwaltungsgericht stellte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts wieder her (vgl. NJW 1987, S. 1431):
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aa) Der Bundesprüfstelle sei ein weiter Beurteilungsspielraum einzuräumen. Sie sei von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen; die These von der Schuldlosigkeit des NS-Regimes sei offenkundig falsch, so daß es keines weiteren Beweises für die Unrichtigkeit der vom Beschwerdeführer zur Kriegsschuldfrage aufgestellten Behauptungen bedürft habe. Die Bundesprüfstelle habe auch den Rechtsbegriff der Eignung zur sittlichen Gefährdung der Jugend nicht verkannt. Sie habe die Gefahr gesehen, daß das NS-Regime und damit zugleich die mit der Verfassungsordnung des Grundgesetzes unvereinbare, von kleinen Gruppen aber auch heute noch hochgehaltene totalitäre NS-Ideologie einschließlich ihrer rassistischen Bestandteile durch Geschichtsklitterung aufgewertet und rehabilitiert werde. Könne eine falsche historische Darstellung diese von der Bundesprüfstelle befürchtete Fehlorientierung bei jugendlichen Lesern auslösen, so sei die Darstellung geeignet, Jugendliche sittlich zu gefährden.
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Die Grundthese des Buches sei in der Indizierungsentscheidung richtig gekennzeichnet. Die Ausführungen auf dessen Seite 463 werteten die Schuldanteile der Kriegsbeteiligten nicht etwa gleich groß, sondern vermittelten den Eindruck, daß dem NS-Regime und namentlich Hitler kein Vorwurf zu machen sei; diese hätten nichts als einen gerechten und ehrenhaften Frieden gesucht, seien aber durch die unverantwortliche Politik der anderen Mächte in eine notwehrähnliche Lage und damit in den Krieg gezwungen worden.
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Zutreffend habe die Indizierungsentscheidung die Fußnote 40 auf Seite 43
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[Fußnote 1:] "Die Hitler und Deutschland so stark belastende "Juden-Endlösung" wird in einer anderen Arbeit des Autors untersucht. Hier soll die Feststellung genügen, daß es vor Kriegsbeginn kein Vernichtungsprogramm gegeben hat und die im Krieg geschehenen Unmenschlichkeiten nicht als Ursache für die Vorkriegspolitik ausgegeben werden können.
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Die "Juden-Endlösung", deren Untersuchung von der historischen Forschung heute noch nicht als abgeschlossen gelten kann, war nicht das erste und einzige Kriegsverbrechen. Wer die "Juden-Endlösung" werten will, muß die Kriegsschuldfrage ergründen, die Frage nach den Initiatoren der Kriegsausweitung stellen und beantworten, er muß sich mit den Kriegszielen befassen - und er muß die ersten sieben großen Kriegsverbrechen und die zahlreichen Kriegsverbrechen geringeren Umfangs in seine Wertung zeitlich und den Moralgrundsätzen entsprechend, d.h. nach dem gleichen Wertmaßstab einordnen...Die Vernichtung von jüdischen Menschen während des Krieges war ein Verbrechen, das wird niemand bestreiten wollen. Aber es kann auch niemand bestreiten, daß der Weg dorthin von so zahlreichen und grauenvollen Verbrechen der anderen Seite markiert war, die in dieser Zusammenballung, Perversität und zentralen Lenkung ihresgleichen in der menschlichen Geschichte suchen. Man kann nicht das eine richten und das andere verschweigen. Jede Bewertung muß, wie gesagt, auf die Kriegsschuldfrage zurückgehen."
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dahin verstanden, daß der Autor die massenweise Ermordung jüdischer Menschen mit den Kriegsverbrechen anderer aufrechne. Der Text suggeriere nämlich, daß die anderen Mächte den Ausbruch und - durch bestimmte Verbrechen die Brutalisierung des Krieges verschuldet und damit zugleich den Weg zur Ermordung der Juden bereitet hätten. Damit solle das NS-Regime von der Verantwortung für die Judenvernichtung weitgehend entlastet werden.
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Die Bundesprüfstelle habe die Unrichtigkeit der Grundthese des Buches zu Recht als allgemeinkundig und daher nicht beweisbedürftig erachtet. Es komme nicht darauf an, ob Randbereiche der Kriegsschuldfrage noch ungeklärt seien; jedenfalls die These von der Unschuld des NS-Regimes finde nirgends Zustimmung.
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Für die Beurteilung der sozialethischen Gefährdung Jugendlicher stehe der Bundesprüfstelle ein Spielraum zu, der hier nicht überschritten sei. Es sei nicht abwegig anzunehmen, daß das Buch bei jugendlichen Lesern Sympathie für den NS-Staat wecken könne.
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bb) Dem Buch komme der Vorbehalt des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS nicht zugute, weil es nicht den Charakter eines wissenschaftlichen Werkes habe. Es gebe sich nur der Form nach wissenschaftlich, stelle aber seinem Inhalt nach keinen ernsthaften Versuch zur Ermittlung der Wahrheit dar.
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Es propagiere ein Geschichtsbild, wonach der friedliebenden und ehrenhaften Hitler-Regierung der Krieg aufgezwungen worden sei und wonach die am Kriegsausbruch schuldigen anderen Regierungen sogar zu einem wesentlichen Teil für die massenhafte Ermordung von Juden während des Krieges verantwortlich seien. Dieses Geschichtsbild sei offenkundig so weit von der historischen Wahrheit entfernt, daß es nicht auf ernsthaftem Streben nach Wahrheit, sondern nur auf dem um historische Wahrheit unbekümmerten Willen beruhen könne, Hitler und sein Herrschaftssystem zu exkulpieren. Dem entspreche es, daß in dem Buch zwar eine Vielzahl von Zitaten angeführt werde, die dem Konzept des Beschwerdeführers günstig seien oder günstig erscheinen könnten, daß aber andere für das Verständnis der Vorgeschichte des Krieges wesentliche Aspekte - wie die totalitär-aggressive nationalsozialistische Ideologie - völlig ausgespart blieben. Es fehle auch jede ernsthafte Erörterung derjenigen Literatur über die Entstehung des Zweiten Weltkrieges, die den Vorstellungen und Zielen des Beschwerdeführers widerspreche. Er bediene sich zum Teil einer irreführenden Zitierweise. Allgemein auffällig sei, daß er, entgegen den Gepflogenheiten der Wissenschaft, häufig nicht auf die zum Thema gehörenden Quellen selbst, sondern auf Publikationen Dritter zurückgreife, in denen solche Quellen zitiert würden. Das völlige Fehlen einer Auseinandersetzung mit anderen, unbedingt zum Thema gehörenden Veröffentlichungen, die zu seinen Intentionen nicht entsprechenden Ergebnissen gelangt seien, mache deutlich, daß von vornherein nicht objektiv geforscht, sondern der Propagierung eines bestimmten politischen und weltanschaulichen Konzepts zum Erfolg habe verholfen werden sollen. Dem von Anfang an festgelegten Ergebnis habe auch die Fülle von aus dem Zusammenhang gerissenen und aneinander gereihten Zitaten gedient. Diese würden nicht aus ihrem Gesamtzusammenhang heraus interpretiert und kommentiert, sondern wörtlich stets so eingesetzt, daß sie der vom Beschwerdeführer beabsichtigten Zielsetzung entsprächen, dem Leser in allen Situationen die dem Deutschen Reich und Hitler von den anderen Nationen aufgedrängten Handlungszwänge sichtbar zu machen.
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cc) Zu § 1 Abs. 2 Nr. 1 GjS werde an der Rechtsprechung festgehalten, daß diese Klausel nicht für eine vom Grundgesetz mißbilligte politische Tendenz in Anspruch genommen werden dürfe.
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III.
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1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die Entscheidungen der Bundesprüfstelle und des Bundesverwaltungsgerichts an. Er rügt die Verletzung seiner Rechte aus Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 GG; hinsichtlich des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts macht er zusätzlich eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG geltend.
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a) Sein Buch sei ein wissenschaftliches Werk, dem dieser Charakter allein wegen des Ergebnisses der Untersuchung abgesprochen werde. Der auf Seite 463 des Buches zusammengefaßte Leitgedanke seiner jahrelangen Studien in- und ausländischer Quellen zur Frage der Entstehung des Zweiten Weltkrieges sei die Vorstellung, daß die genaue Kenntnis der Ursachen dieses Krieges die Entwicklung eines neuen Weltkrieges vermeiden helfe. Das betreffe zugleich eine Angelegenheit von öffentlicher Bedeutung und sei Bestandteil der ständigen geistigen Auseinandersetzung, die für eine freiheitlich demokratische Grundordnung schlechthin konstituierend sei. Die Bundesrepublik Deutschland wolle diesen Kampf verschiedener Meinungen verhindern; sie dulde nur solche Meinungen, die der öffentlichen Propaganda nicht widersprächen.
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aa) Das Oberverwaltungsgericht habe sein Buch der Sache nach als methodisch geordnete Suche nach objektiver Wahrheit und als in einen Begründungszusammenhang eingeordnete Erkenntnis anerkannt. Die entgegenstehende Beurteilung der Bundesprüfstelle beruhe auf der Zeitungsrezension eines Kritikers, der kein Historiker sei. Die Frage nach der Wissenschaftlichkeit könne nicht nach den Kriterien "richtig" oder "falsch" beantwortet werden, weil wissenschaftliche Betätigung stets unabgeschlossen sei und durch neue Forschungsergebnisse widerlegt werden könne. Die Bundesprüfstelle habe aus einem von ihr mißbilligten Ergebnis auf die Unwissenschaftlichkeit zurückgeschlossen. Die nachfolgende Forschung habe im übrigen aufgrund weiterer Quellen die von ihm aufgestellten Thesen bestätigt.
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Das Bundesverwaltungsgericht habe seinem Werk Aussagen unterschoben, die darin nicht enthalten seien. Er habe die Regierung des Dritten Reiches keineswegs als "friedliebend" und "ehrenhaft" dargestellt. Die historische Sachkenntnis des Verwaltungsgerichts, auf dessen Entscheidung sich das Bundesverwaltungsgericht bezogen habe, sei dürftig gewesen und durch das von ihm vorgelegte Gutachten widerlegt worden. Ein wissenschaftliches Werk dürfe nicht durch Gerichtsurteil für richtig oder falsch erklärt werden. Dazu verfügten die Gerichte weder über eine geeignete Methode noch über die erforderlichen Mittel.
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bb) Seine Meinungsäußerungsfreiheit sei dadurch verletzt, daß die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung mit dem Belang des Jugendschutzes unterblieben sei; es fehle an der konkreten Feststellung, welches sittliche Gebot durch die Schrift verletzt werde. Seine Untersuchung sei zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Vielzahl von Faktoren zum Kriegsausbruch beigetragen habe und daß ein bestimmter Schuldvorwurf deshalb nicht erhoben werden könne. Es gebe jedenfalls keine sozialethische Norm, die besage, daß das deutsche Volk oder die deutsche Regierung am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Alleinschuld zu tragen habe. Sein Werk betreffe ausschließlich historische Fragen und Probleme, fälle aber keine sittlich-ethischen oder philosophischen Urteile. Die wissenschaftliche Beurteilung des fraglichen Geschichtskomplexes sei noch im Fluß. Wäge man das Gewicht der Gefährdung Jugendlicher mit demjenigen der Meinungsfreiheit ab, trete erstere in den Hintergrund. Da der Meinungskampf schlechthin konstituierend für die Demokratie sei, müsse es als vorrangiges Anliegen der Jugenderziehung gelten, den Jugendlichen die Fähigkeit zur Teilnahme an diesem Meinungskampf zu vermitteln. Dazu gehöre nicht nur die Toleranz, abweichende Meinungen zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihnen auseinanderzusetzen, sondern auch die sachliche Kenntnis, die erforderlich sei, um eine Meinung zu bilden oder zu widerlegen. Im vorliegenden Fall sei der Jugendschutz jedenfalls nur vorgeschoben, um politisch unerwünschte Meinungen zu unterdrücken.
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Das Bundesverwaltungsgericht unterlege dem Werk einen Inhalt, den es nicht habe. Es benutze den Begriff der Schuld im moralischen, theologischen Sinne. Mit der philosophischen und moralischen Seite der Angelegenheit befasse sich das Werk aber gar nicht. Soweit es den Begriff der Schuld überhaupt verwende, beziehe er sich auf die Kausalität einer Handlung. Die "totalitäre NS-Ideologie" sei ebensowenig Gegenstand der Untersuchung gewesen wie die "industriemäßig betriebene Vergasung jüdischer Menschen"; deshalb hätten diese Umstände, die auch nichts zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beigetragen hätten, nicht erörtert werden können. Ein nichtbehandelter Gegenstand könne nicht zur "Desorientierung" Jugendlicher beitragen.
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Entgegen der Auffassung den Bundesverwaltungsgerichts handele es sich bei der Frage nach den Ursachen des Zweiten Weltkrieges und den jeweiligen Tatbeiträgen dazu um wissenschaftliche Streitfragen, so daß nicht von "offenkundigen Tatsachen" ausgegangen werden könne. Damit sei hier auch kein Raum für die (ohnehin falsche) These, unzutreffende historische Aussagen könnten Jugendliche sozialethisch verwirren.
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b) Das Bundesverwaltungsgericht habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem es seinen Hinweisen auf abweichende historische Meinungen und bislang nicht verwertete Forschungsergebnisse nicht nachgegangen sei. Hätte es dies getan, so wäre es nicht zu der Auffassung gelangt, daß die Alleinschuld am Kriegsausbruch bei der deutschen Regierung gelegen habe, sondern hätte sich der Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts angeschlossen, daß die Kriegsursachenforschung noch im Fluß sei.
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2. Die Bundesprüfstelle verteidigt die angegriffenen Entscheidungen.
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Der Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG sei nicht berührt, weil die Schrift nicht der Wissenschaft diene. Darunter falle alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter, planmäßiger Versuch zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen sei. Die angegriffenen Entscheidungen hätten eine solche Absicht mit zutreffenden Erwägungen verneint. Sie seien davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer seine "Untersuchungen" lediglich durch äußere Aufmachung wissenschaftlich habe Bemänteln wollen, um alt- und neunationalsozialistisches Gedankengut durch geschickte Manipulation glaubhafter zu machen.
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Die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist unzulässig. Der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit eines Verstoßes gegen dieses Verfahrensgrundrecht nicht dargelegt.
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Das Bundesverwaltungsgericht hat entgegen der Begründung der Verfassungsbeschwerde seinem Urteil nicht die Auffassung zugrunde gelegt, die Kriegsschuldfrage sei eindeutig zu Lasten Deutschlands und der deutschen Reichsregierung geklärt, weil diese die Alleinschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges trage. Es hat vielmehr in Übereinstimmung mit der Indizierungsentscheidung die Grundthese des Buches in der Behauptung gesehen, Hitler und das NS-Regime seien von jeder Schuld am Kriegsausbruch frei. Die Unrichtigkeit dieser Grundthese, nicht etwa der einer Alleinschuld Hitlers, hat es als nicht beweisbedürftig angesehen. Daran geht der Beschwerdeführer mit seiner Rüge vorbei.
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Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
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I.
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Die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts und der Bundesprüfstelle, das indizierte Buch falle nicht in den Schutzbereich der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, ist allerdings nicht zu beanstanden.
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1. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG erklärt Wissenschaft, Forschung und Lehre für frei. Damit wird nicht nur eine objektive Grundsatznorm für den Bereich der Wissenschaft aufgestellt. Ebensowenig erschöpft sich das Grundrecht in einer auf wissenschaftliche Institutionen und Berufe bezogenen Gewährleistung der Funktionsbedingungen professionell betriebener Wissenschaft. Als Abwehrrecht sichert es vielmehr jedem, der sich wissenschaftlich betätigt, Freiheit von staatlicher Beschränkung zu (vgl. BVerfGE 15, 256 [263]). Gegenstand dieser Freiheit sind vor allem die auf wissenschaftlicher Eigengesetzlichkeit beruhenden Prozesse, Verhaltensweisen und Entscheidungen bei der Suche nach Erkenntnissen, ihrer Deutung und Weitergabe. Damit sich die Wissenschaft ungehindert an dem für sie kennzeichnenden Bemühen um Wahrheit ausrichten kann, ist sie zu einem von staatlicher Fremdbestimmung freien Bereich autonomer Verantwortung erklärt worden (vgl. BVerfGE 35, 79 [112 f.]; 47, 327 [367 f.]). Jeder, der wissenschaftlich tätig ist, genießt daher Schutz vor staatlichen Einwirkungen auf den Prozeß der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse.
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Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schützt aber nicht eine bestimmte Auffassung von Wissenschaft oder eine bestimmte Wissenschaftstheorie. Das wäre mit der prinzipiellen Unvollständigkeit und Unabgeschlossenheit unvereinbar, die der Wissenschaft trotz des für sie konstitutiven Wahrheitsbezugs eignet (vgl. BVerfGE 35, 79 [113]; 47, 327 [367 f.]). Der Schutz dieses Grundrechts hängt weder von der Richtigkeit der Methoden und Ergebnisse ab noch von der Stichhaltigkeit der Argumentation und Beweisführung oder der Vollständigkeit der Gesichtspunkte und Belege, die einem wissenschaftlichen Werk zugrunde liegen. Über gute und schlechte Wissenschaft, Wahrheit oder Unwahrheit von Ergebnissen kann nur wissenschaftlich geurteilt werden (vgl. BVerfGE 5, 85 [145]); Auffassungen, die sich in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt haben, bleiben der Revision und dem Wandel unterworfen. Die Wissenschaftsfreiheit schützt daher auch Mindermeinungen sowie Forschungsansätze und -Ergebnisse, die sich als irrig oder fehlerhaft erweisen. Ebenso genießt unorthodoxes oder intuitives Vorgehen den Schutz des Grundrechts. Voraussetzung ist nur, daß es sich dabei um Wissenschaft handelt; darunter fällt alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter Versuch zur Ermittlung von Wahrheit anzusehen ist (vgl. BVerfGE 35, 79 [113]; 47, 327 [367]).
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Aus der Offenheit und Wandelbarkeit von Wissenschaft, von der der Wissenschaftsbegriff des Grundgesetzes ausgeht, folgt aber nicht, daß eine Veröffentlichung schon deshalb als wissenschaftlich zu gelten hat, weil ihr Autor sie als wissenschaftlich ansieht oder bezeichnet. Denn die Einordnung unter die Wissenschaftsfreiheit, die nicht dem Vorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt (vgl. BVerfGE 35, 79 [112]), kann nicht allein von der Beurteilung desjenigen abhängen, der das Grundrecht für sich in Anspruch nimmt. Soweit es auf die Zulässigkeit einer Beschränkung zum Zwecke des Jugendschutzes (vgl. BVerfGE 83, 130 [139]) oder eines anderen verfassungsrechtlich geschützten Gutes (vgl. BVerfGE 81, 278 [292]) ankommt, sind vielmehr auch Behörden und Gerichte zu der Prüfung befugt, ob ein Werk die Merkmale des - weit zu verstehenden - Wissenschaftsbegriffs erfüllt.
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Einem Werk kann allerdings nicht schon deshalb die Wissenschaftlichkeit abgesprochen werden, weil es Einseitigkeiten und Lücken aufweist oder gegenteilige Auffassungen unzureichend berücksichtigt. All das mag ein Werk als fehlerhaft im Sinn der Selbstdefinition wissenschaftlicher Standards durch die Wissenschaft ausweisen. Dem Bereich der Wissenschaft ist es erst dann entzogen, wenn es den Anspruch von Wissenschaftlichkeit nicht nur im einzelnen oder nach der Definition bestimmter Schulen, sondern systematisch verfehlt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es nicht auf Wahrheitserkenntnis gerichtet ist, sondern vorgefaßten Meinungen oder Ergebnissen lediglich den Anschein wissenschaftlicher Gewinnung oder Nachweisbarkeit verleiht. Dafür kann die systematische Ausblendung von Fakten, Quellen, Ansichten und Ergebnissen, die die Auffassung des Autors in Frage stellen, ein Indiz sein. Dagegen genügt es nicht, daß einem Werk in innerwissenschaftlichen Kontroversen zwischen verschiedenen inhaltlichen oder methodischen Richtungen die Wissenschaftlichkeit bestritten wird.
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2. Nach diesen Grundsätzen ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß das Bundesverwaltungsgericht - wie schon die Bundesprüfstelle - dem Buch des Beschwerdeführers den Wissenschaftscharakter abgesprochen hat.
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Der Wissenschaftsbegriff, den es seiner Beurteilung zugrunde gelegt hat, entspricht den Anforderungen des Grundgesetzes. Das Bundesverwaltungsgericht hat erkannt, daß ein Werk nicht schon deswegen unwissenschaftlich ist, weil es Fehler aufweist oder in die Irre führt. Es hat vielmehr darauf abgestellt, ob es sich bei dem Werk um einen ernsthaften Versuch zur Findung der Wahrheit handelt. Dabei begegnet es keinen Bedenken, daß das Bundesverwaltungsgericht nicht schon von der wissenschaftlichen Einkleidung auf die Wissenschaftlichkeit des Werks geschlossen, sondern weiter gefragt hat, ob dieses auch nach der Art der Gewinnung seiner Ergebnisse als Wissenschaft gelten kann.
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Zwar ist das Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang der Gefahr nicht völlig entgangen, sich selber ein Urteil über den Wahrheitsgehalt des Buches zu bilden - auf den es bei der Beurteilung der Wissenschaftlichkeit eines Werkes grundsätzlich nicht ankommen kann (vgl. BVerfGE 5, 85 [145]) - und von diesem auf das mangelnde Bestreben nach Wahrheitssuche zu schließen. Indessen beruht die Entscheidung darauf nicht. Denn das Gericht ist unter Berücksichtigung des von der Bundesprüfstelle eingeholten Gutachtens und der Feststellungen des Verwaltungsgerichts zu dem Ergebnis gelangt, daß das Buch von dem Willen zur Propagierung einer bestimmten historisch-politischen Auffassung und nicht von dem Bestreben nach Wahrheitssuche geprägt wird.
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Diese Auffassung wird insbesondere durch die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts gestützt, der Beschwerdeführer habe die seiner These entgegenstehende Literatur völlig ausgespart. In der Tat hätte er auf eine Fülle nach den Quellen gearbeiteter wissenschaftlicher Untersuchungen sowie auf Dokumentationen, Tagebücher und Monographien zurückgreifen können, die Aussagen zum Kriegswillen Hitlers und zu dessen Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges enthalten. Auf diese wird nicht einmal im Quellenverzeichnis des Buches hingewiesen.
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II.
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Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen jedoch gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit.
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1. Das Buch fällt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
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a) Dieser gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern: Jeder soll frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann. Zugleich ist es der Sinn von Meinungsäußerungen, geistige Wirkung auf die Umwelt ausgehen zu lassen, meinungsbildend und überzeugend zu wirken. Werturteile sind danach geschützt, ohne daß es darauf ankäme, ob die Äußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, emotional oder rational ist (vgl. BVerfGE 61, 1 [7]; 85, 1 [15]).
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Auch Tatsachenbehauptungen sind durch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit jedenfalls insoweit geschützt, als sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind. Nur die bewußt unwahre Tatsachenbehauptung fällt von vornherein aus dem Schutzbereich des Grundrechts heraus, weil sie zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung nicht beitragen kann (vgl. BVerfGE 61, 1 [7 ff.]; 85, 1 [15]).
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Die Abgrenzung zwischen Werturteilen und Tatsachenbehauptungen kann im Einzelfall schwierig sein, vor allem deswegen, weil die beiden Äußerungsformen nicht selten miteinander verbunden werden und erst gemeinsam den Sinn einer Äußerung ausmachen. In solchen Fällen ist der Begriff der Meinung im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, den Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden (vgl. BVerfGE 85, [15 f.]).
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b) Das Buch des Beschwerdeführers ist durch seine Meinung zur Kriegsschuldfrage geprägt. Auf eine unwahre Tatsachenbehauptung läßt es sich nicht reduzieren. Insbesondere folgt aus der Möglichkeit, seinen Inhalt zu einer Kernaussage über einen historischen Vorgang zu verdichten, nicht, daß es in seiner Gesamtheit nur tatsächliche Behauptungen enthält. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, daß das NS-Regime und namentlich Hitler keine Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges treffe. Auch wenn der Begriff der Schuld dabei nur im Sinn der Verursachung verstanden wird, sind Fragen dieser Art einer Beantwortung durch reine Tatsachenbehauptungen nicht zugänglich, sondern erfordern eine wertende Beurteilung. Erst recht gilt das für die Darlegung eines bestimmten Geschichtsbildes, das stets das Ergebnis einer Interpretation komplexer historischer Sachverhalte und Zusammenhänge ist.
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2. Mit der Indizierung des Buches wird in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG eingegriffen. Sie hat das Verbot der Verbreitung an Jugendliche zur Folge und führt darüber hinaus zu Werbe- und Verbreitungsbeschränkungen, mit denen der Vertrieb an Erwachsene erheblich behindert wird (vgl. BVerfGE 83, 130 [143 f.]).
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a) Die Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet. Sie findet ihre Schranken unter anderem in den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend. Beim Erlaß solcher Vorschriften muß der Gesetzgeber jedoch der Bedeutung der in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbürgten Grundrechte Rechnung tragen.
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Mit diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen ist § 1 Abs. 1 GjS vereinbar, soweit er Schriften mit politischem Inhalt betrifft. Die Vorschrift ist zu dem Zweck erlassen, die Jugend vor sittlicher Gefährdung zu schützen. Der Gesetzgeber hat die der Meinungsfreiheit gezogenen Grenzen hinreichend genau bestimmt und die gebotene Abwägung zwischen ihrer Bedeutung in der Demokratie einerseits und den ebenfalls bedeutsamen Belangen des Jugendschutzes andererseits vorgenommen.
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Zwar läßt sich die Frage, ob eine Schrift in die Liste aufzunehmen ist, nicht ohne weiteres aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 GjS beantworten. Eine erhebliche Unschärfe ergibt sich vor allem aus dem Rückgriff auf sittliche Normen, die wenig Konturen aufweisen und zudem ständigem Wandel unterworfen sind. Zweifel können auch hinsichtlich einer möglichen Gefährdung jugendlicher Leser auftreten, da sich die Wirkungen anstößiger Lektüre nicht ohne weiteres abschätzen lassen und zudem fachwissenschaftlich umstritten sind (vgl. dazu BVerfGE 83, 130 [147]).
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Andererseits ist eine genauere begriffliche Umschreibung des Indizierungstatbestandes kaum möglich. Grundsätzlich kann der Gesetzgeber in einer solchen Lage auf Generalklauseln zurückgreifen. Dem Bestimmtheitserfordernis ist genügt, wenn Auslegungsprobleme mit herkömmlichen juristischen Methoden bewältigt werden können (vgl. BVerfGE 17, 67 [82]; 83, 130 [145]). Das ist hier der Fall, zumal das Gesetz durch die beispielhafte Aufzählung bestimmter Arten von Schriften in § 1 Abs. 1 Satz 2 GjS Anhaltspunkte für eine genauere Bestimmung des Indizierungstatbestandes gibt. Daß Schriften, die verrohend wirken, zu Gewalttätigkeiten, Verbrechen oder Rassenhaß aufreizen oder den Krieg verherrlichen, in die Liste aufzunehmen sind, veranschaulicht über diese Fallbeispiele hinaus den Inhalt des Begriffs "sittliche Gefährdung". Die Beispiele lassen auch erkennen, daß eine Indizierung erst bei einem deutlichen Gefährdungsgrad und einer erheblichen Intensität der Gefahr in Betracht kommen soll, der Gesetzgeber also eine Abwägung zwischen der Bedeutung der Meinungsfreiheit und dem Interesse an einem effektiven Jugendschutz vorgenommen hat.
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Aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich weitere Hinweise auf den näheren Inhalt des Indizierungstatbestandes. Der Regierungsentwurf hatte sich zu Auslegungsfragen noch auf der Grundlage einer nicht durch Beispiele anschaulich gemachten Generalklausel geäußert. Danach sollte sich die Definition "geeignet, Jugendliche sittlich zu gefährden" keineswegs auf das Sittliche im geschlechtlichen Sinne beschränken, sondern auch Abhandlungen und Erzählungen erfassen, die durch Verherrlichung des Verbrecherischen sittlich bedenkliche Vorstellungen in Jugendlichen auslösen könnten (vgl. BTDrucks. I/1101, S. 10). Der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge fügte sodann abweichend vom Regierungsentwurf den Satz an: "Dazu zählen vor allem unsittliche sowie Verbrechen, Krieg und Rassenhaß verherrlichende Schriften." Die Beispiele sollten also offensichtlich dem Gesetzesanwender deutlich machen, daß der Begriff der sittlichen Gefährdung offen ist, sich insbesondere nicht auf das Geschlechtliche beschränkt. Der damit erreichten Weite des Begriffs der sittlichen Gefährdung stand als Korrektiv aber eine Beschränkung auf besonders schwerwiegende Fälle gegenüber.
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Das Änderungsgesetz vom 21. März 1961 erweiterte die genannte Formulierung und erstreckte sie vor allem auf unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhaß anreisende sowie den Krieg verherrlichende Schriften. Der Schriftliche Bericht des Ausschusses für Familien- und Jugendfragen begründete die Änderung damit, daß der Wirklichkeit, wie sie sich auf dem Gebiete den jugendgefährdenden Schrifttums darstelle, Rechnung getragen und die Anschaulichkeit des Gesetzes erhöht werden solle. Weiteren Änderungsvorschlägen sei nicht zu folgen. Das geltende Recht, das auf die Eignung abstelle, Jugendliche sittlich zu gefährden, habe sich in der Praxis der Bundesprüfstelle und der Gerichte als ausreichend erwiesen und bewährt (vgl. BTDrucks. III/2373, S. 1 f.).
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Zusätzlich eingegrenzt wird der Indizierungstatbestand durch die Tendenzschutzklausel des § 1 Abs. 2 Nr. 1 GjS. Wenn es dort heißt, daß Schriften nicht allein wegen ihres politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts in die Liste aufgenommen werden dürfen, so wird damit klargestellt, daß das Gesetz Jugendliche nicht davor schützen will, mit derartigen Tendenzen konfrontiert zu werden, auch wenn diese - aus welchen Gründen auch immer - nicht als billigenswert erscheinen. Darin liegt nicht nur eine zusätzliche Konkretisierung des Indizierungstatbestandes und eine nähere Bestimmung der Schranken, die der Meinungsfreiheit zugunsten des Jugendschutzes gesetzt werden. Mit der Tendenzschutzklausel hat der Gesetzgeber zudem der besonderen Bedeutung der Meinungsfreiheit für die politische Auseinandersetzung Rechnung getragen.
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b) Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 1 GjS durch die Bundesprüfstelle und das Bundesverwaltungsgericht begegnen jedoch verfassungsrechtlichen Bedenken. Nicht zu beanstanden ist zwar die Auffassung, daß eine Aufwertung und Rehabilitierung oder Verharmlosung der "totalitären NS-Ideologie" Jugendliche sittlich gefährden kann und daß eine Schrift dieses Inhalts nicht unter die Tendenzschutzklausel fällt (aa). Unvereinbar mit Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist jedoch die Annahme, für die Anwendung der die Meinungsfreiheit einschränkenden Jugendschutzvorschriften reiche es aus, daß das Buch des Beschwerdeführers durch falsche historische Darstellung der Kriegsschuldfrage die NS- Ideologie aufwerte (bb).
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aa) Das verfassungsrechtlich bedeutsame Interesse an einer ungestörten Entwicklung der Jugend ist unter anderem darauf gerichtet, Rassenhaß, Kriegslüsternheit und Demokratiefeindlichkeit nicht aufkommen zu lassen (vgl. BVerfGE 30, 336 [347, 350]). Die NS-Ideologie ist durch solche Elemente wesentlich geprägt. Ihre Verherrlichung, Rehabilitierung oder Verharmlosung in einer Schrift kann es daher durchaus rechtfertigen, deren Verbreitung zum Schutze der Jugend zu beschränken. § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 GjS läßt auch hinreichend deutlich erkennen, daß das Gesetz solche Schriften erfassen will, deren Wirkung von der Bundesprüfstelle, den Verwaltungsgerichten sowie einem Teil der Literatur mit dem Begriff "sozialethische Verwirrung" umschrieben wird.
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Es bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken dagegen, daß das Bundesverwaltungsgericht die Tendenzschutzklausel auf solche Schriften nicht anwendet. Diese Klausel dient der Klarstellung, daß der Jugendschutz unter anderem im Bereich politischer Meinungsbildung zurückzustehen hat, weil in diesem Kernbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG dem Schutz der freien Kommunikation besondere Bedeutung zukommt. Ob die vom Bundesverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang vertretene These, daß der gesetzliche Tendenzschutz für alle vom Grundgesetz mißbilligten politischen Anschauungen entfalte, der Bedeutung und Tragweite des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gerecht wird, erscheint allerdings zweifelhaft. Das kann aber auf sich beruhen, weil es darauf nicht ankommt.
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bb) Die Annahme der Bundesprüfstelle und - ihr folgend - des Bundesverwaltungsgerichts, das Buch des Beschwerdeführers könne schon deshalb indiziert werden, weil es die NS-Ideologie durch eine falsche historische Darstellung aufwerte, trägt jedoch der Bedeutung des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht ausreichend Rechnung.
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Bundesprüfstelle und Bundesverwaltungsgericht gehen nicht davon aus, daß der Beschwerdeführer in seinem Buch zum Rassenhaß aufstachele, den Krieg verherrliche oder andere im oben dargelegten Sinne jugendgefährdende Thesen vertrete. Tatsächlich vermeidet es der Beschwerdeführer, die NS-Ideologie.zu rechtfertigen, den Krieg zu verherrlichen oder die Ermordung von Millionen von Juden zu leugnen oder zu verteidigen. Eine Gefährdung der Jugend durch die Propagierung von Ideen, die offensichtlich mit den Grundprinzipien von Menschenwürde und Freiheitlichkeit, von denen die Verfassung ausgeht, unvereinbar wären, läßt sich also nicht feststellen. Die Gefahr, die nach Auffassung der Bundesprüfstelle und des Bundesverwaltungsgerichts von dem Buch ausgeht, ergibt sich vielmehr daraus, daß der Beschwerdeführer Hitler und die übrigen Machthaber des NS-Regimes von einer Schuld oder auch nur Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges zu entlasten versucht und darüber hinaus - in einer Fußnote - die Ermordung der Juden als Folge des von anderen verursachten Krieges und der vorausgegangenen Kriegsverbrechen anderer hinstellt.
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Die Wertung, daß eine Gefahr für die Jugend schon deshalb entstehen kann, weil der Beschwerdeführer die NS-Ideologie als harmlos erscheinen läßt, indem er gerade die schwerwiegendsten Unrechtshandlungen des Nationalsozialismus leugnet oder sie als Folge von Entwicklungen darstellt, die dieser nicht zu verantworten hatte, ist zwar nachvollziehbar. Bei der Prüfung, ob dies bereits den Eingriff rechtfertigt, der mit einer Indizierung der Schrift verbunden ist, muß jedoch berücksichtigt werden, daß die genannten Erwägungen nur mittelbare Auswirkungen der Schrift betreffen, deren Gefährdungspotential besonders schwer einzuschätzen ist. Vor allem ist in diesem Zusammenhang aber zu bedenken, daß Äußerungen zur Geschichtsinterpretation, insbesondere solche, die sich auf die jüngere deutsche Geschichte beziehen, als Beitrag zur politischen Meinungsbildung in den Kernbereich des Schutzes fallen, den Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleistet. Das gilt unabhängig davon, ob sie im Spektrum gängiger Lehrmeinungen oder weit außerhalb davon liegen, ob sie gut begründet erscheinen oder ob es sich - wie hier bei der zentralen Frage des Buches nach der Kriegsschuld - um anfechtbare Darstellungen handelt.
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Der demokratische Staat vertraut grundsätzlich darauf, daß sich in der offenen Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Meinungen ein vielschichtiges Bild ergibt, dem gegenüber sich einseitige, auf Verfälschung von Tatsachen beruhende Auffassungen im allgemeinen nicht durchsetzen können. Die freie Diskussion ist das eigentliche Fundament der freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft. Auch Jugendliche können nur dann zu mündigen Staatsbürgern werden, wenn ihre Kritikfähigkeit in Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Meinungen gestärkt wird. Das gilt in besonderem Maße für die Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Geschichte. Die Vermittlung des historischen Geschehens und die kritische Auseinandersetzung mit abweichenden Meinungen können die Jugend sehr viel wirksamer vor Anfälligkeit für verzerrende Geschichtsdarstellungen schützen als eine Indizierung, die solchen Meinungen sogar eine unberechtigte Anziehungskraft verleihen könnte.
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Die Entscheidungen der Bundesprüfstelle und des Bundesverwaltungsgerichts tragen diesen Grundsätzen nicht hinreichend Rechnung. Sie verkennen zunächst, daß sich das Buch des Beschwerdeführers nicht auf eine einzige Tatsachenbehauptung reduzieren läßt, die ohne weiteres als widerlegt angesehen werden kann, sondern die Darlegung einer bestimmten Auffassung zu zeitgeschichtlichen Vorgängen enthält, die eine Vielzahl von Tatsachenbehauptungen und Wertungen miteinander verbindet. Vor allem aber fehlt es an einer Abwägung zwischen dem mit der Indizierung verfolgten Zweck und dem Gewicht des Eingriffs in die Meinungsfreiheit. Dabei hätten Bundesprüfstelle und Bundesverwaltungsgericht insbesondere prüfen müssen, ob es der Entwicklung Jugendlicher in einem demokratischen Staat dient, ihnen extreme Positionen einer zeitgeschichtlichen Diskussion vorzuenthalten.
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Die angegriffenen Entscheidungen sind daher aufzuheben. Ob die Behörde bei einer erneuten Prüfung zu demselben Ergebnis gelangen kann, ist hier nicht zu entscheiden.
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