Urteil | |
des Ersten Senats vom 16. Januar 2002 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 7. November 2001
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-- 1 BvR 1236/99 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau E... -- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Michael Pap und Hartmut Stegmaier, in Sozietät Caemmerer, Bender, Lenz, Douglasstraße 11-15, 76133 Karlsruhe -- 1. unmittelbar gegen a) das Urteil des Landesberufsgerichts für Apotheker in Karlsruhe vom 26. April 1999 - LBG 2/99 -, b) das Urteil des Bezirksberufsgerichts für Apotheker in Karlsruhe vom 7. Oktober 1998 - BBG 3/98 -, 2. mittelbar gegen § 14 Abs. 4 des Ladenschlussgesetzes.
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Entscheidungsformel:
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1. § 14 Absatz 4 des Gesetzes über den Ladenschluß vom 28. November 1956 (Bundesgesetzblatt I Seite 875) verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Vorschrift ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig.
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2. Das Urteil des Landesberufsgerichts für Apotheker in Karlsruhe vom 26. April 1999 -- LBG 2/99 -- und das Urteil des Bezirksberufsgerichts für Apotheker in Karlsruhe vom 7. Oktober 1998 -- BBG 3/98 -- verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes.
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Die Urteile werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landesberufsgericht für Apotheker in Karlsruhe zur Entscheidung über die Kosten zurückverwiesen.
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3. Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Baden-Württemberg haben der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen je zur Hälfte zu erstatten.
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4. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 20.000 € (in Worten: zwanzigtausend Euro) festgesetzt.
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Gründe: | |
A. | |
Das Verfahren betrifft das für Apotheken geltende gesetzliche Verbot, von den Öffnungszeiten an allgemeinen Verkaufssonntagen Gebrauch zu machen.
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I.
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1. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die beschwerdeführende Apothekerin gegen ihre Verurteilung zu einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen § 14 Abs. 4 des Gesetzes über den Ladenschluss vom 28. November 1956 (BGBl I S. 875; im Folgenden: LadschlG). § 14 LadschlG lautet nach der letzten Änderung durch Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluss und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien vom 30. Juli 1996 (BGBl I S. 1186; im Folgenden: LadschlÄndG):
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§ 14 Weitere Verkaufssonntage | |
(1) Abweichend von der Vorschrift des § 3 Abs. 1 Nr. 1 dürfen Verkaufsstellen aus Anlaß von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen an jährlich höchstens vier Sonn- und Feiertagen geöffnet sein. Wird hiervon Gebrauch gemacht, so müssen die offenen Verkaufsstellen an den jeweils voraufgehenden Sonnabenden ab vierzehn Uhr geschlossen werden. Diese Tage werden von den Landesregierungen oder den von ihnen bestimmten Stellen durch Rechtsverordnung freigegeben.
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(2) Bei der Freigabe kann die Offenhaltung auf bestimmte Bezirke und Handelszweige beschränkt werden. Der Zeitraum, während dessen die Verkaufsstellen geöffnet sein dürfen, ist anzugeben. Er darf fünf zusammenhängende Stunden nicht überschreiten, muß spätestens um achtzehn Uhr enden und soll außerhalb der Zeit des Hauptgottesdienstes liegen.
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(3) Sonn- und Feiertage im Dezember dürfen nicht freigegeben werden. In Orten, für die eine Regelung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 getroffen ist, dürfen Sonn- und Feiertage nach Absatz 1 nur freigegeben werden, soweit die Zahl dieser Tage zusammen mit den nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 freigegebenen Sonn- und Feiertagen vierzig nicht übersteigt.
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(4) Für Apotheken bleibt es bei den Vorschriften des § 4.
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§ 4 LadschlG hat aktuell folgenden Wortlaut:
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§ 4 Apotheken | |
(1) Abweichend von den Vorschriften des § 3 dürfen Apotheken an allen Tagen während des ganzen Tages geöffnet sein. An Werktagen während der allgemeinen Ladenschlußzeiten (§ 3) und an Sonn- und Feiertagen ist nur die Abgabe von Arznei-, Krankenpflege-, Säuglingspflege- und Säuglingsnährmitteln, hygienischen Artikeln sowie Desinfektionsmitteln gestattet.
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(2) Die nach Landesrecht zuständige Verwaltungsbehörde hat für eine Gemeinde oder für benachbarte Gemeinden mit mehreren Apotheken anzuordnen, daß während der allgemeinen Ladenschlußzeiten (§ 3) abwechselnd ein Teil der Apotheken geschlossen sein muß. An den geschlossenen Apotheken ist an sichtbarer Stelle ein Aushang anzubringen, der die zur Zeit offenen Apotheken bekanntgibt. Dienstbereitschaft der Apotheken steht der Offenhaltung gleich.
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Der Zweck des Ladenschlussgesetzes ist in erster Linie der Arbeitszeitschutz der Angestellten im Einzelhandel; daneben tritt die Sicherung der Wettbewerbsneutralität (vgl. BVerfGE 13, 237 [240] mit Hinweis auf BVerfGE 1, 283 [297]). Die Regelung erlaubt eine wirksame und möglichst einfache Verwaltungskontrolle (vgl. BVerfGE 13, 230 [235]) und bewirkt eine arbeitnehmerfreundliche Verteilung der Arbeitszeit auf die Wochentage (vgl. Hufen, NJW 1986, S. 1291 [1298]). Diese Ziele sind vom Gesetzgeber auch bei der letzten Novelle zum Ladenschlussgesetz beibehalten worden, als mit Rücksicht auf die veränderten wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen, die gewandelten Konsum- und Einkaufsgewohnheiten und die verstärkte Tendenz zur Flexibilisierung der Arbeitszeit die regelmäßigen Ladenöffnungszeiten von Montag bis Freitag auf die Zeit von 6.00 Uhr bis 20.00 Uhr und an den Samstagen auf die Zeit von 6.00 Uhr bis 16.00 Uhr verlängert worden sind (vgl. BTDrucks 13/4245, S. 6 f.). Nationale Ladenschlusszeiten stehen mit europäischem Recht in Einklang (vgl. EuGH, RS.C-145/88, Slg. 1989, S. 3851).
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2. Den Apotheken obliegt die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Neben Arzneimitteln dürfen sie so genannte apothekenübliche Waren abgeben. Hinsichtlich der apothekenpflichtigen Arzneimittel stehen sie nur untereinander im Wettbewerb; bei den frei verkäuflichen Arzneimitteln stellen sie sich dem Wettbewerb mit Einzelhandelsunternehmen, die im Besitz einer Zulassung zum Arzneimittelverkauf sind. Hinsichtlich der apothekenüblichen Waren stehen sie im allgemeinen Wettbewerb des Einzelhandels (vgl. BVerfGE 94, 372 [374 f.]).
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Anders als im Einzelhandel, dem die Öffnung nur zu bestimmten Zeiten gestattet ist, begründet § 23 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (Apothekenbetriebsordnung - ApBetrO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl I S. 1195) die Pflicht zur ständigen Dienstbereitschaft der Apotheken, deren Einführung zum einen von § 4 Abs. 1 Satz 1 LadschlG ermöglicht und die zum anderen durch die Anordnung der wechselseitigen Dienstbereitschaft nach § 4 Abs. 2 LadschlG begrenzt wird. § 23 ApBetrO hat nach der Änderung durch Art. 6 LadschlÄndG folgenden Wortlaut:
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§ 23 Dienstbereitschaft | |
(1) Die Apotheke muß außer zu den Zeiten, in denen sie auf Grund einer Anordnung nach § 4 Abs. 2 des Ladenschlußgesetzes geschlossen zu halten ist, ständig dienstbereit sein. Die von einer Anordnung betroffene Apotheke ist zu folgenden Zeiten von der Verpflichtung zur Dienstbereitschaft befreit:
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1. montags bis samstags von 6 Uhr bis 8 Uhr,
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2. montags bis freitags von 18.30 Uhr bis 20 Uhr,
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3. samstags von 14 Uhr bis 16 Uhr,
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4. an den vier aufeinanderfolgenden Samstagen vor dem 24. Dezember von 14 Uhr bis 18 Uhr.
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(2) Von der Verpflichtung zur Dienstbereitschaft kann die zuständige Behörde für die Dauer der ortsüblichen Schließzeiten, der Mittwochnachmittage, Sonnabende oder der Betriebsferien und, sofern ein berechtigter Grund vorliegt, auch außerhalb dieser Zeiten befreien, wenn die Arzneimittelversorgung in dieser Zeit durch eine andere Apotheke, die sich auch in einer anderen Gemeinde befinden kann, sichergestellt ist.
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(3) Die zuständige Behörde kann eine Apotheke, die keiner Anordnung nach § 4 Abs. 2 des Ladenschlußgesetzes unterliegt, für bestimmte Stunden oder für Sonn- und Feiertage von der Dienstbereitschaft befreien.
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(4) bis (6) ...
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Die Ausdehnung der allgemeinen Ladenöffnungszeiten hatte verlängerte Schließungsmöglichkeiten für die Apotheken zur Folge, so dass die Apotheken nach eigenem Ermessen insgesamt 21 1/2 Wochenstunden entsprechend ihren personellen Möglichkeiten öffnen oder schließen können. Eine Dienstbereitschaft aller Apotheken erschien dem Verordnunggeber unter Versorgungsgesichtspunkten vor 8.00 Uhr morgens und nach 18.30 Uhr am Abend nicht erforderlich (Zmarzlik/Roggendorff, Ladenschlußgesetz, 2. Aufl., 1997, § 4 Rn. 3; Pfeil/Pieck/Blume, Apothekenbetriebsordnung, Loseblattkommentar, 5. Aufl., § 23 Rn. 7 a, Stand: 4. Ergänzungslieferung 1997).
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II.
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1. Die Beschwerdeführerin betrieb in Ettlingen eine Apotheke. In Kenntnis von § 14 Abs. 4 LadschlG nahm sie im Frühjahr 1997 an einem verkaufsoffenen Sonntag in Ettlingen teil. Sie hielt ihre Apotheke geöffnet, obwohl sie an diesem Tag nicht zum Notdienst eingeteilt war.
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Vom Bezirksberufsgericht für Apotheker wurde sie zu einer Geldbuße in Höhe von 1.000 DM verurteilt. Sie sei nach § 3 der Berufsordnung der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg vom 8. Oktober 1997 (Pharmazeutische Zeitung 1997, S. 4002) zur Einhaltung der geltenden Gesetze verpflichtet, habe aber gegen § 14 Abs. 4 LadschlG verstoßen. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung bestünden nicht. Diese Auffassung wurde vom Landesberufsgericht für Apotheker geteilt. Die Sonderstellung der Apotheken im Verhältnis zum allgemeinen Einzelhandel rechtfertige die für die Apotheken bestehenden Sonderregelungen über die Öffnungszeiten. Die von der Beschwerdeführerin angegriffene Einschränkung der Berufsausübung behindere sie zeitlich nur in ganz geringem Umfang; im allgemeinen Wettbewerb mit dem Einzelhandel stehe sie überdies nur in dem marginalen Bereich des Randsortiments. Das Verkaufspersonal werde in Apotheken mehr belastet als in sonstigen Verkaufsstellen und bedürfe daher verstärkt gesetzlichen Schutzes. Im Übrigen entspreche es nicht dem Berufsbild des Apothekers, mit der Öffnung am Sonntag das Streben nach Gewinn und gesteigertem Umsatz zur Schau zu stellen.
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2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG unmittelbar durch die gerichtlichen Entscheidungen und mittelbar durch § 14 Abs. 4 LadschlG. Es gebe keine sachlichen Differenzierungskriterien für die Ungleichbehandlung der Apotheken gegenüber anderen Verkaufsstellen im Rahmen der Beteiligung an verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen. Die angegriffenen Entscheidungen berücksichtigten nicht ausreichend, dass der Betrieb von Apotheken nicht nur der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, sondern auch dem Lebensunterhalt des Apothekers diene. Apotheken müssten nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten effizient geführt werden, wozu eine angemessene Selbstdarstellung beitrage. Gerade die verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage böten dem Einzelhandel eine ideale Gelegenheit, auf das jeweilige Sortiment und auf fachkundige Beratung hinzuweisen und damit werbend in Erscheinung zu treten.
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Vor allem aber bezwecke § 4 LadschlG insgesamt die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit bestimmten in Apotheken vorgehaltenen Waren. Dem entspreche die Beteiligung an Verkaufssonntagen. Im zeitlichen und örtlichen Geltungsbereich von Verkaufssonntagen gebe es auch im Übrigen keine Beschränkung auf bestimmte Warengruppen. Gerade die Apotheken könnten einen typischen Bedarf von Markt- und Messebesuchern abdecken, der durch plötzliche Gesundheitsbeeinträchtigungen entstehe.
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Der Schutz des Verkaufspersonals vor einer kumulativen Belastung durch Notdienste und verkaufsoffene Sonntage gebiete jedenfalls nicht das generelle Verbot. Die Arbeitszeit werde durch Tarifrecht und Arbeitsschutzrecht hinlänglich gewahrt.
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III.
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Zu der Verfassungsbeschwerde haben Stellung genommen das Bundesministerium für Gesundheit namens der Bundesregierung, die Landesregierung Baden-Württemberg, die Bundesapothekerkammer, die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, der Deutsche Apothekerverband sowie der Bundesverband Deutscher Apotheker. In der mündlichen Verhandlung haben die Bundesregierung sowie die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg ihren Standpunkt ergänzend erläutert.
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In allen Stellungnahmen wird die angegriffene Regelung für verfassungsgemäß gehalten. Die Bundesapothekerkammer, die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, der Deutsche Apothekerverband und der Bundesverband Deutscher Apotheker teilen allerdings die Einschätzung der Beschwerdeführerin, dass beim Kunden Kenntnisse über Inhalt und Sinn ladenschlussrechtlicher Regelungen nicht vorausgesetzt werden könnten, so dass oftmals der objektiv falsche Eindruck entstehe, Apotheken hätten es nicht nötig, kunden- und serviceorientiert zu handeln.
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Die Verfassungsbeschwerde ist begründet. Es ist mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar, dass Apotheken an den Sonntagen, die nach § 14 LadschlG aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen zur Offenhaltung freigegeben werden, nicht geöffnet werden dürfen, auch wenn sie im Bezirk der Freigabe gelegen sind. § 14 Abs. 4 LadschlG greift unverhältnismäßig in die Berufsausübungsfreiheit der Apotheker ein; die Vorschrift ist mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Die Urteile, mit denen die Beschwerdeführerin zu einer Geldbuße verurteilt worden ist, beruhen auf der verfassungswidrigen Vorschrift; sie werden aufgehoben.
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I.
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Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG schützt die Freiheit der Berufsausübung. Zu den Rahmenbedingungen der Berufsausübung gehören für Verkaufsstellen jeder Art die Regelungen über die Ladenöffnungszeiten. Die angegriffene Norm greift in die Berufsausübung ein; sie schränkt die Öffnungszeiten für Apotheken noch über das für den allgemeinen Handel geltende Maß hinaus ein und verkürzt das grundsätzlich vorhandene generelle Öffnungsrecht der Apotheken nach § 4 Abs. 1 Satz 1 LadschlG auf die nach § 4 Abs. 2 LadschlG für einzelne Apotheken angeordnete Dienstbereitschaft.
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Gesetzliche Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt sind. Die aus Gründen des Gemeinwohls unumgänglichen Beschränkungen des Grundrechts stehen unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 19, 330 [336 f.]; 54, 301 [313]). Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen deshalb nicht weiter gehen, als es die sie rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern (vgl. BVerfGE 101, 331 [347]). Eine sowohl den Freiheitsanspruch des Berufstätigen wie die Schutzbedürftigkeit der Gemeinschaft berücksichtigende Lösung kann nur in Abwägung der Bedeutung der einander gegenüberstehenden und möglicherweise einander widerstreitenden Interessen gefunden werden (vgl. BVerfGE 7, 377 [404 f.]). Diese Abwägung ergibt hier einen Vorrang der Berufsfreiheit der Apotheker.
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1. Die Regelungen über den Ladenschluss dienen allerdings anerkannten Gemeinwohlbelangen.
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a) Die besonderen Regelungen über die Öffnungszeiten von Apotheken bezwecken vornehmlich, die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Dies geschieht vor allem über die Regelung der ständigen Dienstbereitschaft, nicht über die angeordneten Schließungszeiten. Die ständige Dienstbereitschaft der Apotheken kann aber in Regionen mit geringer Apothekendichte zu einer Überforderung des Apothekers und seines pharmazeutischen Personals (vgl. §§ 3, 17 ApBetrO) führen, das die Nacht- und Sonntagsdienste zu leisten hat. Insoweit dienen die Spezialregelungen für Apotheken ebenso wie das Ladenschlussgesetz auch dem Arbeitszeitschutz, insbesondere dazu, dem Personal möglichst weitgehend den arbeitsfreien Abend und ein zusammenhängendes freies Wochenende zu sichern. Im Verhältnis zu anderen Apotheken oder sonstigen Verkaufsstellen kann unter bestimmten Bedingungen auch noch der Wettbewerbsschutz als Gemeinwohlbelang hinzutreten. Es handelt sich insgesamt um ausreichende Gründe des Gemeinwohls, die einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit rechtfertigen (vgl. BVerfGE 13, 237 [241]; 14, 19 [23]; 59, 336 [353]).
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b) Soweit in den Stellungnahmen vereinzelt darauf hingewiesen worden ist, das Verbot der Sonntagsöffnung könne auch der Arzneimittelversorgung zugute kommen, kann dies zur Rechtfertigung nicht herangezogen werden. Es ist fern liegend und auch durch die eingeholten Stellungnahmen nicht plausibel gemacht, dass die Öffnung am Sonntag selbst und im Zusammenhang mit der übrigen Dienstbereitschaft so belastend wäre, dass zum einen die Sicherheit des Arzneimittelverkehrs durch übermüdetes Personal oder zum anderen die Versorgungslage gefährdet würde, weil die wirtschaftliche Existenz von Apotheken außerhalb des Gebiets, in dem der verkaufsoffene Sonntag stattfindet, bedroht wäre.
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Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Verkaufsstelle auch am verkaufsoffenen Sonntag nicht mehr als an fünf zusammenhängenden Stunden geöffnet sein darf; zum Ausgleich muss sie am vorausgehenden Sonnabend bereits ab 14.00 Uhr und nicht erst ab 16.00 Uhr geschlossen gehalten werden. Die Verfassungsbeschwerde betrifft somit drei zusätzliche Arbeitsstunden an höchstens vier Wochenenden im Jahr. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass gerade in diesem Zusammenhang die Arbeitszeitordnung und die tariflichen Arbeitszeitbestimmungen unbeachtet blieben. Diese für Dauer, Verteilung und Vergütung der Arbeitszeit geltenden Vorschriften sind ungeachtet derjenigen über den Ladenschluss ausschlaggebend für die Belastung des in der Apotheke tätigen pharmazeutischen Personals. Die möglichen allgemeinen Ladenöffnungszeiten liegen derzeit bei etwa 80 Wochenstunden; die tarifliche Arbeitszeit beträgt weniger als die Hälfte. Außerdem werden in den Apotheken häufig Frauen in Teilzeitarbeit beschäftigt. Individuelle Arbeitszeit und Öffnungszeit müssen für alle Arbeitnehmer aufeinander abgestimmt werden. Die maximal viermal im Jahr vorkommende Sonntagsöffnung kann in Anbetracht dieser Sachlage in den regelmäßigen monatlichen oder wöchentlichen Arbeitsplänen keine herausragende Rolle spielen. Außerdem haben die Apotheken nach § 23 ApBetrO die Möglichkeit, ihre Dienstbereitschaft im Verhältnis zu den allgemeinen Ladenöffnungszeiten um mehr als 20 Stunden einzuschränken und auf diese Weise auf eine etwaige sonntägliche Mehrbelastung zu reagieren. Darüber hinaus können einer Apotheke weitere Schließzeiten im Rahmen des Ortsüblichen gemäß § 23 Abs. 2 ApBetrO zugestanden werden. Angesichts der vielfältigen Möglichkeiten, einer Überbeanspruchung des Personals vorzubeugen, ist nicht erkennbar, dass eine dem Apotheker freigestellte Teilnahme an verkaufsoffenen Sonntagen eine Gefährdung der Arzneimittelversorgung durch überbeanspruchtes pharmazeutisches Personal verursachen könnte.
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Die geringfügige Abweichung von der sonst üblichen Wochenöffnungszeit lässt überdies keine messbaren Auswirkungen auf die gemäß behördlicher Anordnung sonst dienstbereiten Apotheken erwarten. In der mündlichen Verhandlung haben die Landesapothekerkammer Baden-Württemberg und die Beschwerdeführerin übereinstimmend dargelegt, dass sich der Kundenkreis der am Sonntag dienstbereiten Apotheken in aller Regel aus solchen Personen zusammensetzt, die den ärztlichen Notdienst und die Krankenhausambulanzen in Anspruch genommen haben, die an diesem Tag ausgestellten Rezepte einlösen wollen und sich an dem veröffentlichten Notdienstplan der Apotheken orientieren. Solche Kunden meiden eher die an verkaufsoffenen Sonntagen überfüllten Innenstädte. Die dort geöffneten Apotheken werden im Wesentlichen durch das vom verkaufsoffenen Sonntag angelockte Publikum aufgesucht.
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2. a) Der angegriffenen Regelung kann nicht von vornherein Eignung und Erforderlichkeit zur Erreichung der vom Gesetzgeber angestrebten Ziele abgesprochen werden. Die Verteilung der Arbeitszeit wird durch das Verbot von Sonntagsarbeit für die Arbeitnehmer bei generalisierender Betrachtung günstig beeinflusst. Das gilt umso mehr, je weniger Personal in der einzelnen Apotheke beschäftigt und je geringer die Apothekendichte im maßgeblichen Bezirk ist. Denn danach richtet sich vornehmlich, wie stark der einzelne Apotheker und die pharmazeutischen Angestellten von der ständigen Dienstbereitschaft und der etwa hinzutretenden Sonntagsdienstbereitschaft belastet werden.
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b) Nicht gefolgt werden kann allerdings dem Landesberufsgericht darin, dass die angegriffene Vorschrift erforderlich sei, damit dem Apotheker nicht ein übersteigertes Streben nach Gewinn vorgeworfen werden könne. Dafür ist nichts ersichtlich.
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Der Gesetzgeber selbst hat mit der grundsätzlichen Angleichung der Öffnungszeiten von Apotheken und von allgemeinen Verkaufsstellen eine ganz andere Einschätzung zum Ausdruck gebracht. Den Besonderheiten von Apotheken soll nicht durch verminderte Öffnungszeiten Rechnung getragen werden. Im Rahmen des Üblichen stehen die Apotheken den Kunden wie alle anderen Verkaufsstellen zur Verfügung. Ihre Sonderstellung wird gerade durch die erhöhte Bereitschaft zur Mitwirkung bei der Versorgung mit Arzneimitteln und mit Teilen des Randsortiments unterstrichen. Lange Öffnungszeiten und umfassende Dienstbereitschaft sollen in erster Linie der Gesundheitsversorgung dienen.
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3. In Anbetracht des vorrangigen Versorgungsauftrags der Apotheken ist der durch § 14 Abs. 4 LadschlG bewirkte Eingriff unverhältnismäßig. Den Apothekern ist diese Beschränkung ihrer Berufsausübungsfreiheit nicht zuzumuten. Die Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe ergibt, dass die Regelung insgesamt mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht in Einklang steht.
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a) Das Verbot ist so ausgestaltet, dass dem Apotheker die freie Entschließung, ob er an einem verkaufsoffenen Sonntag teilnehmen will oder nicht, untersagt wird, wohingegen die Abwägung, ob der mit der Öffnung der Verkaufsstelle verbundene personelle und finanzielle Aufwand in angemessenem Verhältnis zu dem erwarteten Nutzen steht, jedem anderen Einzelhändler überlassen bleibt. Auch der Einzelhandel ist aber an Arbeitszeitvorschriften und tarifliche Regelungen gebunden. Auch der Einzelhandel unterliegt hinsichtlich der Einhaltung der einschlägigen Normen der Überwachung.
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Besondere Erschwernisse bei der Kontrolle oder eine gesteigerte Unzuverlässigkeit des Apothekers im Hinblick auf die Einhaltung tariflicher Regelungen oder Arbeitszeitvorschriften waren aber ersichtlich nicht Anlass für die in § 14 Abs. 4 LadschlG angeordnete Ausnahme. Hierfür ist auch im Verfahren nichts hervorgetreten. Als maßgeblicher Belang streitet für die angegriffene Regelung letztlich nur noch die schonendere Verteilung der Arbeitszeit für den Apotheker und seine pharmazeutischen Angestellten, die schon durch die ständige Dienstbereitschaft mehr als sonstige im Verkauf tätige Personen in Anspruch genommen werden.
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b) Seit der Einführung der angegriffenen Regelung im Jahr 1956 hat das Gewicht der die Regelung rechtfertigenden Gesichtspunkte stetig abgenommen. Die Anzahl der Apotheken ist stark angestiegen. In Rheinland-Pfalz hat sich ihre Zahl beispielsweise zwischen 1960 und dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt; die Zahl der approbierten Mitarbeiter in einer Apotheke und der Apothekerassistenten, die ohne Aufsicht des Apothekeninhabers bei der Abgabe von Medikamenten eingesetzt werden können (§ 3 Abs. 5 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 und 5 ApBetrO), hat sich im genannten Zeitraum sogar vervierfacht. Auch wenn es insoweit Abweichungen in den einzelnen Ländern geben mag, belegen derartige Entwicklungen, dass die ständige Dienstbereitschaft der Apotheken die pharmazeutischen Mitarbeiter inzwischen deutlich weniger belastet als bei der Einführung von § 14 Abs. 4 LadschlG. Die Zusatzbelastung durch die maximal viermal um drei Stunden verlängerte Wochenöffnungszeit im Jahr macht angesichts des Rückgangs der tariflich geschuldeten Arbeitszeit eine Überlastung des Apothekenpersonals wenig wahrscheinlich.
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c) Dem stehen gewichtige Interessen des Apothekers, im Wettbewerb mit anderen Verkaufsstellen seine Kundenorientierung herauszustellen, gegenüber. Leistungsbereitschaft und Kundenorientierung sind wesentliche Werbe- oder Marketingstrategien für den Apotheker, mit denen in berufsangemessener Weise um das Vertrauen der Bevölkerung geworben wird. Die Beschwerdeführerin hat nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass die Teilnahme an der Sonntagsöffnung nicht nur um des konkret erzielten Umsatzes willen angezeigt ist. Eine Verweigerung bestätige vielmehr das Vorurteil, die Apotheker hätten angesichts hoher Gewinnspannen Kundenfreundlichkeit nicht nötig. Inhaltlich entspricht dem die Begründung, die der Deutsche Apothekertag seiner Entschließung vom 13. September 2001 beigegeben hat, mit der er sich für eine Abschaffung der angegriffenen Norm ausgesprochen hat (vgl. Pharmazeutische Zeitung 2001, S. 3318).
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d) Diesen Gesichtspunkten stehen die Arbeitszeitinteressen des Personals nicht entgegen. Wie ausgeführt sind diese nur in geringem Maße betroffen. Auf die Belange seines pharmazeutischen Personals muss der Apotheker bei einer beabsichtigten Sonntagsöffnung ohnedies Rücksicht nehmen. Im Übrigen hängt die Sicherheit der Arbeitsplätze davon ab, dass sich die Apotheke im Wettbewerb mit Verkaufsstellen im unmittelbaren Umfeld und mit benachbarten Apotheken behauptet. Im Innenstadtbereich hat die Apothekendichte insoweit bereits zu intensivem Wettbewerb geführt.
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Es sind keine Gemeinwohlbelange ersichtlich, die von solcher Bedeutung wären, dass der Gesetzgeber es nicht der Entschließung des einzelnen Apothekers überlassen könnte, ob dieser an einem verkaufsoffenen Sonntag teilnimmt. Die Berufsgruppe der Apotheker ist es gewöhnt, im Interesse der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung vorausschauend zu planen und das Personal zielgerichtet einzusetzen. Vom Apotheker kann deshalb in besonderem Maße erwartet werden, dass er auch die Entscheidung für oder gegen die Teilnahme am verkaufsoffenen Sonntag eigenverantwortlich und mit der gebotenen Rücksichtnahme auf das pharmazeutische Personal zu treffen vermag.
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II.
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Die auf der verfassungswidrigen Norm beruhenden Urteile des Landesberufsgerichts und des Bezirksberufsgerichts für Apotheker verletzen die Beschwerdeführerin ebenfalls in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG. Sie sind aufzuheben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Der Wert des Gegenstandes für die anwaltliche Tätigkeit folgt aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO.
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