vom 23. Oktober 1886
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in Sachen Widmer gegen Volksbank Hohenrain
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Sachverhalt | |
A. | |
Durch Urtheil vom 11. Mai 1886 hat das Obergericht des Kantons Luzern erkannt:
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1. Beklagte sei gehalten, dem Kläger gegen Entrichtung der Summe von 400 Fr. die Erklärung auszustellen, daß sie für ihre Eingabe, welche sie an den am 24. März 1877 über den Kläger vom Gerichtsausschuß Habsburg abgehaltenen Konkurse in der dritten Klasse des Liegenden geltend gemacht hat, beziehungsweise für die bezüglichen in die sechste Klasse des Fahrenden lozirten zwei Ansprachen von zusammen 4338 Fr. 88 Cts. befriedigt sei und daher der Rückruf des über den Kläger abgehaltenen Konkurses gestatte. Mit dem abweichenden Rechtsbegehren sei Beklagte abgewiesen.
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3. An ihre Anwälte haben für Gebühren und Auslagen in beiden Instanzen zu bezahlen: Kläger an Herrn Fürsprech Gerig 253 Fr. 50 Cts., Beklagte an Herrn Fürsprech Schmid
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4. U.s.w.
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B. | |
Gegen dieses Urtheil ergriff die Beklagte die Weiterziehung an das Bundesgericht. Bei der heutigen Verhandlung beantragt ihr Anwalt: Es sei in Abänderung des obergerichtlichen Urtheils die Klage abzuweisen und gemäß dem Rechtsschluß der Beklagten zu erkennen, Kläger habe die beklagtische Forderung im Betrage von 4000 Fr. nebst Zins von 15. resp. 16. November 1876 als noch zu Recht bestehend anzuerkennen unter Kostenfolge.
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Der Vertreter des Klägers beantragt in erster Linie, das Bundesgericht wolle wegen Inkompetenz auf die Beschwerde nicht eintreten, eventuell es wolle dieselbe als unbegründet abweisen und das obergerichtliche Urtheil bestätigen.
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Aus den Erwägungen: | |
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
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Erwägung 1 | |
"Bezüglich der mit uns gepflogenen Unterhandlung wegen Auslösung der zwei zu Verlust gegangenen Gülten von je 2000 Fr. würden wir uns zufrieden stellen, wenn 400 Fr. einbezahlt würden. Wir glauben, dieses sei eine billige Forderung."
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Auf diese Mittheilung antwortete der Kläger nicht bis zum 6. September 1884; an diesem Tage schrieb derselbe der Beklagten, er schicke ihr das Geld und das Akkommodement dazu und ersuche sie, letzteres zu unterzeichnen und ihm sogleich wieder zurückzuschicken. Dieser Brief ist der Beklagten, wie die Vorinstanz thatsächlich feststellt, noch am gleichen Tage zugekommen. Am nämlichen 6. September, und zwar schon vor dem Eintreffen der klägerischen Zuschrift vom gleichen Tage, hatte aber die Beklagte an den Kläger geschrieben:
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"Nachdem die mit Schreiben vom 30. Mai an Sie gestellte Anforderung von 400 Fr. der zwei zu Verlust gegangenen Gülten von je 2000 Fr. bis dato nicht geleistet worden ist, so ziehen wir auch diese Forderungsstellung zurück und gewärtigen daher zu Folge Beschluß der Kommission ein ferneres Angebot."
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Dieses Schreiben wurde dem Kläger am 7. September 1884 zugestellt. Gemäß der in demselben enthaltenen Erklärung verweigerte die Beklagte die Annahme der ihr übersandten 400 Fr. und die Unterzeichnung des Akkommodements. Der Kläger betrat daher den Rechtsweg und stellte das aus Dispositiv 1 des angefochtenen Urtheils ersichtliche Rechtsbegehren, wogegen die Beklagte den in Fakt. B oben reproduzierten Antrag stellte.
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Erwägung 2 | |
2. Das obergerichtliche Urtheil beruht im Wesentlichen auf folgenden Entscheidungsgründen: Das Schreiben der Beklagten vom 30. Mai 1884 enthalte eine Offerte und nicht, wie der Kläger behaupte, die Annahme einer klägerischerseits gemachten Vertragsproposition. Es müsse sich daher fragen, ob die Beklagte zur Zeit, als die klägerische Annahmeerklärung bei ihr eintraf, an ihre Offerte noch gebunden gewesen sei. Zuzugeben sei nun, daß die Annahmeerklärung nicht innert der in Art. 5 Absatz 1 O.-R. normierten Frist eingegangen sei. Allein es sei anzunehmen, daß die Antragstellerin sich durch ihre Offerte vom 30. Mai über diese Frist hinaus, auf einen so langen Zeitraum habe binden wollen, als zum Abschlusse eines Nachlaßvertrages mit sämmtlichen Konkursgläubigern erforderlich scheine. Dies folge aus der Natur des vorliegenden Geschäftes. Denn es sei klar, daß dem Kläger eine Erklärung über die Annahme der Offerte der Beklagten erst nach Verhandlung mit seinen sämmtlichen Gläubigern möglich gewesen sei und daß derartige Verhandlungen längere Zeit erheischen; auch aus der Fassung des Schreibens der Beklagten vom 6. September scheine sich zu ergeben, daß dieselbe sich damals noch für gebunden erachtet habe. Denn sonst hätte sie ja keine Veranlassung gehabt, durch dasselbe ihre Offerte vom 30. Mai ausdrücklich zu widerrufen. Dieser Widerruf aber sei unwirksam, denn jedenfalls sei die Annahmeerklärung vom Kläger zur Post gegeben worden, bevor der Widerruf bei ihm eintraf.
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Erwägung 5 | |
5. Die Entscheidung hängt somit ausschließlich davon ab, ob beim Eintreffen der Annahmeerklärung des Klägers, am 6. September 1884, die Beklagte noch an ihren Antrag vom 30. Mai gebunden war oder nicht. Hiefür ist der Umstand, daß die Beklage ihren Antrag am Tage des Einlangens der Annahmeerklärung, am 6. September, ausdrücklich widerrufen hat, ohne entscheidende Bedeutung. Denn: Nach dem Gesetze (Art. 3 und 5 O.-R.) ist, abgesehen vom Falle des Art. 6 ibidem, ein Antrag, nach seinem Eintreffen beim Adressaten, während der (gewillkürten oder gesetzlichen) Annahmefrist für den Antragsteller verbindlich. Der Antragsteller kann denselben während der Annahmefrist nicht wirksam widerrufen, da eben das Gesetz dem (an seine Adresse gelangten) Antrage einseitig bindende Kraft beilegt. Mit dem unbenützten Ablaufe der Annahmefrist dagegen erlöscht, wie sich aus dem citierten Bestimmungen des Gesetzes unzweideutig ergibt, der Antrag von selbst (ipso jure); er wird nicht etwa nur widerruflich, sondern ist überhaupt dahingefallen, so daß er, ganz abgesehen davon, ob ein Widerruf erfolgt oder nicht, nicht mehr wirksam angenommen werden kann. Daraus folgt aber: War am 6. September beim Einlangen der Annahmeerklärung des Antragsempfängers die Annahmefrist für die Offerte noch nicht abgelaufen, so ist der Widerruf der Beklagten wirkungslos; war dagegen die Annahmefrist bereits verstrichen, so war der Antrag ohne weiters dahingefallen und der Widerruf war überflüssig.
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Erwägung 6 | |
6. Die Vorinstanz nimmt nun an, es sei dem Antrage vom 30. Mai 1884 stillschweigend eine längere als die gesetzliche Annahmefrist des Art. 5 Absatz 1 O.-R. beigefügt worden; es liege also ein Antrag mit gewillkürter Annahmefrist gemäß Art. 3 O.-R. vor. Es ist nun zuzugeben, daß eine gewillkürte Annahmefrist auch stillschweigend gesetzt werden kann (Art. 1 Satz 2 O.-R.; vergl. Entscheidung des Bundesgerichtes in Sachen Guhl gegen Schmid & Cie. vom 23. Januar 1886, Amtliche Sammlung XI S. 207, Erw. 4); und wenn die Vorinstanz im vorliegenden Falle aus der Natur des Geschäftes und den Umständen gefolgert hat, es habe eine angemessene, längere Deliberationsfrist eingeräumt werden wollen, so ist dies gewiß keineswegs rechtsirrthümlich, sondern es ist im Gegentheil dieser Entscheidung aus den vom Vorderrichter angeführten Gründen durchaus beizutreten. Dagegen ist allerdings anzunehmen, dass auch diese, stillschweigend eingeräumte, angemessene Annahmefrist am Tage des Einganges der Annahmeerklärung bereits verstrichen und der Antrag daher dahingefallen war, so daß er nicht mehr gültig akzeptiert werden konnte. Zwar ist es gewiß nicht richtig, wenn der Anwalt der Beklagten heute auf die in Art. 60 des luzernischen Konkursgesetzes für das Zustandekommen eines gerichtlichen Akkommodements festgesetzten Fristen verwiesen und ausgeführt hat, dieselben seien überwartet worden, es sei daher das Akkommodement gescheitert und folgeweise auch der Nachlaßvertrag zwischen Kläger und Beklagter, welcher als ein pactum de contrahendo, gerichtet auf Abschluß eines gerichtlichen Akkommodements erscheine, dahingefallen. Denn um ein gerichtliches Akkommodement, beziehungsweise einen Vorvertrag zu einem solchen, handelte es sich in concreto überall nicht: vielmehr suchte der Kläger durch privates Abkommen mit seinen Gläubigern eine Erklärung derselben zu erwirken, daß sie für ihre Forderungen befriedigt seien, so daß der Konkurs aufgehoben werden könne. Allein es muß doch festgehalten werden, daß die Beklagte sich durch ihre Offerte vom 30. Mai nicht auf unbeschränkte, sondern nur auf angemessene Zeit binden lassen wollte. Nun ließ aber der Kläger vor Beantwortung dieser Offerte mehr als ein Vierteljahr verstreichen, einen Zeitraum, nach dessen Verstreichen auch im gewöhnlichen bürgerlichen Verkehr eine Antwort auf ein Angebot oder eine Anfrage nicht mehr erwartet zu werden pflegt und welcher diejenige Frist, welche die Beklagte als angemessene Antwortfrist bei Stellung ihrer Offerte betrachten mochte, überschreitet.
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Demnach hat das Bundesgericht erkannt: | |
Die Weiterziehung ist als begründet erklärt; es wird demnach, in Abänderung des angefochtenen Urtheils des Obergerichtes des Kantons Luzern vom 11. Mai 1886, die Klage abgewiesen und gemäß dem Rechtsschlusse der Beklagten erkannt, Kläger habe die beklagtische Forderung von 4000 Fr. nebst Zins vom 15. resp. 16. November 1876 als noch zu Recht bestehend anzuerkennen.
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