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BGE 12 I 93 - Heilsarmee


Regeste
Sachverhalt
A.
B.
C.
in Erwägung:
Erwägung 1
Erwägung 2
Erwägung 3
Erwägung 4
Erwägung 5
erkannt:
Bearbeitung, zuletzt am 02.08.2022, durch: Philip Lengacher, A. Tschentscher
 
BGE 39 I 17 (17)3. Urteil
 
vom 23. Januar 1913 in Sachen "Freiwilligen-Mission" und Wilken gegen Obergericht des Kantons Bern.
 
 
Regeste
 
Angebliche Willkür bezw. Verletzung der Rechtsgleichheit und der Glaubens- und Gewissensfreiheit durch Anwendung kantonaler Gesetzesvorschriften über das Hausieren (Feilbieten von Waren im Umhertragen) auf die Verbreitung einer religiösen Zeitschrift durch Angehörige der betr. Sekte unter Entgegennahme "freiwilliger" Gaben. Zulässigkeit der daraus hergeleiteten Patentpflicht vom Standpunkte des Art. 49 BV, sofern die Patenttaxe nach ihrer Höhe nicht prohibitiv wirkt.BGE 39 I 17 (17)
 
 
BGE 39 I 17 (18)Sachverhalt
 
Das Bundesgericht hat,
da sich ergeben:
 
A.
 
Der Rekurrent Wilken, Evangelist der christlichreligiösen Sekte "Freiwilligen-Mission" vertrug am 30. und 31. August 1911 in Langnau und Signau das von dieser herausgegebene Blatt "Der Überwinder" und nahm dafür freiwillige Geldspenden entgegen. Wegen dieser Tätigkeit wurde er vom Landjäger dem Regierungsstatthalter verzeigt und von letzterem unter der Anschuldigung der Übertretung des kantonalen Gesetzes über den Marktverkehr und den Gewerbebetrieb im Umherziehen, sogen. Hausiergesetz vom 24. März 1878 dem Richter überwiesen.
Dieses Gesetz bestimmt u.a.:
    § 3
    Unter den Begriff des Gewerbebetriebes im Umherziehen fällt:
    1. das Feilbieten von Waren
    a) durch Umhertragen und Umherführen in den Straßen oder in den Häusern (Hausieren im engern Sinne).
    § 4
    Zur Ausübung des Gewerbebetriebes im Umherziehen ist der Besitz eines Patents erforderlich.
    § 5
    Die Patentgebühr zu Handen des Staates beträgt 1 bis 200 Fr. per Monat.
    § 6
    Der Patentträger hat in jeder Gemeinde, in der er sein Gewerbe ausüben will, zuvor das Visum der Ortspolizeibehörde einzuholen.
    Die Gemeinden sind berechtigt, von dem unter § 3 Ziff. 1, 2, 4 und 5 bezeichneten Hausierern pro rata der Zeit eine Taxe im gleichen Betrage zu erheben, wie die staatliche Patentgebühr, im Minimum von 20 Rappen.
    § 9
    Widerhandlungen gegen die Bestimmungen dieses Gesetzes sollen mit Geldbußen von 1--200 Fr. bestraft werden.
Ferner schreibt die regierungsrätliche Vollziehungsverordnung zum Gesetze vom 26. Juni 1878 vor:
    Art. 15
    Die monatlichen Patentgebühren betragen
    1. für das Feilbieten von Waren
    a) durch Umhertragen oder Umherführen in den Straßen oder in den Häusern (§ 3 Ziff. 1 litt. a des Gesetzes), 1 bis 50 Fr.
    Art. 17
    Innerhalb der in Art. 15 aufgestellten GrenzenBGE 39 I 17 (18) BGE 39 I 17 (19)werden die Patentgebühren von der Zentralpolizei im einzelnen Falle unter Berücksichtigung der durch eine Instruktion der Justiz- und Polizeidirektion für die einzelnen Patentklassen aufzustellenden Grundsätze festgesetzt.
In der Einvernahme vor dem Polizeirichter von Signau sagte Wilken u.a. aus: "Ich offerierte den Leuten den "Überwinder" in der Weise, daß ich sie fragte, ob sie vielleicht etwas Gutes zum Lesen wollten, vom Wort Gottes, und wenn sie sich dafür interessierten und mich fragten, was es koste, so antwortete ich, es sei eine freiwillige Sache, es sei Missionssache, wenn sie freiwillig dafür etwas geben wollten, so sei ich für die geringste Gabe dankbar. Verlangt habe ich eine Gegenleistung nirgends. Dagegen ist richtig, daß ich in vielen Fällen für das Blatt 10 oder 20 Cts. erhielt, auch in einigen Fällen nichts. Meine Tätigkeit besteht im Leiten von Versammlungen und im Verbreiten des "Überwinder". Ich bin ungefähr die Hälfte des Jahres auf Reisen und mit dem Vertrieb des "Überwinder" beschäftigt ..... Ich füge bei, daß die von den Leuten entrichteten Beträge eigentlich nicht für das Blatt sein sollen, d.h. eine Gegenleistung dafür, sondern für die Mission. Ich sage dies auch den Leuten. Wenn ich auch von den Leuten keine Bezahlung verlange, so wünsche ich doch oder ist es mir recht, daß und wenn sie für die Mission etwas leisten. Ich habe unserem Leiter Ferdinand Windmüller wöchentlich Abrechnung zu leisten und die eingegangenen Beträge abzuliefern, letzteres monatlich ..... Das Geld, das ich auf meinen Reisen brauche, zirka 6 -- 8 Fr. per Woche, verschaffe ich mir vorerst aus dem Erlös des "Überwinder", unter Vorbehalt der Abrechnung." In ähnlichem Sinne äußerten sich die Zeugen, denen Wilken den "Überwinder" angetragen hatte.
Durch Urteil vom 15. November 1911 erklärte der Polizeirichter von Signau Wilken der Widerhandlung gegen das Hausiergesetz schuldig und verurteilte ihn zu einer Buße von 15 Fr., zur Nachzahlung einer Patentgebühr von 3 Fr. und je 50 Cts. Visagebühren an die Gemeinden Langnau und Signau, sowie zu den Kosten. Wilken ergriff hiegegen die Appellation an das Obergericht. Dieses bestätigte jedoch am 20. Juli 1912 das erstinstanzliche Urteil, im Wesentlichen mit folgender Begründung: DerBGE 39 I 17 (19) BGE 39 I 17 (20)Tatbestand des vorliegenden Falles decke sich in der Hauptsache mit denjenigen der früheren Urteile der Polizeikammer i.S. Guttermann vom 27. März 1907 und der I. Strafkammer i.S. Waldvogel und Meier vom 19. Januar 1910. Die Argumente, welche das Gericht zu der Auffassung geführt hätten, daß die bei der Verbreitung des "Überwinder" entgegengenommenen kleinen Gaben eine Gegenleistung für die Zeitung darstellten, daß es sich somit um einen Kauf handle, träfen auch hier zu. Auch Wilken habe zugestandenermaßen bei Übergabe des Blattes jeweilen zu erkennen gegeben, daß ihm eine Gabe willkommen wäre; das Publikum habe demnach diese Gaben als Gegenleistung für das Blatt ansehen müssen. Dazu komme, daß nach dem Zugeständnis des Angeschuldigten die Evangelisten der "Freiwilligen-Mission" für ihren Lebensunterhalt auf diese Gaben angewiesen seien, also den "Überwinder" in der Erwartung verteilen müßten, etwas dafür zu erhalten. Im Lichte dieser Tatsachen stelle sich die Handlungsweise des Angeschuldigten als nichts anderes dar, denn als Feilbieten von Waren durch Herumtragen in den Straßen und Häusern, d.h. als Hausieren im engern Sinne gemäß § 3 Ziff. 1 litt. a des Gesetzes vom 24. März 1878. Wilken hätte demnach ein Hausierpatent lösen sollen. Indem er dies unterlassen, habe er sich straffällig gemacht.
In dem in den vorstehenden Motiven angeführten früheren Falle Guttermann und Konsorten handelte es sich um die Verbreitung des Blattes "Kriegsruf" durch Angehörige der Heilsarmee, in dem Falle Waldvogel und Meier ebenfalls um die Verbreitung des "Überwinder" durch zwei andere Angehörige der "Freiwilligen-Mission". In beiden Fällen sind die Angeschuldigten, weil sie bei der Verbreitung der genannten Blätter Gaben entgegengenommen hatten, ohne im Besitze eines Hausierpatents zu sein, vom Obergericht der Übertretung des Hausiergesetzes schuldig erklärt worden.
 
B.
 
Gegen das Urteil des Obergerichts haben die "Freiwilligen-Mission", vertreten durch ihren Leiter Ferdinand Windmüller, und Johann Hermann Wilken den staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage, es sei dasselbe sowie das vorangehende Erkenntnis des Polizeirichters von SignauBGE 39 I 17 (20) BGE 39 I 17 (21)wegen Verletzung der Art. 4, 49 Abs. 1, 50 und 55 BV aufzuheben. Es wird ausgeführt: die Annahme der Strafkammer, daß die Tätigkeit des Rekurrenten Wilken sich als feilbieten von Waren im Sinne von § 3 Ziff. 1 litt. a des Hausiergesetzes darstelle, sei offenbar aktenwidrig und willkürlich. Einmal schliesse die besondere Zweckbestimmung des "Überwinder" als eines Mittels zur Verbreitung religiöser Ideen es von vorneherein aus, ihn als Ware zu betrachten, ganz abgesehen davon, daß dem Blatte an sich kein oder nur ein ganz geringer Wert zukomme. Sodann sei durch die Akten, insbesondere durch die Zeugenaussagen festgestellt, daß Wilken keine Bezahlung für das Blatt verlangt, sondern den Leuten ausdrücklich erklärt habe, es sei Missionssache, es stehe ihnen frei, ob sie für diese etwas geben wollten oder nicht. Von einem Kaufabschluß, wie ihn die Strafkammer konstruieren wolle, könne somit schlechterdings nicht die Rede sein. Die Absicht Wilkens sei nicht dahin gegangen, den "Überwinder" zu verkaufen, sondern durch dessen Übergabe die Leute zu Gaben für die Mission zu veranlassen, also für letztere zu kollektieren. Die Spenden, die er erhalten, seien somit nicht Gegenleistung für das Blatt, sondern Schenkungen für die Mission. So hätten denn auch die Zeugen die Sache aufgefaßt: eine Zeugin, Frau Brand habe sogar direkt erklärt, sie hätte auch ohne das Blatt zu erhalten, etwas gegeben. Wäre die Auffassung des Obergerichts zutreffend, so müßten auch die von wohltätigen Vereinen veranstalteten "Blüemlitage", an denen auf den Straßen Blumen und Postkarten gegen Entgelt angeboten würden, dem Hausiergesetz unterstellt werden. Dies sei aber bis jetzt noch nie geschehen, offenbar weil man von der zutreffenden Ansicht ausgegangen sei, daß es sich dabei nicht um ein Hausieren, sondern um bloßes Kollektieren handle. Ebenso seien andere Religionsgenossenschaften noch nie in dieser Weise in der Beschaffung ihrer Mittel beschränkt worden: so dürften speziell die Salutisten namentlich in der Stadt Bern ungehindert den "Kriegsruf" in den Häusern verteilen, obwohl sie dabei ebenfalls Gaben für ihre Zwecke entgegennähmen. Das Urteil verstoße somit auch gegen die formelle Rechtsgleichheit. Ferner verletze es den Grundsatz der Glaubens- und Gewissensfreiheit. Würden die Rekurrenten der Hausiergesetzgebung unterBGE 39 I 17 (21)BGE 39 I 17 (22)stellt, so käme dies bei der Höhe der gesetzlichen Patenttaxen und der Visagebühren faktisch einer Verunmöglichung der Verteilung des "Überwinder" und damit der Verbreitung der Ideen der "Freiwilligen-Mission" im Kanton Bern gleich. Daraus folge ohne weiteres, daß neben Wilken auch die "Freiwilligen-Mission" selbst zum Rekurse legitimiert sei, da sie ein wesentliches Interesse daran besitze, daß die aus dem Urteil resultierende Beschränkung ihrer Propaganda aufgehoben werde. Als Vereinigung zu religiösen Zwecken könne die "Freiwilligen-Mission" nach dem ZGB auch ohne Eintragung im Handelsregister die Rechtspersönlichkeit beanspruchen und somit handelnd vor Gericht auftreten.
 
C.
 
Die I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern hat beantragt, es sei auf den Rekurs der "Freiwilligen-Mission" mangels Legitimation nicht einzutreten und der Rekurs des Wilken aus den im angefochtenen Entscheide angeführten Gründen abzuweisen.
 
in Erwägung:
 
 
1. Auf den Rekurs der "Freiwilligen-Mission" kann schon deshalb nicht eingetreten werden, weil jeder Ausweis darüber fehlt, daß derselben das Recht der Persönlichkeit zustehe. Weder sind Statuten vorgelegt noch sind irgendwelche andere Beweise dafür angeboten worden, daß die "Freiwilligen-Mission" in der Schweiz eine körperschaftliche Organisation im Sinne des Art. 52 und 60 ZGB besitze. Daß sie in Deutschland, wo sich nach den Akten hauptsächlich ihre Anhänger befinden, nach dem dort maßgebenden Rechte die juristische Persönlichkeit erlangt habe, ist nicht einmal behauptet worden. Unter diesen Umständen braucht nicht geprüft zu werden, ob ihr die Legitimation zum Rekurse nicht auch noch aus anderen Gründen, insbesondere mangels eines unmittelbaren eigenen Interesses an der Anfechtung des Entscheides abgesprochen werden müßte. Dagegen ist Johann Hermann Wilken zum Rekurse unzweifelhaft legitimiert, da sich die Verurteilung gegen ihn persönlich richtet und die Beschwerde die Verletzung nicht speziell staatsbürgerlicher, sondern allgemeiner verfassungsmäßiger Rechte behauptet, die auch dem Nichtschweizerbürger zustehen.
 
2. Als Ware im Sinne des § 3 Ziff. 1 litt. a des bernischen Hausiergesetzes kann unzweifelhaft jede bewegliche SacheBGE 39 I 17 (22) BGE 39 I 17 (23)angesehen werde, die geeignet ist, Gegenstand von Veräußerungsgeschäften zu bilden. Insbesondere können dazu ohne Willkür auch Druckschriften gezählt werden, wie denn auch die Kolportage von solchen allgemein der Hausiergesetzgebung unterstellt wird (vergl. z.B. die §§ 55 und 56 Ziff. 12 der deutschen Gewerbeordnung und Landmann, Kommentar hiezu 3. Aufl. S. 495). Daß der Zweck der Druckschrift in der Verbreitung bestimmter, insbesondere religiöser Überzeugungen besteht, nimmt ihr die Eigenschaft einer Ware noch nicht. Auch Bücher und Zeitschriften religiösen Inhalts bilden häufig den Gegenstand des Verkaufs. Ausgeschlossen wäre der Warencharakter nur dann, wenn die Schrift von vorneherein ausschließlich idealen Zwecken zu dienen bestimmt wäre, also nur unentgeltlich abgegeben würde. Die Frage, ob der "Überwinder" als Ware betrachtet werden könne, ist also mit der anderen identisch, ob die Art, in der er vom Rekurrenten verbreitet worden ist, unter den Begriff des "Feilbietens" im Sinne der erwähnten Gesetzesvorschrift falle. Auch nach dieser Richtung hat das Bundesgericht nicht zu prüfen, ob die Rechtsauffassung der kantonalen Instanzen richtig, sondern nur ob sie offenbar unhaltbar, also willkürlich sei. Dies ist zu verneinen. Zwar ist zuzugeben, daß wenn der § 3 des Hausiergesetzes sich schlechthin nur auf den Verkauf im zivilrechtlichen Sinne bezöge, der angefochtene Entscheid kaum haltbar wäre, da von einem eigentlichen Verkaufe mangels einer rechtlichen Verpflichtung des Empfängers des Blattes, etwas dafür zu bezahlen, hier kaum gesprochen werden kann. Der Wortlaut des Gesetzes schließt es indessen nicht aus, dem Ausdrucke Feilbieten eine weitere Bedeutung beizulegen und darunter überhaupt das Anbieten eines Gegenstandes für Geld, d.h. in der Absicht, Geldeswert zu erhalten, zu verstehen. Geht man von dieser weiteren Fassung des Begriffes aus, so kann aber die Auffassung des Obergerichts, daß die Tätigkeit des Rekurrenten sich als Hausieren im Sinne des § 3 Ziff. 1 litt. a darstelle, nicht als willkürlich angesehen werden, wenn schon eingeräumt werden mag, daß sie nicht befriedigt und daß hier richtiger von Kollektieren als von Hausieren gesprochen würde (vergl. das Urteil des Bundesgerichts i.S. der nämlichen Rekurrenten gegen den zürcherischen Regierungsrat vom 17. November 1909 AS 35 IBGE 39 I 17 (23) BGE 39 I 17 (24)Nr. 111 Erw. 4 [= BGE 35 I 685 (689)]). Denn nach dem eigenen Zugeständnis des Rekurrenten geht seine Absicht dahin, durch die Verteilung des "Überwinders" die Empfänger zu Geldspenden für die "Freiwilligen-Mission" zu veranlassen. In diesem Sinne antwortet er denn auch -- ebenfalls nach seinen eigenen Aussagen -- jeweilen auf die Frage, ob das Blatt etwas koste. Daß die Verbreitung des "Überwinder" in dieser Voraussetzung und Erwartung erfolgt, beweist auch der am Kopfe desselben gedruckte Passus: "Preis: Jesus gab sein Blut für Sie. Was geben Sie für seine Mission? Die kleinste Gabe herzl. willkommen." Unter diesen Umstanden läßt sich aber sehr wohl die Auffassung vertreten, daß man es bei der Übergabe des "Überwinder" einerseits und den Geldspenden der Empfänger desselben andererseits nicht mit reinen Geschenken, sondern mit einem Austausch von Leistungen, einem Anbieten für Geld in der oben umschriebenen Bedeutung zu tun habe. Mögen auch die Geldbeträge nicht im eigentlichen Sinne für die Hingabe der Zeitung geleistet werden, so werden sie doch offenbar regelmäßig wegen dieser geleistet und besteht zwischen den beiden Leistungen ein vom Rekurrenten beabsichtigter ursächlicher Zusammenhang. Ob einzelne Personen auch sonst etwas gegeben hätten, spielt keine Rolle. Maßgebend erscheint, daß das Blatt von vorneherein zu dem Zwecke angeboten wird, dagegen Geld zu erhalten. Im übrigen stehen der vom Rekurrenten angerufenen Aussage der Zeugin Frau Brand andere Depositionen entgegen, die sich ebenso bestimmt im entgegengesetzten Sinne aussprechen.
 
Erwägung 3
 
3. Ebensowenig hat dargetan werden können, daß die Bestrafung des Rekurrenten gegen die in anderen gleichartigen Fällen beobachtete Praxis, also gegen die formelle Rechtsgleichheit verstoße. Aus dem früheren Urteile der Polizeikammer i.S. Guttermann und Mitbeteiligte ergibt sich, daß das Sammeln von Gaben bei Verteilung des "Kriegsruf" durch die Salutisten ohne Patent vom Obergerichte ebenfalls als Übertretung des Hausiergesetzes erklärt worden ist. Der Vorwurf ungleicher Behandlung im Vergleich zu den Salutisten ist also unbegründet. Daß andere Religionsgenossenschaften in der gleichen Weise hätten Beiträge sammeln dürfen, ohne ein Hausierpatent zu besitzen, ist nicht beBGE 39 I 17 (24)BGE 39 I 17 (25)hauptet worden. Ebensowenig daß die Kolportage anderer, gewöhnlicher Zeitungen ohne Patent gestattet werde. Der Vergleich mit den von wohltätigen Vereinen veranstalteten Blumentagen aber geht schon deshalb fehl, weil man es bei letzteren im Gegensatz zum vorliegenden Fall nicht mit einer fortgesetzten, gewerbsmäßigen Tätigkeit, sondern mit einer vorübergehenden, gelegentlichen Veranstaltung zu tun hat, die Tatbestände sich also nicht decken. Im übrigen ist auch hier nicht dargetan worden, daß das Obergericht bei der Beurteilung derartiger Veranstaltungen eine von dem angefochtenen Entscheide abweichende Rechtsauffassung betätigt habe. Die bloße Tatsache, daß die zunächst zur Handhabung des Gesetzes berufenen Polizeibehörden solche Fälle nicht zur Anzeige gebracht haben, vermag aber den Vorwurf der Verletzung der Rechtsgleichheit gegenüber dem Obergericht natürlich nicht zu begründen.
 
Erwägung 4
 
4. Gegenüber der Berufung des Rekurrenten auf Art. 49 BV ist zu bemerken, daß nach der ausdrücklichen Vorschrift des genannten Artikels die Glaubensansichten von der Erfüllung bürgerlicher Pflichten, also auch von der Pflicht zur Beobachtung allgemeingültiger Polizeivorschriften nicht entbinden. So gut die Kantone auf das Sammeln von Beiträgen für religiöse Zwecke die allgemeinen Vorschriften über Kollekten anwenden und es von einer polizeilichen Bewilligung abhängig machen können (vergl. AS 36 I Nr. 43 Erw. 2 [= BGE 36 I 236 (237)]), so gut können sie es, wo es sich in die Form der Kolportage religiöser Schriften kleidet, der Hausiergesetzgebung unterstellen, also dem Patentzwang unterwerfen (vergl. in diesem Sinne schon AS 12 Nr. 12 auf S. 108 [= BGE 12 I 93 (108)]). Unzulässig wäre dies nur dann, wenn die für das Patent zu entrichtende Abgabe, die Patenttaxe so hoch bemessen wäre, daß damit dem Betroffenen die Propaganda für seine religiösen Ansichten in der fraglichen Form faktisch verunmöglicht würde, wenn also die mit dem Patentzwang verbundene Besteuerung einen prohibitiven Charakter trüge. Daß dies die notwendige Folge der Unterstellung der Tätigkeit des Rekurrenten unter das Hausiergesetz wäre, läßt sich aber offenbar nicht sagen. Die (oben Fakt. A wiedergegebenen) Bestimmungen des Gesetzes und der Verordnung über die Taxen lassen dem Ermessen einen weiten Spielraum undBGE 39 I 17 (25) BGE 39 I 17 (26)gestatten den Verhältnissen jedes Falles Rechnung zu tragen. Es kommt also alles darauf an, in welcher Weise die zur Festsetzung der Taxe berufene Verwaltungsbehörde von ihrer Befugnis Gebrauch macht. Erst wenn der Rekurrent um ein Patent eingekommen und ein Entscheid der kompetenten Behörde über die hiefür zu entrichtende Gebühr ergangen wäre, ließe sich daher beurteilen, ob eine Beeinträchtigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit vorliege. Vorher ist die Beschwerde hierüber verfrüht.
 
Erwägung 5
 
5. Was schließlich den im Eingang der Rekursschrift ebenfalls angerufenen Art. 55 BV anbetrifft, so hat der Rekurrent unterlassen, irgendwelche Ausführung darüber zu machen, wieso der angefochtene Entscheid gegen diese Vorschrift verstoßen soll. Insbesondere ist, wie bereits bemerkt, auch nicht einmal angedeutet worden, daß der Vertrieb anderer Zeitungen durch Umhertragen nach anderen Grundsätzen behandelt werde. Es kann daher auf diesen Rekursgrund schon wegen mangelnder Substantiierung nicht eingetreten werden (Art. 178 Ziff. 3 OG);
 
erkannt:
 
1. Auf den Rekurs der Freiwilligen Mission wird nicht eingetreten.
2. Der Rekurs des Johann Hermann Wilken wird abgewiesen.