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Zitiert selbst:


Regeste
Sachverhalt
A.
B.
C.
D.
E.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Erwägung 1
1. Der Amtsgehilfe von Luzern und der Regierungsrat sind bei der  ...
Erwägung 2
2. Art. 43 Abs. 4 BV, wonach der niedergelassene Schweizerbü ...
Erwägung 3
3. Daran ist für den Wohnsitz als Voraussetzung für die ...
Erwägung 4
4. Der Regierungsrat wendet ein, dass seine bisherige Rekurspraxi ...
Erwägung 5
5. Die unrichtige Auffassung des Amtsgehilfen von Luzern und des  ...
Erwägung 6
6. In diesem Sinne und Umfang erscheint die Stimmrechtsbeschwerde ...
Erwägung 7
7. Da wegen der Mangelhaftigkeit des Stimmregisters die Wahlverha ...
Erwägung 8
8. Völlig zweck- und gegenstandslos ist die Beschwerde dar&u ...
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Bearbeitung, zuletzt am 02.08.2022, durch: Julian Marbach, A. Tschentscher
 
BGE 49 I 416 (416)51. Urteil vom 23. November 1923 i. S. Bachmann und Genossen gegen Jost
und Hummel und Regierungsrat von Luzern.
 
 
Regeste
 
Art. 43 BV, 27 luz. KV. Das Stimmrecht ist grundsätzlich am Ort des zivilrechtlichen Wohnsitzes auszuüben. Aufhebung einer Wahlverhandlung wegen verfassungs- und gesetzwidriger Aufstellung des Stimmregisters.
 
 
Sachverhalt
 
 
A.
 
Art. 27 der Luzerner Staatsverfassung bestimmt in den ersten 2 Absätzen:
    "Das politische Stimmrecht für kantonale Wahlen und Abstimmungen wird ausschliesslich in der Wohngemeinde ausgeübt. Als Wohngemeinde gilt diejenige Gemeinde, wo der betreffende Bürger in den letzten drei Monaten vor der fraglichen Wahl oder Abstimmung seinen ununterbrochenen gesetzlich regulierten Wohnsitz gehabt hat."
Nach Art. 88 Abs. 3 KV sind alle Kantonsbürger und niedergelassenen Schweizerbürger, welche seit drei Monaten in der Gemeinde wohnen und die Requisite der kantonalen allgemeinen Stimmfähigkeit (Art. 27) besitzen, in den Gemeindeversammlungen der politischen Gemeinde stimmfähig. Die §§ 8 und 9 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen vom 31. Dezember 1918, die auch für Gemeindewahlen gelten, lauten:
Am 10. Juni 1923 sollten im Kanton Luzern die Erneuerungswahlen für die Gemeindebehörden und -beamten stattfinden. In der Gemeinde Knutwil, in der bei den letzten Wahlen vom Jahre 1919 zum ersten Mal die Kandidaten der liberalen gegenüber denjenigen der konservativen Partei gewählt worden waren, suchten die beiden Parteien vor dem Stichtag, 10. März, möglichst viele ihrer Anhänger auf das Stimmregister zu bringen, so namentlich in der Weise, dass man Leute von auswärts kommen liess und dafür sorgte, dass sie vor jenem Tag ihre Schriften einlegten. Der Amtsgehilfe von Sursee machte in einem Bericht an das kantonale Militär- und Polizeidepartement vom 12. März darauf aufmerksam, dass in Knutwil seit 1. Januar 1923 141 erwachsene männliche Personen von auswärts kommend ihren Wohnsitz durch Schriftendeposition reguliert hätten, mit dem Beifügen, es könne nicht zweifelhaft sein, dass es sich um Stimmenzuzug handle, der von den beiden politischen Parteien für die Neuwahl des Gemeinderates inszeniert werden sei. In einer Zuschrift vom 20. März wies hierauf das Justizdepartement den Gemeinderat von Knutwil auf diese Verhältnisse hin und ersuchte ihn im Auftrage des Regierungsrates um einen Bericht und um Mitteilung darüber, was er zu tun gedenke, "um dem Wahlknechtentum in dort, das den guten Ruf Ihrer Gemeinde, ja sogar des ganzen Kantons schwer gefährdet, ein rasches Ende zu bereiten." In seiner Antwort vom 27. März vertrat der Gemeinderat den Standpunkt, es seien die Personen, die seit dem 1. März ihre Schriften eingelegt hatten, an Zahl 99, mit Ausnahme von 8 eingezogenen Mietern und Pächtern, weil es sich dabei um Stimmknechte handle, nicht ins Stimmregister einzuBGE 49 I 416 (417)BGE 49 I 416 (418)tragen, und wünschte eine Weisung in diesem Sinne. Das Justizdepartement antwortete am 4. April, es sei in erster Linie Sache des Gemeinderates, zu entscheiden, ob jemand ins Stimmregister gehöre, unter Vorbehalt des Rekursrechtes. Da der Gemeinderat die seit dem 1. März angemeldeten nicht in das Stimmregister eintrug, wurde gegen ihn beim Regierungsrat Beschwerde geführt. Dieser beschloss, eine Untersuchung durch eine dreigliedrige Kommission vornehmen zu lassen. Diese Kommission stellte fest, dass seit dem 1. Januar auf dem Einwohnerregister von Knutwil unter Abrechnung der Abmeldungen 125 Neueintragungen, 47 vom 1. Januar bis 28. Februar, 78 vom 1. bis 10. März, vorgenommen worden seien. Für die neu eingetragenen stellte sie Formulare mit Fragen über Wohn- und Anstellungsverhältnisse usw. auf, die aber in der Hauptsache unausgefüllt blieben. Zu einzelnen der neu eingetragenen wurden Bemerkungen gemacht, dagegen nahm die Kommission nicht Stellung zu der Frage, ob alle seit dem 1. März eingetragenen vom Stimmregister zu streichen seien, und bemerkte weiter, sie finde sich nicht veranlasst, dem Regierungsrat Vorschläge darüber zu machen, ob und welche Bürger als Wahlknechte zu erachten und vom Stimmregister abzutragen oder nicht aufzutragen seien, da die Ausweise noch nicht vorliegen und es sich um Ermessensfragen handle, deren Lösung nur dem Regierungsrat zustehe. Daraufhin wurde vom Regierungsrat der Amtsgehilfe von Luzern mit der Aufstellung des Stimmregisters von Knutwil beauftragt. Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit derselben wurden die Wahlen vom Regierungsrat ferner auf den 29. Juli verschoben. Am 27. Juni wurde das vom Amtsgehilfen von Luzern erstellte Stimmregister öffentlich aufgelegt, woraufhin Präsident Bachmann und Gemeindeammann Hodel (von der liberalen Partei) das Gesuch stellten, es seien 11 Bürger auf- und 45 abzutragen. Mit Entscheid vom 5. Juli entsprach der Amtsgehilfe dem Begehren umBGE 49 I 416 (418) BGE 49 I 416 (419)Auftragung von 6 Bürgern und wies im übrigen die Begehren ab. Was die Abtragungen betrifft, so hatten sich die Gesuchsteller auf den Standpunkt gestellt, dass die Schriftendepositionen seit dem 1. März zum grössten Teil zu Stimmzwecken erfolgt seien. "Es ist nicht zu bestreiten," sagt hiezu der Amtsgehilfe, "dass diese Auffassung ihre Berechtigung haben kann, aber es ist auch nicht zu übersehen, dass in der Zeit vom 14. bis 28. Februar auch 23 Schriften deponiert wurden, bei denen dies teilweise zutreffen wird. Wenn man eine solche Frist bestimmen wollte, so müsste man weiter zurückgehen, vielleicht auf den 2. Februar, als dem üblichen Termin, wo die Dienstboten wechseln. Gemäss Gesetz wird nun verlangt, dass bei Gemeindewahlen einer in der Gemeinde, wo er sein Stimmrecht ausüben will, einen dreimonatlichen ununterbrochenen gesetzlichen Wohnsitz haben muss. Wer diese Requisiten erfüllt hat, dem kann sein Stimmrecht nicht verkürzt werden." Demgemäss wurde bei denen, deren Abtragung verlangt war, geprüft, ob sie seit dem 10. März in der Gemeinde wohnten, und das wurde durchwegs bejaht, wobei immerhin bei einzelnen wegen widersprechender Bescheinigungen eine strafrechtliche Untersuchung angeregt wurde. Am 17. Juli sandte der Amtsgehilfe einen Bericht über seine Tätigkeit an den Regierungsrat, der folgende Angaben enthält: Vom 1. Januar bis 10. März seien in Knutwil 142 Schriften deponiert worden, und zwar vom 1. bis 31. Januar 5, vom 1. bis 14. Februar 22, vom 15. bis 28. Februar 20, vom 1. bis 3. März 62, vom 3. bis 10. März 33. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl von Knutwil, 905, sei dies eine aussergewöhnliche Zahl. Diese Bevölkerungsbewegung sei unstreitig auf politische Zwecke zurückzuführen; jede Partei mache Anstrengungen, um bei den Erneuerungswahlen die Mehrheit zu erlangen. Unstreitig handle es sich in Knutwil um ein "krasses Wahlknechtentum." Das solle bekämpft werden. Doch sei dies schwieriger als man glaube, angesichts derBGE 49 I 416 (419) BGE 49 I 416 (420)gesetzlichen Vorschriften, wonach auf das Stimmregister jeder aufgetragen werden müsse, der die Erfordernisse des gesetzlich regulierten Wohnsitzes erfülle, auch wenn er offensichtlich ein Wahlknecht sei. Es gebe aber andere Wege, um den Kampf aufzunehmen. In Knutwil sei die Redensart, dass vor einer Wahl oder Abstimmung und nach einer Jagd am meisten gelogen werde, dieses Jahr übertroffen worden, derart, dass sich eine Strafuntersuchung rechtfertige.
Gegen das auf diese Weise festgestellte Stimmregister sind innert der Rekursfrist 4 Beschwerden erhoben worden:
1. von Bernhard Hütter und Gottfried Brunner in St. Erhard im Namen der liberalen Partei von Knutwil, mit den Begehren, es seien 16 Bürger in das Stimmregister auf- und 37 von demselben abzutragen;
2. von Jakob Bachmann, Gemeinderatspräsident in St. Erhard und Kaspar Hodel, Gemeindeammann in Knutwil, die die Auftragung von 10 Bürgern, darunter von 5 der im ersten Rekurs genannten, und die Abtragung von 50 Bürgern, darunter von den meisten der im ersten Rekurs genannten, und zudem Verschiebung der Wahlen bis in den Winter verlangten;
3. von Anton Bucher in St. Erhard, der die Auftragung von 10 Bürgern beantragte;
4. von Heinrich Hummel und Theodor Jost in Knutwil (namens der konservativen Partei), die das Begehren um Abtragung von 26 Bürgern stellten.
Die gegenseitigen Auf- und Abtragungsbegehren wurden damit begründet, dass die betreffenden die gesetzlichen Erfordernisse für die Ausübung des Stimmrechts besässen bezw. nicht besässen; das Abtragungsbegehren der liberalen Rekurrenten bezog sich in der Hauptsache auf solche Bürger, die in der Zeit vom 1. bis 10. März ihren Wohnsitz reguliert hatten.
In seinem Entscheide vom 25. Juli legte sich der Regierungsrat zunächst die grundsätzliche Frage vor,BGE 49 I 416 (420) BGE 49 I 416 (421)ob einem Bürger, "der seinen rechtlichen und tatsächlichen Wohnsitz gemäss dem § 8 Abs. 2 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen reguliert hat, die Stimmberechtigung abgesprochen werden dürfe einzig in Rücksicht darauf, dass er zu Stimm- oder Wahlzwecken in eine Gemeinde eingezogen ist." Der Regierungsrat, heisst es weiter, habe sich bei der Behandlung der Stimmrechtsverhältnisse in Knutwil zuerst auf diesen Boden stellen wollen, welche Stellungnahme sich von der Warte politischer Moral aus rechtfertigen liesse. Allein gegenüber der rechtlichen Überlegung halte sie nicht stand. "Denn wer sich in einer Gemeinde einen Wohnsitz gründet, um an Abstimmungen oder Wahlen teilzunehmen, schafft sich damit nur die Voraussetzungen, um seine öffentlichen Rechte und Pflichten auszuüben." Das Gesetz verlange nun nur, dass jemand 3 Monate vor der Wahl oder Abstimmung seinen ununterbrochenen, nach den Vorschriften des Niederlassungsgesetzes regulierten Wohnsitz in einer Gemeinde gehabt habe, um dort sein Stimmrecht ausüben zu können. Der Zweck sei nach dem Gesetz gleichgültig; es wäre auch schwer, diesen festzustellen. Die vom 1. bis 10. März angemeldeten zu streichen, gehe nicht an; dadurch würden die im Februar angemeldeten bevorzugt. "Vielmehr ist, nachdem die gemäss dem § 8 Abs. 2 l. c. rechtzeitige Deposition der Ausweisschriften in keinem Falle bestritten und zudem durch den Amtsgehilfen erhoben ist, dass diese Schrifteneinlegungen durchwegs in diesem Sinne rechtzeitig und richtig erfolgt sind, zuerst zu untersuchen, ob jeder einzelne Bürger, dessen Auftragung oder Abtragung verlangt worden sind, am 10. Juni 1923 den erforderlichen ununterbrochenen dreimonatlichen Wohnsitz in der Gemeinde Knutwil hatte. Hiefür ist zum voraus zu bemerken, dass vorübergehende Abwesenheit zu Kur-, Studien- oder Erwerbszwecken den Wohnsitz nicht unterbricht (vgl. § 9 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen vom 31. Dezember 1918), da solche AufenthalteBGE 49 I 416 (421) BGE 49 I 416 (422)auch keinen Wohnsitz im Sinne dieses Gesetzes zu begründen vermögen. In Fällen sodann, wo offenbar ist, dass ein Bürger sich nicht ununterbrochen in der Gemeinde Knutwil aufgehalten hat, wo also diese Gemeinde nicht für die Dauer seiner Anwesenheit zum Mittelpunkt seiner persönlichen und rechtlichen Beziehungen geworden ist, ist ein tatsächliches Wohnen im Sinne der §§ 8 und 9 l. c. nicht als gegeben zu erachten und sind deshalb dessen Wohnsitz und Stimmberechtigung in Knutwil zu verneinen, weil in diesem Falle nur ein Scheindomizil vorliegt." Demgemäss wurde in den einzelnen Fällen geprüft, ob der betreffende Bürger während der 3 Monate vor der Wahl ununterbrochen in Knutwil gewohnt habe. Gestützt auf diese Prüfung verfügte der Regierungsrat die Auftragung von 8, die Abtragung von 6 Bürgern, im übrigen wurden die Beschwerden abgewiesen.
Auf Grund des so bereinigten Stimmregisters fand die Wahlverhandlung am 29. Juli statt. Nach dem Verbal über die Verhandlung nahmen von 335 stimmberechtigten Bürgern 331 an der Wahl teil, wovon 326 gültige Stimmen abgaben. In allen Wahlen -- für 3 Mitglieder des Gemeinderates, einen Ersatzmann desselben, für den Gemeinderatspräsidenten, den Gemeindeammann, den Waisenvogt, den Verwalter, den Betreibungsbeamten und seinen Stellvertreter -- erhielten die Kandidaten der konservativen Partei die Mehrheit, im Verhältnis von 172 bis 174 gegenüber 150 bis 152 Stimmen. Diese Kandidaten wurden als gewählt erklärt, wobei immerhin der Präsident des Wahlbureaus, ein Stimmzähler und der Sekretär bemerkten, dass das Stimmregister nicht anerkannt werde, ebensowenig die Gewählterklärung der im Verbal genannten Gemeinderatsmitglieder.
Die Wahlen sind am 11. August vom Regierungsrat genehmigt worden. Mit Beschluss vom gleichen Tage trat dieser auf eine Beschwerde der Mehrheit des Gemeinderates von Knutwil, von Präsident Bachmann und Gemeindeamman Hodel, vom 4. August, die die Kassation derBGE 49 I 416 (422) BGE 49 I 416 (423)Wahlverhandlung wegen des mangelhaften Stimmregisters verlangt hatten, nicht ein, weil den Beschwerdeführern die Legitimation zur Beschwerde mangle, und weil nicht eine Kassationsbeschwerde im rechtlichen Sinne vorliege, indem nicht geltend gemacht werde, dass bei der Wahl auf der Grundlage wie sie durch den Stimmrechtsentscheid vom 25. Juli geschaffen war, irgendwelche Rechtsverletzung vorgefallen sei, vielmehr in Wirklichkeit ein Wiedererwägungsgesuch bezüglich jenes Entscheides vorliege.
 
B.
 
Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 28. August stellen Jakob Bachmann, Gemeindepräsident, St. Erhard, Kaspar Hodel, Gemeindeammann, Knutwil, beide für sich und im Namen der Mehrheit des Gemeinderates von Knutwil, Bernhard Rütter, St. Erhard, und Gottfried Brunner, daselbst, beim Bundesgericht die Anträge, es seien, in Gutheissung der Beschwerde, die Entscheidungen des Regierungsrates von Luzern vom 25. Juli und 11. August aufzuheben, die am 29. Juli stattgefundene Gemeinderats- und Betreibungsbeamtenwahl in der Gemeinde Knutwil sei zu kassieren und der Regierungsrat zu verhalten, auf den Winter Neuwahlen anzuordnen, die sämtlichen in der Zeit vom 1. bis 10 März 1923 neuangemeldeten, insbesondere sämtliche Bürger, deren Schriften durch alt Gemeindeammann Brunner deponiert worden sind, seien, mit Ausnahme der Pächter und Mieter, ab dem Stimmregister abzutragen.
Gleichzeitig ist beim Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde eingelangt, die für die Mehrheit des Gemeinderates von Knutwil, Gemeindepräsident Jakob Bachmann und Gemeindeammann Hodel, eventuell für die beiden persönlich gegen den Regierungsrat von Luzern erhoben wird und sich gegen den Beschluss des letztern richtet, auf die von den beiden Rekurrenten im Namen der Mehrheit des Gemeinderates erhobene Kassationsbeschwerde gegen die Wahlverhandlung von Knutwil vom 29. Juli nicht einzutreten. In dieser BeschwerdeBGE 49 I 416 (423) BGE 49 I 416 (424)wird in erster Linie die Aufhebung des Beschlusses des Regierungsrates vom 11. August beantragt. Sodann werden auch hier die Begehren gestellt, es seien die vom 1. bis 10. März angemeldeten vom Stimmregister abzutragen, jedenfalls diejenigen, für welche alt Gemeindeammann Brunner die Schriften deponierte, und es sei die Gemeinderats- und Betreibungsbeamtenwahl vom 29. Juli zu kassieren.
Die erste Beschwerde stützt sich auf eine behauptete Verletzung der Art. 4 und 43 BV, neben denen in einer später, noch innert der Rekursfrist eingelangten Eingabe auch Art. 27 KV als verletzt bezeichnet wird; ferner sind nach der Behauptung der Rekurrenten verletzt die §§ 8, 9 und 39 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen. In tatsächlicher Beziehung wird darauf hingewiesen, dass vom 1. Januar bis 1. März 1923 in Knutwil 47, vom 1. bis 10. März 99 Niederlassungsbewilligungen erteilt worden seien, denen ein Abgang von 14 und 1 entgegenstehe, während in den entsprechenden Perioden des Vorjahres der Zuwachs 12 und 1, der Abgang 10 und 2 betragen habe. Sodann wird behauptet, die grösste Zahl der vor den Wahlen des Jahres 1923 zugezogenen Niedergelassenen sei nicht in der Absicht, dort zu bleiben, nach Knutwil gekommen, sondern lediglich zum Zweck der Stimmhilfe, wofür namentlich darauf verwiesen wird, dass am 3. März 31 und am 10. März 17 Schriften von der nämlichen Person eingereicht worden seien. Solchen Personen stehe das Stimmrecht nach den genannten Gesetzesbestimmungen nicht zu, da die Absicht dauernden Verweilens fehle, auf welchen Standpunkt sich der Regierungsrat selber noch in einem Entscheide vom 6. Januar 1923 i.S. Sigrist gegen Brunner gestellt habe. Ausser der Gesetzesverletzung liege aber auch eine ungleiche Behandlung der politischen Parteien vor, indem mehr Konservative zugelassen und mehr Liberale gestrichen worden seien. Um neuen Missbräuchen zuBGE 49 I 416 (424) BGE 49 I 416 (425)steuern, müsse nicht nur die Wahl kassiert, sondern auch festgestellt werden, dass diejenigen, die vom 1. bis 10. März ihre Papiere eingelegt hätten, nicht stimmberechtigt seien, insbesondere nicht diejenigen, deren Papiere in der erwähnten Weise deponiert worden seien. Eine Rechtsverweigerung liege auch darin, dass über das Begehren betreffend Verschiebung der Wahl gar nicht entschieden worden sei. Zum Schlusse wird bemerkt, dass auch von Seite der liberalen Partei in gleicher Weise Hilfskräfte beigezogen worden seien. Allein die andere Partei habe damit angefangen.
Die zweite Beschwerde wird damit begründet, dass es eine Rechtsverweigerung bedeute, wenn der Mehrheit des Gemeinderates die Legitimation zur Erhebung einer Kassationsbeschwerde gegen die Wahlverhandlung abgesprochen werden sei.
 
C.
 
Der Regierungsrat von Luzern beantragt Abweisung der beiden Beschwerden.
Der ersten Beschwerde gegenüber wird zunächst der Vorwurf der Willkür und Parteilichkeit zurückgewiesen. Beide angefochtenen Entscheide entsprδchen in rechtlicher Beziehung einer konstanten Praxis. So sei im Jahre 1919, als zum ersten Mal seit Jahrzehnten bei den Gemeindewahlen die Liberalen die Mehrheit erhalten hätten, ein konservativer Rekurs abgewiesen worden, trotzdem verschiedene Unregelmässigkeiten vorgekommen seien. Gerade dadurch, dass nach den Begehren der Rekurrenten entschieden würde, entstände eine Rechtsungleichheit: Die Liberalen seien es, die zuerst für eine ausserordentliche Verstärkung von auswärts gesorgt hätten, derart, dass "das Gros der liberalen Neubürger von Knutwil" schon vor dem 1. März die Schriften deponiert habe. "Die unter solchen Umständen einigermassen begreifliche konservative Gegenaktion erfolgte erst in der Zeit vom 1. bis 10. März 1923." Wenn das Begehren um Verschiebung der Wahl übergangen worden sei, so handle es sich um ein Versehen. Dass ihm nicht entsproBGE 49 I 416 (425)BGE 49 I 416 (426)chen worden sei, habe sich aus dem Entscheide vom 25. Juli ohne weiteres ergeben. Ohne Rechtsverletzung hätte übrigens die Verhandlung nicht auf den Winter verschoben werden dürfen. Sachlich handle es sich um das Merkmal der Absicht dauernden Verbleibens im Sinne von § 9 des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen. Darunter sei nicht nur die Absicht, das ganze Leben oder doch mehrere Jahre an einem Orte zu verbleiben, zu verstehen, sonst würden Mieter, Pächter, Angestellte, Arbeiter, Dienstboten kaum je zur Ausübung ihres Stimmrechts gelangen. Der Regierungsrat habe denn auch dem in Saisongeschäften angestellten Hotelpersonal das Stimmrecht in den Gemeinden ihres Aufenthaltes gewährt. Das erforderliche Mindestmass für die Absicht dauernden Verbleibens sei aus den verfassungsmässigen Vorschriften über das Stimmrecht abzuleiten, Art. 43 Abs. 5 BV und § 27 Abs. 1 und 2 und § 88 Abs. 3 KV. Danach genüge es, wenn jemand beabsichtige, mindestens 3 Monate in einer Gemeinde zu verbleiben. Sonst wäre der verfassungsmässige Grundsatz der Niederlassungsfreiheit verletzt. Es frage sich daher nur, ob die Neubürger von Knutwil, die vom 1. bis 10. März dort eingezogen, die Absicht hatten, mindestens 3 Monate in Knutwil zu verbleiben. Das könne nur nach äusseren Merkmalen entschieden werden. Nun hätten alle, die auf dem Stimmregister belassen wurden, unter Aufgabe ihres bisherigen Wohnsitzes vor dem 10. März in Knutwil einen neuen begründet und durch Schriftendeposition reguliert, auch hätten sie sich während der 3 Monate ununterbrochen dort aufgehalten. Danach seien die Beschwerden betreffend Auf- und Abtragung der Neubürger entschieden worden. Der öffentlich-rechtliche Wohnsitz falle nicht mit dem zivilrechtlichen zusammen. Ersterer könne sehr wohl weiter gefasst werden (Burckhardt, Komm. z. BV S. 372-374). Die von den Beschwerdeführern postulierte Gesetzesauslegung bedeute eine Umkehrung der Beweislast, indem die BeBGE 49 I 416 (426)BGE 49 I 416 (427)gründung des Stimmrechtswohnsitzes zu vermuten sei, wenn ein Bürger während 3 Monaten vor dem Wahltag seinen ununterbrochenen gesetzlich regulierten Wohnsitz in der Gemeinde gehabt habe, wie denn auch der Gemeinderat von Knutwil die Neubürger, die vor dem 1. März einzogen, ohne weiteres als dort wohnhaft und stimmberechtigt anerkannt habe. Den seit dem 1. März zugezogenen gegenüber sei die Rechtslage keine andere. Die Wohnsitzdefinition des § 9 des Gesetzes, die im früheren Gesetz nicht enthalten gewesen sei, habe nur die Bedeutung, dass damit eine sichere Grundlage für die Entscheidung von gewissen Stimmrechtsfragen gegeben werden wollte, worüber bis jetzt Meinungsverschiedenheiten auftraten, nämlich bei den Fällen der Konkurrenz des gesetzlich regulierten Wohnsitzes mit dem Ort der Berufsausübung, bei Studien- und Kuraufenthalt, bei Abschluss einer Miete in einer Gemeinde ohne nachfolgende dauernde Benutzung der Mietwohnung durch einen anderwärts in Stellung befindlichen Mieter usw. Das ergebe sich aus dem Schlussatz von § 9. Deshalb werde daran festgehalten, dass es rechtlich nicht angängig sei, die in Frage stehenden Neubürger von Knutwil nach dem Antrag der Beschwerdeführer vom dortigen Stimmregister zu streichen. Dieselben mögen ausser zu einem Erwerbszweck wohl auch in der Absicht nach Knutwil gekommen sein, dort ihre Stimmkraft bei den Gemeindewahlen einer bestimmten Partei zuzuwenden. Damit hätten sie aber nichts rechtswidriges begangen. "Wie das Stimmrecht als individuelles Recht vom Bürger in dem Sinne ausgeübt werden darf, wie es ihm beliebt, so darf er sich auch beliebig den Ort für die Begründung des Stimmrechtswohnsitzes auswählen." Dass die erwähnten Personen in diesem Sinne als Wahlknechte angesehen werden mögen, sei rechtlich unerheblich. Würde der grundsätzlichen Auffassung der Beschwerdeführer zugestimmt, so wären, um der Rechtsgleichheit zu genügen, auch die vom 1. Januar 1923 an in Knutwil zugezogenenBGE 49 I 416 (427) BGE 49 I 416 (428)Neubürger vom Stimmregister zu streichen. Würde dann das Wahlresultat nach diesen Streichungen nachgeprüft, so würde es sich ergeben, dass auf Grund des so bereinigten Stimmregisters die konservative Partei über eine Stimmenmehrheit verfügen würde und es daher materiell nicht gerechtfertigt wäre, für Knutwil Neuwahlen anzuordnen. Auch der Regierungsrat sei der Ansicht, dass politische Erscheinungen, wie sie im laufenden Wahljahre in Knutwil zu Tage traten, energisch bekämpft werden sollten. Der Kampf dürfe aber nur auf dem Boden des Rechts geführt werden.
In der Antwort auf die Beschwerde gegen den Entscheid vom 11. August betreffend Kassation der Wahlverhandlung vom 29. Juli wird daran festgehalten, dass eine Behörde zur Wahrung individueller Rechte der Bürger nicht legitimiert sei; die Beschwerde hätte übrigens von der Hand gewiesen werden müssen. Nachdem innerhalb der Frist für die kantonale Kassationsbeschwerde eine solche von hiezu legitimierten Bürgern nicht eingelegt worden sei, könne das Bundesgericht nicht materiell auf die Frage eintreten, ob die Wahlverhandlung in Knutwil aus Gründen zu kassieren sei, die in dieser Verhandlung als solcher liegen.
 
D.
 
Dem Theodor Jost und dem Heinrich Hummel in Knutwil, die bei der Stimmregisterbereinigung ihrerseits einen Rekurs an den Regierungsrat eingereicht hatten, ist auf ihr Begehren Gelegenheit gegeben worden, sich zu den beiden staatsrechtlichen Beschwerden zu äussern. Sie beantragen deren Abweisung, indem sie darzutun versuchen, dass auch ohne die vom 1. Januar oder vom 1. März an zugelassenen Bürger die konservative Partei die Mehrheit bei den Wahlen gehabt hätte.
 
E.
 
Dem Rekurs ist durch Verfügung des Präsidenten des Bundesgerichts aufschiebende Wirkung beigelegt worden.
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
 
 
1. Der Amtsgehilfe von Luzern und der Regierungsrat sind bei der Aufstellung und Bereinigung desBGE 49 I 416 (428) BGE 49 I 416 (429)Stimmregisters von Knutwil für die Gemeindewahlen von 1923 und bei der Entscheidung der dagegen erhobenen Stimmrechtsrekurse davon ausgegangen, dass das Stimmrecht allen stimmfähigen Bürgern zuzuerkennen sei, die während drei Monaten vor dem Wahltag ununterbrochen in Knutwil wohnten und vorher ihre Niederlassung daselbst polizeilich geordnet hatten. Da die Voraussetzungen zur Ausübung des Stimmrechts bei Wahlen und Abstimmungen in kantonalen und Gemeindesachen auf Grund des Art. 43 BV in der Kantonsverfassung bestimmt sind, Art. 27 und 88, so hat das Bundesgericht nach Art. 180 OG selbständig nachzuprüfen, ob diese Auffassung richtig sei.
 
Erwägung 2
 
2. Art. 43 Abs. 4 BV, wonach der niedergelassene Schweizerbürger an seinem Wohnsitz alle Rechte der Kantonsbürger und der Gemeindebürger geniesst, enthält den Grundsatz, dass das Stimmrecht in kantonalen und -- nicht bürgerlichen -- Gemeindesachen, gleichwie in eidgenössischen Angelegenheiten, nur am Wohnsitz ausgeübt werden darf (vgl. AS 38 I S. 472 ff.). Das Domizil im Sinne dieser Bestimmung ist aber nach der herrschenden Auffassung in der Regel der zivilrechtliche Wohnsitz einer Person (vgl. Burckhardt, Komm. z. BV 2. Aufl. S. 371 ff.; Bloch in Zschr. f. schweiz. Recht N.F. Bd. 23 S. 406 ff.; Salis, Bundesrecht III Nr. 1161, 1193 ff., 1220 und 1221). Das kantonale Recht kann nicht einen hievon abweichenden Begriff des Stimmorts aufstellen. Zudem steht das luzernische Recht in dieser Beziehung grundsätzlich auf dem gleichen Boden wie Art. 43 BV. Die Luzerner Verfassung sieht die Ausübung des politischen Stimmrechts für "Kantonsbürger und niedergelassene Schweizerbürger" in der Wohngemeinde vor und bezeichnet als solche diejenige, in der "der betreffende Bürger in den letzten drei Monaten vor der Wahl oder Abstimmung seinen ununterbrochenen gesetzlich regulierten Wohnsitz" hatte, wobei für die gesetzliche Regulierung des Wohnsitzes das Gesetz über das Niederlassungswesen vom 30. Mai 1894 massgebend ist, währendBGE 49 I 416 (429) BGE 49 I 416 (430)das Erfordernis einer Dauer von 3 Monaten offensichtlich auf der Vorschrift der Bundesverfassung beruht, dass in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten das Stimmrecht nach einer Niederlassung von drei Monaten erworben wird, Art. 43 Abs. 5. Der Gebrauch des Wortes Wohnsitz, das der Rechtsprache angehört und darin eine ganz bestimmte Bedeutung hat, wäre in der Luzerner Verfassung so wenig als in Art. 43 BV verständlich, wenn darunter nur das tatsächliche Wohnen verstanden sein sollte. Dass das nicht der Fall ist, zeigen die Bestimmungen des Gesetzes vom 31. Dezember 1918 über Wahlen und Abstimmungen, wo im Anschluss an die Wiedergabe der Bestimmung von Art. 27 Abs. 2 der Verfassung -- § 8 -- in § 9 der Wohnsitz dahin bestimmt wird, dass er sich da befinde, wo jemand sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält. Damit wollte das Gesetz gewiss nicht über die Verfassung hinaus oder neben derselben vorbeigehen, sondern sie erläutern, woran der Umstand nichts ändert, dass eine solche Erläuterung im früheren Gesetze über Wahlen und Abstimmungen fehlte. Der Regierungsrat wendet ein, mit der neuen Bestimmung hätten nur gewisse streitige Fälle entschieden werden wollen. Das mag sein. Wenn sie aber auch andere Fälle entscheidet, die man nicht im Auge hatte, so geht es nicht an, sie nur für die erstem, nicht aber auch für die letztern gelten zu lassen. Daraus ergibt sich denn, dass für die Ausübung des Stimmrechts in einer bestimmten Gemeinde ein dreimonatliches Wohnen daselbst nicht genügt, dass vielmehr ein subjektives Moment hinzukommen muss, die Absicht dauernden Verbleibens, die grundsätzlich von Art. 43 BV für den Stimmort gefordert wird. Dabei kommt es auf die Verumständungen des Falles an, wann eine solche Absicht anzunehmen ist, und auch ein von vornherein zeitlich begrenzter Aufenthalt schliesst nicht ohne weiteres die Annahme eines Wohnsitzes aus. Immer aber muss das Verbleiben an dem betreffenden Orte als solches um seiner selbst willenBGE 49 I 416 (430) BGE 49 I 416 (431)beabsichtigt sein, damit von einem Wohnsitz gesprochen werden kann.
 
Erwägung 3
 
3. Daran ist für den Wohnsitz als Voraussetzung für die Ausübung des Stimmrechts auch aus allgemeinen Erwägungen festzuhalten: Die Ausübung der politischen Rechte ist nichts anderes als die Mitwirkung bei den öffentlichen Angelegenheiten eines Gemeinwesens. Sie setzt grundsätzlich die Mitgliedschaft, die Zugehörigkeit zu diesem Gemeinwesen voraus. Nach eidgenössischem und nach Luzerner Recht wird diese Mitgliedschaft in den öffentlichen Gemeinwesen von Schweizerbürgern durch den Wohnsitz erworben, von den rein bürgerlichen Angelegenheiten abgesehen. Wer auf solche Weise einem Gemeinwesen angehört, soll in den Angelegenheiten desselben mitreden können, wenn er überdies die nötigen persönlichen Eigenschaften besitzt. Von einer Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen kann aber nur da die Rede sein, wo neben äussern Beziehungen zu demselben auch der Wille vorhanden ist, demselben anzugehören, was gewöhnlich dahin umschrieben wird, dass die Absicht dauernden Verbleibens mit dem Aufenthalt an einem bestimmten Orte verbunden sein muss. Wer nicht in einer derartigen Verbindung mit einem Gemeinwesen steht, gehört ihm nicht an und hat keinen Anspruch darauf, in seinen Angelegenheiten mitzusprechen. Deshalb erklärt auch § 9 des luzernischen Wahlgesetzes im Hinblick auf die Ausübung des Stimmrechts ausdrücklich den Aufenthalt zu Kur- und Studienzwecken als ungeeignet für die Begründung des Wohnsitzes. Die Absicht, an einem Orte sein Stimmrecht auszuüben, kann die Zugehörigkeit zu dem Gemeinwesen nur begründen, wenn daneben die Absicht dauernden Verweilens besteht, was dann in der Regel ausgeschlossen ist, wenn es sich nur um die Teilnahme an einer Abstimmung oder Wahl handelt. Leute, die zu diesem Zwecke sich an einen bestimmten Ort begeben, sind nicht Glieder des betreffenden Gemeinwesens, sondern wollen von aussen her in die AnBGE 49 I 416 (431)BGE 49 I 416 (432)gelegenheiten desselben hineinreden. Das trifft namentlich dann zu, wenn sie nicht von sich aus, sondern auf Veranlassung Dritter an den Ort sich begeben, wo sie mitstimmen oder wählen sollen. Da hat man es vollends nicht mit der Ausübung des Stimmrechts an dem Orte zu tun, dem diese Leute als Glieder des Gemeinwesens angehören, sondern es stellen dieselben ihr Stimmrecht Dritten zu Zwecken zur Verfügung, bei denen sie nach ihren Beziehungen nicht mitzuwirken berufen sind. Nicht der Wahlkörper wird durch solchen Zuzug vergrössert, sondern die Parteien im Gemeinwesen verschaffen sich auf diese Weise Stimmhilfe von aussen. Die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit ändert hieran nichts. Sie lässt wohl jedem Bürger die Wahl seines Aufenthaltsortes; aber sie führt keineswegs zu der Annahme eines von den übrigen Verhältnissen losgelösten, bloss von der Niederlassungsbewilligung abhängigen politischen Wohnsitzes. Die Gemeinde und der Kanton sind nicht Verbände von Stimmberechtigten, sondern Gemeinschaften derjenigen, die ihnen kraft der von ihnen frei geschaffenen Beziehungen zu denselben angehören. Diese Voraussetzung fehlt bei solchen Personen, die sich nur zum Zwecke der Beteiligung an einer bestimmten Wahl oder Abstimmung an einen Ort begeben und dort sich während der geforderten Mindestzeit vor der Wahl oder Abstimmung aufhalten, insbesondere dann, wenn der Zuzug von dritter Seite veranlasst worden ist.
 
Erwägung 4
 
4. Der Regierungsrat wendet ein, dass seine bisherige Rekurspraxis auf der Annahme eines rein formalen, lediglich auf das Wohnen in einer Gemeinde abstellenden politischen Wohnsitzes beruhe. Eine solche Praxis wäre aber bundesrechtswidrig und auch abgesehen hievon jedenfalls nach dem Inkrafttreten des neuen kantonalen Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen nicht mehr aufrecht zu erhalten. Das Beispiel, das der Regierungsrat für eine solche Praxis anführt, beweistBGE 49 I 416 (432) BGE 49 I 416 (433)übrigens nichts für seine Auffassung. Die Hotelangestellten, die sich nur während einer Saison in einer Gemeinde aufhalten, gehören dieser Gemeinde eben, wenn nicht zu einer andern stärkere Beziehungen bestehen, kraft besonderer, ausserhalb des Zweckes der Teilnahme an den Wahlen und Abstimmungen liegender Beziehungen an, weshalb sie dann durchaus richtigerweise als dort wohnsitz- und stimmberechtigt erklärt wurden. Damit ist also für die Lösung der Frage bei denjenigen, die an einen Ort gezogen sind, nur um dort das Stimmrecht auszuüben, nichts gewonnen. Solche Leute, die in Luzern allgemein als Wahlknechte bezeichnet werden, sind nicht frei zugezogene Bürger einer Gemeinde, die dort des Wohnens und der Beschäftigung halber sich aufhalten, und es ist ihnen deshalb das Recht, in den Angelegenheiten dieser Gemeinde mitzureden, auch dann abzusprechen, wenn das äussere Erfordernis des ununterbrochenen Wohnens in der Gemeinde während einer bestimmten Zeit erfüllt ist. Die Schwierigkeiten des Beweises für die Absicht dauernden Verbleibens vermögen die Behörden von der Anwendung dies Satzes nicht zu entbinden. Sie bieten sich überall, wo die Beurteilung eines Rechtsverhältnisses vom Wohnsitz abhängt, so im Gerichtsstands- und im Steuerrecht, und bei der Anwendung anderer Kollisionsnormen im privaten und öffentlichen Recht, wo es auf den Wohnsitz ankommt. Wie auf diesen Gebieten die Beweisschwierigkeiten durchwegs überwunden werden, ist dies auch da möglich, wo der Wohnsitz die Voraussetzung für die Ausübung des Stimmrechts ist. Gerade bei der Art, wie in Knutwil Stimmhilfe von aussen beigezogen wurde, dürfte es nicht unüberwindliche Schwierigkeiten bieten, festzustellen, ob man es mit einer ernsthaften Wohnsitznahme, oder nur mit der Schaffung der äussern Erfordernisse für die Ausübung des Stimmrechts zu tun habe. Ursprünglich hatte sich denn auch das luzernische Justizdepartement auf den BodenBGE 49 I 416 (433) BGE 49 I 416 (434)gestellt, dass die "Wahlknechte" nicht auf das Stimmregister gehören. Und der Fragebogen, den die zuerst zur Aufstellung des Stimmregisters von Knutwil beauftragte Kommisson für diejenigen aufstellte, deren Stimmrecht fraglich sein konnte, beruht auf dem gleichen Gedanken. Denn es finden sich darin Fragen nach dem Tag der Wohnsitznahme in Knutwil (neben derjenigen nach dem Tage der Schriftenhinterlegung), nach dem Antrag zur Einstellung in Knutwil, nach dem vertraglichen Dienstherrn (neben derjenigen nach dem ständigen Arbeitgeber), nach der Art und Dauer des Dienstverhältnisses nach dem künftigen Wohn- und Arbeitsort (nach den Wahlen) und nach besonderen Versprechungen, was alles zeigt, dass man beabsichtigte, den Zweck des Einzugs in Knutwil mit in Berücksichtigung zu ziehen. Diese Fragen sind freilich unbeantwortet geblieben und der mit der endlichen Feststellung des Stimmregisters beauftragte Amtsgehilfe von Luzern hat sich, wie dann auch der Regierungsrat, auf den Boden gestellt, es komme auf diese Verhältnisse nichts an, sondern nur darauf, dass jemand ununterbrochen während 3 Monaten vor der Wahl in Knutwil wohnte und vorher seine Niederlassungsverhältnisse polizeilich geordnet habe. Dabei hat der Amtsgehilfe immerhin zugegeben, es habe die Auffassung, dass die Wahlknechte vom Stimmregister zu streichen seien, eine gewisse Berechtigung, nur müsste man mit den Abtragungen weiter zurückgehen als bis zum 1. März, wie es der Gemeinderat verfügt hatte. Und er redet in der Vernehmlassung auf die Rekurse an den Regierungsrat von krassem Wahlknechtentum, das mit aller Energie bekämpft werden müsse. Er schlug zu diesem Zwecke eine Strafuntersuchung vor, die festzustellen hätte, ob dem § 98 des Wahlgesetzes zuwidergehandelt worden sei, wo u.a. mit Strafe bedroht ist, wer eine Wahlstimme kauft oder verkauft, oder auf die an der Wahlverhandlung teilnehmenden Bürger durch Drohungen Einfluss auszuüben sucht, und wer unbeBGE 49 I 416 (434)BGE 49 I 416 (435)fugter Weise an einer solchen Wahl oder Verhandlung teilnimmt oder andern bei der unbefugten Teilnahme in rechtswidriger Weise behilflich ist. Allein gerade die letztere Bestimmung versagt, wenn die Administrativbehörden die Wahlknechte als stimmberechtigt erklären, und die erstere wird schwer zur Anwendung zu bringen sein bei einem eingelebten Missbrauch. Dass man es mit einem solchen zu tun hat, gibt auch der Regierungsrat zu. Er hatte es in der Hand, selber diesen Missbrauch abzustellen, sobald er Verfassung und Gesetz nach Sinn und Zweck auslegte, wozu er doch gerade durch die Überlegung hätte geführt werden müssen, dass seine Auslegung den Missbrauch des Wahlknechtentums nicht nur fortbestehen liess, sondern geradezu sanktionierte.
 
Erwägung 5
 
5. Die unrichtige Auffassung des Amtsgehilfen von Luzern und des Regierungsrates über die Voraussetzungen zur Ausübung des Stimmrechts hatte zur Folge, dass das Stimmregister von Knutwil, das der Wahlverhandlung vom 29. Juli zu Grunde lag, nicht den verfassungs- und gesetzmässigen Wahlkörper der Gemeinde darstellt. Es ist festgestellt, dass etwa während 2 Monaten vor dem Stichtag, 10. März, eine unverhältnismässig grosse Anzahl von stimmfähigen Leuten nach Knutwil gekommen sind und dort ihre Schriften eingelegt haben oder einlegen liessen. Nicht alle, aber eine grössere Anzahl dieser Personen sind auf das Stimmregister eingetragen und vom Regierungsrat trotz Anfechtung darauf belassen werden, ohne dass geprüft wurde, ob das Erfordernis der Absicht dauernden Verbleibens gegeben sei, obwohl nicht nur die Zahl der Anmeldungen, sondern auch die Art, wie sie bewerkstelligt wurden, vermuten liessen, dass man es bei diesem Zuzug in der Hauptsache um fremde Stimmhilfe zu tun hatte. Es ist deshalb sicher, dass an der Wahl vom 29. Juli Personen teilgenommen haben, die nach richtiger Auslegung von Verfassung und Gesetz nicht hätten stimmen dürfen. Anderseits ist es auch nicht ausgeschlossen, dass aus der unrichtigen AuslegungBGE 49 I 416 (435) BGE 49 I 416 (436)heraus einzelnen Bürgern das Stimmrecht versagt wurde, weil man danach zu grosses Gewicht auf das Erfordernis des ununterbrochenen Wohnens gelegt zu haben scheint. Wie viele mitgestimmt haben, die nicht stimmberechtigt waren und umgekehrt, liesse sich nur durch eine auf richtiger Grundlage durchgeführte neue Untersuchung über alle Fälle, in denen das Stimmrecht bestritten war, und durch Aufstellung eines neuen Stimmregisters feststellen. Keinenfalls ginge es an, was die Rekurrenten anstrebten und auch vom Bundesgericht verlangen, dass einfach die zwischen dem 1. und 10. März angemeldeten vom Stimmregister gestrichen werden. Ebensowenig aber, dass in dieser Beziehung, wie die Rekursgegner wollen, bis zum 1. Januar 1923 zurückgegangen werde. Vielmehr müsste eine allgemeine Durchsicht und Bereinigung des Stimmregisters stattfinden. Eine solche erübrigt sich nun aber aus folgenden Gründen: Nach der ganzen Sachlage ist es sicher, dass eine nicht unerhebliche Zahl Leute an der Wahlverhandlung vom 29. Juli teilgenommen haben, die nicht stimmberechtigt waren. Eine solche Wahlverhandlung gibt nicht den Willen der Gemeinde, d.h. des nach Verfassung und Gesetz richtig zusammengesetzten Wahlkörpers getreu wieder und ist deshalb als ungültig zu erklären (vgl. AS 40 I Nr. 41). Das Wahlergebnis könnte nur dann aufrecht erhalten werden, wenn die richtige Zusammensetzung des Wahlkörpers nachgeholt und dann bestimmt werden könnte, dass trotz der danach möglichen Änderung in den Stimmenverhältnissen das Schlussergebnis der Wahlen dasselbe geblieben wäre (vgl. AS 42 I S. 294 und 46 I S. 135 ff.). Das Wahlergebnis ist die Feststellung des durch den Stimmzettel ausgedrückten Willens derjenigen, die an der Wahlverhandlung teilgenommen haben; es kann nicht auf nachträgliche Berechnungen gestützt werden, bei denen davon ausgegangen wird, dass Leute an der Verhandlung teilnehmen, die davon hätten ausgeschlossen werden sollen,BGE 49 I 416 (436) BGE 49 I 416 (437)und umgekehrt. Eine Ausnahme ist nur da zulässig, wo mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass das Schlussergebnis auf Grund des berichtigten Wahlregisters kein anderes gewesen wäre. Schon die Berichtigung des Wahlregisters begegnet aber hier Schwierigkeiten, da hintendrein die vor der Wahlverhandlung bestehenden Verhältnisse viel schwerer festgestellt werden können als damals. Insbesondere dürfte es nicht leicht sein, alle zugezogenen, was unerlässlich wäre, über die Umstände ihres Zuzugs nach Knutwil einzuvernehmen. Wenn es aber auch gelingen sollte, ein berichtigtes Stimmregister nachträglich herzustellen, so ist es durchaus unmöglich, mit Sicherheit auszumitteln, ob das Schlussergebnis der Wahlen sich nicht geändert hätte, wenn die Wahlverhandlung auf Grund des so berichtigten Stimmregisters vor sich gegangen wäre. Die Stimmen der Parteien gingen im vorliegenden Falle nicht weit auseinander. Wie diejenigen gestimmt haben, die nicht hätten stimmen sollen, ist mit Sicherheit nicht festzustellen. Die Stimmzettel geben über ihre Herkunft keinen Aufschluss. Das Geheimnis der Stimmabgabe (vgl. §§ 40, 47 ff. des Gesetzes über Wahlen und Abstimmungen) verhindert es, dass hierüber Nachforschungen angestellt werden. Wohl scheinen die beiden Parteien zu wissen, wie jeder einzelne bei der Wahlverhandlung gestimmt hat oder gestimmt hätte. Allein auf ihre Angaben darf schon mit Rücksicht auf das Stimmgeheimnis von den Behörden nicht abgestellt werden. Auch dann bliebe übrigens eine gewisse Unsicherheit bestehen. Ein Wahlergebnis muss aber auf durchaus sicheren Grundlagen beruhen. So ist es denn unmöglich, hintendrein mit Sicherheit zu bestimmen, welches das Wahlergebnis gewesen wäre, wenn die Wahlverhandlung auf Grund eines richtig erstellten Stimmregisters stattgefunden hätte. Bei dieser Sachlage bleibt nichts anderes übrig, als die Vornahme einer neuen Wahl, für die das Stimmregister auf Grund der richtigen Auslegung von VerBGE 49 I 416 (437)BGE 49 I 416 (438)fassung und Gesetz über die Voraussetzungen zur Ausübung des Stimmrechts neu zu bereinigen ist. Dafür sprechen auch Gründe der Zweckmässigkeit, indem für eine neue Wahlverhandlung die Wirkung des im Anfang des Jahres bewerkstelligten Zuzugs von auswärtiger Stimmhilfe sich nicht mehr fühlbar machen wird und für neue Wahlmachenschaften die Zeit nicht hinreicht. sodass auf diese Weise die Gewähr dafür geboten ist, dass die Wahlen in Knutwil von dem richtigen Wahlkörper vorgenommen werden.
 
Erwägung 6
 
 
Erwägung 7
 
 
Erwägung 8
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: