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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
Erwägung 2
Erwägung 2.5
3. Die Beschwerde ist abzuweisen. ...
Bearbeitung, zuletzt am 02.08.2022, durch: Philippe Dietschi
 
25. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich sowie Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich (Beschwerde in Strafsachen)
 
 
1B_87/2007 vom 22. Juni 2007
 
 
Regeste
 
Art. 5 Ziff. 1 Satz 2 EMRK; Untersuchungshaft, völkerrechtswidrige Entführung.
Fall, in dem ein wegen gewerbsmässigen Betrugs Angeschuldigter in die Dominikanische Republik geflüchtet, von den dortigen Behörden ausgewiesen und dabei den schweizerischen Behörden übergeben worden war. Völkerrechtswidrige Entführung und damit Hafthinderungsgrund verneint, da die schweizerischen Behörden die Souveränität der Dominikanischen Republik beachtet und weder Zwang, Drohung noch List angewandt haben, um des Angeschuldigten habhaft zu werden (E. 2).
Art. 68 Abs. 4 i.V.m. Art. 66 Abs. 1 und 3 BGG; Parteientschädigung.
Verpflichtung des obsiegenden Kantons, den unterliegenden Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren zu entschädigen, da sich der kantonale Haftrichter mit den im vorliegenden Fall zu erörternden Fragen nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise auseinandergesetzt hat und sich der Beschwerdeführer daher zur Beschwerde veranlasst sehen konnte (E. 3).
 
 
Sachverhalt
 
BGE 133 I 234 (235)Die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) führt ein Strafverfahren gegen den deutschen Staatsangehörigen X. Er steht unter dem dringenden Verdacht, im Jahr 2002 zusammen mit weiteren Tätern in der Schweiz und im Ausland gewerbsmässig Anlagebetrüge begangen zu haben. Der Deliktsbetrag soll sich auf mindestens 18,5 Millionen Euro belaufen. Das Bezirksgericht Uster hat Mitangeschuldigte bereits rechtskräftig zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.
Im August 2002 konnte sich X. seiner Verhaftung durch Flucht entziehen. Trotz nationaler und internationaler Haftbefehle konnte er vorerst nicht gefasst werden.
Am 9. August 2006 wurde X. in Santo Domingo (Dominikanische Republik) festgenommen. Am 18. August 2006 reisten drei Beamte der Kantonspolizei Zürich nach Santo Domingo. Sie übernahmen dort in der Folge X. und verbrachten ihn mit dem Flugzeug nach Zürich.
Mit Verfügung vom 23. August 2006 versetzte der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich X. in Untersuchungshaft.
Am 27. November 2006 ordnete der Haftrichter die Fortsetzung der Untersuchungshaft an; ebenso am 22. Februar 2007.
Auf Antrag des Verteidigers von X. ersuchte die Staatsanwaltschaft Prof. Wolfgang Wohlers (Universität Zürich), dazu Stellung zu nehmen, ob die Inhaftierung von X. in der Dominikanischen RepublikBGE 133 I 234 (235) BGE 133 I 234 (236)und seine Überstellung an die schweizerischen Behörden rechtmässig war. Am 24. April 2007 erstattete Prof. Wohlers sein Gutachten.
Am 2. Mai 2007 ersuchte X. "nach Durchsicht des Gutachtens von Prof. Wohlers" um Haftentlassung.
Mit Verfügung vom 4. Mai 2007 wies der Haftrichter das Gesuch ab.
Am 13. Mai 2007 ersuchte X. erneut um Haftentlassung.
Mit Verfügung vom 15. Mai 2007 wies der Haftrichter das Gesuch wiederum ab.
X. führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die Verfügung des Haftrichters vom 15. Mai 2007 aufzuheben; er sei aus der Haft zu entlassen unter Einräumung einer Schonfrist von 45 Tagen.
 
 
Erwägung 2
 
Dieser beantwortet unter der Überschrift "Zusammenfassung der Ergebnisse" die ihm gestellten Fragen wie folgt:
Ob die Überstellung des Beschwerdeführers rechtmässig oder unrechtmässig erfolgt sei, lasse sich auf der Basis der derzeitigen Erkenntnislage nicht abschliessend beurteilen. Es spreche allerdings einiges dafür, dass die Überstellung als eine völkerrechtswidrige Entführung und die Inhaftierung damit als gegen Art. 5 Ziff. 1 Satz 2 EMRK verstossend einzustufen sei.BGE 133 I 234 (236)
BGE 133 I 234 (237)Unrechtmässig sei die Überstellung dann, wenn die Polizeibehörden der Dominikanischen Republik gehandelt hätten, um die Regelung des Auslieferungs- und Ausweisungsrechts durch faktisches Verhalten zu unterlaufen.
Soweit das Verhalten der Polizeibehörden der Dominikanischen Republik die Voraussetzungen für ein völkerrechtliches Delikt begründe und dies für die Strafverfolgungsbehörden der Schweiz erkennbar gewesen sei, führe das Ausnutzen dieser Situation dazu, dass auch das Handeln der schweizerischen Behörden als völkerrechtswidrig und damit unrechtmässig im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 Satz 2 EMRK einzustufen wäre.
Erweise sich die Überstellung als völkerrechtswidrige Entführung, bestehe nach Auffassung des Gutachters zwar kein Prozesshindernis, wohl aber ein Hafthinderungsgrund. Damit sei der Beschwerdeführer aus der Haft zu entlassen und sei ihm die Möglichkeit zu geben, die Schweiz zu verlassen. Soweit ihm dies mangels eigener finanzieller Ressourcen nicht möglich sein sollte, wäre er diesbezüglich zu unterstützen, da die Schweiz verpflichtet sei, einen von ihr mitverursachten rechtswidrigen Zustand zu beseitigen.
Nachdem sich der Beschwerdeführer im Jahre 2002 seiner Verhaftung durch Flucht entziehen konnte, wurde er mit internationalen Haftbefehlen der Staatsanwaltschaft vom 21. August 2002 und 16. Dezember 2005 zur Festnahme ausgeschrieben.
Am 1. März 2006 sandte das Bundesamt für Justiz, Sektion Auslieferung, unter Vermittlung des schweizerischen Generalkonsulats Interpol Santo Domingo ein Schreiben. Darin führte das Bundesamt aus, es übermittle in der Beilage den Haftbefehl vom 16. Dezember 2005. Nach Mitteilung der Kantonspolizei Zürich wohne der Beschwerdeführer in Santo Domingo. Im Falle seiner Festnahme werde seine Auslieferung auf diplomatischem Weg verlangt werden. Beamte der Zürcher Kantonspolizei würden sich dann in die Dominikanische Republik begeben, um ihn zu übernehmen und mit dem Flugzeug in die Schweiz zurückzubegleiten. Das Bundesamt bat um umgehende Unterrichtung über die erzielten Ergebnisse.
Mit Fax vom 9. August 2006 teilte Interpol Santo Domingo Interpol Bern Folgendes mit:
Dear colleagues,
please be advised that today at 08.25 local time Mr. X., born on (...), and wanted by the economic fraud section of the Zurich cantonal districtBGE 133 I 234 (237) BGE 133 I 234 (238)attorney, was apprehended while coming out of his residence. He ist actually under custody at Interpol's office. Since he doesn't have documents that can prove his legal status in our territory and there's no extradition treaty between our nations a deportation is imminent. We were told that Swiss officers are to escort Mr. X. back to Switzerland. Bear in mind that if a deportation procedure is made dominican officers have to escort him back to Switzerland otherwise Mr. X. could say it was a kidnapping. Let us know your comments on this matter. We can hold him under custody for 48 hours after which we have to send him to the immigration facility so that he can wait there for the deportation procedure to be completed."
Am 10. August 2006 ersuchte Interpol Bern Interpol Santo Domingo um möglichst schnelle Überstellung des Beschwerdeführers auf dem Luftweg an die schweizerischen Behörden; ebenso um Mitteilung, wann mit seiner Deportation in die Schweiz gerechnet werden könne.
Am 14. August 2006 erkundigte sich Interpol Bern über den Stand der Sache und teilte mit, der Beschwerdeführer könne auch von schweizerischen Beamten jederzeit in Santo Domingo abgeholt werden.
Am 15. August 2006 teilte Interpol Santo Domingo Interpol Bern Folgendes mit:
Dear colleagues,
in ref. to your message dated Aug. 14/2006 please be advised that X. was taken to court today because his lawyers filed for a "Habeas Corpus" procedure for the judge to determine if the a/m person's imprisonment was legal or not. The judge ruled in our favor and Mr. X. imprisonment was declared legal as of today. You have to send an escort team to pick up the fugitive as soon as possible because his lawyers are preparing an appeal to rule out the judge's decision. We can only guarantee detainment of Mr. X. for 4 to 5 more days. After that we can't guarantee that Mr. X. remains under custody because if his lawyers file for an appeal, he might be set free. Please advise your opinion on this matter."
Am 16. August 2006 wurde eine aus drei Beamten der Kantonspolizei Zürich bestehende Gruppe bestimmt, die am 18. August 2006 nach Santo Domingo fliegen, dort den Beschwerdeführer übernehmen und diesen der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich zuführen sollte.
Am Morgen des 19. August 2006 holten Beamte von Interpol Santo Domingo den Beschwerdeführer aus dem dortigen Gefängnis ab. Sie brachten ihn zunächst in die Büros von Interpol Santo Domingo und dann mit einem Polizeifahrzeug zum Flughafen. Während eines Zwischenhalts bei einem Hotel in der Nähe des Flughafens stiessenBGE 133 I 234 (238) BGE 133 I 234 (239)die drei Beamten der Kantonspolizei Zürich mit einem weiteren Wagen hinzu. Die Fahrt zum Flughafen wurde mit zwei Fahrzeugen fortgesetzt. Am Flughafen angekommen, klärte der Einsatzleiter der Gruppe der Kantonspolizei Zürich den Beschwerdeführer über die Identität und Funktion der Gruppe auf. Er teilte dem Beschwerdeführer mit, er sei wegen gewerbsmässigen Betrugs ausgeschrieben, werde nun den schweizerischen Behörden übergeben und in die Schweiz zurückbegleitet. Die schweizerischen Beamten legten keinen Haftbefehl vor, brachten aber zum Ausdruck, dass der Beschwerdeführer sich mit der Übergabe im Gewahrsam der schweizerischen Polizei befinde. Der Beschwerdeführer wurde dann in Anwesenheit von Beamten der Polizei der Dominikanischen Republik zum Flugzeug geführt und über Madrid nach Zürich gebracht. Dabei war der sich kooperativ verhaltende Beschwerdeführer nicht gefesselt. Nach der Ankunft in Zürich am 21. August 2006 übergaben ihn die begleitenden Beamten am Flughafen an die Kantonspolizei Zürich, die ihm mitteilte, er sei nun verhaftet.
 
Erwägung 2.5
 
2.5.1 Nach den Grundsätzen des Völkerrechts ist jeder Staat verpflichtet, die Souveränität anderer Staaten zu beachten. Handlungen eines Staates auf fremdem Staatsgebiet sind daher unzulässig. Soweit eine verfolgte Person sich im Ausland befindet, kann sie dem verfolgenden Staat nur mittels eines hoheitlichen Aktes des Staates, auf dessen Gebiet sie sich befindet, überstellt werden. Werden Organe des verfolgenden Staates ohne Bewilligung auf dem Gebiet eines anderen Staates tätig, bemächtigen sie sich insbesondere des Verfolgten mittels Gewalt, List oder Drohung, verletzen sie die Souveränität (Urteile 6P.64/2000 vom 5. Dezember 2000, E. 3a; P.1201/ 1981 vom 15. Juli 1982, publ. in: EuGRZ 1983 S. 435 ff., E. 3a, mit Hinweisen). Das Verbot, fremde Staatsangehörige mit List in den eigenen Machtbereich zu locken, ergibt sich auch aus dem innerstaatlichen wie völkerrechtlichen Gebot von Treu und Glauben. Verboten ist jede missbräuchliche Machenschaft ("toute machination abusive"; BGE 121 I 181 E. 2c/aa S. 184 f.; BGE 117 Ib 337 E. 2a S. 340; Urteile 1A.199/2001 vom 21. Januar 2002, E. 3.2; 6P.64/2000 vom 5. Dezember 2000, E. 3a; 1A.79/1998 vom 10. Juni 1998, E. 3b, mit Hinweisen). Dass die Verletzung der Souveränität im beschriebenen Sinne rechtswidrig ist, ergibt sich auch aus Art. 271 Ziff. 2 StGB. Danach ist strafbar, wer jemanden durch Gewalt, List oder Drohung ins Ausland entführt, um ihn einer fremden Behörde,BGE 133 I 234 (239) BGE 133 I 234 (240)Partei oder anderen Organisation zu überliefern (Urteil P.1201/1981 vom 15. Juli 1982, a.a.O.).
Im Fall, der dem Urteil 1P.574/2000 vom 11. Januar 2001 zugrunde lag, ging es um einen Mann, der in Deutschland eine Freiheitsstrafe verbüsst hatte. In der Folge verfügten die deutschen Behörden seine unverzügliche Ausweisung aus Deutschland. Diese Massnahme wurde trotz eines Einspruchs beim zuständigen deutschen Gericht vollzogen. Der Betroffene wurde nach der Ausschaffung aus Deutschland den schweizerischen Behörden in Kreuzlingen übergeben und verhaftet. Darauf wurde das gegen ihn in der Schweiz geführte Strafverfahren wieder aufgenommen. Das Kantonsgericht verurteilte ihn wegen verschiedener Delikte zu 12 Monaten Gefängnis. Die vom Verurteilten dagegen erhobene staatsrechtliche Beschwerde wies das Bundesgericht ab, soweit es darauf eintrat. Es beurteilte insbesondere die Rüge als unbegründet, die schweizerischen Behörden hätten durch ihre Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstossen. Das Bundesgericht erwog, aus den Akten sei ersichtlich, dass eine gewisse Zusammenarbeit zwischen schweizerischen und deutschen Behörden stattgefunden habe. Es sei insbesondere davon auszugehen, dass die schweizerischen Behörden über die Verbüssung der Freiheitsstrafe in Deutschland unterrichtet worden seien. In der Zusammenarbeit könne kein Verstoss gegen Treu und Glauben erblickt werden. Auch die zumindest faktische Überstellung des Beschwerdeführers von den deutschen an die schweizerischen Behörden könne den schweizerischen Behörden nicht als treuwidriges Verhalten vorgeworfen werden. Letztere hätten den Beschwerdeführer in keiner Weise getäuscht oder mit unrechtmässigem Vorgehen oder Tricks zu einem bestimmten Verhalten angehalten. Es spreche auch nichts dafür, dass die schweizerischen Behörden die deutschen getäuscht hätten (E. 4).
Abdullah Öcalan war Anführer der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK). Im Oktober 1998 war er von Syrien, wo er mehrere Jahre lang untergetaucht war, ausgewiesen worden und gelangte über verschiedene Stationen am 2. Februar 1999 in die griechische Botschaft in der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Als die kenianischen BehördenBGE 133 I 234 (240) BGE 133 I 234 (241)vom Aufenthalt Abdullah Öcalans Kenntnis erlangten, forderten sie den griechischen Botschafter auf, dafür zu sorgen, dass Abdullah Öcalan ausser Landes gebracht werde. Am 15. Februar 1999 wurde Abdullah Öcalan von der griechischen Botschaft zu einem Flugzeug gebracht, in dem er von türkischen Behörden verhaftet wurde. Zu diesem Zeitpunkt lagen gegen ihn sieben Haftbefehle türkischer Gerichte vor. Zudem war von Interpol ein internationaler Haftbefehl gegen ihn verbreitet worden. In der Folge wurde er in die Türkei geflogen und dort inhaftiert.
Abdullah Öcalan machte insbesondere eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 1 EMRK geltend. Er brachte vor, seine Freiheit sei ihm nicht auf rechtmässige Weise entzogen worden; die Formvorschriften der Auslieferung seien nicht beachtet worden.
Der Europäische Gerichtshof erwog dazu, im Bereich der Rechtmässigkeit der Haft, einschliesslich die Beachtung der "gesetzlich vorgeschriebenen Weise" nach Art. 5 Ziff. 1 Satz 2, verweise die Konvention im Wesentlichen auf die nationale Gesetzgebung und enthalte die Verpflichtung, insoweit die materiellen wie prozessualen Rechte zu beachten. Die Konvention verlange aber überdies die Übereinstimmung jeder Freiheitsentziehung mit dem Ziel von Art. 5, den Einzelnen vor Willkür zu schützen. Es gehe insoweit um die Achtung nicht nur des Rechts auf Freiheit, sondern auch auf Sicherheit (Ziff. 83). Die von den Behörden eines Staates auf dem Gebiet eines anderen Staates ohne dessen Zustimmung vorgenommene Verhaftung verletze das Recht auf Sicherheit nach Art. 5 Ziff. 1 EMRK (Ziff. 85). Die Konvention stehe der Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten im Rahmen von Auslieferungsverträgen oder im Bereich der Ausweisungen, welche darauf abzielten, flüchtige Straftäter der Justiz zuzuführen, nicht entgegen, soweit diese Zusammenarbeit kein besonderes durch die Konvention geschütztes Recht verletze (Ziff. 86). Was die Beziehungen im Bereich der Auslieferung zwischen einem Vertragsstaat der Konvention und einem Nicht-Vertragsstaat betreffe, so gehörten die Bestimmungen eines Auslieferungsvertrages oder - in Ermangelung eines solchen - die Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Staaten ebenso zu den massgeblichen Gesichtspunkten, um die Rechtmässigkeit der fraglichen Verhaftung zu beurteilen. Die Übergabe eines Flüchtigen aufgrund der Zusammenarbeit zwischen Staaten beeinträchtige für sich die Rechtmässigkeit der Verhaftung nicht, stelle also unter dem Gesichtswinkel von Art. 5 EMRK kein Problem dar (Ziff. 87). Die Sorge, einBGE 133 I 234 (241) BGE 133 I 234 (242)ausgewogenes Verhältnis zwischen den Anforderungen des allgemeinen Interesses der Gesellschaft und der Wahrung der Grundrechte des Einzelnen zu gewährleisten, liege der gesamten Konvention zugrunde. Da Reisen durch die ganze Welt einfacher geworden seien und die internationale Tragweite der Kriminalität zugenommen habe, hätten alle Staaten ein wachsendes Interesse, mutmassliche Straftäter, die ins Ausland geflüchtet seien, ihrer Justiz zuzuführen. Auf der andern Seite brächte die Schaffung von sicheren Zufluchtstätten für Flüchtige nicht nur Gefahren für den Staat mit sich, der die geschützte Person beherbergen soll; sie höhlte ebenso die Grundlagen der Auslieferung aus (Ziff. 88). Die Konvention enthalte keine Bestimmungen über die Voraussetzungen, unter denen eine Auslieferung gewährt werden könne; ebenso wenig über das der Auslieferung vorangehende Verfahren. Selbst eine atypische Auslieferung ("extradition atypique") widerspreche für sich der Konvention nicht, sofern sie das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen den betroffenen Staaten sei und der Haftbefehl seine gesetzliche Grundlage in einem Zuführungsbefehl finde, der von den Behörden des Heimatstaates des Betroffenen ausgestellt worden sei (Ziff. 89). Unabhängig davon, ob die Verhaftung das Recht des Staates verletze, in welchem der Betroffene Zuflucht gefunden habe - Frage, die der Beurteilung des Gerichtshofes nur unterliege, wenn der Aufenthaltsstaat Vertragsstaat der Konvention sei -, verlange der Gerichtshof, dass vor ihm mit übereinstimmenden Indizien ("indices concordants") dargetan werde, dass die Behörden des Staates, an den der Verhaftete überstellt worden sei, im Ausland Handlungen vorgenommen haben, welche der Souveränität des Aufenthaltsstaates und damit dem internationalen Recht widersprechen. Nur in diesem Fall obliege die Beweislast, dass die Souveränität des Aufenthaltsstaates und das internationale Recht beachtet worden seien, der beklagten Regierung. Es sei nicht erforderlich, dass der Beschwerdeführer insoweit Beweiselemente vorlege, die über jeden vernünftigen Zweifel hinausgingen ("au-delà de tout doute raisonnable"; Ziff. 90).
In der Folge prüfte der Gerichtshof im Lichte dieser Grundsätze, ob türkische Beamte Handlungen begangen haben, welche die Souveränität Kenias und das internationale Recht verletzten. Er erwog, der Beschwerdeführer sei in Kenia eingereist, ohne seine Identität der Grenzpolizei bekannt zu geben. Nachdem die kenianischen Behörden über die Anwesenheit des Beschwerdeführers in derBGE 133 I 234 (242) BGE 133 I 234 (243)BGE 133 I 234 (243)griechischen Botschaft ins Bild gesetzt worden seien, hätten sie den griechischen Botschafter aufgefordert, den Beschwerdeführer aus Kenia wegzuschaffen. Als der Beschwerdeführer auf dem Weg von der griechischen Botschaft zum Flughafen gewesen sei, hätten kenianische Beamte eingegriffen und den Beschwerdeführer vom griechischen Botschafter getrennt. Das Fahrzeug, in dem sich der Beschwerdeführer befunden habe, sei von einem kenianischen Beamten gesteuert worden, der ihn zum Flugzeug gebracht habe, wo türkische Beamte gewartet hätten, um den Beschwerdeführer zu verhaften (Ziff. 94). Nichts bei der Verhaftung des Beschwerdeführers durch die türkischen Beamten in einem Flugzeug in Nairobi sei von den kenianischen Behörden als Eingriff in die Souveränität ihres Landes wahrgenommen worden. Die Inhaftierung des Beschwerdeführers unter diesen beiden Gesichtspunkten - d.h. seine Anhaltung durch die kenianischen Beamten vor der Verbringung zum Flughafen und seine Verhaftung durch die türkischen Beamten im Flugzeug - habe zu keinerlei internationalen Streitigkeit zwischen Kenia und der Türkei und zu keiner Verschlechterung ihrer diplomatischen Beziehungen geführt. Die kenianischen Behörden hätten bei der türkischen Regierung zu diesen Punkten keinerlei Protest erhoben. Ebenso hätten sie von der Türkei keinerlei Wiedergutmachung verlangt wie etwa die Rücküberführung des Beschwerdeführers oder eine Entschädigung (Ziff. 95). Demgegenüber hätten die kenianischen Behörden bei der griechischen Regierung formell Protest erhoben und diese aufgefordert, den griechischen Botschafter unverzüglich zurückzurufen; dies mit Hinweis darauf, dass sich der Beschwerdeführer unter Hilfe griechischer Beamter rechtswidrig nach Kenia begeben und sich dort irregulär aufgehalten habe. Der Beschwerdeführer sei in Kenia nicht willkommen gewesen und die Behörden dieses Landes hätten seine Abreise gewünscht (Ziff. 96). Der Gerichtshof bemerkt, aufgrund dieser Umstände gehe er davon aus, dass zur Zeit des Vorfalles die kenianischen Behörden beschlossen hätten, entweder den Beschwerdeführer den türkischen Behörden zu übergeben oder diese Übergabe zu erleichtern (Ziff. 97). Der Beschwerdeführer habe keine übereinstimmenden Indizien ("indices concordants") vorgelegt, die zeigten, dass im vorliegenden Fall die Türkei die Souveränität Kenias und das internationale Recht missachtet hätte (Ziff. 98). Folglich seien die Festnahme des Beschwerdeführers vom 15. Februar 1999 und seine Inhaftierung mit der "gesetzlich vorgeschriebenen Weise" im Sinne von Art. 5 Ziff. 1 EMRK in Einklang gestanden. Diese Bestimmung sei somit nicht verletzt worden (Ziff. 99).
Ein Mann wurde aufgrund der Ausschreibung durch die Zürcher Behörden im Fürstentum Liechtenstein festgenommen. In der Folge wurde er von der liechtensteinischen Landespolizei der Stadtpolizei Zürich zugeführt. Das Kassationsgericht erwog, der Ablauf der Geschehnisse belege, dass die Zuführung des Betroffenen durch die liechtensteinischen Behörden an die zürcherischen Strafverfolgungsbehörden zum Zweck der Durchführung des in Zürich hängigen Strafverfahrens erfolgt sei. Damit habe es sich insoweit der Sache nach um eine Auslieferung und nicht eine fremdenpolizeiliche Massnahme gehandelt. Die Voraussetzungen weder der ordentlichen noch der vereinfachten Auslieferung nach liechtensteinischem Rechtshilfegesetz seien jedoch erfüllt gewesen. Der Betroffene habe sich somit als Folge einer Verletzung liechtensteinischen Rechts durch die liechtensteinischen Behörden in der Strafgewalt der zürcherischen Strafverfolgungsbehörden befunden.
Nach Ansicht des Kassationsgerichtes ergab sich daraus kein Verfahrenshindernis. Es erwog, im Lichte des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 9 und 29 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK) könne die Verletzung bzw. Umgehung auslieferungsrechtlicher Bestimmungen im Hinblick auf das inländische Strafverfahren ein Verfahrenshindernis darstellen. Allgemein gehe es dabei um das Verbot der verdeckten Auslieferung, insbesondere der Anlockung einer Person unter einem sachfremden Vorwand mit dem Ziel der Umgehung der auslieferungsrechtlichen Bestimmungen. Sei etwa ein Angeschuldigter mit Wissen der Behörden durch eine List in den Glauben versetzt oder darin belassen worden, er begebe sich zu Vergleichsverhandlungen in die Schweiz, wobei jedoch in Wahrheit seine Verhaftung beabsichtigt gewesen sei, so dürfe hier keine Strafuntersuchung gegen ihn geführt werden (Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 11. April 1967, publ. in: ZR 66/1967 Nr. 119 S. 248 ff.). Davon könne im zu beurteilenden Fall keine Rede sein. Anders als im erwähnten Präjudiz (ZR 66/1967 Nr. 119) verhalte es sich beim Beschwerdeführer nicht so, dass er mit Wissen der hiesigenBGE 133 I 234 (244) BGE 133 I 234 (245)Behörden und im Sinne eines "komplottmässigen Handelns" gewissermassen in eine Falle gelockt worden sei. Vielmehr hätten ihn die Zürcher Behörden korrekt zur Fahndung ausgeschrieben, was ihnen nicht zum Vorwurf gereichen könne. Unter diesen Umständen könne aber darin, dass die liechtensteinischen Behörden nicht entsprechend den anwendbaren liechtensteinischen Bestimmungen vorgingen, kein Verfahrenshindernis erblickt werden (E. 2).
Den schweizerischen Behörden kann auch kein Verhalten gegen Treu und Glauben vorgeworfen werden. Wie dargelegt, hat das Bundesamt für Justiz den dominikanischen Behörden mit Schreiben vom 1. März 2006 mitgeteilt, nach der Festnahme des Beschwerdeführers werde um dessen Auslieferung ersucht werden. Die schweizerischen Behörden haben somit nicht beabsichtigt, ein Auslieferungsverfahren zu umgehen. Dazu hatten sie gar keinen Grund, da nicht ersichtlich ist, weshalb die Auslieferung des Beschwerdeführers nicht hätte erfolgen können sollen; dieser ist deutscher, nicht dominikanischer Staatsangehöriger und es werden ihm schwer wiegende gemeinrechtliche Straftaten vorgeworfen. Die dominikanischen Behörden haben den schweizerischen am 9. August 2006 mitgeteilt, der Beschwerdeführer sei festgenommen worden; da er über keine Papiere verfüge, die seinen rechtmässigen Aufenthalt in derBGE 133 I 234 (245) BGE 133 I 234 (246)Dominikanischen Republik beweisen könnten und kein Auslieferungsvertrag zwischen der Dominikanischen Republik und der Schweiz bestehe, stehe seine Ausweisung unmittelbar bevor ("a deportation is imminent"). In Anbetracht dieser Mitteilung hatten die schweizerischen Behörden keinen Anlass, die Auslieferung des Beschwerdeführers zu verlangen. Ein Auslieferungsersuchen wäre sinnlos gewesen, da die dominikanischen Behörden den Beschwerdeführer ohnehin ausweisen und ihn dabei den schweizerischen Behörden übergeben wollten. Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass er bei der Ausweisung nach dominikanischem Recht Anspruch darauf gehabt hätte, in das Land seiner Wahl auszureisen. Der Fall läge anders, wenn die schweizerischen Behörden in der Absicht, ein Auslieferungsverfahren zu umgehen, von den dominikanischen Behörden die fremdenpolizeiliche Ausweisung des Beschwerdeführers verlangt hätten. So verhält es sich aber nicht. Vielmehr haben die dominikanischen Behörden von sich aus mitgeteilt, der Beschwerdeführer werde ausgewiesen. Fragen kann man sich, wie zu entscheiden wäre, wenn das Verhalten der dominikanischen Behörden nach dortigem Recht für die schweizerischen Behörden erkennbar offensichtlich rechtswidrig gewesen wäre. Dafür bestanden für die schweizerischen Behörden jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte. Dass ein Staat das Recht hat, Ausländer ohne gültige Aufenthaltspapiere auszuweisen, liegt auf der Hand und brauchte bei den schweizerischen Behörden keinen Argwohn zu erwecken. Wie der Mitteilung der dominikanischen Behörden vom 15. August 2006 zu entnehmen war, stand dem Beschwerdeführer in der Dominikanischen Republik im Übrigen ein Verfahren zur Verfügung, in dem über die Rechtmässigkeit des dortigen Freiheitsentzuges befunden wurde ("Habeas Corpus").
Entscheidend ist, dass die Schweiz die Souveränität der Dominikanischen Republik beachtet und weder Zwang, List, Drohung noch sonst wie einen "üblen Polizeitrick" (MARTIN SCHUBARTH, Faustrecht statt Auslieferungsrecht?, Strafverteidiger 7/1987 S. 175) angewandt hat, um des Beschwerdeführers habhaft zu werden. Bei dieser Sachlage ist ein Hafthinderungsgrund zu verneinen.
Wie HANS SCHULTZ ausführt, muss der Staat, gerade wenn er Recht sprechen und demjenigen Strafe auferlegen will, der gegen das Recht verstiess, sich davor hüten, dass seinem Verfahren Unrecht anhafte. Nicht der Grundsatz, dass auf welche Weise auch immer jeder möglicherweise Schuldige zur Rechenschaft gezogen werden kann,BGE 133 I 234 (246) BGE 133 I 234 (247)ist die oberste Maxime wirklicher Strafrechtspflege, sondern der richtige Leitsatz lautet, dass die strafrechtliche Verantwortung nur den Grundsätzen des Rechts folgend geltend gemacht werden soll. Es gilt der Satz: Ex iniuria ius non oritur (Male captus bene iudicatus?, Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht [SJIR] 24/ 1967 S. 83).
Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Nach dem Gesagten haben die schweizerischen Behörden jedoch kein Unrecht begangen, um den Beschwerdeführer verhaften und ihn - wie die Mitangeschuldigten - dem hiesigen Strafverfahren zuführen zu können. Wesentlich ist der gute Glaube der schweizerischen Behörden (SCHULTZ, a.a.O., S. 73). Dafür, dass ihnen dieser gefehlt hätte, enthalten die Akten keine Anhaltspunkte.
2.7 Ein Hafthinderungsgrund ergibt sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers auch nicht daraus, dass schweizerische Beamte im Ausland tätig geworden sind. Handlungen schweizerischer Polizeibeamter im Ausland sind nicht per se rechtswidrig. Wie Prof. Wohlers dazu in seinem Gutachten überzeugend darlegt, berechtigen die Normen des schweizerischen Strafprozessrechts die Strafverfolgungsbehörden der Schweiz nicht ausschliesslich dazu, Verfahrens- und Untersuchungshandlungen auf dem Hoheitsgebiet der Schweiz vorzunehmen. Andernfalls wäre es den schweizerischen Strafverfolgungsbehörden beispielsweise verwehrt, Vernehmungen im Ausland durchzuführen oder einen Angeschuldigten im Ausland in Gewahrsam zu nehmen und in die Schweiz zu überführen. Dass dies nicht richtig sein kann, ergibt sich daraus, dass dann beispielsweise die Besichtigung eines ausländischen Tatorts unmöglich und auch eine Verhaftung auf hoher See ausgeschlossen wäre; dies mit der Folge, dass sich ein Angeschuldigter dauerhaft jeglicher Festnahme entziehen könnte, sofern es ihm gelänge, sich ständig auf hoher See und damit ausserhalb des Hoheitsgebiets eines Staates aufzuhalten. Verfahrens- und Untersuchungshandlungen durch schweizerische Beamte im Ausland sind an die Voraussetzung gebunden, dass die zuständigen Stellen des Staates, auf dessen Hoheitsgebiet die Handlung vorgenommen werden soll, dem zustimmen. Es geht mit anderen Worten darum, dass die Gebietshoheit anderer Staaten geachtet werden muss.
Wie sich aus dem Gesagten ergibt, haben im vorliegenden Fall die schweizerischen Behörden in Absprache mit den dominikanischenBGE 133 I 234 (247) BGE 133 I 234 (248)Behörden gehandelt und lag deren Zustimmung zur Übernahme des Beschwerdeführers durch schweizerische Beamte auf dominikanischem Staatsgebiet vor.
Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, wirft der vorliegende Fall verschiedene schwierige Fragen auf. Diesen wird der angefochtene Entscheid nicht gerecht. In der Begründung seiner Verfügung setzt sich der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich damit nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise auseinander. Der Beschwerdeführer konnte sich deshalb zur Beschwerde veranlasst sehen, handelt es sich doch bei der Untersuchungshaft um einen schweren Eingriff in die persönliche Freiheit. Aus diesem Grund hat der Kanton Zürich den Beschwerdeführer für seine Prozessführung vor Bundesgericht zu entschädigen (Art. 68 Abs. 4 BGG i.V.m. Art. 66 Abs. 1 und 3 BGG). Der vom Vertreter des Beschwerdeführers geltend gemachte Aufwand von 43,5 Stunden ist überhöht, da er sich bei der Abfassung der Beschwerde weitgehend auf das Gutachten von Prof. Wohlers stützen konnte. Angemessen ist eine Parteientschädigung von Fr. 3'000.-. Gerichtskosten werden keine erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist damit gegenstandslos.BGE 133 I 234 (248)