38. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung | |
vom 24.10.1944 i.S. Kursaal Bern A.-G gegen Kappeler.
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Regeste | |
Sachverhalt | |
Die Beklagte betreibt den Kursaal Schänzli in Bern. Am 1. August 1942 veranstaltete sie eine Bundesfeier mit musikalischen Darbietungen und Feuerwerk. Sie lud dazu öffentlich ein und verlangte einen Eintrittspreis von Fr. 1.50. Die 1931 geborene Klägerin nahm an diesem Anlass teil; ihr Vater bezahlte für sie das Eintrittsgeld. Das angekündigte Feuerwerk wurde im Kursaalgarten abgebrannt. Dieser war so abgesperrt, dass nur der hintere Teil für die Zuschauer frei blieb. Viele Personen hielten sich aber in der Wandelhalle auf, die den Garten auf der einen Seite begrenzt. Unter ihnen befand sich auch die Klägerin. Sie schaute durch das geschlossene Fenster hindurch dem Feuerwerk zu. Plötzlich wurde eine Fensterscheibe durchschlagen. Glassplitter und Teile einer grau-grünlichen Masse drangen in die Augen der Klägerin und verletzten sie so schwer, dass das rechte Auge entfernt werden musste.
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Erwägung 2 | |
2. Mit der Bedienung des Feuerwerks hatte die Beklagte die Lieferantin der Feuerwerkskörper, ein Berner Fachgeschäft, beauftragt. Dieses hatte den Auftrag an die Herstellerin der Feuerwerke, eine bekannte und bewährte Firma, weitergegeben. Ein erfahrener Arbeiter dieses Unternehmens besorgte die Vorbereitungen für das Feuerwerk und brannte es ab. Er hielt dabei einen Abstand von 11 m zur Wandelhalle ein. Nach der Feststellung des Sachverständigen wäre aber zum Schutz der hinter den Fenstern der Wandelhalle befindlichen Personen ein Abstand von 20-30 m nötig gewesen. Die Vorinstanz nahm an, die Beklagte sei Geschäftsherrin des Arbeiters im Sinne von Art. 55 OR und habe auf Grund dieser Vorschrift für den vollen Schaden einzustehen. Nach ihrer Ansicht hat die Beklagte ihre Sorgfaltspflicht insofern verletzt, als sie den Arbeiter nicht darüber unterrichtete, dass sich Zuschauer nicht nur hinter der Absperrung im Garten, sondern auch seitlich in der Wandelhalle befanden. Diese Begründung ist nicht ohne weiteres schlüssig. Denn der Hersteller des Feuerwerks und Dienstherr des Arbeiters erklärte als Zeuge, er würde einen Abstand von 11 m als genügend erachtet haben. Möglicherweise hätte es also der Arbeiter selbst dann bei diesem Abstand bewenden lassen, wenn ihn die Beklagte auf die Zuschauer in der Wandelhalle aufmerksam gemacht hätte. Daher lässt sich erwägen, ob sich die Beklagte nicht im Sinne von Art. 55 durch den Nachweis entlastet habe, dass der Schaden auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt eingetreten wäre. Diese Frage braucht indessen nicht entschieden zu werden, desgleichen nicht die weitere, ob überhaupt zwischen der Beklagten und dem Arbeiter ein die Anwendbarkeit von Art. 55 begründendes Verhältnis der Unterordnung bestand, was die Beklagte bestreitet. Denn sicher haftet die Beklagte aus einem andern Grund, nämlich aus Vertrag. Allerdings hat die Klägerin nur die Art. 55 und 41 OR angerufen. Das schadet ihr jedoch nicht. Denn das Bundesgericht an die rechtliche Begründung der Parteianträge nicht gebunden (Art. 81 Abs. 2 OG; BGE 53 II 236 f., 64 II 269 f.). Es genügt, dass die Klägerin auch die für den Zuspruch des Vertragsanspruchs erheblichen Tatsachen vorgebracht hat.
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Erwägung 3 | |
3. Die Parteien sind vor dem Unfall in ein Schuldverhältnis zueinander getreten. Indem die Beklagte die Klägerin gegen Bezahlung des Eintrittsgeldes zum Besuch ihrer Veranstaltung zuliess, schloss sie mit ihr einen Vertrag ab, der sich als Vorstellungsbesuchsvertrag bezeichnen lässt. (vgl. OPET, Deutsches Theaterrecht Berlin 1897, S. 219 ff.)- Das Eintrittsgeld scheint allerdings verhältnismässig gering gewesen zu sein. Es war aber doch, wie nicht bestritten ist, ein Eintrittsgeld und nicht etwa bloss ein sogenannter Konsumationszuschlag, wie er zuweilen in Gaststätten mit konzertierenden Musikkapellen bezogen wird; welches die Rechtslage in einem solchen Falle wäre, kann daher unerörtert bleiben. Mit dem Abschluss des Vertrages verpflichtete sich die Beklagte, die ausgekündigten Darbietungen zur Aufführung zu bringen. Diese Leistung kann am ehesten als Werk im Sinne von Art. 363 ff. OR angesprochen werden; denn unter Werk ist ganz allgemein jeder Leistungserfolg zu verstehen, auch ein unkörperlicher, der keine bestimmte, dauernde Gestalt in einer Sache annimmt und daher nicht wie eine Sache übergeben werden kann (BGE 59 II 263; OSER-SCHÖNENBERGER, Note 3 zu Art. 363 OR). Da die Werknatur der Hauptleistung des Veranstalters den ganzen Vorstellungsbesuchsvertrag kennzeichnet, wird dieser von der herrschenden Meinung einfach als Werkvertrag aufgefasst (so von BECKER, Note 8 zu Art. 254 OR; OPET a.a.O. S. 219 und von den übereinstimmenden Kommentatoren zum BGB und ABGB, ferner vom deutschen Reichsgericht, Jurist. Wochenschrift 1926 S. 2443 Nr. 14). Ob diese Ansicht den Eigentümlichkeiten des Vorstellungsbesuchsvertrages voll gerecht wird, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn man diesen Vertrag als selbstständige, vom Gesetz nicht besonders behandelte Vertragsart auffasst, muss doch der Veranstalter für die im vorliegenden Fall zu entscheidende Frage dem Unternehmer im Werkvertrag gleichgestellt werden. Wie dieser dem Besteller grundsätzlich für den Schaden haftet, der infolge eines Werkmangels beim bestimmungsgemässen Gebrauch des Werkes entsteht (Art. 368 OR, BGE 64 II 256 f.), so hat der Veranstalter einer Vorstellung -- da die Interessenlage völlig gleich ist -- den Besuchern dafür einzustehen, dass ihnen aus der Darbietung des "Werkes" kein Schaden erwächst. Diese Pflicht hängt mit der Erfüllung der Hauptleistung des Veranstalters, der Aufführung, so eng zusammen, dass sie selbst dann unbedenklich als Vertragsinhalt angesehen werden darf, wenn man in der Annahme nicht ausdrücklich vereinbarter Vertragspflichten, insbesondere sogenannter Nebenpflichten, zur Zurückhaltung geneigt ist und nicht so weit gehen will wie etwa das deutsche Reichsgericht (vgl. RGZ 55 S. 335 und WARNEYER, Entscheidungen 1915 Nr. 124 sowie 1928 Nr. 105). So hat beispielweise, wer einen Zirkus besucht, für den Fall der Verletzung durch ein während der Vorstellung ausbrechendes Raubtier zweiffellos einen Vertragsanspruch und nicht bloss einen Anspruch aus unerlaubter Handlung, wie er einem auf der Strasse angefallenen Dritten zusteht. In gleicher Weise ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass der Veranstalter eines Feuerwerks den zahlenden Zuschauern vertraglich für das gefahrlose Abbrennen verantwortlich ist und als Vertragsschuldner mit aller fachtechnisch gebotenen Vorsicht auf ihre Sicherheit Bedacht zu nehmen hat.
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Erwägung 4 | |
4. Die Klägerin wurde bei der Darbietung des Feuerwerks -- und infolge dieser Darbietung -- geschädigt. Der Schutz vor Gefahren der Vorstellung, den ihr die Beklagte bot, war also ungenügend. Für diese objektiv mangelhafte Vertragserfüllung hat die Beklagte einzustehen, sofern sie sich nicht nach Art. 97 ff. OR entlasten kann. Hiefür fallen mehrere Möglichkeiten in Betracht, da der Tatbestand nicht völlig abgeklärt ist. Man kann davon ausgehen, dass es die Beklagte selbst war, die durch ihre Organe den Aufenthalt der Klägerin und vieler anderer Personen in der Wandelhalle duldete. Dann hat die Beklagte zu ihrer Entlastung nachzuweisen, dass in diesem Verhalten keinerlei Verschulden liegt (Art. 97 OR). Da Vertragshaftung in Frage steht, ist der Beklagten jeder Verstoss gegen die fachtechnisch gebotene Vorsicht als Verschulden anzurechnen, ohne Rücksicht darauf, dass ihre Organe keine Feuerwerkfachleute sind. Denn wer eine Veranstaltung gegen Entgelt durchführt, hat sich nötigenfalls über die fachgerechte Durchführung zu erkundigen (vgl. BGE 62 II 276). Die Beklagte behauptet nun, der Unfall sei auf einen unvorhersehbaren Zufall zurückzuführen. Hiefür spricht in der Tat die Feststellung des Sachverständigen, beim Unfall habe sich eine Fernwirkung des Feuerwerks gezeigt, die seines Wissens bisher unbekannt gewesen sei; der Unfall stelle eine neuartige Erfahrung dar. Indessen vermag diese Feststellung die Beklagte nicht ganz zu entlasten. Denn auf die Frage, ob in der Duldung von Zuschauern in der Wandelhalle ein Mangel an Vorsicht liege, antwortete der Sachverständige gleichwohl, "auf Grund der frühern Erfahrungen" habe diese Duldung "nicht als besonders unvorsichtig erscheinen" können. Trotz der Neuheit der Erfahrung schloss er somit nicht schlechthin jeden Mangel an Vorsicht aus. Es ist deshalb anzunehmen, ein Ereignis wie das vorgekommene habe auch schon vor dem 1. August 1942 nicht ganz ausserhalb jeder Vorsicht gelegen. Diese Annahme wird überdies durch das Ergänzungsgutachten in eindeutiger Weise bestätigt... Steht demnach fest, dass nicht alle gebotene Vorsicht angewandt wurde, so ist der Beklagten in seiner ganzen Strenge obliegende Beweis, dass ihr keinerlei Verschulden zur Last falle, misslungen. Die Haftung der Beklagten ist somit gegeben. Der gleiche Schluss ergibt sich, wenn man annimmt, die Beklagte habe die Sorge für die Einhaltung der nötigen Abstände den mit dem Feuerwerk Beauftragten übertragen und diese würden den Abstand von 11 m selbst dann eingehalten haben, wenn ihnen der Aufenthalt von Zuschauern in der Wandelhalle bekannt gewesen wäre. In diesem Fall ist der Schaden durch das Verhalten einer Hilfsperson entstanden, sodass Art. 101 OR anzuwenden ist. Denn zweifellos war der Arbeiter der Feuerwerkfirma eine Hilfsperson im Sinne dieser Bestimmung, da er, was für Art. 101 genügt, mit Wissen und Willen der Schuldnerin bei der Erbringung der Vertragsleistung -- der Vorstellung -- tätig war. Ein Unterordnungsverhältnis wie im Falle des Art. 55 OR ist nicht erfordert, sodass auch ein selbstständiger Geschäftsmann oder der Arbeiter eines solchen ohne weiteres Hilfsperson sein kann (BECKER, Komm. 2. Aufl. Note 9 zu Art. 101; von TUHR-SIEGWART S. 564 Ziff. II). Nach Art. 101 hat die Beklagte für den von der Hilfsperson verursachten Schaden einzustehen. Sie kann sich nicht in gleicher Weise befreien wie der nach Art. 55 OR ins Recht gefasste Geschäftsherr. Ob sie ihre Sorgfaltspflicht erfüllt hat und ob der Schaden trotz Erfüllung dieser Pflicht eingetreten wäre, ist unerheblich. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Hilfsperson sachverständiger war als sie selbst. Da sie Vertragsschuldnerin ist, hat sie vielmehr für diejenige Sorgfalt der Hilfsperson einzustehen, die man nach dem Vertragsverhältnis von ihr selbst zu erwarten berechtigt ist (BGE 46 II 130, 53 II 240). Das Verschulden der Hilfsperson ist ihr demnach als eigenes anzurechnen. Die Beklagte könnte sich nur entlasten mit dem Beweis, dass die Hilfsperson jene fachtechnisch gebotene Vorsicht angewandt habe, die ihr selbst oblag. Diesen Beweis hat sie aber nicht erbracht, da der Schluss, der aus dem Gutachten für den Fall der Anwendung von Art. 97 OR gezogen wurde, nach dem Gesagten in gleicher Weise auch für die Hilfsperson gilt.
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