Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang:  56% (656)

Zitiert durch:


Zitiert selbst:
BGE 104 II 99 - Schwarzzahlung


Regeste
Sachverhalt
A.
B.
C.
Erwägungen:
Erwägung 1
1. Das Kantonsgericht hält den Kaufvertrag vom 21. Dezember  ...
Erwägung 2
2. Die Beklagte hielt den Versuch der Klägerin, den Kaufvert ...
Erwägung 3
3. Nach dem angefochtenen Urteil hat die Klägerin die Mä ...
Bearbeitung, zuletzt am 02.08.2022, durch: Jana Schmid, A. Tschentscher
 
56. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung
 
vom 24. September 1986 i.S. Genossenschaft M. gegen Frau N. (Berufung)
 
 
Regeste
 
Art. 216 OR, Art. 2 ZGB. Grundstückkauf, Formmangel, Rechtsmissbrauch.
 
1. Die öffentliche Beurkundung eines Grundstückkaufes erfordert nach Bundesrecht, dass in der Urkunde auch das Vertretungsverhältnis richtig angegeben wird, wenn ein Dritter für eine Partei handelt (E. 1).
 
2. Berufung auf einen Formmangel, nachdem der Vertrag beidseitig freiwillig und irrtumsfrei erfüllt worden ist. Offengelassen, ob Formungültigkeit zur absoluten Nichtigkeit des Vertrages führt und der Mangel stets von Amtes wegen zu berücksichtigen ist (E. 2)
 
3. Umstände, unter denen die Berufung auf den Formmangel, insbesondere wegen dessen Art, sich als missbräuchlich erweist (E. 3).
 
 
BGE 112 II 330 (330)Sachverhalt
 
 
A.
 
Am 21. Dezember 1981 beurkundete Notar X. einen Vertrag über 835 m2 Bauland in der Gemeinde Riom-Parsonz, das die Genossenschaft M. zum Preise von Fr. 120'000.- an Frau N. verkaufte. Für die Genossenschaft handelte ihr Vorstand, der laut Vertrag durch A. vertreten war. Dazu kam ein Dienstbarkeitsvertrag über ein Durchfahrtsrecht, für das die Käuferin Fr. 20'000.- zu bezahlen hatte. Frau N. bezahlte die beiden Beträge und wurde als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.BGE 112 II 330 (330)
BGE 112 II 330 (331)Die "Feinerschliessung" des Baulandes sollte gemäss Vertrag zusammen mit anderen Grundeigentümern bis spätestens im Herbst 1982 erfolgen. Da sie sich verzögerte und auch nach zwei Jahren noch nicht ausgeführt war, erklärte Frau N. am 19. Januar 1984 den Rücktritt vom Vertrag, dem sich die Genossenschaft widersetzte.
 
B.
 
Am 2. Juli 1984 klagte Frau N. beim Bezirksgericht Plessur gegen die Genossenschaft M. auf Feststellung, dass der Kaufvertrag wegen Rücktritts bzw. Nichteintritts einer Bedingung dahingefallen sei; sie verlangte ferner, dass die Beklagte ihr gegen Rückübertragung des Eigentums die bezahlten Fr. 140'000.- nebst Zins Zug um Zug zurückzuerstatten habe.
Das Bezirksgericht hiess die Klage am 19. April 1985 gut, da die Klägerin zu Recht wegen Verzugs der Beklagten zurückgetreten sei. Die Beklagte appellierte an das Kantonsgericht von Graubünden, das die Klage am 11. November 1985 ebenfalls schützte, aber fand, dass der Kaufvertrag wegen Verstosses gegen Vorschriften über die öffentliche Beurkundung nichtig sei.
 
C.
 
Die Beklagte hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung und wegen Verletzung von Art. 4 BV auch staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Mit der Berufung beantragt sie, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Berufung dahin gut, dass es das angefochtene Urteil aufhebt und die Sache zur Prüfung der Frage, wie es sich mit dem Rücktritt der Klägerin nach Art. 107 f. OR verhält, an das Kantonsgericht zurückweist.
 
Aus den Erwägungen:
 
Erwägung 1
 
BGE 112 II 330 (332)a) Es steht fest, dass der Vorstand der Beklagten sich anlässlich der Beurkundung nicht, wie in der Urkunde angegeben, durch A., sondern durch B. vertreten liess. Nach Auffassung des Kantonsgerichts widerspricht die Beurkundung deswegen Bundesrecht, da die einwandfreie Bezeichnung der Parteien und ihrer Vertreter im Vertrag zu den bundesrechtlichen Mindestanforderungen gehöre und der Notar mit seiner Feststellung über die Mitwirkung der beteiligten Personen und deren Erklärungen auch seine Wahrheitspflicht verletzt habe. Für die Beklagte ist dagegen entscheidend, dass die Vertragsparteien in der Urkunde richtig angegeben worden sind; unrichtig sei nur die Bezeichnung ihres Vertreters, was den Vertrag aber nicht ungültig mache, da ein Vertreter auch formlos ermächtigt werden könne, ein Grundstück zu verkaufen.
Das Kantonsgericht nimmt mit Recht an, dass die Form des streitigen Vertrages schon den bundesrechtlichen Mindestanforderungen nicht genügt. Mit der öffentlichen Beurkundung des Grundstückkaufes soll eine sichere Grundlage für den Eintrag im Grundbuch geschaffen werden. Die Urkundsperson hat deshalb alle für das Rechtsgeschäft wesentlichen Tatsachen und Willenserklärungen der Parteien im Vertrag festzuhalten (BGE 106 II 147 E. 1 und BGE 99 II 161 E. 2a mit Zitaten). Zu diesen Tatsachen gehört auch die genaue Bezeichnung der Parteien, welche sich durch die Erklärungen berechtigen und verpflichten, sowie die Angabe des Vertretungsverhältnisses, wenn ein Dritter für eine Partei handelt (BGE 45 II 565 und das in ZGBR 54/1973 S. 367 ff. veröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 4. Juli 1972). Wieso es zulässig sein soll, dass die Urkundsperson im Vertrag einen Vertreter angibt, der nicht erscheint, den tatsächlich erscheinenden dagegen verschweigt, ist unerfindlich. Dass ein Vertreter auch formlos ermächtigt werden kann, ändert nichts am Erfordernis, dass das Vertretungsverhältnis in der Urkunde richtig wiederzugeben ist (BGE 99 II 162 E. 2b).
 
Erwägung 2
 
2. Die Beklagte hielt den Versuch der Klägerin, den Kaufvertrag wegen Formwidrigkeit zu Fall zu bringen, schon im kantonalenBGE 112 II 330 (332) BGE 112 II 330 (333)Verfahren für missbräuchlich. Das Kantonsgericht liess diese Einrede nicht gelten, weil die Klägerin den Formfehler weder verschuldet noch beizeiten erkannt und deshalb den Vertrag aus Irrtum erfüllt habe. Die Beklagte hält an ihrer Einrede, die Klägerin handle missbräuchlich, auch vor Bundesgericht fest. Sie macht geltend, beide Parteien hätten den Vertrag vollständig erfüllt. Die Klägerin habe sich sodann um die Erschliessung der Parzelle gekümmert und erst hierauf wegen der Verzögerung, die dabei eingetreten sei, den Rücktritt erklärt; sie übe ihr Recht zweckwidrig aus und benehme sich daher missbräuchlich, wenn sie sich nun auf einen Formfehler berufe, um sich vom Vertrag loszusagen.
Diese Zusammenfassung der Rechtsprechung kann sich genau besehen nur auf BGE 92 II 325 E. 3 stützen, während nach den übrigen Präjudizien, insbesondere nach BGE 72 II 43 E. 3, die beidseitige freiwillige Erfüllung die Berufung auf den Formmangel nicht für sich allein, sondern nur in Verbindung mit zusätzlichen Gründen missbräuchlich macht. Die mit BGE 92 II 325 E. 3 aufgestellte Regel ist von der Lehre als Änderung der Rechtsprechung verstanden (MERZ, in ZBJV 104/1968 S. 49) und auch im Anschluss an BGE 104 II 101 E. 3 mehrheitlich gebilligt worden (GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, Skriptum zu OR Allg. Teil I N. 453; SCHÖNENBERGER/GAUCH, N. 156 zu Art. 18 OR; ebenso im Ergebnis von TUHR/PETER, OR I S. 238; BUCHER, OR Allg. Teil S. 148; BUCHER in ZBGR 56/1975 S. 74). Dass bei beidseitiger Erfüllung des formnichtigen Vertrages Rechtsmissbrauch zu vermuten ist, bedeutete im übrigen keine grundlegende Änderung, hatte doch schon die frühere Rechtsprechung angenommen, die Berufung auf den Formmangel nach Vertragserfüllung sei jedenfalls dann missbräuchlich, wenn der Mangel beiBGE 112 II 330 (333) BGE 112 II 330 (334)Vertragsschluss bewusst in Kauf genommen worden oder gar gewollt gewesen sei (BGE 87 II 34, BGE 86 II 404, BGE 78 II 228, BGE 72 II 43 E. 3, BGE 53 II 165).
Eine andere Frage ist, ob unbekümmert um die Art des Mangels daran festgehalten werden kann, dass Formungültigkeit zur absoluten Nichtigkeit des Vertrages führe und der Formmangel stets von Amtes wegen zu berücksichtigen sei (BGE 106 II 151 E. 3 mit Zitaten); sie stellt sich namentlich nach den kritischen Bemerkungen LIVERS (in ZBJV 118/1982 S. 117/18) über "ganz unannehmbare Konsequenzen", die sich dabei ergeben könnten. Dass das Hinwegsehen über einen Formmangel nicht eine absolute Heilung im Sinne von § 313 des deutschen BGB zur Folge hat, ist anerkannt (MEIER-HAYOZ, N. 141 zu Art. 657 ZGB; DESCHENAUX, S. 190 ff.; BUCHER, in Archiv für die civilistische Praxis 186/1986 S. 42 ff.). Ob aber aufgrund zutreffender Auslegung der Formvorschriften oder auf dem Umweg über das Missbrauchsverbot angenommen wird, dass eine beidseitig freiwillige Erfüllung den Mangel unbeachtlich mache, vermag das Ergebnis kaum entscheidend zu beeinflussen (Merz, N. 468 zu Art. 2 ZGB; GUHL/MERZ/KUMMER, S. 108/9; GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, N. 457; VOLKEN, in Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung 15/1981 S. 465 ff.). Jedenfalls folgt daraus nicht notwendig, dass die freiwillige Erfüllung des Vertrages durch beide Parteien auch dann heilende Wirkung habe, wennBGE 112 II 330 (334) BGE 112 II 330 (335)sie den Mangel nicht kennen. Es ist zudem wenig sinnvoll, die Formungültigkeit stets von Amtes wegen als absolute Nichtigkeit zu behandeln, dann aber diese Folge über Art. 2 Abs. 2 ZGB ohne Rücksicht auf die Motive der Parteien wieder zu korrigieren. Wie es sich damit grundsätzlich verhält, braucht vorliegend indes nicht weiter geprüft zu werden.
 
Erwägung 3
 
BGE 112 II 330 (336)Unter welchen Umständen diese Frage zu bejahen ist, kann der Rechtsprechung allerdings nicht mit Sicherheit entnommen werden, da sie sich dazu sehr unterschiedlich, ja widersprüchlich äussert. So wurde die Berufung auf den Formmangel wiederholt als zweckwidrig und missbräuchlich erklärt, weil eine Partei damit z.B. die Wertsteigerung des Grundstücks auf Kosten der Gegenpartei ausnützen oder sich vertraglichen Gewährleistungspflichten entziehen wollte (BGE 92 II 327, BGE 90 II 157 E. 2d mit Hinweisen; DESCHENAUX, S. 192; MEIER-HAYOZ, N. 145 zu Art. 657 ZGB; VOLKEN, S. 464). Es ist aber auch entschieden worden, dass es nicht Sache der den Mangel anrufenden Partei sei, ein schutzwürdiges Interesse darzutun (BGE 90 II 26 E. 2a); selbst spekulative Beweggründe machten ihr Vorgehen nicht missbräuchlich (BGE 90 II 28 E. 2d, BGE 86 II 262; ebenso MERZ, N. 505 zu Art. 2 ZGB); es sei auch zulässig, dass die Partei sich vom Vertrag wegen Sachmängeln oder deshalb lossagen wolle, weil sie ihn sonst für unvorteilhaft halte (BGE 87 II 33 E. 4b).
Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn die Art des Formmangels berücksichtigt wird. Dieser betrifft weder die Willensäusserungen der Klägerin noch den Inhalt des Vertrages, sondern ausschliesslich die Identität des Vertreters, der für die Beklagte zurBGE 112 II 330 (336) BGE 112 II 330 (337)Beurkundung erschienen ist. Zwar geht es, wie eingangs ausgeführt, auch dabei um eine rechtserhebliche Tatsache, deren Falschbeurkundung den Vertrag ungültig macht. Entscheidend für die zweckwidrige Berufung auf den Mangel bleibt indes, wen die Formvorschrift schützen will (BGE 72 II 43 E. 3; ebenso GUHL/MERZ/KUMMER, S. 108; DESCHENAUX, S. 192/93; MERZ, N. 484 zu Art. 2 ZGB). Die Identität eines Vertreters ist zweifellos von erheblicher Bedeutung für den Vertretenen, der sich seine Erklärungen anrechnen lassen muss; sie kann auch für den andern Vertragspartner bedeutsam werden, wenn der Vertretene sich seinen Verpflichtungen unter Hinweis auf fehlende Ermächtigung entziehen will. Dafür liegt hier aber nichts vor; die Beklagte will vielmehr den Vertrag und damit auch das Handeln ihres Vertreters gegen sich gelten lassen. Unter diesen Umständen steht es der Klägerin nicht an, sich auf die falsche Beurkundung des Vertretungsverhältnisses zu berufen, um eine Parzelle loszuwerden, an der sie mangels gelungener Erschliessung offenbar nicht mehr interessiert ist.
Aus dem Hinweis des Kantonsgerichts auf weitere Verstösse gegen eidgenössisches und kantonales Beurkundungsrecht ergäbe sich ebenfalls nichts zugunsten der Klägerin. Dass der Notar sich mit einer blossen Verweisung auf das Grundbuch begnügt hat, statt auch die Vormerkungen und Anmerkungen über die Parzelle in die Urkunde aufzunehmen, und dass er den Anhang zum Vertrag zwar mit seinem Stempel versehen, aber nicht unterzeichnet hat, hätte allenfalls den Grundbuchverwalter veranlassen können, die Urkunde zu beanstanden. Dies ist nicht geschehen; die Klägerin ist vielmehr vorbehaltlos als neue Eigentümerin der Parzelle im Grundbuch eingetragen worden, weshalb sich auch die Berufung auf eine allfällige Formungültigkeit infolge der weiteren Verstösse als zweckwidrig und missbräuchlich erwiese.BGE 112 II 330 (337)