vom 15. November 1946 i.S. Ruch gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.
| |
Regeste | |
1. Art. 140 Ziff. 1 StGB. Veruntreuung von Sachen Toter durch den Abwart einer städtischen Leichenhalle. Sind die Sachen "anvertraut"? (Erw. 1). Sind es "fremde" oder herrenlose Sachen? (Erw. 2). Rechtsirrtum (Art. 20 StGB)? (Erw. 3). | |
2. Art. 262 Ziff. 1 Abs. 3 StGB. Störung des Totenfriedens durch Verunehrung eines Leichnahms? (Erw. 4)
| |
Sachverhalt | |
A. | |
Ruch stand vom 29. Oktober 1939 an als Abwart einer Leichenhalle im Dienste der Stadt Zürich. Zu seinen Amtspflichten gehörte unter anderem die Annahme und Herausgabe der Leichen. Solche wurden oft in den Kleidern in die Halle gebracht, namentlich wenn es Leichen von Verunfallten waren, die durch den Sanitätsdienst der Stadt Zürich eingeliefert wurden. Ruch hatte dann die Kleider und allfällige auf der Leiche zurückgebliebene andere Sachen in den in der Leichenhalle befindlichen Schränken aufzubewahren, sie sofort dem städtischen Bestattungsamt zu melden und dessen Weisungen abzuwarten. Das Bestattungsamt ersuchte die Angehörigen der Verstorbenen, die Sachen beim Abwart der Leichenhalle abzuholen, ansonst es darüber verfüge. Es kam vor, dass die Angehörigen auf die Herausgabe der Kleider verzichteten oder dass der Verstorbene keine Angehörigen hatte. Das Bestattungsamt wies dann die Kleider städtischen oder privaten Fürsorgeeinrichtungen zu oder liess sie, wenn sie unbrauchbar waren, verbrennen. Ruch hatte von seinen Amtspflichten Kenntnis; der Vorsteher des Bestattungsamtes rügte ihn wiederholt, weil er zurückgebliebene Kleider nicht oder nicht sofort dem Amte gemeldet hatte.
| |
In der Zeit vom 29. Oktober 1939 bis 27. Mai 1943 nahm Ruch von den Sachen, die er dem Bestattungsamte hätte melden sollen, insgesamt 22 Kleidungs- und Wäschestücke, 7 Paar Schuhe, 2 Fingerringe und 2 Goldkronen, die sich infolge Unfalles oder Selbstmordes von den Zähnen der Getöteten gelöst hatten, an sich, in der Absicht, sie zu behalten und sich damit unrechtmässig zu bereichern.
| |
Am 20. Mai 1943 erhielt Ruch von der Schwester und vom Ehemann einer in der Halle aufgebahrten Toten den Auftrag, am folgenden Tage in Anwesenheit der erstgenannten Angehörigen nachzusehen, ob der Mund der Verstorbenen eine Goldbrücke berge, und, wenn ja, diese herauszunehmen. Ruch untersuchte indes den Mund der Verstorbenen am Morgen des 21. Mai bevor ihre Schwester eintraf und zog der Toten vier Zähne aus, von denen einer eine Goldkrone trug. Die Goldbrücke will er nicht vorgefunden haben.
| |
B. | |
Das Obergericht des Kantons Zürich, vor welchem sich Ruch in zweiter Instanz zu verantworten hatte, würdigte die Aneignung von Kleidungs- und Wäschestücken, Schuhen, Fingerringen und Goldkronen als Diebstahl im Sinne von Art. 137 Ziff. 1 StGB und das Öffnen des Mundes einer Toten mit nachfolgendem Ausziehen von Zähnen als Störung des Totenfriedens im Sinne von Art. 262 Ziff. 1 Abs. 3 StGB. Es verurteilte Ruch am 21. Juni 1946 zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von drei Monaten.
| |
C. | |
Gegen dieses Urteil führt Ruch Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung zur Freisprechung in beiden Punkten.
| |
Gegen die Verurteilung wegen Diebstahls macht er geltend, die weggenommenen Sachen seien herrenlos gewesen. Jedenfalls habe er sie für herrenlos gehalten, weshalb er wegen irriger Vorstellung über den Sachverhalt (Art. 19 StGB) nicht bestraft werden könne. Das vom Obergericht festgestellte Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seines Handelns habe bloss im Bewusstsein, eine Dienstvorschrift zu verletzen, bestanden, nicht im Bewusstsein, im Sinne des Art. 137 fremde Sachen wegzunehmen.
| |
Die Verurteilung wegen Störung des Totenfriedens ficht der Beschwerdeführer an, weil er nicht das Bewusstsein oder die Absicht gehabt habe, einen Leichnam zu verunehren; er habe bloss deshalb nicht auf die Schwester der Verstorbenen gewartet, weil er Zeit habe gewinnen wollen, damit die Arbeit erledigt sei, wenn die Leiche abgeholt werde. Er habe die Tat als Berufshandlung aufgefasst.
| |
D. | |
Der Staatsanwalt beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
| |
1. Der Beschwerdeführer konnte sich an den Sachen, die er sich angeeignet hat, nicht des Diebstahls schuldig machen, denn sie waren ihm im Sinne des Art. 140 Ziff. 1 StGB anvertraut. Das Obergericht verneint dieses Merkmal der Veruntreuung, weil er an den Sachen nicht eigenen Gewahrsam ausgeübt, sondern sie lediglich in Erfüllung einer dienstlichen Pflicht im Auftrage des Bestattungsamtes im Schranke zu versorgen und nachher den Angehörigen der Verstorbenen herauszugeben gehabt habe; ein Vertrauensverhältnis, das ihn in erhöhtem Masse der Versuchung ausgesetzt hätte, die Sachen in eigenem Nutzen zu verwenden, habe nicht bestanden. Allein gerade das, was der Beschwerdeführer nach der Feststellung des Obergerichts mit den den Leichen abgenommenen Sachen auf Grund seiner dienstlichen Pflichten vorzukehren hatte, bis das Bestattungsamt weiter darüber verfügte, zeigt, dass ihm diese Sachen, wenn auch bloss für kurze Zeit, anvertraut waren. Seine Dienststellung machte ihm diese Sachen nicht bloss zugänglich, sondern sie verpflichtete ihn, sie zu verwahren, bis die Angehörigen der Verstorbenen sie abholten oder das Bestattungsamt sie anderweitig verwenden liess. Sie wurden ihm schon mit der Einlieferung der Leichen zusammen mit diesen anvertraut. Dass er daran nicht "eigenen Gewahrsam" ausübte, wie das Obergericht sagt, ist belanglos. Die Sachen sind auch dem anvertraut, der sie für einen anderen in Gewahrsam nimmt, so z.B. dem Dienstpflichtigen, der sie für den Dienstherrn inne hat. Gerade auch auf solche Fälle, in denen der Täter fremden Besitz verletzt, ohne dem Dritten die Sache im Sinne des Art. 137 "wegnehmen" zu müssen -- der Täter hat sie schon --, ist Art. 140 StGB anzuwenden. Dem ist auch so, falls die Beamten des Bestattungsamtes berechtigt und in der Lage waren, die Schränke der Leichenhalle ohne Mitwirkung des Beschwerdeführers zu öffnen und die dort verwahrten Sachen zu behändigen. Wie der Kassationshof in BGE 71 IV 8 f. ausgeführt hat, steht die tatsächliche Verfügungsgewalt, die der Eigentümer oder ein Dritter neben dem Täter hat, der Anwendung des Art. 140 nicht im Wege.
| |
Erwägung 2 | |
2. Herrenlose Sachen können nicht veruntreut werden, da ihre Aneignung erlaubt ist (Art. 718 ZGB). Zum Tatbestand der Veruntreuung im Sinne von Art 140 Ziff. 1 Abs. StGB gehört denn auch, dass die Sache eine "fremde" sei. Solche fremde Sachen waren die Kleidungs- und Wäschestücke, die Schuhe, Fingerringe und Goldkronen, welche sich der Beschwerdeführer angeeignet hat. Das Eigentum an ihnen ging mit dem Tode des Eigentümers ohne weiteres auf die Erben über (Art. 560 ZGB). In Fällen, in denen der Erblasser keine erbberechtigten Personen hinterliess, fiel es dem Gemeinwesen zu, und zwar wiederum kraft Gesetzes (Art. 466 ZGB). Nun mögen unter den Sachen, die sich der Beschwerdeführer angeeignet hat, freilich auch solche gewesen sein, die einem Erblasser gehört hatten, dessen Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt des Todes amtlich festgestellt oder offenkundig war. In solchen Fällen wurde die Ausschlagung der Erbschaft vermutet (Art. 566 Abs. 2 ZGB), und zwar auch dann, wenn sie mangels anderer Erben dem Gemeinwesen zugefallen wäre, haftet doch auch dieses, wenn nicht von Amtes wegen ein Rechnungsruf vorgenommen wird, unbeschränkt für die Schulden der Erbschaft (Art. 592 ZGB). In den erwähnten Fällen war es an sich möglich, dass die Sachen des Erblassers herrenlos wurden. Allein der Beschwerdeführer kam mit ihrer Aneignung zu spät. Die Gemeinde Zürich hatte sich die Sachen schon dadurch angeeignet, dass sie mit dem Willen, sie zu Eigentum zu erwerben, die Leiche und mit ihr auch die Sachen durch die Organe ihres Sanitäts- oder Bestattungsdienstes im Besitz genommen hatte. In Fällen sodann, wo Erben vorhanden waren, diese aber ihr Recht nicht geltend machten, wurden die Sachen erst in dem Augenblick herrenlos, wo der Eigentümer gewillt war, sein Recht aufzugeben (Art. 729 ZGB). Damit wurde aber ohne weiteres die Gemeinde Zürich Eigentümerin, mag der Erbe sein Recht durch einen ausdrücklichen an das Bestattungsamt gerichteten und zugunsten der Gemeinde lautenden Verzicht, oder mag er es bloss stillschweigend aufgegeben haben. Die Gemeinde hatte durch die Beamten des Bestattungsamtes wiederholt den Willen bekundet, über solche Sachen zu verfügen, also Eigentum daran zu erwerben. Tatsächlich erwarb sie dieses dann im Augenblick, wo der Erbe sein Recht aufgab und die Gemeinde die Sache besass. Besitz aber hatte sie vom Augenblick an, da sie die Leichen in Empfang nahm, also in gewissen Fällen schon mit deren Behändigung durch die Organe des Sanitätsdienstes und in anderen spätestens mit der Einlieferung in die Leichenhalle, also stets bevor der Beschwerdeführer sich selbst durch Aneignung zum Besitzer der Sachen machte. Die Leichen wurden ihm ja stets als Diener der Gemeinde zur Verwahrung übergeben, womit die Gemeinde, nicht er persönlich ihr Besitzer und damit unmittelbar auch Besitzer der auf der Leiche befindlichen Sachen wurde.
| |
Erwägung 3 | |
Erwägung 4 | |
4. Die Vorinstanz erblickte die Störung des Totenfriedens darin, dass der Beschwerdeführer im Sinne von Art. 262 Ziff. 1 Abs. 3 StGB einen Leichnam verunehrt habe, indem er ihm in Abwesenheit der Angehörigen der Verstorbenen vier Zähne ausriss. Der Beschwerdeführer war indes vom Ehemann und von der Schwester der Verstorbenen beauftragt worden, den Mund der Toten zu öffnen und eine Goldbrücke zu entfernen. Hätte er das in Gegenwart der Auftraggeber getan, so könnte schon objektiv von einer Verunehrung des Leichnams nicht gesprochen werden, weil die erwähnten Personen berechtigt waren, über die Leiche zu verfügen, und mit ihrem Auftrag einen Zweck verfolgten, der zur Not noch gebilligt werden kann. Wenn aber der Beschwerdeführer die Ausführung des Auftrages, so wie er lautete, nicht für eine Verunehrung des Leichnams ansehen konnte, ist nicht anzunehmen, er sei sich bewusst gewesen, den Leichnam deshalb zu verunehren, weil er in Abwesenheit der Schwester vorging und, als er die Goldbrücke nicht vorfand, einen Zahn mit einer Goldkrone und drei weitere Zähne entfernte. Die Vorinstanz stellt denn auch weder dieses Bewusstsein noch den Willen der Verunehrung des Leichnams fest. Ohne diese subjektiven Voraussetzungen ist aber die Tat nicht strafbar. Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer von der Anklage der Störung des Totenfriedens freizusprechen.
| |
Erwägung 5 | |
Demnach erkennt der Kassationshof: | |