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Rechtlicher Rahmen des Rechtsstreits
Gemeinschaftsrecht
Nationales Recht
Das Vorverfahren
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
Würdigung durch den Gerichtshof
Zu Artikel 73b EG-Vertrag
Zu Artikel 52 EG-Vertrag
Kosten
Bearbeitung, zuletzt am 02.08.2022, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher
 
Urteil
 
des Gerichtshofes
 
vom 4. Juni 2002
 
In der Rechtssache
 
-- C-503/99 --  
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Patakia als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Klägerin,
 
gegen
 
Königreich Belgien, vertreten durch A. Snoecx als Bevollmächtigte im Beistand von F. de Montpellier, M. Picat und A. Theissen, avocats, Beklagter, unterstützt durch Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch R. Magrill als Bevollmächtigte im Beistand von Barrister J. Crow und D. Wyatt, QC, Zustellungsanschrift in Luxemburg, Streithelfer,
 
wegen Feststellung, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) und 73b EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 EG) verstoßen hat, dass es die Bestimmungen der Königlichen Verordnung vom 10. Juni 1994 zur Schaffung einer dem Staat zustehenden Sonderaktie der Société nationale de transport par canalisations (Moniteur belge vom 28. Juni 1994, S. 17333), wonach diese Aktie mit Sonderrechten verbunden ist, die darin bestehen, dass a) jede Übertragung, Verwendung als Sicherheit oder Änderung des Verwendungszwecks dem Unternehmen gehörender Leitungen, die wichtige Infrastrukturen für die Beförderung von Energieerzeugnissen im Inland darstellen oder dazu dienen können, dem Aufsicht führenden Minister vorab zu melden ist, der das Recht hat, diesen Maßnahmen zu widersprechen, wenn sie seiner Ansicht nach die nationalen Interessen im Energiebereich beeinträchtigen, b) der Minister zwei Vertreter der bundesstaatlichen Regierung in den Verwaltungsrat des Unternehmens entsenden kann, die dem Minister die Aufhebung jeder Entscheidung des Verwaltungsrats vorschlagen können, die ihres Erachtens den energiepolitischen Leitlinien des Landes einschließlich der Ziele der Regierung in Bezug auf die Energieversorgung des Landes zuwiderläuft, die Bestimmungen der Königlichen Verordnung vom 16. Juni 1994 zur Schaffung einer dem Staat zustehenden Sonderaktie der Distrigaz (Moniteur belge vom 28. Juni 1994, S. 17347), wonach diese Aktie mit Sonderrechten verbunden ist, die darin bestehen, dass a) jede Übertragung, Verwendung als Sicherheit oder Änderung des Verwendungszwecks der strategischen Aktiva des Unternehmens dem Aufsicht führenden Minister vorab zu melden ist, der das Recht hat, diesen Maßnahmen zu widersprechen, wenn sie seiner Ansicht nach die nationalen Interessen im Energiebereich beeinträchtigen, b) der Minister zwei Vertreter der bundesstaatlichen Regierung in den Verwaltungsrat des Unternehmens entsenden kann, die dem Minister die Aufhebung jeder Entscheidung des Verwaltungsrats oder des Vorstands vorschlagen können, die ihres Erachtens der Energiepolitik des Landes zuwiderläuft, beibehalten und keine genauen, objektiven und dauerhaft gegebenen Kriterien für die Genehmigung der vorgenannten Maßnahmen oder den Widerspruch gegen sie vorgesehen hat,
 
erlässt
 
Der Gerichtshof unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter), der Kammerpräsidentin N. Colneric und des Kammerpräsidenten S. von Bahr sowie der Richter C. Gulmann, D. A. O. Edward, A. La Pergola, J.-P. Puissochet, R. Schintgen, V. Skouris und J. N. Cunha Rodrigues, Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten in der Sitzung vom 2. Mai 2001, in der die Kommission durch M. Patakia und durch F. de Sousa Fialho als Bevollmächtigten, das Königreich Belgien durch F. de Montpellier und durch O. Davidson, avocat, und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland durch R. Magrill im Beistand von D. Wyatt vertreten waren,
 
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. Juli 2001 folgendes
 
 
Urteil
 
1. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 22. Dezember 1999 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage auf Feststellung erhoben, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus den Artikeln 52 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) und 73b EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 EG) verstoßen hat, dass es
    - die Bestimmungen der Königlichen Verordnung vom 10. Juni 1994 zur Schaffung einer dem Staat zustehenden Sonderaktie der Société nationale de transport par canalisations (Moniteur belge vom 28. Juni 1994, S. 17333, im Folgenden: Königliche Verordnung vom 10. Juni 1994), wonach diese Aktie mit Sonderrechten verbunden ist, die darin bestehen, dass
    a) jede Übertragung, Verwendung als Sicherheit oder Änderung des Verwendungszwecks dem Unternehmen gehörender Leitungen, die wichtige Infrastrukturen für die Beförderung von Energieerzeugnissen im Inland darstellen oder dazu dienen können, dem Aufsicht führenden Minister vorab zu melden ist, der das Recht hat, diesen Maßnahmen zu widersprechen, wenn sie seiner Ansicht nach die nationalen Interessen im Energiebereich beeinträchtigen,
    b) der Minister zwei Vertreter der bundesstaatlichen Regierung in den Verwaltungsrat des Unternehmens entsenden kann, die dem Minister die Aufhebung jeder Entscheidung des Verwaltungsrats vorschlagen können, die ihres Erachtens den energiepolitischen Leitlinien des Landes einschließlich der Ziele der Regierung in Bezug auf die Energieversorgung des Landes zuwiderläuft,
    - die Bestimmungen der Königlichen Verordnung vom 16. Juni 1994 zur Schaffung einer dem Staat zustehenden Sonderaktie der Distrigaz (Moniteur belge vom 28. Juni 1994, S. 17347, im Folgenden: Königliche Verordnung vom 16. Juni 1994), wonach diese Aktie mit Sonderrechten verbunden ist, die darin bestehen, dass
    a) jede Übertragung, Verwendung als Sicherheit oder Änderung des Verwendungszwecks der strategischen Aktiva des Unternehmens dem Aufsicht führenden Minister vorab zu melden ist, der das Recht hat, diesen Maßnahmen zu widersprechen, wenn sie seiner Ansicht nach die nationalen Interessen im Energiebereich beeinträchtigen,
    b) der Minister zwei Vertreter der bundesstaatlichen Regierung in den Verwaltungsrat des Unternehmens entsenden kann, die dem Minister die Aufhebung jeder Entscheidung des Verwaltungsrats oder des Vorstands vorschlagen können, die ihres Erachtens der Energiepolitik des Landes zuwiderläuft, beibehalten und keine genauen, objektiven und dauerhaft gegebenen Kriterien für die Genehmigung der vorgenannten Maßnahmen oder den Widerspruch gegen sie vorgesehen hat.
2. Mit Schriftsätzen, die am 22. und 27. Juni 2000 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, haben das Königreich Dänemark und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland beantragt, in der Rechtssache als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Königreichs Belgien zugelassen zu werden. Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofes vom 12. und 13. Juli 2000 sind diese Mitgliedstaaten als Streithelfer zugelassen worden. Mit Schreiben vom 2. Oktober 2000 hat das Königreich Dänemark seinen Antrag zurückgenommen.
 
Rechtlicher Rahmen des Rechtsstreits
 
Gemeinschaftsrecht
 
3. Artikel 73b Absatz 1 EG-Vertrag lautet:
    "Im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels sind alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten."
4. Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag (jetzt Artikel 58 Absatz 1 Buchstabe b EG) sieht Folgendes vor:
    "Artikel 73b berührt nicht das Recht der Mitgliedstaaten,
    (...)
    b) die unerlässlichen Maßnahmen zu treffen, um Zuwiderhandlungen gegen innerstaatliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften, insbesondere auf dem Gebiet des Steuerrechts und der Aufsicht über Finanzinstitute, zu verhindern, sowie Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen oder Maßnahmen zu ergreifen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit gerechtfertigt sind."
5. Anhang I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5) enthält eine Nomenklatur für den Kapitalverkehr gemäß Artikel 1 dieser Richtlinie. Darin werden u.a. folgende Formen des Kapitalverkehrs aufgezählt:
    "I. Direktinvestitionen (...)
    1. Gründung und Erweiterung von Zweigniederlassungen oder neuen Unternehmen, die ausschließlich dem Geldgeber gehören, und vollständige Übernahme bestehender Unternehmen
    2. Beteiligung an neuen oder bereits bestehenden Unternehmen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen (...)"
6. Nach den Begriffsbestimmungen am Ende von Anhang I der Richtlinie 88/361 gelten als "Direktinvestitionen"
    "Investitionen jeder Art durch natürliche Personen, Handels-, Industrie- oder Finanzunternehmen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und den Unternehmern oder Unternehmen, für die die Mittel zum Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind. Der Begriff der Direktinvestitionen ist also im weitesten Sinne gemeint.
    (...)
    Bei den unter I 2 der Nomenklatur genannten Unternehmen, die als Aktiengesellschaften betrieben werden, ist eine Beteiligung im Sinne einer Direktinvestition dann vorhanden, wenn das im Besitz einer natürlichen Person oder eines anderen Unternehmens oder sonstigen Inhabers befindliche Aktienpaket entweder nach den bestehenden nationalen Rechtsvorschriften für Aktiengesellschaften oder aus anderen Gründen den Aktieninhabern die Möglichkeit gibt, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft oder an deren Kontrolle zu beteiligen. (...)"
7. Die Nomenklatur in Anhang I der Richtlinie 88/361 umfasst auch folgende Formen des Kapitalverkehrs:
    "III. Geschäfte mit Wertpapieren, die normalerweise am Kapitalmarkt gehandelt werden...
    (...)
    A. Transaktionen mit Kapitalmarktpapieren
    1. Erwerb an der Börse gehandelter inländischer Wertpapiere durch Gebietsfremde...
    (...)
    3. Erwerb nicht an der Börse gehandelter inländischer Wertpapiere durch Gebietsfremde (...)"
8. Artikel 222 EG-Vertrag (jetzt Artikel 295 EG) lautet:
    "Dieser Vertrag lässt die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt."
Nationales Recht
 
9. Die Artikel 1, 3 und 4 der Königlichen Verordnung vom 10. Juni 1994 sehen Folgendes vor:
    "Artikel 1
    An dem Tag, an dem die Anteile, die der Staat derzeit am Kapital der Société nationale d'investissement hält, tatsächlich auf eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen des privaten Sektors übergehen, überträgt die Société nationale d'investissement dem Staat einen Anteil am Kapital der Aktiengesellschaft Société nationale de transport par canalisations (im Folgenden: S.N.T.C.). Die in den Artikeln 2 bis 5 festgelegten Sonderrechte sind mit diesem Anteil - über die mit den gewöhnlichen Anteilen an der S.N.T.C. verbundenen Informationsrechte hinaus - nur so lange verbunden, wie der Anteil im Eigentum des Staates steht, der ihn nur aufgrund gesetzlicher Ermächtigung übertragen kann. Diese Rechte werden von dem für Energie zuständigen Minister (im Folgenden: Minister) ausgeübt. (...)
    Artikel 3
    Die Sonderaktie verleiht dem Minister das Recht, jeder Übertragung, Verwendung als Sicherheit oder Änderung des Verwendungszwecks der S.N.T.C. gehörender Leitungen, die wichtige Infrastrukturen für die Beförderung von Energieerzeugnissen im Inland darstellen oder dazu dienen können, zu widersprechen, wenn diese Maßnahme seiner Ansicht nach die nationalen Interessen im Energiebereich beeinträchtigt. (...)
    Die in Absatz 1 genannten Maßnahmen sind dem Minister vorab zu melden. Der Minister kann Form und Inhalt dieser Meldung näher regeln. Der Minister kann sein Widerspruchsrecht innerhalb von 21 Tagen nach der Meldung der betreffenden Maßnahme ausüben.
    Artikel 4
    Die Sonderaktie verleiht dem Minister das Recht, zwei Vertreter der bundesstaatlichen Regierung in den Verwaltungsrat der S.N.T.C. zu entsenden. Diese Vertreter der Regierung haben dort beratende Stimme.
    Die Vertreter der Regierung können zudem innerhalb von vier Werktagen beim Minister jede Entscheidung des Verwaltungsrats der S.N.T.C. rügen, die ihres Erachtens den energiepolitischen Leitlinien des Landes einschließlich der Ziele der Regierung in Bezug auf die Energieversorgung des Landes zuwiderläuft. Diese Frist von vier Tagen beginnt am Tag der Sitzung, bei der die fragliche Entscheidung getroffen wurde, wenn die Vertreter der Regierung ordnungsgemäß zu ihr geladen wurden, andernfalls an dem Tag, an dem die Vertreter der Regierung oder einer von ihnen von der Entscheidung Kenntnis erlangt haben. Die Rüge hat aufschiebende Wirkung. Hebt der Minister die fragliche Entscheidung nicht innerhalb von acht Werktagen nach dieser Rüge auf, so wird sie endgültig."
10. Die Königliche Verordnung vom 16. Juni 1994 enthält in ihren Artikeln 1, 3 und 4 im Wesentlichen identische Vorschriften in Bezug auf die Société de distribution du gaz SA (im Folgenden: Distrigaz).
 
Das Vorverfahren
 
11. Mit zwei Schreiben vom 8. Juli 1998 teilte die Kommission der belgischen Regierung mit, dass die durch die Königlichen Verordnungen vom 10. und 16. Juni 1994 geschaffenen Sonderaktien gegen die Bestimmungen des Vertrages über den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit verstoßen könnten.
12. Die belgische Regierung antwortete mit zwei Schreiben vom 15. September 1998, die mit diesen Aktien verbundenen Sonderrechte seien bislang nicht ausgeübt worden und die betroffenen Behörden seien bereit, der Kommission zu garantieren, dass keines dieser Rechte in einer die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten benachteiligenden Weise ausgeübt werde.
13. Da diese Antworten die Kommission nicht zufrieden stellten, richtete sie am 18. Dezember 1998 zwei mit Gründen versehene Stellungnahmen an das Königreich Belgien und forderte dieses auf, den Stellungnahmen binnen zwei Monaten nachzukommen.
14. Die belgische Regierung antwortete auf die mit Gründen versehenen Stellungnahmen durch Schreiben vom 4. März 1999, in dem sie ankündigte, dass sie die mit den fraglichen Sonderaktien verbundenen Sonderrechte umgestalten wolle. Einige Umgestaltungen wurden anschließend vorgenommen; die Artikel 1, 3 und 4 der Königlichen Verordnungen vom 10. und 16. Juni 1994 blieben jedoch unverändert.
15. Die Kommission beschloss daher, beim Gerichtshof die vorliegende Klage zu erheben.
 
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
 
16. Die Kommission trägt zunächst vor, das erhebliche Ausmaß innergemeinschaftlicher Investitionen habe einige Mitgliedstaaten veranlasst, Maßnahmen zu ergreifen, um diese Situation zu kontrollieren. Diese Maßnahmen, die zum großen Teil im Rahmen von Privatisierungen getroffen worden seien, könnten unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sein. Aus diesem Grund habe sie am 19. Juli 1997 die Mitteilung über bestimmte rechtliche Aspekte von Investitionen innerhalb der EU (ABl. C 220, S. 15, im Folgenden: Mitteilung von 1997) erlassen.
17. In der Mitteilung habe sie die Bestimmungen des Vertrages über den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit für diesen Bereich ausgelegt, insbesondere im Zusammenhang mit allgemeinen Genehmigungsverfahren und Vetorechten nationaler Behörden.
18. Nummer 9 der Mitteilung von 1997 lautet wie folgt:
    "Die Prüfung der Maßnahmen, die auf Investitionen innerhalb der EU beschränkend wirken, gelangt zu folgendem Ergebnis: Diskriminierende Maßnahmen (die also ausschließlich für gebietsfremde Anleger aus der EU gelten) sind als mit den Artikeln 73b und 52 EG-Vertrag über den freien Kapitalverkehr und das Niederlassungsrecht unvereinbar anzusehen, sofern sie nicht unter eine der im Vertrag genannten Ausnahmen fallen. Nichtdiskriminierende Maßnahmen (die also sowohl für Gebietsansässige als auch für Gebietsfremde der EU gelten) sind zulässig, wenn sie auf einer Reihe von objektiven, dauerhaft gegebenen und veröffentlichten Kriterien beruhen, die sich aus zwingenden Gründen des allgemeinen Interesses rechtfertigen lassen. In jedem Fall ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten."
19. Die Regelung, mit der vom Königreich Belgien gehaltene Sonderaktien der SNTC und von Distrigaz geschaffen würden und die ein Widerspruchsrecht dieses Mitgliedstaats gegen jede Übertragung, Verwendung als Sicherheit oder Änderung des Verwendungszwecks von Leitungen und bestimmten anderen strategischen Aktiva sowie ein Widerspruchsrecht dieses Mitgliedstaats gegen bestimmte Verwaltungsentscheidungen vorsehe, die als den energiepolitischen Leitlinien des Landes zuwiderlaufend angesehen würden, entspreche nicht den in der Mitteilung von 1997 aufgestellten Voraussetzungen und verstoße damit gegen die Artikel 52 und 73b EG-Vertrag.
20. Diese nationalen Bestimmungen seien zwar unterschiedslos anwendbar, stellten aber Hindernisse für das Niederlassungsrecht der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten sowie für den freien Kapitalverkehr innerhalb der Gemeinschaft dar, da sie die Ausübung dieser Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen könnten.
21. Genehmigungs- oder Widerspruchsverfahren könnten nur dann als vereinbar mit den genannten Freiheiten angesehen werden, wenn sie unter die in den Artikeln 55 EG-Vertrag (jetzt Artikel 45 EG), 56 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 46 EG) und 73d EG-Vertrag geregelten Ausnahmen fielen oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt seien und an objektive, dauerhaft gegebene und veröffentlichte Kriterien anknüpften, durch die das Ermessen der nationalen Behörden auf ein Minimum beschränkt werde.
22. Die fraglichen Bestimmungen erfüllten keines dieser Kriterien. Folglich bestehe die Gefahr, dass sie aufgrund mangelnder Transparenz indirekt ein Element der Diskriminierung enthielten und Rechtsunsicherheit hervorriefen. Die Berufung auf Artikel 222 EG-Vertrag gehe im vorliegenden Fall im Übrigen fehl, da die nationale Regelung der Privatisierung von Gesellschaften jedenfalls im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehen müsse.
23. Die Versorgung mit Erdgas stelle zwar eine dem Gemeinwohl dienende Aufgabe dar und könne ebenso wie das Erfordernis, Infrastrukturen für den Transport von Energieerzeugnissen vorzuhalten, grundsätzlich zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gehören, doch müsse noch nachgewiesen werden, dass die fraglichen Maßnahmen in Bezug auf das zu erreichende Ziel erforderlich und verhältnismäßig seien.
24. Eine Maßnahme mit negativem Charakter wie das Widerspruchsrecht könne - anders als positive Maßnahmen wie die Aufstellung von Plänen, um die Erdgasunternehmen zu veranlassen, langfristige Lieferverträge zu schließen und ihre Bezugsquellen zu diversifizieren, oder ein Lizenzsystem - keine ausreichende Versorgung gewährleisten. Ebenso könne der Bestand von Transportinfrastrukturen nicht durch ein allgemeines Widerspruchsrecht sichergestellt werden, sondern durch eine Regelung, mit der das angemessene Verhalten der betreffenden Unternehmen genau festgelegt werde. Die mit den fraglichen Sonderaktien verbundenen Rechte verhinderten zudem den Abschluss langfristiger Verträge und eine Diversifizierung der Bezugsquellen. Überdies seien die Rechtsbehelfe gegen die fraglichen Maßnahmen wegen der Dauer des Verfahrens und der mit ihm verbundenen Kosten unzureichend.
25. Zu verweisen sei ferner auf die Richtlinie 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt (ABl. L 204, S. 1, im Folgenden: Erdgasrichtlinie), die den Erdgasbinnenmarkt regele und deren Umsetzungsfrist am 10. August 2000 abgelaufen sei. Diese Richtlinie biete einen gemeinschaftsrechtlichen Rahmen für die Ausübung der Befugnisse der Mitgliedstaaten hinsichtlich der den Erdgasunternehmen auferlegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen. Sie sorge für ein Gleichgewicht zwischen der Wahrung des Wettbewerbs unter den Wirtschaftsteilnehmern und dem Ziel der Versorgungssicherheit, indem sie eine strenge Überwachung vorsehe.
26. Das Königreich Belgien bestreitet die ihm zur Last gelegte Vertragsverletzung. Es führt aus, etwaige Einschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Kapitalverkehrs, die sich aus der streitigen Regelung ergäben, seien jedenfalls zum einen durch die in den Artikeln 56 und 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag vorgesehene Ausnahme aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und zum anderen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt. Sie seien überdies verhältnismäßig und zur Erreichung des mit ihnen verfolgten Zieles geeignet.
27. Erstens stelle die Sicherheit der Energieversorgung des Landes einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, wie sich bereits in Bezug auf die Versorgung mit elektrischer Energie aus dem Urteil vom 27. April 1994 in der Rechtssache C-393/92 (Almelo, Slg. 1994, I-1477, Randnrn. 46 bis 50) und in Bezug auf Erdölprodukte aus dem Urteil vom 10. Juli 1984 in der Rechtssache 72/83 (Campus Oil u.a., Slg. 1984, 2727, Randnr. 34) ergebe.
28. Zweitens erfüllten die fraglichen Maßnahmen die Kriterien der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit. Die SNTC und Distrigaz nähmen vor allem angesichts der Abhängigkeit Belgiens von ausländischen Energiequellen eine strategische Position bei der Energieversorgung des Landes ein. Während die SNTC insbesondere Eigentümerin von Leitungen sei, die wichtige Infrastrukturen für die Beförderung von Energieerzeugnissen im Inland darstellten, handele es sich bei den strategischen Aktiva von Distrigaz namentlich um Infrastrukturen für den inländischen Transport und die Lagerung von Gas einschließlich der Umschlagplätze und grenzüberschreitender Verbindungen. Eine gewisse behördliche Kontrolle dieser Aktiva im Rahmen der fraglichen Regelung sei erforderlich. Die dafür vorgesehenen Maßnahmen seien auch verhältnismäßig. Bei dem Verfahren vorheriger Meldung handele es sich mangels aufschiebender Wirkung um ein bloßes Verfahren zur Information der Behörden. Ebenso seien die Befugnisse des Ministers im Rahmen dieses Verfahrens nicht allgemeiner Art, sondern erstreckten sich nur auf ganz konkrete Punkte und seien zeitlich eng begrenzt. Das Aufhebungsverfahren könne nur in einem ganz bestimmten, genau umschriebenen Fall angewandt werden, und zwar dann, wenn die Energieversorgungspolitik des Landes beeinträchtigt sei. Wie beim erstgenannten Verfahren sei die dem Minister eingeräumte Reaktionsfrist äußerst kurz. Daher könne nicht geltend gemacht werden, es seien keine genauen, objektiven und dauerhaft gegebenen Kriterien aufgestellt worden.
29. Im Übrigen bedürfe jede Ausübung der durch die fragliche Regelung verliehenen Rechte einer förmlichen Begründung, in der die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen dargestellt würden, auf denen die getroffene Entscheidung beruhe. Außerdem könne beim Conseil d'État (Belgien) die Nichtigerklärung oder Aussetzung einer solchen Entscheidung beantragt werden. Die dabei anfallenden Kosten seien sehr gering, und es gebe ein Verfahren der einstweiligen Anordnung. In zeitlicher Hinsicht seien die Maßnahmen eng begrenzt, da der Minister innerhalb von 21 Tagen nach der Meldung tätig werden müsse.
30. Die verfolgten Ziele ließen sich auch nicht mit weniger einschränkenden Mitteln erreichen. Die Kommission müsse im Rahmen der Prüfung des Kriteriums der Verhältnismäßigkeit den Beweis dafür erbringen, dass es weniger einschneidende Alternativlösungen gebe (vgl. Urteil vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Randnrn. 101 und 102). Sie habe insoweit aber nur eine - unter dem Gesichtspunkt schnellen Handelns ungeeignete - langfristige Planung erwähnt sowie eine "genaue Regelung des angemessenen Verhaltens der fraglichen Unternehmen" in Form eines Lizenzsystems, dessen Ausgestaltung allerdings unklar bleibe. Es sei äußerst zweifelhaft, ob solche Maßnahmen für Investoren zu einem höheren Maß an Rechtssicherheit als die fragliche Regelung führten.
31. Das auf die Erdgasrichtlinie gestützte Vorbringen der Kommission sei unzulässig, da es erstmals in der Klageschrift geltend gemacht worden sei. Durch diese Richtlinie würden die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen jedenfalls in materieller, nicht aber in verfahrensmäßiger Hinsicht harmonisiert. In Anbetracht dessen stehe es den Mitgliedstaaten weiterhin frei, die Maßnahmen zu treffen, die sie für angebracht hielten.
32. Drittens seien die durch die fragliche Regelung verliehenen Rechte aufgrund der in den Artikeln 56 und 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag vorgesehenen Ausnahme aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt. Die Gasversorgung des Landes gehöre zur öffentlichen Sicherheit, da das Funktionieren der Wirtschaft und der Einrichtungen und wichtigsten öffentlichen Dienste, ja selbst das Überleben der Bevölkerung davon abhänge. Eine Unterbrechung der Versorgung mit Erdgas und die sich daraus für die Existenz des Staates ergebenden Gefahren könnten seine öffentliche Sicherheit schwer beeinträchtigen.
33. Hilfsweise macht die belgische Regierung geltend, etwaige Beeinträchtigungen der im Vertrag vorgesehenen Freiheiten durch die fragliche Regelung seien durch Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 Absatz 2 EG) gerechtfertigt, wonach für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut seien, die Wettbewerbsregeln des Vertrages nur gelten, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung ihrer besonderen Aufgabe verhindere.
34. Aus dem Urteil vom 19. März 1991 in der Rechtssache C-202/88 (Frankreich/Kommission, Slg. 1991, I-1223, Randnr. 12) ergebe sich, dass Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes sei, wonach Ausnahmen von den Vorschriften des Vertrages gelten müssten, wenn Interessen bedroht würden, die mit Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zusammenhingen.
35. Das Vereinigte Königreich teilt im Wesentlichen den Standpunkt des Königreichs Belgien.
 
Zu Artikel 73b EG-Vertrag
 
36. Durch Artikel 73b Absatz 1 EG-Vertrag wird der freie Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern umgesetzt. Zu diesem Zweck legt er im Rahmen der Bestimmungen des mit "Der Kapital- und Zahlungsverkehr" überschriebenen Kapitels des Vertrages fest, dass alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten sind.
37. Der EG-Vertrag enthält zwar keine Definition der Begriffe des Kapital- und des Zahlungsverkehrs, doch hat die Richtlinie 88/361 zusammen mit der Nomenklatur in ihrem Anhang unstreitig Hinweischarakter für die Definition des Begriffes des Kapitalverkehrs (vgl. Urteil vom 16. März 1999 in der Rechtssache C-222/97, Trummer und Mayer, Slg. 1999, I-1661, Randnrn. 20 und 21).
38. Die Rubriken I und III der Nomenklatur in Anhang I der Richtlinie 88/361 und die darin enthaltenen Begriffsbestimmungen zeigen, dass es sich bei Direktinvestitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch den Erwerb von Aktien und beim Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt um Kapitalverkehr im Sinne von Artikel 73b EG-Vertrag handelt. Nach den Begriffsbestimmungen ist insbesondere die Direktinvestition durch die Möglichkeit gekennzeichnet, sich tatsächlich an der Verwaltung einer Gesellschaft und an deren Kontrolle zu beteiligen.
39. Angesichts dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob die Regelung, mit der vom Königreich Belgien gehaltene Sonderaktien der SNTC und von Distrigaz geschaffen werden und die ein Widerspruchsrecht dieses Mitgliedstaats gegen jede Übertragung, Verwendung als Sicherheit oder Änderung des Verwendungszwecks von Leitungen und bestimmten anderen strategischen Aktiva sowie ein Widerspruchsrecht dieses Mitgliedstaats gegen bestimmte Verwaltungsentscheidungen vorsieht, die als den energiepolitischen Leitlinien des Landes zuwiderlaufend angesehen werden, eine Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten darstellt.
40. Die belgische Regierung hat grundsätzlich nicht bestritten, dass die Beschränkungen, die sich aus der fraglichen Regelung ergeben, in den Anwendungsbereich des freien Kapitalverkehrs fallen.
41. Auch die Regierung des Vereinigten Königreichs räumt zumindest in gewissem Umfang ein, dass die belgische Regelung beschränkenden Charakter hat.
42. Folglich ist zu prüfen, ob und unter welchen Voraussetzungen die fragliche Regelung gerechtfertigt sein kann.
43. Wie sich ebenfalls aus der Mitteilung von 1997 ergibt, sind die Bedenken nicht von der Hand zu weisen, die es je nach den Umständen rechtfertigen können, dass die Mitgliedstaaten einen gewissen Einfluss auf ursprünglich öffentliche und später privatisierte Unternehmen behalten, wenn diese Unternehmen Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder von strategischer Bedeutung erbringen (vgl. Urteile vom heutigen Tag in den Rechtssachen C-367/98, Kommission/Portugal, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 47, und C-483/99, Kommission/Frankreich, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 43).
44. Diese Bedenken erlauben es den Mitgliedstaaten jedoch nicht, sich auf ihre Eigentumsordnung, die Gegenstand von Artikel 222 EG-Vertrag ist, zu berufen, um Beeinträchtigungen der im Vertrag vorgesehenen Freiheiten zu rechtfertigen, die sich aus Vorrechten ergeben, mit denen ihre Aktionärsstellung in einem privatisierten Unternehmen ausgestattet ist. Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 1. Juni 1999 in der Rechtssache C-302/97, Konle, Slg. 1999, I-3099, Randnr. 38) hervorgeht, führt dieser Artikel nicht dazu, dass die in den Mitgliedstaaten bestehende Eigentumsordnung den Grundprinzipien des Vertrages entzogen ist.
45. Der freie Kapitalverkehr kann als tragender Grundsatz des Vertrages nur dann durch eine nationale Regelung beschränkt werden, wenn diese aus den in Artikel 73d Absatz 1 EG-Vertrag genannten Gründen oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, die für alle im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätigen Personen oder Unternehmen gelten. Ferner ist die nationale Regelung nur dann gerechtfertigt, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist, so dass sie dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit entspricht (in diesem Sinne auch Urteile vom 14. Dezember 1995 in den Rechtssachen C-163/94, C-165/94 und C-250/94, Sanz de Lera u.a., Slg. 1995, I-4821, Randnr. 23, und vom 14. März 2000 in der Rechtssache C-54/99, Eglise de scientologie, Slg. 2000, I-1335, Randnr. 18).
46. Im vorliegenden Fall lässt sich nicht leugnen, dass an dem mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziel - der Sicherstellung der Energieversorgung im Krisenfall - ein legitimes öffentliches Interesse besteht. Wie der Gerichtshof bereits anerkannt hat, gehört zu den Gründen der öffentlichen Sicherheit, aus denen eine Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs gerechtfertigt sein kann, das Ziel, jederzeit eine Mindestversorgung mit Erdölprodukten sicherzustellen (Urteil Campus Oil u.a., Randnrn. 34 und 35). Die gleichen Erwägungen gelten für Beeinträchtigungen des freien Kapitalverkehrs, da die öffentliche Sicherheit auch zu den in Artikel 73d Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag genannten Rechtfertigungsgründen gehört.
47. Der Gerichtshof hat aber auch entschieden, dass die Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit, insbesondere als Ausnahme von dem grundlegenden Prinzip des freien Kapitalverkehrs, eng zu verstehen sind, so dass ihre Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der Gemeinschaft bestimmt werden kann. So kann die öffentliche Sicherheit nur geltend gemacht werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. u.a. Urteil Eglise de scientologie, Randnr. 17).
48. Daher ist zu prüfen, ob die fragliche Regelung die Sicherstellung einer Mindestversorgung mit Energie in dem betreffenden Mitgliedstaat für den Fall einer tatsächlichen schweren Gefährdung erlaubt und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist.
49. Zunächst ist festzustellen, dass die fragliche Regelung eine Widerspruchsregelung ist. Sie geht vom Grundsatz der Beachtung der Entscheidungsfreiheit des Unternehmens aus, da die Kontrolle, die der Aufsicht führende Minister ausüben kann, in jedem Einzelfall von einem Tätigwerden der Regierungsbehörden abhängt. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner vorherigen Genehmigung. Zudem sind die Behörden bei der Ausübung dieses Widerspruchsrechts an strenge Fristen gebunden.
50. Darüber hinaus ist die Regelung auf bestimmte Entscheidungen beschränkt, die die strategischen Aktiva der genannten Unternehmen, insbesondere die Energieversorgungsnetze, betreffen, sowie auf spezielle damit zusammenhängende Verwaltungsentscheidungen, die punktuell in Frage gestellt werden können.
51. Schließlich können die in den Artikeln 3 und 4 der Königlichen Verordnungen vom 10. und 16. Juni 1994 vorgesehenen Eingriffe des Ministers nur bei Beeinträchtigung der energiepolitischen Ziele vorgenommen werden. Überdies bedürfen sie, wie die belgische Regierung in ihren Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ohne dass ihr die Kommission insoweit widersprochen hätte, einer förmlichen Begründung und unterliegen einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle.
52. Die fragliche Regelung erlaubt es daher, auf der Grundlage objektiver und gerichtlich nachprüfbarer Kriterien die tatsächliche Verfügbarkeit der Leitungen, die wichtige Infrastrukturen für die Beförderung von Energieerzeugnissen im Inland darstellen, sowie anderer Infrastrukturen für die inländische Beförderung und Lagerung von Erdgas einschließlich der Umschlagplätze und grenzüberschreitender Verbindungen zu gewährleisten. Sie eröffnet dem Mitgliedstaat somit die Möglichkeit, tätig zu werden, um in einer bestimmten Situation für die Einhaltung der der SNTC und Distrigaz auferlegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen zu sorgen, und genügt zugleich den Erfordernissen der Rechtssicherheit.
53. Die Kommission hat nicht dargetan, dass zur Erreichung des verfolgten Zieles weniger einschneidende Maßnahmen hätten getroffen werden können. Es ist nicht sicher, dass die Aufstellung von Plänen, um die Erdgasunternehmen zu veranlassen, langfristige Lieferverträge zu schließen, ihre Bezugsquellen zu diversifizieren oder ein Lizenzsystem anzuwenden, für sich genommen geeignet wäre, in einer konkreten Situation eine schnelle Reaktion zu ermöglichen. Im Übrigen erscheint eine Regelung der von der Kommission vorgeschlagenen Art, mit der das Verhalten der Erdgasunternehmen genau festgelegt wird, sogar restriktiver als ein auf besondere Situationen beschränktes Widerspruchsrecht.
54. Zu dem auf die Erdgasrichtlinie gestützten Vorbringen der Kommission genügt die Feststellung, dass die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie erst am 10. August 2000 ablief. Der gemeinschaftsrechtliche Rahmen, der der Kommission zufolge mit der genannten Richtlinie in Bezug auf die Ausübung der Befugnisse der Mitgliedstaaten hinsichtlich der den Erdgasunternehmen auferlegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen geschaffen werden soll, kann daher keinesfalls Auswirkungen auf den vorliegenden Rechtsstreit haben, da die mit Gründen versehenen Stellungnahmen vom 18. Dezember 1998 stammen und die Klage am 22. Dezember 1999 erhoben wurde.
55. Die fragliche Regelung ist somit durch das Ziel gerechtfertigt, die Sicherheit der Energieversorgung im Krisenfall zu gewährleisten.
56. Unter diesen Umständen braucht das auf einen aus Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag abgeleiteten Grundsatz gestützte Hilfsvorbringen der belgischen Regierung nicht geprüft zu werden.
57. Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Klage der Kommission abzuweisen ist, soweit sie Artikel 73b EG-Vertrag betrifft.
Zu Artikel 52 EG-Vertrag
 
58. Die Kommission beantragt ferner die Feststellung einer Verletzung des die Niederlassungsfreiheit betreffenden Artikels 52 EG-Vertrag, soweit er sich auf Unternehmen bezieht.
59. Hierzu ist festzustellen, dass Artikel 56 EG-Vertrag ebenso wie Artikel 73d EG-Vertrag einen aus der öffentlichen Sicherheit abgeleiteten Rechtfertigungsgrund vorsieht. Selbst wenn es eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen sollte, dass ein Mitgliedstaat der Übertragung, Verwendung als Sicherheit oder Änderung des Verwendungszwecks bestimmter Aktiva eines bestehenden Unternehmens oder bestimmten Verwaltungsentscheidungen dieses Unternehmens widersprechen kann, wäre eine solche Beschränkung somit aus den in den Randnummern 43 bis 55 des vorliegenden Urteils genannten Gründen gerechtfertigt.
60. Daher ist die Klage der Kommission auch insoweit abzuweisen, als sie Artikel 52 EG-Vertrag betrifft.
 
Kosten
 
61. Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien beantragt hat, die Kommission zur Tragung der Kosten zu verurteilen, und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. Nach Artikel 69 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung trägt das Vereinigte Königreich, das dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten ist, seine eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
 
2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten des Verfahrens.
 
3. Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland trägt seine eigenen Kosten.
 
 
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 4. Juni 2002.
R. Grass (Der Kanzler), G. C. Rodriguez Iglesias (Der Präsident)