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Nationales Recht
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit
Zu den Vorlagefragen
Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Warenverkehrs
Zur Frage einer Rechtfertigung der Beeinträchtigung
Zu den Voraussetzungen der Haftung des Mitgliedstaats
Kosten
Bearbeitung, zuletzt am 02.08.2022, durch: Michelle Ammann, A. Tschentscher
 
Urteil
 
des Gerichtshofes
 
vom 12. Juni 2003
 
In der Rechtssache
 
-- C-112/00 --  
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Oberlandesgericht Innsbruck (Österreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
 
Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planzüge,
 
gegen
 
Republik Österreich
 
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 30, 34 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG, 29 EG und 30 EG) in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG) sowie über die Voraussetzungen der Haftung eines Mitgliedstaats für einem Einzelnen durch Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht entstandene Schäden
 
erlässt
 
Der Gerichtshof unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodriguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet, M. Wathelet und R. Schintgen (Berichterstatter), der Richter C. Gulmann, D. A. O. Edward, P. Jann und V. Skouris, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric sowie der Richter S. von Bahr, J. N. Cunha Rodrigues und A. Rosas, Generalanwalt: F. G. Jacobs, Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat,
 
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
 
von Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planzüge, vertreten durch die Rechtsanwälte K.-H. Plankel, H. Mayrhofer und R. Schneider, der Republik Österreich, vertreten durch A. Riccabona als Bevollmächtigten, der österreichischen Regierung, vertreten durch H. Dossi als Bevollmächtigten, der griechischen Regierung, vertreten durch N. Dafniou und G. Karipsiadis als Bevollmächtigte, der italienischen Regierung, vertreten durch U. Leanza als Bevollmächtigten im Beistand von O. Fiumara, vice avvocato generale dello Stato, der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra als Bevollmächtigten, der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J. C. Schieferer als Bevollmächtigten, aufgrund des Sitzungsberichts, nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planzüge, vertreten durch Rechtsanwalt R. Schneider, der Republik Österreich, vertreten durch A. Riccabona, der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten, der griechischen Regierung, vertreten durch N. Dafniou und G. Karipsiadis, der italienischen Regierung, vertreten durch O. Fiumara, der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte, der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä als Bevollmächtigte, und der Kommission, vertreten durch J. C. Schieferer und J. Grunwald als Bevollmächtigte, in der Sitzung vom 12. März 2002,
 
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juli 2002 folgendes
 
 
Urteil
 
1. Das Oberlandesgericht Innsbruck hat mit Beschluss vom 1. Februar 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 24. März 2000, gemäß Artikel 234 EG sechs Fragen nach der Auslegung der Artikel 30, 34 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG, 29 EG und 30 EG) in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG) sowie nach den Voraussetzungen der Haftung eines Mitgliedstaats für einem Einzelnen durch Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht entstandene Schäden zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Firma Eugen Schmidberger, Internationale Transporte und Planzüge (nachstehend: Klägerin), und der Republik Österreich (nachstehend: Beklagte) über die von deren zuständigen Behörden einem Verein mit im Wesentlichen umweltpolitischer Zielsetzung stillschweigend erteilte Genehmigung einer Versammlung auf der Brenner-Autobahn, die zu einer nahezu 30-stündigen völligen Verkehrsblockade führte.
 
Nationales Recht
 
3. § 2 des Versammlungsgesetzes 1953 lautet in der geänderten Fassung (nachstehend: VersG):
    "(1) Wer eine Volksversammlung oder überhaupt eine allgemein zugängliche Versammlung ohne Beschränkung auf geladene Gäste veranstalten will, muss dies wenigstens 24 Stunden vor der beabsichtigten Abhaltung unter Angabe des Zweckes, des Ortes und der Zeit der Versammlung der Behörde (§ 16) schriftlich anzeigen. Die Anzeige muss spätestens 24 Stunden vor dem Zeitpunkt der beabsichtigten Versammlung bei der Behörde einlangen.
    (2) Die Behörde hat auf Verlangen über die Anzeige sofort eine Bescheinigung zu erteilen ..."
4. § 6 VersG bestimmt:
    "Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, sind von der Behörde zu untersagen."
5. § 16 VersG sieht vor:
    "Unter der in diesem Gesetz erwähnten Behörde ist in der Regel zu verstehen:
    a) an Orten, die zum Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde gehören, diese Behörde;
    b) am Sitze des Landeshauptmannes, wenn sich dort keine Bundespolizeibehörde befindet, die Sicherheitsdirektion;
    c) an allen anderen Orten die Bezirksverwaltungsbehörde."
6. Nach § 42 Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung 1960 in der geänderten Fassung (nachstehend: StVO) ist an Samstagen von 15 Uhr bis 24 Uhr und an Sonntagen und gesetzlichen Feiertagen von 0 Uhr bis 22 Uhr das Befahren von Straßen mit Lastkraftwagen mit Anhängern verboten, wenn das höchste zulässige Gesamtgewicht des Lastkraftwagens oder des Anhängers mehr als 3, 5 t beträgt. Ferner ist nach § 42 Absatz 2 StVO in der im Absatz 1 angeführten Zeit das Befahren von Straßen mit Lastkraftwagen, Sattelkraftfahrzeugen und selbstfahrenden Arbeitsmaschinen mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7, 5 t verboten. Ausnahmen sind vorgesehen u.a. für die Beförderung von Milch, von leicht verderblichen Lebensmitteln und von Schlachtvieh (außer Beförderung von Großvieh auf Autobahnen).
7. Nach § 42 Absatz 6 StVO ist das Fahren mit Lastkraftfahrzeugen mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 7, 5 t in der Zeit von 22 Uhr bis 5 Uhr verboten; ausgenommen von diesem Fahrverbot sind u.a. Fahrten mit lärmarmen Kraftfahrzeugen.
8. Nach § 45 Absätze 2 ff. StVO können auf Antrag im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen Ausnahmen für die Benutzung von Straßen bewilligt werden.
9. § 86 StVO sieht vor:
    "Umzüge. Sofern eine Benützung der Straße hiefür in Betracht kommt, sind, unbeschadet sonstiger Rechtsvorschriften, Versammlungen unter freiem Himmel, öffentliche oder ortsübliche Umzüge, volkstümliche Feste, Prozessionen oder dergleichen von den Veranstaltern drei Tage ... vorher der Behörde anzuzeigen."
 
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
 
10. Wie aus den Akten des Ausgangsverfahrens hervorgeht, kündigte das Transitforum Austria Tirol, Verein zum "Schutz des Lebensraumes in der Alpenregion", am 15. Mai 1998 bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck gemäß § 2 VersG sowie § 86 StVO für den Zeitraum Freitag, 12. Juni 1998, 11 Uhr, bis Samstag, 13. Juni 1998, 15 Uhr, eine Versammlung auf der Brenner-Autobahn (A 13) an, die im angeführten Zeitraum zu einer völligen Blockade des Verkehrs auf dieser Autobahn im Bereich Raststätte Europabrücke bis zur Mautstelle Schönberg (Österreich) führte.
11. Am selben Tag gab der Obmann dieses Vereins eine Pressekonferenz, in deren Folge die österreichischen und deutschen Medien über die bevorstehende Blockade der Brenner-Autobahn berichteten. Auch die österreichischen und deutschen Automobilclubs wurden verständigt, die den Benutzern der Autobahn wiederum praktische Hinweise gaben, insbesondere, dass die Brenner-Autobahn im fraglichen Zeitraum weiträumig zu umfahren sei.
12. Am 21. Mai 1998 ersuchte die Bezirkshauptmannschaft die Sicherheitsdirektion für Tirol um eine Weisung zu der angemeldeten Demonstration. Am 3. Juni 1998 erteilte der Sicherheitsdirektor Weisung, diese nicht zu untersagen. Am 10. Juni 1998 fand eine Sitzung von Mitgliedern verschiedener örtlicher Behörden mit dem Ziel statt, den reibungslosen Ablauf der Versammlung zu gewährleisten.
13. Da die Bezirkshauptmannschaft diese Demonstration für nach österreichischem Recht zulässig hielt, entschied sie, sie nicht zu untersagen, prüfte allerdings nicht, ob diese Entscheidung etwa gegen Gemeinschaftsrecht verstoße.
14. Die Demonstration fand tatsächlich am angegebenen Ort und zur angegebenen Zeit statt. Entsprechend wurden LKWs, die über die Brenner-Autobahn hätten fahren sollen, am Freitag, 12. Juni 1998, ab 9 Uhr angehalten. Die Autobahn wurde am Samstag, 13. Juni 1998, gegen 15. 30 Uhr wieder für den Verkehr freigegeben, vorbehaltlich der nach österreichischem Recht an Samstagen und Sonntagen zu bestimmten Zeiten geltenden Fahrverbote für LKWs über 7, 5 t zulässiges Gesamtgewicht.
15. Die Klägerin ist ein internationales Transportunternehmen mit Sitz in Rot an der Rot (Deutschland), das über sechs "lärm- und rußarme" LKWs mit Sattelauflegern verfügt. Die Haupttätigkeit des Unternehmens besteht darin, Holztransporte von Deutschland nach Italien und Stahltransporte von Italien nach Deutschland durchzuführen. Dabei wird in erster Linie die Brenner-Autobahn benutzt.
16. Die Klägerin klagte beim Landesgericht Innsbruck (Österreich) auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 140 000 ATS Schadensersatz mit der Begründung, fünf ihrer LKWs hätten die Brenner-Autobahn an vier aufeinander folgenden Tagen nicht benutzen können, da der Donnerstag, 11. Juni 1998, in Österreich ein Feiertag und der 13. und der 14. Juni ein Samstag und ein Sonntag gewesen seien und nach österreichischem Recht am größten Teil des Wochenendes und an Feiertagen für LKWs über 7, 5 t ein Fahrverbot gelte. Diese Autobahn sei die einzige für sie in Frage kommende Transitroute zwischen Deutschland und Italien. Dass die österreichischen Behörden die Versammlung nicht verboten und nichts unternommen hätten, um eine Blockade dieser Straßenverbindung zu verhindern, stelle eine Beschränkung des freien Warenverkehrs dar. Da diese Beschränkung nicht durch die Meinungsäußerungsfreiheit und das Versammlungsrecht der Demonstranten gerechtfertigt werden könne, sei sie gemeinschaftsrechtswidrig und führe zu einer Haftung des betreffenden Mitgliedstaats. Der im vorliegenden Fall entstandene Schaden der Klägerin bestehe in den Stehzeiten ihrer LKWs (50 000 ATS), den fixen Kosten für die LKW-Fahrer (5 000 ATS) und dem Verdienstausfall aufgrund von Honorarabzügen der Auftraggeber wegen der wesentlich verspäteten Transporte sowie aufgrund von entgangenen sechs Transporten zwischen Deutschland und Italien (85 000 ATS).
17. Die Beklagte beantragte Klageabweisung mit der Begründung, die Entscheidung, die angemeldete Versammlung nicht zu untersagen, sei nach sorgfältiger Prüfung der Sachlage getroffen worden, in Österreich, Deutschland und Italien sei über den Zeitpunkt der Blockade der Brenner-Autobahn vorab informiert worden und während der Dauer der Versammlung sei es zu keinen nennenswerten Verkehrsstaus oder anderen besonderen Vorkommnissen gekommen. Die Beschränkung des Warenverkehrs durch eine Demonstration sei gestattet, solange sie nicht dauerhaft und nicht schwerwiegend sei. Die Abwägung der fraglichen Interessen müsse zugunsten der Meinungsäußerungs- und der Versammlungsfreiheit ausfallen, da Grundrechte für eine demokratische Gesellschaftsordnung unabdingbar seien.
18. Das Landesgericht Innsbruck war der Auffassung, es habe nicht festgestellt werden können, dass die Klägerin am 12. und am 13. Juni 1998 mit ihren LKWs Transporte über die Brenner-Autobahn habe durchführen wollen und dass sie, nachdem sie von der Versammlung erfahren habe, nicht mehr die Möglichkeit gehabt habe, die Transportwege zu ändern, um einen Schaden zu vermeiden. Es wies die Klage mit Urteil vom 23. September 1999 ab, da die Klägerin einerseits ihre (dem österreichischen materiellen Recht zuzuordnende) Behauptungs- und Beweislast für den Eintritt des behaupteten Schadens nicht erfüllt und andererseits die (dem österreichischen Verfahrensrecht zuzuordnende) Substanziierungspflicht, nämlich die Pflicht zum vollständigen Vortrag der das gestellte Begehren begründenden Tatsachen, verletzt habe.
19. Die Klägerin legte beim Oberlandesgericht Innsbruck Berufung ein. Nach Auffassung dieses Gerichts sind bei Ansprüchen, die wie vorliegend zumindest teilweise gemeinschaftsrechtlich begründet seien, die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen.
20. Insoweit sei erstens festzustellen, ob der Grundsatz des freien Warenverkehrs etwa in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag einen Mitgliedstaat dazu verpflichte, wichtige Transitrouten freizuhalten, und ob diese Verpflichtung auch Grundrechten wie der durch die Artikel 10 und 11 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (nachstehend: EMRK) gewährleisteten Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit vorgehe.
21. Bejahendenfalls fragt sich das vorlegende Gericht zweitens, ob der so festgestellte Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinreichend qualifiziert ist, um die Haftung des Staates auszulösen. Auslegungsprobleme ergäben sich insbesondere bei der Ermittlung des Maßes an Genauigkeit und Klarheit der Artikel 5 sowie 30, 34 und 36 EG-Vertrag.
22. In Betracht komme im vorliegenden Fall eine Auslösung der Staatshaftung entweder durch legislatives Unrecht - der österreichische Gesetzgeber habe das Versammlungsrecht nicht entsprechend den Verpflichtungen, wie sie sich aus dem Gemeinschaftsrecht, insbesondere aus dem Grundsatz des freien Warenverkehrs, ergäben, angepasst - oder durch administratives Unrecht - die zuständigen Behörden hätten entsprechend der Mitwirkungs- und Treuepflicht des Artikels 5 EG-Vertrag das nationale Recht im Einklang mit den Anforderungen des EG-Vertrags auf dem Gebiet des freien Warenverkehrs auszulegen, soweit die genannten gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen unmittelbar anwendbar seien.
23. Drittens hat das vorlegende Gericht Zweifel hinsichtlich der Art und der Höhe des Staatshaftungsanspruchs. Fraglich sei, wie streng die Maßstäbe seien, die an den Nachweis des Grundes und der Höhe des durch legislative oder administrative Verletzung des Gemeinschaftsrechts zugefügten Schadens zu stellen seien, und ob ein Schadensersatzanspruch auch dann bestehe, wenn der Nachweis der Schadenshöhe nur aufgrund von pauschalen Taxen geführt werden könne.
24. Schließlich bestünden Zweifel hinsichtlich der nationalen Voraussetzungen für die Geltendmachung des Staatshaftungsanspruchs. Es sei fraglich, ob die österreichischen Vorschriften über die Behauptungs- und Beweislast und die Substanziierungspflicht dem in der Rechtsprechung entwickelten Effizienzgebot genügten, da Ansprüche, die auf gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen beruhten, nicht immer von vornherein in vollem Umfang feststünden und es für den Kläger ausgesprochen schwierig sei, alle nach österreichischem Recht notwendigen Tatsachen zutreffend anzugeben. So bestehe im vorliegenden Fall über den Haftungsanspruch dem Grunde und der Höhe nach solche Unklarheit, dass eine Vorlage zur Vorabentscheidung erforderlich sei. Nach der Argumentation des Erstgerichts könnten Ansprüche, die auf gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen beruhten, allein dadurch scheitern, dass sie auf der Grundlage nationaler Rechtsgrundsätze unter Umgehung der relevanten gemeinschaftsrechtlichen Fragen aus rein formalen Gründen abgewiesen würden.
25. Das Oberlandesgericht Innsbruck hält für die Entscheidung des Rechtsstreits die Auslegung des Gemeinschaftsrechts für erforderlich und hat dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
    1. Sind die Grundsätze des freien Warenverkehrs im Sinne der Artikel 28 ff. EG (früher Artikel 30 ff. EG-Vertrag) oder andere gemeinschaftsrechtliche Vorschriften dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat dazu verpflichtet ist, wichtige Transitrouten entweder unbedingt oder wenigstens so weit möglich und zumutbar von allen Beschränkungen und Behinderungen freizuhalten, und zwar unter anderem auch dadurch, dass eine auf einer Transitroute angemeldete Versammlung mit politischem Charakter dann nicht bewilligt werden darf oder wenigstens später aufgelöst werden muss, wenn oder sobald sie mit vergleichbarer Öffentlichkeitswirkung auch außerhalb der Transitroute abgehalten werden kann?
    2. Stellt der von einem Mitgliedstaat in seinen nationalen Vorschriften über das Versammlungsrecht und die Versammlungsfreiheit unterlassene Hinweis darauf, dass bei der Abwägung zwischen der Versammlungsfreiheit und dem öffentlichen Interesse auch die Grundsätze des Gemeinschaftsrechts, vor allem der Grundfreiheiten und hier insbesondere die Vorschriften über den freien Warenverkehr zu beachten sind, wenn deshalb eine 28 Stunden dauernde Versammlung mit politischem Charakter bewilligt und durchgeführt wird, durch welche in Verbindung mit einem schon bestehenden nationalen generellen Feiertagsverbot eine wesentliche Route des innergemeinschaftlichen Warentransports für vier Tage - mit einer kurzen Unterbrechung von wenigen Stunden - unter anderem für den größten Teil des LKW-Verkehrs gesperrt wird, einen hinreichend schweren Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, um bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Haftung des Mitgliedstaats nach den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts zu begründen?
    3. Stellt die Entscheidung einer nationalen Behörde, wonach die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, insbesondere über den freien Warenverkehr und über die allgemeine Mitwirkungs- und Treuepflicht des Artikels 10 EG (früher Artikel 5 EG-Vertrag), einer 28 Stunden dauernden Versammlung mit politischem Charakter, durch welche in Verbindung mit einem schon bestehenden nationalen generellen Feiertagsverbot eine wesentliche Route des innergemeinschaftlichen Warentransports für vier Tage - mit einer kurzen Unterbrechung von wenigen Stunden - unter anderem für den größten Teil des LKW-Verkehrs gesperrt wird, nicht entgegenstünden, so dass diese Versammlung nicht zu untersagen ist, einen hinreichend schweren Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, um bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen eine Haftung des Mitgliedstaats nach den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts zu begründen?
    4. Ist die Zielsetzung einer von der Behörde bewilligten Versammlung mit politischem Charakter, nämlich auf einen gesunden Lebensraum hinzuarbeiten und auf die gesundheitliche Gefährdung der Bevölkerung durch einen ständig steigenden LKW-Transitverkehr hinzuweisen, höherwertig einzustufen als die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts über den freien Warenverkehr im Sinne des Artikels 28 EG?
    5. Ist ein den Staatshaftungsanspruch rechtfertigender Schaden bereits dann gegeben, wenn der Geschädigte zwar sämtliche Voraussetzungen für die Erzielung eines Verdienstes nachweisen kann, im vorliegenden Fall also die Möglichkeit grenzüberschreitender Warentransporte mit von ihm betriebenen, aber durch die 28 Stunden dauernde Versammlung vier Tage stillstehenden LKWs, nicht aber den Ausfall einer konkreten Transportfahrt nachweisen kann?
    6. Im Falle der Verneinung der vierten Frage:
    Muss der Mitwirkungs- und Treueverpflichtung nationaler Behörden, insbesondere der Gerichte im Sinne des Artikels 10 EG, und dem Effizienzgrundsatz dadurch Rechnung getragen werden, dass nationale, die Geltendmachung gemeinschaftsrechtlich begründeter Ansprüche, wie hier des Staatshaftungsanspruchs, beschränkende Regeln des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts so lange nicht anzuwenden sind, bis über den Inhalt des gemeinschaftsrechtlichen Anspruchs, soweit erforderlich nach Befassung des Gerichtshofes der EG im Vorabentscheidungsverfahren, vollständige Klarheit gewonnen ist?
 
26. Die Beklagte hält die Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens für zweifelhaft und macht im Wesentlichen geltend, die Fragen des Oberlandesgerichts Innsbruck seien rein hypothetisch und im Ausgangsverfahren nicht entscheidungsrelevant.
27. Die Klage, mit der die Klägerin die Haftung eines Mitgliedstaats für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht geltend mache, setze nämlich voraus, dass die Klägerin einen tatsächlichen Schaden nachgewiesen habe, der auf dem behaupteten Verstoß beruhe.
28. Die Klägerin habe jedoch vor den beiden nacheinander mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten nationalen Gerichten nicht nachweisen können, dass ein konkreter persönlicher Schaden vorliege - durch Vortrag präziser Anhaltspunkte, um die Behauptung, ihre LKWs hätten die Brenner-Autobahn an den Tagen, an denen dort die Versammlung stattgefunden habe, für Transporte zwischen Deutschland und Italien benutzen müssen, zu untermauern - und dass sie gegebenenfalls ihrer Pflicht zur Minderung des angeblich entstandenen Schadens nachgekommen sei - durch Darlegung der Gründe, aus denen sie keinen anderen als den blockierten Weg habe wählen können.
29. Unter diesen Umständen bedürfe es keiner Antwort auf die Vorlagefragen, um dem vorlegenden Gericht eine Entscheidung zu ermöglichen; zumindest sei das Vorabentscheidungsersuchen verfrüht, solange der Sachverhalt und die einschlägigen Beweise vor dem vorlegenden Gericht nicht vollständig dargetan worden seien.
30. Hierzu ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung das in Artikel 234 EG vorgesehene Verfahren ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist, in dem der Gerichtshof diesen die Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gibt, die sie zur Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten benötigen (vgl. insbesondere Urteile vom 18. Oktober 1990 in den Rechtssachen C-297/88 und C-197/89, Dzodzi, Slg. 1990, I-3763, Randnr. 33, vom 8. November 1990 in der Rechtssache C-231/89, Gmurzynska-Bscher, Slg. 1990, I-4003, Randnr. 18, vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-83/91, Meilicke, Slg. 1992, I-4871, Randnr. 22, und vom 17. September 2002 in der Rechtssache C-413/99, Baumbast und R, Slg. 2002, I-7091, Randnr. 31).
31. Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist es Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, das allein den diesem zugrunde liegenden Sachverhalt unmittelbar kennt und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf den Einzelfall sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen, die es dem Gerichtshof vorlegt, zu beurteilen. Betreffen daher die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden (vgl. insbesondere Urteile vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 59, vom 13. März 2001 in der Rechtssache C-379/98, PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 38, vom 10. Dezember 2002 in der Rechtssache C-153/00, Der Weduwe, Slg. 2002, I-11319, Randnr. 31, sowie vom 21. Januar 2003 in der Rechtssache C-318/00, Bacardi-Martini und Cellier des Dauphins, Slg. 2003, I-905, Randnr. 41).
32. Der Gerichtshof hat jedoch auch entschieden, dass es ihm ausnahmsweise obliegt, die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil PreussenElektra, Randnr. 39). Denn der Geist der Zusammenarbeit, in dem das Vorabentscheidungsverfahren durchzuführen ist, verlangt, dass das vorlegende Gericht seinerseits die Aufgabe des Gerichtshofes beachtet, zur Rechtspflege in den Mitgliedstaaten beizutragen, nicht aber Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben (Urteile Bosman, Randnr. 60, Der Weduwe, Randnr. 32, sowie Bacardi-Martini und Cellier des Dauphins, Randnr. 42).
33. So hat sich der Gerichtshof außerstande gesehen, über eine von einem nationalen Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage zu befinden, wenn die Auslegung oder die Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Informationen verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der vorgelegten Fragen erforderlich sind (vgl. Urteile Bosman, Randnr. 61, und Bacardi-Martini und Cellier des Dauphins, Randnr. 43).
34. Vorliegend sind die Vorlagefragen nicht offensichtlich einem der in der vorstehend angeführten Rechtsprechung genannten Fälle zuzuordnen.
35. Die Klägerin begehrt nämlich mit ihrer Klage die Verurteilung der Beklagten zum Ersatz des Schadens, der ihr durch den behaupteten Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht entstanden sein und darin liegen soll, dass die österreichischen Behörden eine Versammlung, die zu einer ununterbrochenen nahezu 30-stündigen völligen Verkehrsblockade auf der Brenner-Autobahn geführt habe, nicht untersagt hätten.
36. Folglich fügt sich in diesem Zusammenhang das Ersuchen des vorlegenden Gerichts um Auslegung des Gemeinschaftsrechts unbestreitbar in den Rahmen eines zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens tatsächlich bestehenden Rechtsstreits ein, der daher nicht als hypothetisch angesehen werden kann.
37. Überdies hat das vorlegende Gericht, wie aus dem Vorlagebeschluss zu ersehen, die Gründe genau und ausführlich dargelegt, aus denen es nach seiner Auffassung für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits erforderlich ist, dem Gerichtshof bestimmte Fragen nach der Auslegung des Gemeinschaftsrechts vorzulegen, darunter namentlich die Frage nach den Beweismitteln, die zum Nachweis des von der Klägerin behaupteten Schadens zu berücksichtigen sind.
38. Zudem ergibt sich aus den Erklärungen, die die Mitgliedstaaten und die Kommission nach der Zustellung des Vorlagebeschlusses gemäß Artikel 23 der Satzung des Gerichtshofes eingereicht haben, dass diese sich auf der Grundlage der Angaben im Vorlagebeschluss zu sämtlichen Vorlagefragen sachdienlich äußern konnten.
39. Ferner geht aus Artikel 234 Absatz 2 EG klar hervor, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, darüber zu entscheiden, in welchem Verfahrensstadium es ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof richten soll (Urteil vom 10. März 1981 in den Rechtssachen 36/80 und 71/80, Irish Creamery Milk Suppliers Association u.a., Slg. 1981, 735, Randnr. 5, und vom 30. März 2000 in der Rechtssache C-236/98, JAEMO, Slg. 2000, I-2189, Randnr. 30).
40. Zudem hat das vorlegende Gericht unbestreitbar den tatsächlichen und den rechtlichen Rahmen, der seinem Ersuchen um Auslegung des Gemeinschaftsrechts zugrunde liegt, ausreichend dargelegt und dem Gerichtshof alle Informationen gegeben, die er für eine sachdienliche Beantwortung dieses Ersuchens benötigt.
41. Im Übrigen erscheint es nicht unsachgemäß, dass das vorlegende Gericht den Gerichtshof zunächst darum ersucht, zu bestimmen, welche Arten von Schäden im Rahmen der Haftung eines Mitgliedstaats wegen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht geltend gemacht werden können - und dabei insbesondere zu klären, ob allein der tatsächlich entstandene Schaden oder auch der aufgrund von pauschalen Taxen geschätzte entgangene Gewinn zu ersetzen ist sowie ob und in welchem Umfang der Geschädigte versuchen muss, diesen Schaden zu vermeiden bzw. gering zu halten -, bevor es die verschiedenen vom Gerichtshof als erheblich anerkannten konkreten Beweismittel im Rahmen der Bewertung des der Klägerin tatsächlich entstandenen Schadens würdigt.
42. Schließlich fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Rahmen einer Haftungsklage gegen einen Mitgliedstaat nicht nur nach der Voraussetzung des Bestehens eines Schadens und danach, welche Formen dieser Schaden haben kann und welche Beweisanforderungen jeweils dafür gelten, sondern hält es außerdem für geboten, mehrere Fragen zu weiteren Voraussetzungen für die Auslösung dieser Haftung zu stellen, die insbesondere dahin gehen, ob das im Ausgangsrechtsstreit fragliche Verhalten der nationalen Behörden einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht darstellt und ob dieser Verstoß zu einem Schadensersatzanspruch des angeblich Geschädigten führen kann.
43. Angesichts all dieser Überlegungen kann keine der dem Gerichtshof vorliegend gestellten Fragen als offensichtlich hypothetisch oder für die Entscheidung des vorlegenden Gerichts irrelevant angesehen werden.
44. Im Gegenteil ergibt sich aus diesen Überlegungen, dass die von diesem Gericht vorgelegten Fragen objektiv für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits, bei der es dem Urteil des Gerichtshofes Rechnung zu tragen hat, erforderlich sind und dass die Angaben, die dem Gerichtshof insbesondere im Vorlagebeschluss gemacht worden sind, es ihm ermöglichen, diese Fragen sachdienlich zu beantworten.
45. Daher ist das Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichts Innsbruck zulässig.
 
46. Vorab ist festzustellen, dass die Vorlagefragen zwei zwar miteinander zusammenhängende, aber doch unterschiedliche Probleme aufwerfen.
47. Zum einen fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof, ob die ununterbrochene nahezu 30-stündige völlige Blockade der Brenner-Autobahn unter Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits eine mit dem freien Warenverkehr unvereinbare Behinderung darstellt und daher als Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht anzusehen ist. Zum anderen betreffen die Vorlagefragen die Voraussetzungen des Haftungsanspruchs gegen einen Mitgliedstaat für Schäden, die einem Einzelnen durch einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht entstehen.
48. Hinsichtlich des letztgenannten Aspekts ersucht das vorlegende Gericht insbesondere um Erläuterung, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang unter Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht - seinen Nachweis unterstellt - hinreichend offenkundig und erheblich ist, um die Haftung des betreffenden Mitgliedstaats zu begründen. Außerdem fragt es den Gerichtshof nach der Art und dem Nachweis des Schadens, für den Ersatz verlangt werden kann.
49. Da es einer Prüfung dieses zweiten Fragenkomplexes denknotwendig nur dann bedarf, wenn die erste Frage, wie sie oben im ersten Satz der Randnummer 47 formuliert ist, bejaht worden ist, hat der Gerichtshof zunächst über die verschiedenen Aspekte zu befinden, die im Rahmen dieser ersten Frage - die im Wesentlichen Gegenstand der ersten und der vierten Vorlagefrage ist - aufgeworfen werden.
50. Diese Vorlagefragen sind angesichts des Inhalts der vom vorlegenden Gericht übermittelten Akten des Ausgangsverfahrens und der vor dem Gerichtshof abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen so zu verstehen, dass festgestellt werden soll, ob der Umstand, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats eine Versammlung mit im Wesentlichen umweltpolitischer Zielsetzung, die zu einer ununterbrochenen nahezu 30-stündigen völligen Blockade einer wichtigen Verkehrsverbindung wie der Brenner-Autobahn führte, nicht untersagten, eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des in den Artikeln 30 und 34 EG-Vertrag gegebenenfalls in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag verankerten grundlegenden Prinzips des freien Warenverkehrs darstellt.
Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Warenverkehrs
 
51. Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der freie Warenverkehr einer der tragenden Grundsätze der Gemeinschaft ist.
52. So bestimmt Artikel 3 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 EG), der im Ersten Teil ("Grundsätze") des Vertrages steht, in Buchstabe c, dass die Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 dieses Vertrages einen Binnenmarkt umfasst, der durch die Beseitigung der Hindernisse u.a. für den freien Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist.
53. Artikel 7a EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 14 EG) sieht in Absatz 2 vor, dass der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen umfasst, in dem der freie Verkehr von Waren gemäß den Bestimmungen dieses Vertrages gewährleistet ist.
54. Dieser tragende Grundsatz wird durch die Artikel 30 und 34 EG-Vertrag umgesetzt.
55. Insbesondere sind nach Artikel 30 mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Desgleichen sind nach Artikel 34 zwischen den Mitgliedstaaten mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung verboten.
56. Nach ständiger Rechtsprechung seit dem Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74 (Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5) bedeutet dies nach dem Kontext dieser Bestimmungen, dass alle unmittelbaren oder mittelbaren, tatsächlichen oder potenziellen Beeinträchtigungen der Handelsströme innerhalb der Gemeinschaft beseitigt werden sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Dezember 1997 in der Rechtssache C-265/95, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-6959, Randnr. 29).
57. So hat der Gerichtshof insbesondere entschieden, dass Artikel 30 EG-Vertrag, da er für die Verwirklichung des Marktes ohne Binnengrenzen unabdingbar ist, nicht nur Maßnahmen verbietet, die auf den Staat zurückgehen und selbst Beschränkungen für den Handel zwischen den Mitgliedstaaten schaffen, sondern auch dann Anwendung finden kann, wenn ein Mitgliedstaat nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um gegen Beeinträchtigungen des freien Warenverkehrs einzuschreiten, deren Ursachen nicht auf den Staat zurückgehen (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 30).
58. Der innergemeinschaftliche Handelsverkehr kann nämlich ebenso wie durch eine Handlung dadurch beeinträchtigt werden, dass ein Mitgliedstaat untätig bleibt oder es versäumt, ausreichende Maßnahmen zur Beseitigung von Hemmnissen für den freien Warenverkehr zu treffen, die insbesondere durch Handlungen von Privatpersonen in seinem Gebiet geschaffen wurden, die sich gegen Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten richten (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 31).
59. Folglich verbieten die Artikel 30 und 34 EG-Vertrag den Mitgliedstaaten nicht nur eigene Handlungen oder Verhaltensweisen, die zu einem Handelshemmnis führen könnten, sondern verpflichten sie in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag auch dazu, alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um in ihrem Gebiet die Beachtung dieser Grundfreiheit sicherzustellen (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 32). Nach Artikel 5 EG-Vertrag sind die Mitgliedstaaten nämlich verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen zu treffen, die sich aus dem Vertrag ergeben, und alle Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Ziele des Vertrages gefährden könnten.
60. Angesichts der grundlegenden Bedeutung des freien Warenverkehrs im System der Gemeinschaft und insbesondere für das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes besteht diese Verpflichtung jedes Mitgliedstaats, den freien Warenverkehr in seinem Gebiet zu gewährleisten, indem er die erforderlichen und geeigneten Maßnahmen ergreift, um gegen Beeinträchtigungen durch Handlungen von Privatpersonen einzuschreiten, unabhängig davon, ob diese Handlungen die Einfuhr, die Ausfuhr oder die bloße Durchfuhr von Waren betreffen.
61. Wie nämlich aus Randnummer 53 des Urteils Kommission/Frankreich hervorgeht, betraf die diesem Urteil zugrunde liegende Rechtssache nicht nur die Einfuhr nach, sondern auch die Durchfuhr von aus anderen Mitgliedstaaten stammenden Waren durch Frankreich.
62. Folglich haben die zuständigen nationalen Stellen, wenn sie in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren streitigen damit konfrontiert sind, dass eine im Vertrag verankerte Grundfreiheit wie der freie Warenverkehr durch Handlungen von Privatpersonen beeinträchtigt wird, auch dann angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um diese Freiheit im betreffenden Mitgliedstaat zu gewährleisten, wenn sich diese Waren wie im Ausgangsrechtsstreit nur auf der Durchfuhr durch Österreich nach Italien oder nach Deutschland befinden.
63. Zudem kommt dieser Verpflichtung der Mitgliedstaaten besondere Bedeutung zu, wenn es um eine wichtige Straßenverbindung wie die Brenner-Autobahn geht, die eine der Hauptrouten des Überland-Handelsverkehrs zwischen Nordeuropa und Norditalien ist.
64. Aus alldem ist zu folgern, dass der Umstand, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats eine Versammlung, die zu einer ununterbrochenen nahezu 30-stündigen völligen Blockade einer wichtigen Verkehrsverbindung wie der Brenner-Autobahn führte, nicht untersagten, eine Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs darstellen kann und daher als Maßnahme gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen anzusehen ist, die grundsätzlich mit den gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen, die sich aus den Artikeln 30 und 34 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag ergeben, unvereinbar ist, sofern die Nichtuntersagung nicht objektiv gerechtfertigt werden kann.
Zur Frage einer Rechtfertigung der Beeinträchtigung
 
65. Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Zielsetzung der Versammlung vom 12. und 13. Juni 1998 - mit der die Demonstranten auf die Gefährdung der Umwelt und der Gesundheit durch einen ständig steigenden Schwerlastverkehr auf der Brenner-Autobahn hinweisen und die zuständigen Stellen veranlassen wollten, die Maßnahmen zur Verringerung dieses Verkehrs und der dadurch verursachten Umweltbelastung der hochempfindlichen Alpenregion zu verstärken - die gemeinschaftlichen Verpflichtungen im Bereich des freien Warenverkehrs verdrängen kann.
66. Auch wenn jedoch der Schutz der Umwelt und der Gesundheit der Bevölkerung insbesondere in dieser Region unter bestimmten Umständen ein dem Allgemeininteresse dienendes legitimes Ziel darstellen kann, das geeignet ist, eine Beschränkung der durch den Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten, zu denen der freie Warenverkehr gehört, zu rechtfertigen, ist hervorzuheben, wie dies der Generalanwalt in Nummer 54 seiner Schlussanträge getan hat, dass die spezifischen Ziele dieser Versammlung als solche im Rahmen einer Klage wie derjenigen der Klägerin auf Haftung eines Mitgliedstaats wegen eines angeblichen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht nicht erheblich sind, da dieser Verstoß aus dem Umstand hergeleitet wird, dass die nationalen Stellen die Behinderung des Verkehrs auf der Brenner-Autobahn nicht verhinderten.
67. Für die Beurteilung der Voraussetzungen eines Haftungsanspruchs gegen einen Mitgliedstaat und insbesondere für die Frage, ob dieser gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen hat, ist nämlich allein das Handeln oder Unterlassen dieses Mitgliedstaats in Betracht zu ziehen.
68. Hier ist daher allein das Ziel zu berücksichtigen, das die nationalen Stellen mit der stillschweigend erteilten Genehmigung bzw. der Nichtuntersagung dieser Versammlung verfolgten.
69. Dazu ergibt sich aus den Akten des Ausgangsverfahrens, dass sich die österreichischen Behörden von Überlegungen leiten ließen, die mit der Achtung der Grundrechte der Demonstranten auf Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit zusammenhängen, die in der EMRK und der österreichischen Verfassung verankert und durch diese gewährleistet sind.
70. Das vorlegende Gericht wirft in seinem Vorlagebeschluss außerdem die Frage auf, ob der im EG-Vertrag verankerte Grundsatz des freien Warenverkehrs diesen Grundrechten vorgeht.
71. Insoweit ist daran zu erinnern, dass die Grundrechte nach ständiger Rechtsprechung zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Dabei lässt sich der Gerichtshof von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hierbei kommt der EMRK besondere Bedeutung zu (vgl. insbesondere Urteile vom 18. Juni 1991 in der Rechtssache C-260/89, ERT, Slg. 1991, I-2925, Randnr. 41, vom 6. März 2001 in der Rechtssache C-274/99 P, Connolly/Kommission, Slg. 2001, I-1611, Randnr. 37, und vom 22. Oktober 2002 in der Rechtssache C-94/00, Roquette Frères, Slg. 2002, I-9011, Randnr. 25).
72. Die in dieser Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätze sind durch die Präambel der Einheitlichen Europäischen Akte und sodann durch Artikel F Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union erneut bekräftigt worden (Urteil Bosman, Randnr. 79). Diese Bestimmung lautet wie folgt: "Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben."
73. Daraus folgt, dass in der Gemeinschaft keine Maßnahmen als rechtens anerkannt werden können, die mit der Beachtung der so anerkannten und gewährleisteten Menschenrechte unvereinbar sind (vgl. insbesondere Urteile ERT, Randnr. 41, und vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-299/95, Kremzow, Slg. 1997, I-2629, Randnr. 14).
74. Da die Grundrechte demnach sowohl von der Gemeinschaft als auch von ihren Mitgliedstaaten zu beachten sind, stellt der Schutz dieser Rechte ein berechtigtes Interesse dar, das grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung von Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht, auch kraft einer durch den Vertrag gewährleisteten Grundfreiheit wie dem freien Warenverkehr, bestehen.
75. So hat der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung im Vorabentscheidungsverfahren dann, wenn wie im Ausgangsverfahren eine innerstaatliche Situation in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fällt, den nationalen Gerichten alle Auslegungshinweise zu geben, die diese benötigen, um beurteilen zu können, ob die Grundrechte, deren Wahrung der Gerichtshof sichert und wie sie sich insbesondere aus der EMRK ergeben, in dieser Situation beachtet sind (vgl. in diesem Sinne insbesondere Urteil vom 30. September 1987 in der Rechtssache 12/86, Demirel, Slg. 1987, 3719, Randnr. 28).
76. Hier haben die staatlichen Stellen geltend gemacht, die Notwendigkeit der Achtung der durch die EMRK und die Verfassung des betreffenden Mitgliedstaats gewährleisteten Grundrechte erlaube es, eine im Vertrag verankerte Grundfreiheit zu beschränken.
77. Die vorliegende Rechtssache wirft somit die Frage auf, wie die Erfordernisse des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaft mit den aus einer im Vertrag verankerten Grundfreiheit fließenden Erfordernissen in Einklang gebracht werden können, und insbesondere die Frage, welche Tragweite die durch die Artikel 10 und 11 EMRK gewährleistete Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit und der Grundsatz des freien Warenverkehrs jeweils haben, wenn die erstgenannten Freiheiten als Rechtfertigung für eine Beschränkung des letztgenannten Grundsatzes herangezogen werden.
78. Hierzu ist zum einen festzustellen, dass der freie Warenverkehr zwar eines der Grundprinzipien des Systems des EG-Vertrags darstellt, dass er aber unter bestimmten Voraussetzungen aus den in Artikel 36 dieses Vertrages aufgezählten Gründen oder aufgrund zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses, wie sie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung seit dem Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78 (Rewe-Zentral, "Cassis de Dijon", Slg. 1979, 649) anerkennt, beschränkt werden kann.
79. Zum anderen sind die Grundrechte, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, zwar ausdrücklich durch die EMRK anerkannt und stellen wesentliche Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft dar, doch können, wie sich aus dem Wortlaut des jeweiligen Absatzes 2 der Artikel 10 und 11 EMRK ergibt, auch die Meinungsäußerungs- und die Versammlungsfreiheit bestimmten durch Ziele des Allgemeininteresses gerechtfertigten Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Ausnahmen gesetzlich vorgesehen, von einem oder mehreren nach diesen Bestimmungen berechtigten Zielen getragen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind, d.h. durch ein zwingendes gesellschaftliches Bedürfnis gerechtfertigt sind und insbesondere in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten berechtigten Ziel stehen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Juni 1997 in der Rechtssache C-368/95, Familiapress, Slg. 1997, I-3689, Randnr. 26, und vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-60/00, Carpenter, Slg. 2002, I-6279, Randnr. 42, sowie EGMR, Urteil Steel u.a./Vereinigtes Königreich vom 23. September 1998, Recueil des arrets et dcisions 1998-VII, § 101).
80. So können auch das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht, sich friedlich zu versammeln, die durch die EMRK gewährleistet sind - anders als andere durch diese Konvention gewährleistete Grundrechte wie das Recht jedes Menschen auf Leben oder das Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe, die keinerlei Beschränkung unterliegen -, keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich kann die Ausübung dieser Rechte Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den mit den Beschränkungen verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die geschützten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. April 1992 in der Rechtssache C-62/90, Kommission/Deutschland, Slg. 1992, I-2575, Randnr. 23, und vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-404/92 P, X/Kommission, Slg. 1994, I-4737, Randnr. 18).
81. Demgemäß sind die bestehenden Interessen abzuwägen, und es ist anhand sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls festzustellen, ob das rechte Gleichgewicht zwischen diesen Interessen gewahrt worden ist.
82. In dieser Hinsicht verfügen die zuständigen Stellen über ein weites Ermessen. Dennoch ist zu prüfen, ob die Beschränkungen, denen der innergemeinschaftliche Handel unterworfen wurde, in einem angemessenen Verhältnis zu dem berechtigten Ziel stehen, das mit ihnen verfolgt wird, hier dem Schutz der Grundrechte.
83. Zum Ausgangsrechtsstreit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die ihn kennzeichnenden Umstände sich eindeutig von der Situation unterscheiden, wie sie in der Rechtssache vorlag, die zum Urteil Kommission/Frankreich führte, das die Klägerin im Kontext ihrer in Österreich erhobenen Klage als Präzedenzfall angeführt hat.
84. Gegenüber den Tatsachen, von denen der Gerichtshof in den Randnummern 38 bis 53 des Urteils Kommission/Frankreich ausgegangen ist, ist nämlich erstens festzustellen, dass die im Ausgangsrechtsstreit fragliche Versammlung stattfand, nachdem gemäß dem nationalen Recht ein Antrag auf Genehmigung eingereicht worden war und die zuständigen Stellen beschlossen hatten, sie nicht zu untersagen.
85. Zweitens wurde durch die Anwesenheit der Demonstranten auf der Brenner-Autobahn der Straßenverkehr auf einer einzigen Strecke, ein einziges Mal und für nahezu 30 Stunden blockiert. Überdies war die Behinderung des freien Warenverkehrs durch diese Versammlung gegenüber der geografischen Ausdehnung und der Schwere der Unruhen, um die es in der dem Urteil Kommission/Frankreich zugrunde liegenden Rechtssache ging, von begrenzter Tragweite.
86. Drittens ist unstreitig, dass es sich um eine Versammlung handelte, mit der Bürger ihre Grundrechte ausübten und bei der sie eine ihnen im öffentlichen Leben wichtig erscheinende Meinung äußerten; außerdem steht fest, dass diese öffentliche Demonstration nicht den Zweck hatte, den Handel mit Waren einer bestimmten Art oder Herkunft zu beeinträchtigen. Dagegen hatten die Demonstranten in der Rechtssache Kommission/Frankreich eindeutig den Zweck verfolgt, den Verkehr mit bestimmten Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten als der Französischen Republik zu unterbinden, indem sie nicht nur den Transport der fraglichen Erzeugnisse behinderten, sondern diese während des Transports nach bzw. durch Frankreich und sogar dann noch zerstörten, als sie bereits in Geschäften im betroffenen Mitgliedstaat auslagen.
87. Viertens ist festzustellen, dass die zuständigen Stellen im vorliegenden Fall verschiedene Rahmen- und Begleitmaßnahmen getroffen hatten, um die Störungen des Straßenverkehrs möglichst gering zu halten. So waren sie insbesondere zusammen mit Polizeikräften, den Veranstaltern der Demonstration und verschiedenen Automobilclubs bestrebt, einen ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung zu gewährleisten. Bereits lange vor dem dafür vorgesehenen Termin waren mit Hilfe der Medien und der Automobilclubs eine groß angelegte Informationskampagne in Österreich und den angrenzenden Ländern gestartet und verschiedene Ausweichstrecken vorgeschlagen worden, so dass die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer über die Verkehrsbeschränkungen am vorgesehenen Versammlungsort und -termin angemessen informiert waren und rechtzeitig disponieren konnten, um diesen Beschränkungen zu begegnen. Zudem war am Versammlungsort ein Ordnungsdienst eingerichtet worden.
88. Im Übrigen steht fest, dass die isolierte Aktion, um die es geht, im Gegensatz zu den schweren und wiederholten Störungen der öffentlichen Ordnung in der dem Urteil Kommission/Frankreich zugrunde liegenden Rechtssache keine allgemeine Atmosphäre der Unsicherheit schuf, die sich auf die gesamten Handelsströme nachteilig ausgewirkt hätte.
89. Schließlich ist, was die anderen von der Klägerin im Hinblick auf diese Versammlung genannten Möglichkeiten angeht, angesichts des weiten Ermessens, über das die Mitgliedstaaten verfügen, davon auszugehen, dass die nationalen Stellen unter solchen Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits annehmen durften, dass ein schlichtes Verbot der Versammlung einen nicht hinnehmbaren Eingriff in die Grundrechte der Demonstranten, sich zu versammeln und ihre Meinung friedlich öffentlich zu äußern, dargestellt hätte.
90. Strengere Auflagen hinsichtlich des Ortes der fraglichen Versammlung - z.B. neben der Brenner-Autobahn - wie ihrer Dauer - nur wenige Stunden - hätten als übermäßige Beschränkung wahrgenommen werden können, die der Aktion einen wesentlichen Teil ihrer Wirkung hätte nehmen können. Zwar müssen die zuständigen nationalen Stellen bestrebt sein, die mit einer Demonstration auf öffentlichen Straßen verbundenen unausbleiblichen Auswirkungen auf die Freiheit des Verkehrs möglichst gering zu halten, doch haben sie dieses Interesse gegenüber dem der Demonstranten, die öffentliche Meinung auf die Ziele ihrer Aktion aufmerksam zu machen, abzuwägen.
91. Zwar bringt eine derartige Aktion gewöhnlich für unbeteiligte Personen bestimmte Nachteile mit sich, insbesondere was die Freiheit des Verkehrs angeht, doch können diese grundsätzlich hingenommen werden, wenn damit im Wesentlichen der Zweck verfolgt wird, auf rechtmäßige Weise eine Meinung öffentlich zu äußern.
92. Die Beklagte hat hierzu unwidersprochen vorgetragen, dass alle denkbaren Ersatzlösungen die Gefahr schwer beherrschbarer Reaktionen mit sich gebracht hätten, die möglicherweise ungleich schwerer wiegende Störungen des innergemeinschaftlichen Handels und der öffentlichen Ordnung verursacht hätten, etwa in Form von "wilden" Demonstrationen, Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern der betreffenden Protestbewegung oder Gewalttaten von Demonstranten, die sich in der Ausübung ihrer Grundrechte beeinträchtigt fühlten.
93. Daher konnten die nationalen Stellen angesichts des weiten Ermessens, das ihnen auf diesem Gebiet zusteht, vernünftigerweise annehmen, dass das mit der Versammlung in legitimer Weise verfolgte Ziel im vorliegenden Fall nicht durch Maßnahmen erreicht werden konnte, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränkt hätten.
94. Nach alledem ist daher auf die erste und die vierte Frage zu antworten, dass der Umstand, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats eine Versammlung unter Umständen wie denjenigen des Ausgangsrechtsstreits nicht untersagten, nicht mit den Artikeln 30 und 34 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag unvereinbar ist.
Zu den Voraussetzungen der Haftung des Mitgliedstaats
 
95. Aus der Antwort auf die erste und die vierte Frage ergibt sich, dass den zuständigen nationalen Behörden in Anbetracht sämtlicher Umstände einer Rechtssache wie der beim vorlegenden Gericht anhängigen kein Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht vorgeworfen werden kann, der geeignet wäre, die Haftung des betreffenden Mitgliedstaats auszulösen.
96. Demnach ist über die anderen Fragen, die zu bestimmten Voraussetzungen der Haftung eines Mitgliedstaats für einem Einzelnen durch Verstöße dieses Mitgliedstaats gegen Gemeinschaftsrecht entstandene Schäden gestellt worden sind, nicht zu entscheiden.
 
Kosten
 
97. Die Auslagen der österreichischen, der griechischen, der italienischen, der niederländischen und der finnischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof auf die ihm vom Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 1. Februar 2000 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Der Umstand, dass die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats eine Versammlung unter Umständen wie denjenigen des Ausgangsrechtsstreits nicht untersagten, ist nicht mit den Artikeln 30 und 34 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 29 EG) in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG) unvereinbar.
 
Rodriguez Iglesias, Puissochet, Wathelet, Schintgen, Gulmann, Edward, Jann, Skouris, Macken, Colneric, von Bahr, Cunha Rodrigues, Rosas
 
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Juni 2003.
R. Grass (Der Kanzler), G. C. Rodriguez Iglesias (Der Präsident)