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Regeste
Sachverhalt
Aus den Erwägungen:
3. Anlass zur Beschwerde gibt die Anfechtungsklage gemäss Ar ...
4. Die Beschwerdeführerin stellt die Zuständigkeit des  ...
5. Die Beschwerdeführerin macht für den Fall, dass (wie ...
6. Die Beschwerdeführerin kritisiert sodann, dass das Oberge ...
7. Die Beschwerdeführerin kritisiert schliesslich, dass das  ...
8. Nach dem Dargelegten ist für die vorliegende Klage - wie  ...
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55. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. Schweizerische Eidgenossenschaft gegen A. AG in Nachlassliquidation (Beschwerde in Zivilsachen)
 
 
5A_243/2016 vom 12. Juni 2017
 
 
Regeste
 
Art. 285 ff. SchKG; Art. 1 lit. c, Art. 5 Abs. 1 lit. f ZPO; Anfechtungsklage gegen den Bund für bezahlte Mineralölsteuern.
 
 
Sachverhalt
 
BGE 143 III 395 (395)A.
A.a Am 16. Januar 2012 überwies die A. AG, mit Sitz in U., der Schweizerischen Eidgenossenschaft den Betrag von Fr. 77'947'760.- zur Bezahlung der Schweizer Mineralölsteuer (Mineralölsteuer, Mineralölsteuerzuschlag und CO2-Abgabe).
A.b Einige Tage später - am 25. Januar 2012 - beantragte die A. AG die Nachlassstundung, die am 27. Januar 2012 provisorisch und am 27. März 2012 definitiv bewilligt wurde. In der Folge wurde am 18. Februar 2013 der Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung gerichtlich bestätigt.
A.c Die Liquidatoren der A. AG in Nachlassliquidation verlangten am 19. Dezember 2014 und 17. Februar 2015 von der Schweizerischen Eidgenossenschaft, Oberzolldirektion, die Rückzahlung der im Januar 2012 bezahlten Mineralölsteuern und vorsorglich denBGE 143 III 395 (395) BGE 143 III 395 (396)Erlass einer anfechtbaren Verfügung über den geltend gemachten paulianischen Anfechtungsanspruch. Gleichzeitig sei das Verfahren zu sistieren, da bis am nächsten Tag, dem 18. Februar 2015, beim Obergericht des Kantons Bern die Anfechtungsklage anhängig gemacht werde.
A.d Am 18. Februar 2015 erhob die A. AG in Nachlassliquidation paulianische Anfechtungsklage gegen die Schweizerische Eidgenossenschaft beim Obergericht des Kantons Bern mit dem Antrag, die Beklagte sei zu verpflichten, ihr Fr. 77'947'760.- nebst Zinsen zu bezahlen.
A.e Mit Verfügung vom 18. September 2015 stellte die Oberzolldirektion fest, dass die Mineralölsteuer (mit Zuschlag und Abgabe) für die Periode vom Dezember 2011 Fr. 77'947'760.35 beträgt und wies den Antrag auf Rückzahlung ab. Die Einsprache wurde am 29. Januar 2016 abgewiesen.
B. Das Obergericht des Kantons Bern beschränkte das Verfahren auf die Zuständigkeit zur Beurteilung der Anfechtungsklage. Mit Zwischenentscheid vom 18. Februar 2016 trat das Obergericht auf die Klage ein.
C. Die Schweizerischen Eidgenossenschaft, Oberzolldirektion, hat am 1. April 2016 Beschwerde in Zivilsachen erhoben. Die Beschwerdeführerin verlangt, der Zwischenentscheid des Obergerichts des Kantons Bern sei aufzuheben und auf die Klage der A. AG in Nachlassliquidation (Beschwerdegegnerin) sei nicht einzutreten. (...)
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde antragsgemäss gut.
(Auszug)
 
BGE 143 III 395 (397)3.2 Streitgegenstand kann gemäss Anfechtungsobjekt (Eintretensentscheid) einzig die Zuständigkeit des Obergerichts zur Beurteilung der Anfechtungsklage gemäss Art. 285 ff. SchKG sein. Soweit die Beschwerdeführerin vorbringt, im konkreten Fall seien die Voraussetzungen, dass die bezahlten Mineralölsteuern nach Art. 288 SchKG (Absichtsanfechtung) anfechtbar seien, nicht erfüllt, trifft sie Ausführungen in der Sache. Darauf ist nicht einzugehen.
4.1 Die Beschwerdeführerin gibt zutreffend wieder, dass nach der Formulierung in Rechtsprechung und Lehre die anfechtbaren Handlungen ihre "zivilrechtliche" Gültigkeit behalten, aber vollstreckungsrechtlich unbeachtlich sind (BGE 135 III 265 E. 3 S. 268; AMONN/WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 52 Rz. 2), und dass die Botschaft vom 8. Mai 1991 zur Änderung des SchKG die Wirkung der erfolgreichen Anfechtung in gleicher Weise umschrieben hat (BBl 1991 III 1, 176 Ziff. 209.1). Oft wird indes nur allgemein von der Gültigkeit des "Rechtsaktes"BGE 143 III 395 (397) BGE 143 III 395 (398)gesprochen (PETER, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 7, 10 zu Art. 285 SchKG). Der Begriff der "Rechtshandlung" des Schuldners wird ebenfalls im weitesten Sinn des Wortes verstanden (BGE 95 III 83 E. 4a S. 86). Zuletzt hat das Bundesgericht in einem Urteil aus dem laufenden Jahr die Anfechtung der Bezahlung von Arbeitgeber-Beiträgen gestützt auf das Bundesgesetz vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; SR 831.10) in einem Fall beurteilt, in welchem für diese privilegierten Forderungen (Art. 219 Abs. 1 lit. b SchKG) eine Schädigung anderer Gläubiger unbestritten war. Für die Bezahlung der Beiträge - eine dem öffentlichen Recht unterstehende Rechtshandlung - wurde erwogen, dass die gesetzliche Pflicht zur Bezahlung dieser Forderungen die Anfechtbarkeit nach Art. 288 SchKG nicht ausschliesst (Urteil 5A_316/2016 vom 14. März 2017 E. 3, 4.4). Sodann wird in der Lehre erwähnt, dass auch gegen den Fiskus eine Anfechtungsklage angestrengt werden kann (BLUMENSTEIN/LOCHER, System des schweizerischen Steuerrechts, 7. Aufl. 2016, S. 620; RIGOT, Le recouvrement forcé des créances de droit public selon le droit de poursuite pour dettes et la faillite, 1991, S. 409).
BGE 143 III 395 (398)
BGE 143 III 395 (399)4.3 Vom Fehlen einer verbindlichen bundesgesetzlichen Grundlage zur vorliegenden Anfechtung kann nicht die Rede sein. Aus der von der Beschwerdeführerin erwähnten Motion 03.3226 "Rückerstattung der Mineralölsteuer bei Insolvenz" (erledigt durch Abschreibung am 17. Juni 2005) kann sie nichts anderes ableiten. Soweit die Beschwerdeführerin allein aus dem Umstand, dass die angefochtene Rechtshandlung (Bezahlung von Steuern) dem öffentlichen Recht untersteht und sich gegen den Fiskus richtet, den gerichtlichen Rechtsweg ausschliessen will, gehen ihre Vorbringen fehl.
5.3 Der Anfechtungsanspruch steht sodann der Liquidationsmasse bzw. Gläubigergesamtheit, nicht dem Schuldner zu; der Anspruch entsteht überhaupt erst mit der Bildung der Liquidationsmasse (JUNOD MOSER/GAILLARD, in: Commentaire romand, Poursuite et faillite, 2005, N. 9 zu Art. 331 SchKG; BAUER/HARI/JEANNERET/WÜTHRICH, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 2. Aufl. 2010, N. 3 zu Art. 331 SchKG). Unzutreffend ist daher, wenn die Beschwerdeführerin meint, es gehe insoweit um ein Hoheitsverhältnis mit Bezug zur Nachlassschuldnerin. Die Tatbestände nach Art. 285 ff. SchKG dienen der Verwirklichung der Gläubigerinteressen; auch der Bund als Anfechtungskläger kann (und muss) seine Interessen in gleicher Weise wahrnehmen (BGE 135 III 513 ff.). Da Funktion der Anfechtung die Wiederherstellung der Exekutionsrechte der Gläubiger ist und die materielle Gültigkeit der angefochtenen Rechtshandlung nicht beurteilt werden muss oder beeinflusst wird (vgl. PETER, a.a.O., N. 10 zu Art. 285 SchKG; AMONN/WALTHER, a.a.O., § 52 Rz. 2), liegt der Schwerpunkt auf der zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsfolge (Sanktion) von Rechtshandlungen mit Bezug auf das Schuldnervermögen (vgl. BGE 141 III 527 E. 2.3.3 S. 532). Darin unterscheidet sich der allfällige Anfechtungsanspruch betreffend die Zahlung von Mineralölsteuern nicht von einer anderen Klage nach Art. 285 ff. SchKG. Mit Blick auf die Natur der Anfechtung ist kein Grund ersichtlich, um eine Klage gegen den Fiskus nicht wie andere Anfechtungsklagen zu betrachten. Die gegen die Beschwerdeführerin erhobene Anfechtungsklage ist vom Richter als gerichtliche Angelegenheit des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts im Verfahren gemäss ZPO zu behandeln (Art. 289 SchKG, Art. 1 lit. c ZPO). Der obergerichtliche Eintretensentscheid, welcher auch der Beschwerde in Zivilsachen unterliegt (Art. 72 Abs. 2 lit. a BGG), ist insoweit mit Bundesrecht vereinbar.
BGE 143 III 395 (401)6.1 Gemäss Art. 59 Abs. 2 lit. d ZPO tritt das Gericht auf eine Klage oder ein Gesuch ein, wenn die Sache nicht anderweitig rechtshängig ist. Vorliegend kann von wirksamer Rechtshängigkeit gemäss ZPO, auf welche sich die Beschwerdeführerin beruft, nicht gesprochen werden. Es geht nicht darum, dass widersprüchliche (Anfechtungs-) Urteile verhindert werden, sondern um die Rechtswegzuständigkeit, d.h. ob der Anfechtungsanspruch gegen den Fiskus im Zivilverfahren zu beurteilen ist.
7.3 Die Botschaft zur ZPO hält fest, dass es sich bei den Klagen gemäss Art. 5 Abs. 1 lit. f ZPO um Klagen handle, für die nicht der direkte Prozess gemäss "Art. 41 OG bzw. Art. 120 BGG" vorBGE 143 III 395 (402) BGE 143 III 395 (403)Bundesgericht anwendbar ist (Botschaft vom 28. Juni 2006 zur ZPO, BBl 2006 7221, 7260 Ziff. 5.2.1), ohne dass der Entwurf Anlass zu Bemerkungen in der parlamentarischen Beratung gegeben hätte. Der Grund für den "doppelten" Hinweis liegt darin, dass im Zeitpunkt der Botschaft der Art. 41 OG ("Direkte Prozesse", in der seit 1. Januar 2001 in Kraft stehenden Fassung) noch bis 31. Dezember 2006 galt, und dass Art. 120 BGG ("Klage") mit dem Bundesgerichtsgesetz vom 17. Juni 2005 bereits verabschiedet war.
7.4 Zweck von Art. 5 Abs. 1 ZPO bzw. der Zuweisung der Zuständigkeit an eine einzige kantonale Instanz ist die Materie (und die damit verbundene Konzentration von rechtlichem und fachlichem Wissen), und die Prozessbeschleunigung (vgl. HOFMANN/LÜSCHER, a.a.O.). Allerdings sieht bereits das BGG das Prinzip der double instance vor, wonach die Vorinstanzen des Bundesgerichts grundsätzlich als Rechtsmittelinstanzen entscheiden (Art. 75 Abs. 2 BGG); an diesem Prinzip hat die ZPO nichts geändert (Botschaft zur ZPO, a.a.O., S. 7259 zu Art. 4). Ausnahmen müssen in einem Bundesgesetz - wie in Art. 5 ZPO - vorgesehen sein (Art. 75 Abs. 2 lit. a-c BGG), welche den verminderten Rechtsschutz sowie die zusätzlicheBGE 143 III 395 (403)BGE 143 III 395 (404)Belastung des Bundesgerichts rechtfertigen (CORBOZ, in: Commentaire LTF, 2. Aufl. 2014, N. 49, 51j zu Art. 74 BGG; vgl. Botschaft vom 28. Februar 2001 zur Totalrevision der Bundesrechtspflege, BBl 2001 4202, 4306 ff. Ziff. 4.1.3.1 insb. 4310 f. zu Art. 71). Derartige Gründe sind für die paulianische Anfechtungsklage gegen den Bund nicht ersichtlich, ebenso wenig für andere inzidente Klagen des SchKG. Der Hinweis auf Art. 41 OG bzw. Art. 120 BGG und insbesondere das Prinzip der double instance legen nahe, die paulianische Anfechtungsklage gegen den Bund nicht als "Klage gegen den Bund" im Sinne von Art. 5 Abs. 1 lit. f ZPO zu verstehen.