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Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 9C_21/2021 vom 14.01.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
9C_21/2021
 
 
Urteil vom 14. Januar 2022
 
 
II. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Parrino, Präsident,
 
Bundesrichter Stadelmann,
 
Bundesrichterin Moser-Szeless,
 
Gerichtsschreiber Grünenfelder.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Advokat Dr. Axel Delvoigt,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
Pensionskasse Post, Viktoriastrasse 72, 3013 Bern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Berufliche Vorsorge,
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 19. November 2020 (200 20 277 BV).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a. Die am 26. Juni 1935 geborene A.________ bezog seit dem Tod ihres Ehegatten Ende Juli 1988 eine Witwenrente der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), eine Hinterlassenenrente der Unfallversicherung sowie eine von der Eidgenössischen Versicherungskasse (EVK) respektive ab 1. Januar 1995 von der Pensionskasse des Bundes (nachfolgend: PKB) ausbezahlte Ehegatten- bzw. Witwenrente aus beruflicher Vorsorge (BVG). Letztere wurde infolge Überversicherung gekürzt. Ab 1. Juli 1997 erhielt A.________ zudem die ordentliche AHV-Altersrente.
A.b. Per 1. Januar 2002 übernahm die Pensionskasse Post (nachfolgend: PK Post) die aktiven Versicherten und Rentenbezüger der Schweizerischen Post von der PKB und damit die Ausrichtung der entsprechenden BVG-Ehegattenrenten. Am 29. Januar 2019 informierte sie A.________, eine Überprüfung ihres Rentendossiers habe ergeben, dass fälschlicherweise die AHV-Altersrente in die Überversicherungsberechnung miteinbezogen worden sei. Dies führe zur Nachzahlung zu viel gekürzter Leistungen von insgesamt Fr. 26'454.- (vom 1. Februar 2014 bis 31. Januar 2019), wobei die gesetzliche und reglementarische fünfjährige Verjährungsfrist zu beachten sei. Demgegenüber liess A.________ den Standpunkt vertreten, die PK Post habe von Anfang an über sämtliche relevanten Informationen verfügt und könne sich daher nicht auf den Verjährungseintritt berufen. Somit seien (auch) die vor Februar 2014 liegenden ungerechtfertigten Rentenkürzungen zurückzuerstatten. Nach weiterer Korrespondenz hielt die PK Post unter Hinweis auf die bereits durchgeführte Leistungsnachzahlung an ihrer Auffassung fest (Schreiben vom 18. Dezember 2019).
B.
Am 9. April 2020 liess A.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern Klage erheben und beantragen, die PK Post sei zu verpflichten, die vom 1. Juli 1997 bis 31. Januar 2014 vorgenommenen Kürzungen der Witwenrente zuzüglich Zins von 5 % spätestens seit Klageeinreichung nachzuzahlen. Mit Urteil vom 19. November 2020 wies das kantonale Gericht die Klage ab.
C.
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen, die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragen und das vorinstanzliche Klagebegehren erneuern; eventualiter sei die Angelegenheit zu weiterer Abklärung und neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die PK Post schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf eine Vernehmlassung.
 
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG).
2.
Soweit die Beschwerdeführerin vorab eine Verletzung der Begründungspflicht bzw. des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) geltend macht, weil sich das kantonale Gericht nicht dazu geäussert habe, dass sie die Überversicherungsberechnungen nicht habe kontrollieren müssen, und zudem aus dem angefochtenen Urteil nicht hervorgehe, dass bis im Jahr 2008 keine Praxis betreffend die Koordination von BVG-Hinterlassenenrenten und AHV-Altersrenten bestanden habe, dringt sie nicht durch. Die Vorinstanz hat klar zu erkennen gegeben, von welchen Überlegungen sie sich hinsichtlich der zentralen Frage, ob die Verjährungseinrede der Beschwerdegegnerin als rechtsmissbräuchlich einzustufen ist oder nicht, hat leiten lassen. Eine sachgerechte Anfechtung war damit zweifellos möglich (vgl. statt vieler: BGE 142 III 433 E. 4.3.2 mit Hinweisen).
3.
3.1. Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Grundlagen zum Anspruch auf eine Witwen- oder Witwerrente des überlebenden Ehegatten aus beruflicher Vorsorge (Art. 19 Abs. 1 BVG), zu deren Höhe und Erlöschen (Art. 21 Abs. 1 und 22 Abs. 2 BVG) sowie zur Rentenkürzung im Rahmen der Leistungskoordination (Art. 34a Abs. 1 BVG und Art. 24 Abs. 2 der Verordnung über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 18. April 1984 [BVV 2; SR 831.441.1]) zutreffend dargelegt. Korrekt sind auch die Ausführungen in Bezug auf die Verjährung (vgl. Art. 41 BVG) und den Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 und 9 BV; statt vieler: BGE 138 III 401 E. 2.2; 138 III 425 E. 5.5; 137 III 625 E. 4.3; 135 III 162 E. 3.3.1; 134 I 65 E. 5.1). Darauf wird verwiesen.
3.2. In BGE 135 V 29 und 33 hielt das Bundesgericht fest, dass gemäss Art. 24 Abs. 2 BVV 2 (in der damals geltenden Fassung) nur Leistungen gleicher Art und Zweckbestimmung als im Rahmen der Überversicherungsberechnung anrechenbare Einkünfte gelten, welche der anspruchsberechtigten Person aufgrund des schädigenden Ereignisses ausgerichtet werden. Was nicht aufgrund des schädigenden Ereignisses ausgerichtet wird, kann nach dem klaren Wortlaut nicht angerechnet werden. Die Verordnung legt damit das Prinzip der sachlichen und ereignisbezogenen Kongruenz fest. So werden die Rente der Unfallversicherung und die Invalidenrente der beruflichen Vorsorge aufgrund der unfallbedingten Invalidität ausbezahlt. Die Altersrente der AHV wird demgegenüber nicht aufgrund desjenigen schädigenden Ereignisses ausgerichtet, welches zu diesen Renten geführt hat, sondern aufgrund des Versicherungsfalles "Alter". Sie würde auch ausgerichtet, wenn das schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (BGE 135 V 29 E. 4.1; 135 V 33 E. 5.4.2.1). Andere normunmittelbare Auslegungselemente, die eine Abweichung vom klaren Wortlaut des Art. 24 Abs. 2 BVV 2 nahelegen könnten, liegen nicht vor. Vielmehr gelangte das Gericht nach eingehender Interpretation auch unter dem Blickwinkel von Systematik, Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck dieser Verordnungsbestimmung zum Schluss, dass in Abweichung von seinen früheren beiden Urteilen B 14/01 vom 4. September 2001 und B 91/06 vom 29. Juni 2007 (publiziert in: SVR 2010 BVG Nr. 6 S. 19) die AHV-Altersrente nicht in die Überversicherungsberechnung miteinzubeziehen ist (BGE 135 V 29 E. 4.2-4.4; 135 V 33 E. 5.4.2.2; je mit Hinweisen).
3.3. Rechtsmissbrauch im Kontext der Verjährung liegt nicht nur vor, wenn der Schuldner den Gläubiger arglistig dazu verleitet, nicht innert nützlicher Frist zu handeln, sondern auch dann, wenn er - ohne Arglist - ein Verhalten gezeigt hat, das einerseits den Gläubiger bewogen hat, rechtliche Schritte während der Verjährungsfrist zu unterlassen, und andererseits die Säumnis des Gläubigers auch bei objektiver Betrachtungsweise als verständlich erscheinen lässt. Das Verhalten des Schuldners muss für das verspätete Handeln des Gläubigers kausal sein (BGE 131 III 430 E. 2; 128 V 236 E. 4a; Urteil 4A_487/2007 vom 19. Juni 2009 E. 4.1). Auch der bösgläubige Schuldner kann sich auf die Verjährung berufen, ohne dass ihm Rechtsmissbrauch entgegengehalten werden kann. Die Verjährungseinrede ist insbesondere nicht schon deshalb rechtsmissbräuchlich, weil der Schuldner weiss, dass der eingeklagte Anspruch zu Recht besteht (BGE 141 V 127 E. 2). Nur die positive Verursachung der Fristversäumnis durch entsprechendes Verhalten des Schuldners vermag die Gegeneinrede des Rechtsmissbrauchs zu rechtfertigen (zum Ganzen: Urteil 4A_532/2009 vom 5. März 2010 E. 3.1 mit Hinweisen).
4.
4.1. Es steht fest und ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin Anspruch auf Nachzahlung der übermässigen Leistungskürzungen hat, soweit diese innerhalb der gesetzlichen und reglementarischen fünfjährigen Verjährungsfrist (vgl. Art. 41 Abs. 2 BVG und Art. 96 Abs. 3 des Vorsorgereglements der PK Post [in der ab 1. Januar 2018 gültigen Fassung]) liegen (Fr. 26'454.- vom 1. Februar 2014 bis 31. Januar 2019).
Streitig und zu prüfen ist hingegen, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie die Verjährungseinrede der Beschwerdegegnerin betreffend die Nachzahlungen vor Februar 2014 als nicht rechtsmissbräuchlich qualifizierte.
4.2. Das kantonale Gericht hat im Wesentlichen erwogen, die Beschwerdegegnerin respektive die PKB als deren Rechtsvorgängerin hätten die Überversicherungsberechnungen und die entsprechenden Kürzungen transparent offen gelegt. Anhand dieser Angaben sei durchaus ersichtlich gewesen, dass die AHV-Altersrente versehentlich miteinbezogen worden sei. Sodann datiere die Rechtsprechungsänderung, wonach die AHV-Altersrente nicht mehr in der Überversicherungsberechnung berücksichtigt werden dürfe, erst vom 19. Dezember 2008 (BGE 135 V 29 und 33). Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt hätten die Rentenkürzungen somit keiner klaren Rechtslage widersprochen. Auch in der Folge habe seitens der Vorsorgeeinrichtung kein Anlass für eine vertiefte Überprüfung der Rentenauszahlungen bestanden, nachdem schon seit dem Jahr 2004 kein Teuerungsausgleich mehr gewährt worden sei. Demnach könne ihr kein Wissen im Sinne einer bewussten Kenntnis über die zu hohen Leistungskürzungen vorgeworfen werden, sodass die Verjährungseinrede ohne Weiteres zulässig sei.
 
Erwägung 5
 
5.1. Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, verfängt nicht. Die Vorinstanz hat sich vor allem zu den beiden Urteilen B 14/01 vom 4. September 2001 und B 91/06 vom 29. Juni 2007 detailliert geäussert. Sie hat zutreffend erwogen, demnach habe das Eidgenössische Versicherungsgericht (EVG) bzw. Bundesgericht wiederholt festgehalten, dass von der Überversicherungsberechnung aus beruflicher Vorsorge nach Art. 24 Abs. 2 BVV 2 ausdrücklich nur Hilflosenentschädigungen, Abfindungen und ähnliche Leistungen ausgenommen seien. Eine weitergehende Einschränkung in dem Sinne, dass keine Kürzung der BVG-Leistungen infolge Bezugs einer AHV-Altersrente hätte erfolgen können, sei demgegenüber nicht vorgesehen (vgl. vorinstanzliche Erwägung 3.4.4). Dem Einwand, die fraglichen Urteile hätten lediglich für die Koordination von Invaliden-, nicht aber von Hinterlassenenrenten der beruflichen Vorsorge gegolten, ist entgegen zu halten, dass das Bundesgericht ganz allgemein auf "BVG-Leistungen" Bezug nahm, ohne zwischen Invaliden- und Hinterlassenenrenten zu unterscheiden (vgl. SVR 2010 BVG Nr. 6 S. 19, B 91/06 E. 3.1). Insbesondere ist, wie die Beschwerdeführerin selber einräumt, nicht erkennbar, dass bis BGE 135 V 29 und 33 eine konstante Rechtspraxis bestanden hätte, zu welcher das Vorgehen der Beschwerdegegnerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerinnen im Widerspruch gestanden hätte. Ebenso wenig kann die Beschwerdeführerin aus dem Urteil B 74/03 vom 29. März 2004 etwas zu ihren Gunsten ableiten, ging es doch dort um die Koordination einer in Kapitalform ausbezahlten BVG-Altersleistung mit einer AHV-Altersrente, was mit der vorliegenden Konstellation nicht vergleichbar ist. Mit anderen Worten war der Nichteinbezug der AHV-Altersrente in die Überversicherungsberechnung vor der im Dezember 2008 erfolgten Rechtsprechungsänderung (zumindest) nicht eindeutig rechtsfehlerhaft. Bis dorthin fällt ein allfälliger Rechtsmissbrauch daher zum Vornherein ausser Betracht.
5.2. Abgesehen davon ist grundsätzlich nicht zu ersehen, inwieweit die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung, die Beschwerdegegnerin habe die Überversicherungskürzung von der PKB übernommen und diese Praxis gutgläubig fortgeführt, offensichtlich unrichtig (willkürlich) sein soll (vgl. E. 1 hievor). Die Beschwerdeführerin lässt insbesondere ausser Acht, dass eine Beweiswürdigung nicht bereits dann willkürlich ist (vgl. dazu BGE 140 III 16 E. 2.1 mit Hinweisen), wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst, wenn der Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht oder auf einem offenkundigen Fehler beruht (BGE 144 I 28 E. 2.4 mit Hinweisen). So verhält es sich hier nicht. Vielmehr ist (auch) letztinstanzlich unbestritten geblieben, dass der Beschwerdeführerin nach der letzten Rentenanpassung vom 8. Januar 2004 kein Teuerungsausgleich auf laufende Renten mehr gewährt wurde. Dementsprechend ergibt sich anhand der Akten kein Anhaltspunkt, dass die Beschwerdegegnerin die Überversicherungsberechnung seither im Detail überprüft, ihren Fehler bemerkt und trotzdem keine Anpassung vorgenommen hätte. Ist mit anderen Worten schon nicht (hinreichend) ausgewiesen, dass die korrekten Rentenauszahlungen wider besseren Wissens (bösgläubig) unterblieben, so fällt ein rechtsmissbräuchliches Verhalten respektive aktives Vorgehen der Beschwerdegegnerin im Sinne einer Verhinderung insbesondere der vor Februar 2014 liegenden korrekten Zahlungen umso mehr ausser Betracht (vgl. E. 3.3 hievor). Ob die Rentenkürzungen in allen Teilen transparent waren respektive es der Beschwerdeführerin zumutbar gewesen wäre, diese selber zu kontrollieren, kann demzufolge offen bleiben. Auch anhand der sonstigen Vorbringen in der Beschwerde ist keine Rechtsverletzung ersichtlich. Die vorinstanzliche Schlussfolgerung, es bestehe keine Grundlage für den Vorwurf einer absichtlichen Pflichtverletzung der Beschwerdegegnerin, welche deren Berufung auf die (gesetzliche und) reglementarische Verjährung als rechtsmissbräuchlich qualifizieren würde, bleibt daher rechtlich verbindlich. Die Beschwerde ist unbegründet.
6.
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 14. Januar 2022
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Parrino
 
Der Gerichtsschreiber: Grünenfelder