Abruf und Rang:
RTF-Version (SeitenLinien), Druckversion (Seiten)
Rang: 

Zitiert durch:


Zitiert selbst:


Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 2C_135/2022 vom 10.02.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
2C_135/2022
 
 
Urteil vom 10. Februar 2022
 
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin,
 
Bundesrichterin Hänni,
 
Bundesrichter Beusch,
 
Gerichtsschreiber Hugi Yar.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Fürsprecher Ismet Bardakci,
 
gegen
 
Departement des Innern des Kantons Solothurn, Migrationsamt, Ambassadorenhof, 4509 Solothurn.
 
Gegenstand
 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung / Wegweisung,
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn, Präsidentin, vom 17. Januar 2022 (VWBES.2021.489).
 
 
 
Erwägung 1
 
A.________ (geb. 1964) ist türkischer Staatsangehöriger. Er hält sich seit rund 29 Jahren in der Schweiz auf. Das Migrationsamt des Kantons Solothurn widerrief am 29. November 2021 seine Niederlassungsbewilligung wegen Sozialhilfeabhängigkeit (offenbar rund Fr. 693'000.--). Das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn (Präsidentin) wies am 17. Januar 2022 das Gesuch von A.________ um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung in seinem Verfahren wegen Aussichtslosigkeit der Begehren ab. A.________ beantragt vor Bundesgericht, diesen Entscheid aufzuheben, da er nicht hinreichend begründet sei. Für das bundesgerichtliche Verfahren ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung.
 
Erwägung 2
 
2.1. Nach Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG müssen beim Bundesgericht anfechtbare Entscheide die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten. Der vorinstanzliche Entscheid hat eindeutig aufzuzeigen, auf welchem festgestellten Sachverhalt und auf welchen rechtlichen Überlegungen er beruht (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1 mit Hinweisen). Die Begründung ist insbesondere mangelhaft, wenn der angefochtene Entscheid jene tatsächlichen Feststellungen nicht trifft, die zur Überprüfung des eidgenössischen Rechts notwendig sind oder wenn die rechtliche Begründung des angefochtenen Entscheids so lückenhaft oder unvollständig ist, dass nicht geprüft werden kann, wie das eidgenössische Recht angewendet wurde. Die Begründung ist ferner mangelhaft, wenn einzelne Tatbestandsmerkmale, die für die Subsumtion unter eine gesetzliche Norm von Bedeutung sind, von der Vorinstanz nicht oder nicht genügend abgeklärt wurden (BGE 119 IV 284 E. 5b). Der Entscheid über die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung muss den Begründungsanforderungen von Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG genügen, insbesondere dann, wenn das Gesuch abgewiesen wird (Urteil 5A_647/2021 vom 19. November 2021 E. 5.1). Genügt ein Entscheid den genannten Anforderungen nicht, kann das Bundesgericht ihn in Anwendung von Art. 112 Abs. 3 BGG an die kantonale Behörde zur Verbesserung zurückweisen oder aufheben. Hingegen ist es nicht seine Aufgabe, sich an die Stelle der Vorinstanz zu setzen, die ihrer Aufgabe nicht nachgekommen ist (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1; Urteil 6B_280/2021 vom 27. Mai 2021 E. 3.3.2).
 
Erwägung 2.2
 
2.2.1. Im angefochtenen Zwischenentscheid - der für den Beschwerdeführer einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil nach sich zieht, da ihm im Falle des Nichtleistens des Kostenvorschusses angedroht wird, dass auf seine Eingabe nicht eingetreten würde (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG) - legt die Vorinstanz ausschliesslich dar, dass der Widerrufsgrund von Art. 63 Abs. 1 lit. c AIG (dauerhafte und erhebliche Sozialhilfeabhängigkeit) erfüllt sei; im Übrigen zitiert sie länger die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Begriff der Mutwilligkeit.
2.2.2. Zu den Verhältnissen im konkreten Fall äussert sie sich hingegen praktisch nicht: In fünf Sätzen hält sie fest, dass der Beschwerdeführer seit vielen Jahren Sozialhilfe beziehe, diese betrage Fr. 693'000.--, was nicht bestritten ist. Es bestünden im Übrigen Schulden in der Höhe von Fr. 86'000.--, welche der Beschwerdeführer teilweise infrage stellt; die Vorinstanz legt diesbezüglich im Übrigen nicht dar, was sie hieraus ableitet. Sie macht weiter geltend, der Kanton Bern habe einen Kantonswechsel abgelehnt; auch insofern ergibt sich aus dem angefochtenen Entscheid nicht, inwiefern dies entscheidwesentlich wäre, nachdem - soweit ersichtlich - das Migrationsamt des Kantons Solothurn dem Beschwerdeführer in Kenntnis des Sozialhilfebezugs einen Kantonswechsel erlaubt hatte. Schliesslich sei den bisherigen Gesuchen, eine IV-Rente zu erhalten, nicht entsprochen worden, was wiederum bestritten ist.
2.3. Die Vorinstanz nimmt keinerlei Bezug auf die Frage der Verhältnismässigkeit der aufenthaltsbeendenden Massnahme im konkreten Fall und behandelt damit eine für die angebliche Aussichtslosigkeit der Eingabe entscheidende Frage gerade nicht. Auch wenn die Vorinstanz die Sache nur summarisch prüft, muss sich doch aus ihrem Zwischenentscheid über die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ergeben, auf welchen Sachverhalt sie abstellt und warum sie - gestützt auf alle entscheidwesentlichen Aspekte und nicht nur den Widerrufsgrund - davon ausgeht, die Eingabe sei zum Vornherein aussichtslos. Der vorliegende Entscheid genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen nicht; er ist aufzuheben und die Sache zur Verbesserung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
 
Erwägung 3
 
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind keine Gerichtskosten geschuldet (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Solothurn hat den Beschwerdeführer für das vorliegende Verfahren mit Fr. 1'200.-- zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung im bundesgerichtlichen Verfahren wird dadurch gegenstandslos. Mit dem vorliegenden Entscheid in der Sache selber fällt auch das Gesuch um vorsorgliche Massnahmen dahin.
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1. Die Beschwerde wird gutgeheissen, der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 17. Januar 2022 aufgehoben und die Sache zu neuem Entscheid an dieses zurückgewiesen.
 
2. 
 
2.1. Es werden keine Kosten erhoben.
 
2.2. Der Kanton Solothurn hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'200.-- zu entschädigen.
 
2.3. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird als gegenstandslos abgeschrieben.
 
3. Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn mitgeteilt.
 
Lausanne, 10. Februar 2022
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin
 
Der Gerichtsschreiber: Hugi Yar