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Bearbeitung, zuletzt am 04.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 8C_727/2021 vom 21.04.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
8C_727/2021
 
 
Urteil vom 21. April 2022
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Abrecht,
 
Gerichtsschreiber Grunder.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Diane Günthart,
 
Beschwerdeführerin,
 
gegen
 
AXA Versicherungen AG,
 
General Guisan-Strasse 40, 8400 Winterthur,
 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Kathrin Hässig,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung
 
(Kausalzusammenhang; psychisches Leiden),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 13. September 2021 (UV.2020.00249).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
A.a Die 1961 geborene A.________ war seit dem 15. November 1991 als Pflegeexpertin in einem Teilzeitpensum von 60 % beim Spital B.________ angestellt und dadurch obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 3. September 2019 teilte die Versicherte der AXA Versicherungen AG, Winterthur (im Folgenden: AXA), mit, dass sie unbemerkt von einer Zecke gebissen worden sei. Die Ärzte des Spitals C.________, wo sich die Versicherte vom 26. August bis 7. September 2019 aufgehalten hatte, diagnostizierten eine Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) mit Fieber, Schwindel sowie Gang- und Standunsicherheit mit Fallneigung (Verlegungsbericht vom 6. September 2019). Die AXA erbrachte die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung; Taggeld).
A.b Ab dem 7. September bis zum 18. Oktober 2019 wurde die Versicherte in der Klinik D.________ AG stationär betreut. Laut Austrittsbericht vom 11. November 2019 konnte sie in gutem Allgemeinzustand entlassen werden. Die Klinik E.________ AG teilte der AXA in ihrem Verlaufsbericht vom 9. März 2020 über die ambulante Behandlung vom 21. Oktober 2019 bis 25. Februar 2020 zum neuropsychologischen Befund mit, die Versicherte sei affektiv hinreichend gut schwingungsfähig, ihre Kritikfähigkeit und das Störungsbewusstsein seien adäquat, die kognitive Belastbarkeit sei über 60 % gegeben, das Arbeitsverhalten sei motiviert und bezüglich des Tempos regelrecht gewesen. Das Konzentrationsvermögen und die Auffassungsgabe hätten sich als unauffällig erwiesen. Der von der AXA als beratender Arzt konsultierte Dr. med. F.________, Facharzt FMH für Innere Medizin, Physikalische Medizin und Rehabilitation, hielt in seiner Aktenbeurteilung vom 27. März 2020 fest, die typischen Folgen einer FSME hätten sich innerhalb kurzer Zeit erwartungsgemäss deutlich zurückgebildet, weshalb die im Vordergrund stehenden depressiven Symptome nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit in einem natürlichen Kausalzusammenhang mit der FSME stehen könnten.
A.c Am 12. Mai 2020 diagnostizierte die Klinik E.________ AG eine leichte neuropsychologische Funktionsstörung (ICD-10 F06.7). Im Vordergrund stehe eine alltagsrelevante Fatiguesymptomatik mit erhöhter Müdigkeit und einer reduzierten psychophysischen Belastbarkeit. Mit Verfügung vom 26. Mai 2020 eröffnete die AXA der Versicherten, sie habe ab 1. März 2020 keinen Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung mehr. Die hiegegen erhobene Einsprache wies die Unfallversicherung mit Einspracheentscheid vom 12. Oktober 2020 ab, soweit sie darauf eintrat.
B.
A.________ liess beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde einreichen und beantragen, ihr seien die gesetzlichen Leistungen zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache an die AXA zurückzuweisen, damit sie ein Gutachten einhole und hernach über die Leistungen neu entscheide. Im Laufe des Gerichtsverfahrens liess A.________ die Berichte des Dr. med. G.________, Facharzt für Neurologie, Mitglied FMH, vom 25. Juni 2020 sowie des Dr. med. H.________, Facharzt für Innere Medizin FMH vom 16. November 2020 auflegen Mit Urteil vom 13. September 2021 wies das Sozialversicherungsgericht die Beschwerde ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils sei die Unfallversicherung zu verpflichten, die gesetzlichen Leistungen über den 1. März 2020 hinaus zu erbringen. Eventualiter sei die Sache an diese zur Vornahme weiterer Abklärungen (Gutachten) zurückzuweisen.
Die AXA lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Erwägungen :
 
1.
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 mit Hinweisen).
1.2. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).
 
2.
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzt hat, indem sie in Bestätigung des Einspracheentscheids der Beschwerdegegnerin vom 12. Oktober 2020 hinsichtlich der von der Beschwerdeführerin über den 29. Februar 2020 hinaus geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine weitere Leistungspflicht aus der obligatorischen Unfallversicherung verneint hat.
2.2. Das kantonale Gericht hat die massgeblichen Bestimmungen und Grundsätze über den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers (Art. 6 Abs. 1 UVG in Verbindung mit Art. 4 ATSG) erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und eingetretenem Schaden im Allgemeinen (BGE 142 V 435 E. 1; 129 V 177 E. 3.1 f.) sowie betreffend die Adäquanzprüfung bei einer psychischen Fehlentwicklung nach Unfall (BGE 115 V 133) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt für die Voraussetzungen des Fallabschlusses (Art. 19 Abs. 1 UVG). Darauf wird verwiesen. Zu wiederholen ist, dass an die Beweiswürdigung von medizinischen Auskünften strenge Anforderungen zu stellen sind, soll der Versicherungsfall - wie vorliegend - ohne Einholung eines externen Gutachtens entschieden werden. Bestehen auch nur geringe Zweifel an der Zuverlässigkeit und Schlüssigkeit der versicherungsinternen ärztlichen Feststellungen, sind ergänzende Abklärungen vorzunehmen (BGE 135 V 465 E. 4.4 in fine mit Hinweis).
 
3.
 
 
3.1.
 
3.1.1. Die Vorinstanz hat nach einlässlicher Darstellung der medizinischen Akten erkannt, der die Beschwerdegegnerin beratende Dr. med. F.________ habe in seiner Aktenbeurteilung vom 20. März 2020 nachvollziehbar und schlüssig begründet, die vorliegende Leistungsminderung könne allenfalls auf die durch den Zeckenbiss verursachte FSME zurückgehen, jedoch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit. Die Beschwerdeführerin habe sich laut Berichten der Kliniken D.________ und E.________ nach der Infektion hinsichtlich der eingeschränkten Mobilität und der kognitiven Defizite (initiale Symptomatik mit Fieber, Schwindel, Gang- und Standunsicherheit mit Fallneigung) rasch erholt. Es hätten weder neurologische Ausfälle vorgelegen, noch seien anhaltende strukturelle Hirnschädigungen bildgebend nachgewiesen worden. Die depressiven Symptome, die sich zunehmend entwickelt hätten, stünden in Zusammenhang mit der vorbestehenden Arbeitsplatz- und Krankheitsproblematik (Arbeitsunfähigkeit wegen der Bursitis).
3.1.2. Weiter hat das kantonale Gericht erwogen, Dr. med. G.________ bestätige in seiner aktengestützten Stellungnahme vom 25. Juni 2020 die Beurteilung des Dr. med. F.________. Letztlich habe er im Sinne eines Kritikpunktes einzig darauf hingewiesen, dass Dr. med. F.________ den Wegfall des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht ausreichend begründe. Sodann habe Dr. med. H.________ im Bericht vom 16. November 2020 einen aus physikalischer Sicht unauffälligen Befund beschrieben. Er habe festgehalten, er habe nicht den Eindruck, die Beschwerdeführerin leide an einer Psychopathie, wobei er dazu mangels fachlicher Qualifikation nicht Auskunft zu geben vermöge. Trotzdem habe Dr. med. H.________ die bestehende Restsymptomatik allein der erlittenen FSME ohne nähere Begründung zugeschrieben, was daher nicht zu überzeugen vermöge. Neue medizinische Aspekte hätten die Dres. med. G.________ und H.________ nicht angegeben, weshalb deren möglicherweise teils anderweitige Einschätzung der Unfallkausalität keine auch nur geringen Zweifel an der Beurteilung des Dr. med. F.________ zu wecken vermöchten.
3.1.3. Allerdings habe Dr. med. F.________ mangels entsprechender Frage der Beschwerdegegnerin den im Hinblick auf den Wegfall des natürlichen Kausalzusammenhangs entscheidenden Umstand, ob mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit vom Dahinfallen jeder kausalen Bedeutung von unfallbedingten Ursachen des Gesundheitsschadens auszugehen sei, nicht diskutiert. Die Frage, ob die Leistungseinstellung mit dem Wegfall des natürlichen Kausalzusammenhangs begründet werden könne, müsse daher offen bleiben.
3.1.4. Sodann hat die Vorinstanz festgehalten, aus der Beurteilung des Dr. med. F.________ und der anderen Ärzte ergebe sich, dass den in neuropsychologischen Testverfahren validierten kognitiven Defiziten keine Relevanz zukomme. Laut Auskünften des Dr. med. G.________ seien diese als minim bis leicht zu beurteilen. Sie hätten für sich allein genommen keine weiteren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit als Pflegeexpertin und bedürften keiner weiteren Behandlung. Gestützt darauf hat das kantonale Gericht festgehalten, aus den kognitiven Defiziten könnten keine Leistungsansprüche hergeleitet werden. Vielmehr stehe nach der überzeugenden Beurteilung des Dr. med. F.________ die depressive Symptomatik im Vordergrund, die nicht direkt auf die Infektionserkrankung FSME zurückzuführen sei. An diesem Beweisergebnis vermöchten weitere Abklärungen nichts zu ändern, weshalb darauf in antizipierter Beweiswürdigung zu verzichten sei.
3.1.5. Schliesslich hat die Vorinstanz erwogen, der adäquate Kausalzusammenhang der geltend gemachten Einschränkungen sei nach der Rechtsprechung zu den psychischen Fehlentwicklungen nach Unfall (BGE 115 V 133) zu prüfen. Der Zeckenbiss sei vorliegend als leichtes Ereignis zu werten, weshalb die Adäquanz ohne Weiteres zu verneinen sei und ab 1. März 2020 kein Anspruch auf Leistungen der obligatorischen Unfallversicherung mehr bestanden habe (mit Hinweis auf das Urteil 8C_208/2015 vom 17. Juni 2015 E. 4.2.1).
 
3.2.
 
3.2.1. Die Beschwerdeführerin stimmt zwar der Schlussfolgerung des kantonalen Gerichts zu, die Symptomatik der durch den Zeckenbiss verursachten FSME habe sich in kurzer Zeit deutlich verbessert. Es habe aber den Umstand, dass sie im Verlauf ein Fatigue-Syndrom und weitere neuropsychologisch nachgewiesene Einschränkungen entwickelt habe, nicht gewürdigt. Zwar sei korrekt, dass der psychische Gesundheitszustand mittels Fragebogen zu einer depressiven Symptomatik ermittelt worden sei. Diese Abklärungen seien allerdings im Zusammenhang mit dem unfallkausalen Fatigue-Syndrom zu sehen. Ein psychiatrischer Befund, aufgrund dessen eine davon unabhängige Diagnose hätte gestellt werden können, liege nicht vor. Dr. med. F.________ lasse ausser Acht, dass die Fragebogen eine Ablenkbarkeit und eine Verlangsamung in geistigen Prozessen gezeigt hätten, aufgrund derer das subjektive Erleben der Folgen der Fatigue als schwer eingestuft worden sei. Zusammenfassend sei festzuhalten, dass die Vorinstanz den Sachverhalt in Verletzung von Art. 61 lit. c ATSG festgestellt habe. Sie hätte antragsgemäss ein polydisziplinäres Gutachten einholen müssen.
3.2.2. Die Beschwerdeführerin scheint zunächst zu beanstanden, dass der Wegfall des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht mit dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit dargetan sei. Indessen hat das kantonale Gericht, wie sich deutlich aus den vorstehend zitierten Erwägungen ergibt, die Frage offen gelassen. Dieses Vorgehen ist nicht zu beanstanden, wenn es die Adäquanz zu Recht verneint hat (BGE 135 V 465 E. 5.1).
Inwieweit sich nach der deutlich gebesserten Symptomatik der erlittenen FSME ein darauf zurückzuführendes Fatigue-Syndrom entwickelt haben soll, ist weder den medizinischen noch den neuropsychologischen Befunden zu entnehmen. Jedenfalls wären von den beantragten weiteren Abklärungen keine entscheidrelevanten neuen Aspekte zu erwarten. Die Beschwerdeführerin bestreitet denn auch nicht, dass der Zeckenbiss einen leichten Unfall im Sinne von BGE 115 V 133 E. 7 mit Hinweisen (vgl. auch das vorinstanzlich zitierte Urteil 8C_208/2015 vom 17. Juni 2015 E. 4) darstellt, dem für die Entstehung der geltend gemachten psychisch bedingten Erwerbsunfähigkeit keine massgebende Bedeutung zukommt oder der mit andern Worten nicht ernsthaft ins Gewicht fällt. Die Beschwerde ist in allen Teilen abzuweisen.
4.
Die Gerichtskosten sind der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 21. April 2022
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Wirthlin
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder