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Bearbeitung, zuletzt am 05.08.2022, durch: DFR-Server (automatisch)
 
BGer 8C_206/2022 vom 14.07.2022
 
Tribunal fédéral
 
Tribunale federale
 
Tribunal federal
 
[img]
 
 
8C_206/2022
 
 
Urteil vom 14. Juli 2022
 
 
I. sozialrechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Wirthlin, Präsident,
 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Abrecht,
 
Gerichtsschreiber Wüest.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Silvan Meier Rhein,
 
Beschwerdeführer,
 
gegen
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
 
Beschwerdegegnerin.
 
Gegenstand
 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang),
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich
 
vom 31. Januar 2022 (UV.2021.00083).
 
 
Sachverhalt:
 
A.
Der 1964 geborene A.________ stürzte am 19. Juli 2017 beim Tragen von Elementen durch eine Decke und zog sich dabei multiple Verletzungen zu, unter anderem eine Schulterkontusion links. Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva) erbrachte für die Folgen des Unfalls die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). Mit Verfügung vom 8. Januar 2018 stellte sie ihre Leistungen bezüglich des linken Schultergelenks ein. Diese Verfügung wurde rechtskräftig, nachdem A.________ seine Einsprache zurückgezogen hatte.
Seit dem 20. April 2020 war A.________ bei der B.________ AG angestellt und dadurch erneut bei der Suva obligatorisch gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 24. April 2020 zog er sich im Rahmen eines Einsatzes als Kranführer beim Herablassen einer Last eine Platzwunde am Kopf zu. Daraufhin lief er eine Böschung hinunter, machte einen Misstritt und stürzte auf ein Trottoir (Schadenmeldungen UVG vom 27. April und 15. Mai 2020). Die erstbehandelnden Ärzte des Spitals C.________ diagnostizierten eine Schädelkontusion mit/bei Schädelhirntrauma mit Commotio cerebri und Schulterkontusion links sowie Rippenfrakturen X und XI links. Die Suva erbrachte wiederum die gesetzlichen Leistungen (Heilbehandlung und Taggeld). Nach Einholung einer kreisärztlichen Beurteilung (vgl. Bericht des Dr. med. D.________, Facharzt für Chirurgie sowie Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates, vom 14. September 2020) hielt sie mit Verfügung vom 25. September 2020 fest, dass die aktuell noch bestehenden Beschwerden an der linken Schulter nicht mehr unfallbedingt seien. Die betreffenden Leistungen würden per 31. August 2020 eingestellt. Auf eine Rückforderung der bis 23. September 2020 ausbezahlten Taggelder verzichtete die Suva. Die von der zuständigen Krankenkasse und von A.________ gegen die Leistungseinstellung erhobenen Einsprachen wies sie - nach Einholung einer neuerlichen kreisärztlichen Beurteilung vom 9. März 2021 - mit Einspracheentscheid vom 11. März 2021 ab.
B.
Die von A.________ hiergegen geführte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 31. Januar 2022 ab.
C.
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt A.________ beantragen, es seien das angefochtene Urteil und der Einspracheentscheid der Suva vom 11. März 2021 aufzuheben und ihm für sämtliche Beschwerden im Bereich der linken Schulter als Folge des Unfalls vom 24. April 2020 die ihm zustehenden Versicherungsleistungen zuzusprechen. Eventualiter sei die Sache zu weiteren Abklärungen an die Suva zurückzuweisen.
Während die Suva - ohne inhaltlich Stellung zu nehmen - auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf eine Vernehmlassung.
 
1.
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 145 V 57 E. 4.2). Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2, Art. 105 Abs. 3 BGG).
2.
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Leistungseinstellung der Suva per 31. August 2020 bundesrechtskonform ist.
2.2. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen und die Rechtsprechung betreffend den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers erforderlichen natürlichen und adäquaten Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Gesundheitsschaden (BGE 134 V 109 E. 2.1; 129 V 177 E. 3.1 f.), den Wegfall der Unfallkausalität bei Erreichen des Zustands, wie er vor dem Unfall bestand oder sich auch ohne diesen ergeben hätte (Status quo ante vel sine; BGE 146 V 51 E. 5.1), den im Sozialversicherungsrecht massgebenden Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 146 V 271 E. 4.4) und den Beweiswert von Arztberichten (BGE 142 V 58 E. 5.1; 135 V 465 E. 4.4; vgl. auch BGE 134 V 231 E. 5.1) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen.
2.3. Hervorzuheben ist, dass nach der Rechtsprechung zu den im Sinn von Art. 6 Abs. 1 UVG massgebenden Ursachen auch Umstände gehören, ohne deren Vorhandensein die gesundheitliche Beeinträchtigung nicht zur gleichen Zeit eingetreten wäre. Eine schadensauslösende traumatische Einwirkung wirkt also selbst dann leistungsbegründend, wenn der betreffende Schaden auch ohne das versicherte Ereignis früher oder später wohl eingetreten wäre, der Unfall somit nur hinsichtlich des Zeitpunkts des Schadenseintritts conditio sine qua non war. Anders verhält es sich, wenn der Unfall nur Gelegenheits- oder Zufallsursache ist, welche ein gegenwärtiges Risiko, mit dessen Realisierung jederzeit zu rechnen gewesen wäre, manifest werden lässt, ohne im Rahmen des Verhältnisses von Ursache und Wirkung eigenständige Bedeutung anzunehmen. Einem Ereignis kommt demzufolge der Charakter einer anspruchsbegründenden Teilursache zu, wenn das aus der potentiellen pathogenen Gesamtursache resultierende Risiko zuvor nicht dermassen gegenwärtig war, dass der auslösende Faktor gleichsam beliebig und austauschbar erschiene. Dagegen entspricht die unfallbedingte Einwirkung - bei erstelltem Auslösezusammenhang - einer (anspruchshindernden) Gelegenheits- oder Zufallsursache, wenn sie auf einen derart labilen, prekären Vorzustand trifft, dass jederzeit mit einem Eintritt der (organischen) Schädigung zu rechnen gewesen wäre, sei es aus eigener Dynamik der pathogenen Schadensanlage oder wegen Ansprechens auf einen beliebigen anderen Zufallsanlass. Wenn ein alltäglicher alternativer Belastungsfaktor zu annähernd gleicher Zeit dieselbe Gesundheitsschädigung hätte bewirken können, erscheint der Unfall nicht als kausal signifikantes Ereignis, sondern als austauschbarer Anlass; es entsteht daher keine Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers (Urteile 8C_287/2020 vom 27. April 2021 E. 3.1 mit Hinweisen; 8C_669/2018 vom 25. März 2020 E. 4; U 413/05 vom 5. April 2007 E. 4, in: SVR 2007 UV Nr. 28 S. 94; ANDREAS TRAUB, Natürlicher Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Gesundheitsschädigung bei konkurrierender pathogener Einwirkung: Abgrenzung der wesentlichen Teilursache von einer anspruchshindernden Gelegenheits- oder Zufallsursache, SZS 2009 S. 479).
3.
Die Vorinstanz kam nach Würdigung der vorhandenen medizinischen Berichte zum Schluss, dass der Unfall vom 24. April 2020 zu keiner richtungsgebenden Verschlimmerung geführt habe. Der Sturz sei für die eingetretenen Rupturen der Supraspinatus- und Bizepssehne nicht (teil-) ursächlich. Sie stützte sich dabei im Wesentlichen auf die Beurteilung des Kreisarztes Dr. med. D.________ vom 9. März 2021. Dieser bemerkte zunächst, dass sich im Bericht der erstbehandelnden Ärzte des Spitals C.________ vom 24. April 2020 keine Hinweise auf Prellmarken, Flüssigkeitskollektionen, Hautabschürfungen oder Ähnliches im Bereich des linken Schultergelenks fänden, die auf eine relevante Gewalteinwirkung hinweisen würden. Ein intraartikulärer Gelenkerguss oder andere Zeichen für eine relevante Traumatisierung hätten nicht vorgelegen. Weiter hätten bereits in der Bildgebung 2017 eine deutliche Einengung des subacromialen Raumes sowie eine Akromioklavikular- (AC) -Gelenksarthrose vorgelegen, welche als wichtige Faktoren für die Entstehung von degenerativ bedingten Rupturen zu betrachten seien. Eine Analyse der Bildgebung aus den Jahren 2017 und 2020 führe zum Schluss, dass nicht das Unfallereignis vom 24. April 2020 zu einer Ruptur der Rotatorenmanschette geführt habe. Diese sei vielmehr bereits so weit fortgeschritten degenerativ verändert gewesen, dass eine beliebige Tätigkeit zu einem beliebigen Zeitpunkt zu einer partiellen Ruptur hätte führen können. Die Unfallfolgen würden nach zwölf Wochen keine Rolle mehr spielen im streitbetroffenen Beschwerdebild.
Gestützt auf diese Einschätzung bestätigte die Vorinstanz die Leistungseinstellung der Suva wegen Erreichens des Status quo sine betreffend die linke Schulter zwölf Wochen nach dem Unfallereignis vom 24. April 2020.
4.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe die Beweise falsch gewürdigt und damit den Sachverhalt ungenügend festgestellt.
4.1. Vorab ist festzuhalten, dass der von der Vorinstanz gestützt auf einen Wikipedia-Eintrag erfolgte Hinweis, wonach akut-traumatische Rotatorenmanschettenrupturen im Vergleich zu Rupturen, die aufgrund chronischer Schäden des Schultergelenks entstünden, weitaus seltener seien, zur konkreten Einzelfallbeurteilung wenig beiträgt, wie der Beschwerdeführer zu Recht vorbringt. Dies ändert aber nichts daran, dass die vorinstanzliche Beweiswürdigung im Ergebnis überzeugt, wie sich aus dem Folgenden ergibt.
4.2. Der Beschwerdeführer bringt vor, der Kreisarzt Dr. med. D.________ übersehe, dass zur Bejahung der Unfallkausalität bereits eine Teilursächlichkeit des Unfallereignisses genüge. Allein aus dem Umstand, dass Hinweise auf eine degenerativ bedingte Vulnerabilität vor dem Unfallereignis bestanden hätten, dürfe nicht geschlossen werden, der Unfall habe höchstens zu einer vorübergehenden Verschlimmerung führen können.
Dem ist entgegenzuhalten, dass sich der Kreisarzt nicht darauf beschränkte, degenerative Veränderungen im Bereich der linken Schulter festzustellen. Er berücksichtigte unter anderem auch die Tatsache, dass sich im Bereich der das Schultergelenk umgebenden Weichteile keine Signalerhöhungen zeigten, die auf eine relevante Gewalteinwirkung hinweisen würden. Auch im Bereich des Humeruskopfes oder der Gelenkpfanne hätten sich keine Signalerhöhungen, kein intraartikulärer Gelenkerguss oder andere Zeichen für eine relevante Traumatisierung gezeigt. Hingegen habe bereits in der Bildgebung 2017 eine deutliche Einengung des subacromialen Raumes sowie eine AC-Gelenkarthrose vorgelegen, was ein wichtiger Faktor für die Entstehung von degenerativen Rupturen sei. Dr. med. D.________ begründete damit nachvollziehbar, weshalb die bestehende transmurale, knapp 12 mm lange Ruptur der ventralen Supraspinatussehne (vgl. MRT-Abklärung vom 6. Mai 2020) nicht auf das Unfallereignis vom 24. April 2020, sondern vielmehr auf ein Fortschreiten der vorbestehenden degenerativen Veränderungen zurückzuführen ist. Er legte schlüssig dar, dass ein alltäglicher alternativer Belastungsfaktor zu annähernd gleicher Zeit dieselbe Gesundheitsschädigung bewirkt hätte, weshalb der Unfall nicht als kausal bedeutsames Ereignis erscheint, sondern als austauschbarer Anlass (vgl. E. 2.3 hiervor).
Im Übrigen ist unbestritten, dass beim Sturz erhebliche Kräfte auf die Rippen wirkten. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass auch im Bereich der linken Schulter eine relevante Gewalteinwirkung stattfand. Dr. med. D.________ wies nicht nur auf die fehlenden Prellmarken und Hautabschürfungen hin, sondern auch auf die oben genannten fehlenden "inneren" Zeichen für eine relevante Traumatisierung. Angesichts dieser fehlenden Hinweise für eine traumatische Sehnenruptur schmälert es den Beweiswert seiner Beurteilung nicht entscheidend, dass sich der Kreisarzt nicht näher zum Unfallhergang und zum -mechanismus äusserte.
4.3. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die fehlende Muskelatrophie und fehlende Verfettung bei den Muskelansätzen würden auf eine voll funktionsfähige und im Einsatz gewesene linke Schulter hinweisen und gegen einen erheblichen Vorschaden sprechen, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. Gemäss eigenen Angaben litt der Beschwerdeführer bereits vor dem Ereignis vom 24. April 2020 an erheblichen Schulterbeschwerden. So gab er anlässlich einer Besprechung mit einem Aussendienstmitarbeiter der Suva vom 6. August 2020 an, er sei nach der Leistungseinstellung der Suva im Januar 2018 in Bezug auf den Unfall vom 19. Juli 2017 nie mehr beschwerdefrei gewesen. Er habe nur noch unter Einnahme von Schmerzmitteln arbeiten können. Die Vorinstanz erkannte ausserdem richtig, dass in keinem medizinischen Bericht erwähnt wird, die fehlende Muskelatrophie und die fehlende Verfettung bei den Muskelansätzen würden gegen eine degenerativ bedingte Ruptur der Spinatussehne sprechen. Ein solcher Hinweis lässt sich insbesondere auch nicht den Stellungnahmen des behandelnden Arztes und Operateurs Dr. med. E.________, Leitender Arzt Orthopädische Klinik, Spital F.________, vom 3. November 2020 und 14. April 2021 entnehmen. Dessen Kausalitätsbeurteilung erschöpft sich im Wesentlichen im Hinweis darauf, dass die in der aktuellen Bildgebung dargestellte transmurale Ruptur der Supraspinatussehne in der Voruntersuchung im Jahr 2017 noch nicht bestanden habe. Mit der Argumentation des Kreisarztes, wonach die transmurale Ruptur (allein) auf das Fortschreiten der bereits damals vorhandenen degenerativen Veränderungen zurückzuführen sei, setzte sich der behandelnde Arzt aber nicht auseinander. Damit vermag er die Beurteilung des Kreisarztes nicht in Frage zu stellen.
4.4. Insgesamt erhebt der Beschwerdeführer keine Einwände, die auch nur geringe Zweifel an der Einschätzung des Dr. med. D.________ erweckten (BGE 145 V 97 E. 8.5 mit Hinweis), weshalb die Vorinstanz zu Recht darauf abgestellt hat. Demnach ist davon auszugehen, dass es durch den Unfall vom 24. April 2020 lediglich zu einer vorübergehenden Verschlimmerung bezüglich des linken Schultergelenks kam, wobei die Unfallfolgen nach zwölf Wochen keine Rolle mehr spielten. Bei diesem Ergebnis durfte die Vorinstanz auf Weiterungen in Form einer Begutachtung verzichten. Dies verstösst weder gegen den Untersuchungsgrundsatz noch gegen die Ansprüche auf freie Beweiswürdigung sowie Beweisabnahme (Art. 61 lit. c ATSG) und rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; antizipierte Beweiswürdigung; BGE 144 V 361 E. 6.5; Urteil 8C_219/2022 vom 2. Juni 2022 E. 7). Die Beschwerde ist unbegründet.
5.
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG).
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird abgewiesen.
 
2.
 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt.
 
3.
 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, IV. Kammer, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt.
 
Luzern, 14. Juli 2022
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Wirthlin
 
Der Gerichtsschreiber: Wüest