30. September 1887 in Sachen von Courten
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Gleichheit vor dem Gesetze
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Sachverhalt | |
A. | |
Ernst von Courten in Redingen hatte gegen F. Walpen, Leo Bagger, Calesanz Garbely und Eduard Blatter in Redingen Strafanzeige wegen Drohungen und Tätlichkeiten erstattet, wurde dagegen gleichzeitig seinerseits wegen Amtsehr-verletzung, begangen gegenüber dem Gemeinderathe von Redingen, in Strafuntersuchung gezogen. Durch Urtheil des Gerichtshofes des ersten Kreises für den Bezirk Goms, vom 6. Mai 1887 wurde E. von Courten, unter Abweisung eines Begehrens um Einstellung der Verhandlungen, zu einer Buße von 100 Fr., eventuell zu 30 Tagen Einsperrung, sowie zu den Kosten verurtheilt; F. Walpen, L. Bagger, C. Garbely und E. Blatter wurden freigesprochen. Gegen dieses Urtheil ergriff E. von Courten die Appellation an das kantonale Appellationsgericht. Nach Art. 42 des kantonalen Gesetzes betreffend die Besoldung der richterlichen Behörden und den Gerichtskostentarif vom 1. Dezember 1883 und Art. 25 des Reglementes vom 27. Oktober 1880, betreffend Ausführung des Gerichtsorganisationsgesetzes vom 24. Mai 1876, hat die appellirende Partei, bei Strafe der Verwirkung des Rechtsmitels, binnen Frist ein Depositum von 130 Fr. zu leisten. E. von Courten suchte beim Justizdepartement des Kantons Wallis um Erlaß dieser Hinterlage nach, indem er sich darauf berief, daß er nach einer Bescheinigung der Gemeindebehörde von Rekingen vom 15. März 1886 Anspruch auf das Armenrecht habe. Das Justizdepartement wies ihn aber mit diesem Begehren ab, wie er behauptet, mit der Bemerkung, daß es Sache des Appellationsgerichtes sei, die Zulassung mittelst des Armenrechtes zu gewähren. Der Präsident des Appellationsgerichtes, an welchen der Rekurrent sich daraufhin wandte, erklärte durch Bescheid vom 30. Juni 1887, daß das Gericht in der peinlichen Prozedur kein Armenrecht annehmen könne und von der Hinterlage der 130 Fr. nur dann hätte Umgang nehmen können, wenn die Regierung, welcher dieselbe zu gute komme, ihr von vornherein entsagt hätte.
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B. | |
Hierauf wandte sich E. von Courten beschwerend an das Bundesgericht. In seiner Rekursschrift stellt er in der Hauptfache den Antrag: Das Verfahren des Präsidenten des Appellationsgerichtes sowie des Justizdepartementes des Kantons Wallis, wodurch dem Rekurrenten Ernst von Courten jede Möglichkeit genommen wurde, sich gegen das Urtheil des ersten Kreisgerichtes vom 6. Mai abhin beim Kantonsgerichte zu beklagen, als verfassungswidrig zu erklären und das Kantonsgericht sei verpflichtet, die Klage des Rekurrenten in seiner nächsten ordentlichen Novembersitzung zu behandeln. In seiner Rekursschrift weist er darauf hin, daß er sich bereits gegen die Weigerung des Appellationsgerichtes, die von ihm gegen ein in der gleichen Sache ergangenes Inzidentalurtheil der ersten Instanz ergriffene Appellationsbeschwerde zu behandeln, beim Bundesgerichte beklagt habe, daß er mit seiner Beschwerde allerdings durch Entscheidung des Bundesgerichtes vom 8. Juli 1887 abgewiesen worden sei, daß ihm dabei aber ausdrücklich das Recht zu erneuter Beschwerde gewahrt worden sei, für den Fall, daß nach erfolgtem erstinstanzlichem Urtheile in der Hauptsache die Behandlung einer von ihm an das obere Gericht gerichteten Berufung wegen Nichtleistung der gesetzlichen Kostenvertröstung verweigert werden sollte. Dieser Fall liege nun vor. Das Verfahren der kantonalen Behörden enthalte eine Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung; dem armen Manne werde es geradezu unmöglich gemacht, sein Recht gegenüber von Fehlsprüchen der untern Instanzen zu wahren, wenn die Annahme einer Berufung von Leistung einer Hinterlage, von 130 Fr. abhängig gemacht werde. Das sei keine Gleichheit vor dem Gesetze sondern involvire eine förmliche Rechtsverweigerung gegenüber dem Armen.
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C. | |
Der Präsident des Appellationsgerichtes des Kantons Wallis übermittelt in Beantwortung dieser Beschwerde, unter dem "ausdrücklichen Vorbehalte der Inkompetenz des Bundesgerichtes, in kantonalen Strafsachen zu erkennen" dem Bundesgerichte die Bemerkungen des Untersuchungsrichters des Bezirkes Goms; in denselben wird in rechtlicher Beziehung wesentlich ausgeführt: Die Auseinandersetzungen des Rekurrenten bezüglich des Armenrechtes möchten de lege ferenda begründet sein, de lege lata seien sie es für den Kanton Wallis nicht. In der Weise, wie der Beschwerdeführer das Armenrecht in Strafsachen in Anspruch nehmen wolle, sei dieses Recht bislang im Kanton Wallis noch Niemanden zuerkannt worden. Eine Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung liege somit nicht vor. Wenn übrigens das Auftreten und der Leumund des Beschwerdeführers berücksichtigt werden sollten, so habe demselben schon deßhalb mit Fug und Recht das Armenrecht verweigert werden können.
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1. Es kann sich nur darum handeln, ob in der Weigerung des Appellationsgerichtes des Kantons Wallis, die Berufung des Rekurrenten anzunehmen, weil derselbe die gesetzliche Gebühr von 130 Fr. nicht hinterlegt habe, eine Verfassungsverletzung oder Rechtsverweigerung liege. Dies zu prüfen ist das Bundesgericht ohne Zweifel nach Art. 59 des O.G. kompetent. Allerdings ist die Strafsache des Rekurrenten nach kantonalem Rechte zu beurtheilen und steht es dem Bundesgerichte nicht zu, die Anwendung des kantonalen Straf- oder Strafprozeßrechtes durch die kantonalen Behörden zu kontroliren. Dagegen ist dasselbe nach Verfassung und Gesetz in seiner Stellung als Staatsgerichtshof berechtigt und verpflichtet, zu prüfen, ob nicht bei Behandlung der Strafsache des Rekurrenten verfassungsmäßige Rechte desselben verletzt worden seien.
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3. Richtig ist nun, daß die fragliche Norm alle Bürger formell gleich behandelt. Allein ebenso klar ist auf der andern Seite, daß dadurch dem Bedürftigen, welcher die gesetzliche Gebühr von 130 Fr. zu leisten nicht im Stande ist, der Rechtsschutz durch die obere Instanz thatsächlich einfach abgeschnitten wird. Dies ist mit dem Prinzipe der Rechtsgleichheit nicht vereinbar. Dieses fordert gewiß, daß dem armen Angeklagten die gleichen Garantien richtiger Rechtsprechung gewählt werden, wie dem Begüterten. Eine Bestimmung wie die hier in Frage stehende des Walliserrechts steht, mag sie auch äußerlich alle Bürger gleich behandeln, der praktischen Wirkung nach in schneidendem Widerspruche mit diesem Postulat der Gerechtigkeit; sie gewährt die, dem Wortlaute des Gesetzes nach allen Angeklagten zustehenden, Rechtsmittel dem Armen in That und Wahrheit nur zum Scheine, da sie dieselben an eine Voraussetzung knüpft, welche der Arme von vorneherein nicht erfüllen kann. Freilich ist der Staat berechtigt, für die Ausübung der Rechtspflege von den Parteien Gebühren zu fordern und ist es auch verfassungsmäßig zuläßig, daß die Parteien im Interesse des Staates oder der Gegenpartei zu vorgängiger Versicherung oder Hinterlage der Prozeßkosten unter den gesetzlichen Voraussetzungen angehalten werden. Allein Vorschriften letzterer Art fordern doch, soll dadurch dem Armen der Rechtsschutz nicht völlig abgeschnitten werden, eine Ergänzung in dem Sinne, daß dem Bürger, der sich über seine Mittellosigkeit ausweist, sofern es sich nicht etwa um offenbar grundlose Prozesse handelt, die vorgängige Erlegung der Gebühren nachgesehen wird. Im Civilprozesse ist denn auch die Institution des Armenrechtes in der Schweiz wohl allgemein, speziell unzweifelhaft im Kanton Wallis, anerkannt. Die Strafprozeßordnungen dagegen sprechen allerdings durchgängig nicht vom Armenrecht; allein dies erklärt sich leicht aus der öffentlich-rechtlichen Natur des Strafprozesses, welche es ausschließt, daß in demselben die Vornahme prozeßualer Handlungen in gleicher Weise und Ausdehnung wie im Civilprozesse von der Leistung von Kostenkautionen oder Hinterlage von Gebühren durch die Parteien, speziell durch den Angeklagten, abhängig gemacht wird. Aber gerade wegen der öffentlich-rechtlichen Natur des Strafprozesses und wegen der Güter, die darin für den Angeklagten auf dem Spiele stehen, ist daran festzuhalten, daß das Recht der Vertheidigung in allen Instanzen dem armen Angeklagten nicht durch gesetzliche Vorschriften verkümmert werden darf, welche ihm dessen wirksame Ausübung thatsächlich unmöglich machen müssen, und ihn daher faktisch ungünstiger stellen als den Begüterten.
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Demnach hat das Bundesgericht erkannt: | |